Fahrtenschreiber

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edition punktuell. Leseprobe

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Philipp Probst Fahrtenschreiber



FAHRT ENSC HREIB ER Glossen von Philipp Probst mit Illustrationen von Eddie Wilde


© 2022 by edition punktuell, CH-9103 Schwellbrunn Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Radio und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, ­elektronische ­Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten. Illustrationen: Eddie Wilde Herstellung: Verlagshaus Schwellbrunn ISBN 978-3-905724-73-8 editionpunktuell.ch


INHALTSVERZEICHNIS Der Fahrtenschreiber

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Kleine Freuden

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Die E-Omi

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Der Beach-Bus-Fahrer

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Füüdleblutt 14 Schwatzverbot 16 Wir fahren rückwärts

18

Der gläserne Busfahrer

20

Die neue E-Scham

22

Frisuren des Friedens

24

Die Kunst des Winkens

26

Der grüne Waggiswaage

28

Die Katze hat Vortritt

30

Krawatte als Schuhbändel

32

Spuckschutzscheibenspass 34 Château Garage

36

Corona frisst die Agenda

38

Bier trinken mit Schutzmaske

40

Grüne Männchen

42

Wird Weihnachten abgesagt?

44

Kulturgut Kaffeeautomat

48

Der Bub singt!

50

Schafft die Fasnacht ab!

52

Sitzen verboten

54

Wir schieben den Bus

56

Lasst uns eins jodeln!

58

Es geht aufwärts

60

Verkehrsimpfung 62 Lärm! 66 Sturmfrisur 68


Endlich wieder lustig

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Ab in die Velofahrschule

72

Wir spielen Stau

74

Braucht es Menschen?

76

Rundenrekord! 78 Der Gender-Bus

80

Das neue Normal

82

Die Welt ist schön

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D ER FAH RTEN SCHR EIBER Wer den ganzen Tag einen Bus durch den Verkehr lenkt, erlebt vieles. Und er sieht vieles. Und er denkt noch viel mehr. Der Körper fährt, die Gedanken fliegen. Beim Fahren kommen mir immer die besten Ideen. Das war schon immer so. Während ich hochkonzentriert auf den Verkehr achte, formen sich in meinem Kopf Geschichten. Oft kommen mir auch fixfertige Sätze, Formulierungen oder Ausdrücke in den Sinn. Daraus kreiere ich dann meine Geschichten, meine Romane – und meine Glossen für die Basler Zeitung. Der Erfolg mit meinen Büchern und meinen Glossen spornt mich an, diesen Weg weiterzugehen. Und auch weiterzufahren. Die vielen Begegnungen mit Fahrgästen, die mich auf meine Geschichten ansprechen, freuen mich sehr. So entstand die Idee dieses Fahrtenschreiber-Buchs: eine Sammlung meiner Glossen. Kleine Geschichten aus der Zeit vor der Pandemie und viele, die während der Coronazeit entstanden sind. Während ich für die Basler Verkehrs-Betriebe BVB die grünen Busse durch die Stadt lenke, fährt mein Kollege Eddie Wilde die grünen Trams durch Basel. Und hat ebenso viele Ideen in seinem Kopf, schreibt sie aber nicht auf. Er zeichnet sie. In einer kreativen Zusammenarbeit hat er nun die meisten meiner Glossen für dieses Buch illustriert. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern viel Vergnügen. Und stets eine sichere und angenehme Fahrt. PS: Der Titel Fahrtenschreiber ist übrigens doppeldeutig. Ich fahre, und ich schreibe. Ein Fahrtenschreiber ist aber auch ein Gerät, das im Bus, im Lastwagen oder im Tram die Fahrt aufzeichnet, ähnlich einer Blackbox im Flugzeug.

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K LEINE FREU DEN Der Bus fährt einem immer vor der Nase weg. Nein, wir Chauffeure und Chauffeusen machen das nicht absichtlich …

Ich bin ein Netter. Sonst wäre ich kaum Buschauffeur bei den BVB geworden. Als Dienstleister ist Nettsein Pflicht, oder? Ich kann aber auch anders. Allerdings lebe ich meine dunkle Seite nicht im Dienst aus, sondern als Autor in meinen Geschichten und Büchern. Wobei: Es juckt mich manchmal schon, auch auf dem Bus ein bisschen böse zu sein. Möglichkeiten bieten sich viele. Der Klassiker: Sie rennen zum Bus, und ich fahre Ihnen vor der Nase weg. Mache ich selbstverständlich nicht. Macht übrigens auch keiner meiner Kolleginnen und Kollegen. Wirklich nicht! Manchmal übersehen wir Sie einfach, weil wir noch auf

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tausend andere Sachen achten müssen. Oder die Ampel wechselt auf Grün, und wir müssen fahren, um den Verkehr nicht zu blockieren. Tja, da kann auch der netteste Dienstleister nichts mehr Nettes tun, ausser Sie nett anzulächeln, was bitte nicht als Schadenfreude zu verstehen ist. Nun gut. Was mich wirklich immer wieder zu Schabernack reizt, sind herumliegende Dosen und PET-Flaschen. Da rollte mir doch kürzlich an einem Samstagnachmittag eine Plastikflasche mitten in der Stadt entgegen – ein kleiner Schwenker, und mein tonnenschwerer 34er-Bus wäre drüber gebrettert. Das hätte einen Knall gegeben und alle Passanten zu Tode erschreckt. Ätsch! Aber so etwas mache ich nicht. Ganz fies wäre, bei Regen mit ordentlich Tempo durch Pfützen zu düsen und Fussgänger zu nässen. Oder noch fieser: die an der Haltestelle wartenden Passagiere! Hoppla, hat es gespritzt? Verschmitztes Grinsen. Aber so etwas mache ich ebenfalls nicht. Hm? Tja also … Okay, ich verrate es Ihnen: Ich mache es doch. Es geht nicht anders! Diese bodenseegrosse Pfütze am EuroAirport ist einfach zu einladend. Sie befindet sich gleich nach der Haltestelle «Abflug». Ja, ja, ich achte darauf, dass sich niemand auf dem Trottoir befindet. Voilà. Alles frei. Los geht’s! Zisch, spritz, pflotsch! Ein PfützenTsunami, was für ein Spass! Kleine Freuden eines Busfahrers ...

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DIE E -OMI Die E-Velos und E-Trottis machen auch aus den unsportlichsten Menschen wahre Rennfahrerinnen und Rennfahrer.

Ich stehe mit meinem Bus an einer Haltestelle und beobachte, wie zwei Meter vor mir eine ältere Dame ihren Velohelm über ihre grau melierte Haarpracht stülpt, auf ihren unscheinbar wirkenden Drahtesel steigt und mich fragend anschaut. Natürlich gewähre ich ihr den Vortritt. Das war ein Fehler. Ich fahre los. Die Dame pedalt in ihren roten Pumps erst einmal gemütlich dahin.

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Ich blinke nach links und setze zu einem Überholmanöver an. Ich erwarte dabei keinerlei Komplikationen und setze das für solche Situationen antrainierte coole Busfahrer-Lächeln auf. Doch mir vergeht das Grinsen schnell. Als ich mit der Dame auf gleicher Höhe bin, ist Schluss. Die radelnde Omi entwickelt ungeheuerliche Kräfte – ich tippe auf Spinat-Doping – und bietet mir Paroli. Weiter vorne steht eine «Biene Maja», ein gelb-schwarzer Pfosten, politisch korrekt als Verkehrsteiler bezeichnet. Jedenfalls kommt «Biene Maja» schnell auf mich zu. Und ich realisiere: Die schlanke Omi und mein breiter Bus passen niemals zwischen «Biene Maja» und Trottoir. Ich gebe Gas. Omi pedalt. Ich drücke mit voller Kraft. Omis graue Haarsträhnen, die unter dem Helm hervorschauen, wirbeln im Fahrtwind. Ich bekomme Schweissausbrüche. Omi lächelt. Der gelb-schwarze Pflock wird immer grösser, und ich höre bereits Karel Gott «Biene Majaaaaaa» singen. Als Chauffeur muss man wissen, wann man verloren hat. Ich gehe vom Gas und lasse Omi ziehen. Als wir kurz darauf nebeneinander vor einem Rotlicht stehen, entdecke ich an ihrem Velo ein kleines Motörli. Ich vergesse die rasende E-Omi schnell wieder. Bis mir ein junger Mann mit einem Trottinett vor die Schnauze fährt. Mein rechter Fuss zuckt erneut, doch mein Verstand sagt: Hast keine Chance, also gib Forfait. Denn: Alles, was Räder hat, hat heute auch ein Motörli! Mein Verstand hat recht: Während ich Gas gebe und das Getriebe des Busses noch mit Schalten beschäftigt ist, trottinettlet der Mann munter davon. Und die nächsten E-Raser flitzen mir bereits um die Ohren.

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D ER BEA CH-BU S-FAHR ER Sommer in der Stadt. Sonnenbrille auf, Ellbogen zum Fenster hinaus halten, cool sein.

Noch nie war es derartig leicht, als BVB-Chauffeur die Menschen so glücklich zu machen wie in den letzten zwei Wochen. Zuerst prasselten sintflutartige Regengüsse auf Basel nieder. Die Leute haben meinen Bus regelrecht geentert. Er war ihre Rettungsinsel. (Derweil konnte ich ungeniert durch jede Pfütze fahren und für Spritzplausch sorgen – die Passanten waren sowieso schon pflotschnass.) Einige Tage später herrschte sengende Hitze. Die klimatisierten Trams und Busse mutierten zu mobilen Oasen. Die Fahrgäste lechzten nach meinem kühlen Bus wie Verdurstende … Ja, ja, man kann sich heute kaum noch daran erinnern, aber es gab einst eine Zeit ohne Klimaanlagen. Irgendwie haben wir es auch überlebt. Etwas schwitzender und stinkender zwar, aber so brutal heiss war es früher nun wirklich nicht, oder? 12


Unser neues, mediterranes Klima hat einen Vorteil: Man muss nicht mehr in die Ferien fahren. Und der Rhein ersetzt das Meer locker. Wie an allen Stränden dieser Welt liegen auch bei uns überall halb nackte Menschen an der Sonne. Leckere Glaces und Apéros gibt es ebenso. Zudem – ganz ehrlich: Unsere Bimmelbahnfahrerinnen und -fahrer sind mindestens so locker drauf wie die Fahrer der Touristenzügli in den Urlaubsparadiesen am Mittelmeer. Auch ich passe mich an und werde zum südländischen Busfahrer. Vor allem, wenn ich den Bade-Express fahre: Linie 31 oder 38 vom Claraplatz zum Basler Badestrand beim Tinguely-Museum. Die Kiste ist stets voll mit halb nackten Menschen und ihren umgehängten Badesäcken. Wenn da keine Ferienstimmung aufkommt! Damit ich als Beach-Bus-Fahrer wirklich authentisch wirke, behandle ich jeweils morgens das BVB-Hemd so lange mit dem Bügeleisen und mit Stärke, dass man es hinstellen kann. Eine zünftige Portion Pomade ins Haar, eine verspiegelte Sonnenbrille vor die Augen und ein Anker-Ketteli um den Hals. Und ganz wichtig: Fenster herunter und den linken Arm lässig hinaus hängen lassen. Falls Sie mich ansprechen: Ich werde Sie total arrogant abkanzeln. Ich habe nämlich keine Zeit. Ich bin mit «cool sein» beschäftigt!

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FÜ ÜDLEB LUTT Bei Hitze ziehen sich die Menschen auch in der Stadt gerne aus. Oft fehlt nicht mehr viel und sie wären ganz nackt – füüdleblutt, wie man in Basel sagt.

Ja, ich gebe es zu: Ich starre! Es ist aber auch fürchterlich anstrengend, in dieser heissen Sommerzeit mit einem Bus durch Basel zu fahren. Denn alles ist anders: Die Menschen entblössen sich! Dabei kommen Körperteile zum Vorschein, die man sonst nie sieht. Und das ist in 99 Prozent aller Fälle auch gut so. Aber jetzt, bei diesen hohen Temperaturen, scheinen die Baslerinnen und Basler kein Pardon mehr zu kennen: Die Kleider müssen weg. Es sind Männer, die damit anfangen. Keine Ahnung, welches Hormon in ihnen steckt, das befiehlt, sich bei sommerlichen Temperaturen das Hemd vom Leib zu reissen. Und mit dem Ranzen schwanger zu gehen. Bei Frauen frage ich mich nach mehreren Runden durch die Innenstadt: Ab wann wird eine kurze Hose Stringtanga genannt? Und: Sollte ein Mini nicht zumindest als Rock und nicht als Gurt erkennbar sein? Ist füüdleblutt nur eine Option oder schon Realität? Aber bon. Ich stehe mit dem 34er-Bus an der Haltestelle Rheingasse und starre also einer jungen Frau auf … nein, nicht auf den Po, sondern auf ihren linken Oberschenkel. Auf diesem prangt ein Tattoo. Aber keine Rose, keine Schlange, kein Totenkopf, nein, es ist ein Text. Nicht bloss ein Wort oder ein Begriff wie Love, Peace, Basel oder BVB (BVB? Echt jetzt?). Nein, einen ganzen Text hat sie sich stechen lassen. Einen ziemlich langen Text sogar (ich muss dazu sagen: Der Tätowierer hatte auch genügend Platz!). Ich würde diesen Text gerne lesen. Das muss Literatur sein! Oder eine Botschaft. Aber an wen? An den Partner? Ich meine, normalerweise sieht man diesen Text überhaupt nicht, weil dieser Teil des Körpers für gewöhnlich verhüllt ist. Und: Ist der Text

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auch noch lesbar, wenn der Zahn der Zeit die Haut wie ein zerknülltes Papier faltet? Muss man dann das Schriftstück erst glattstreichen, bevor man es lesen kann? Hm … Ich glaube, ich lasse die nächste Glosse auf meinen Rücken tätowieren und hole mir in einer Apotheke das männliche Ich-reiss-mir-das-Hemd-vom-Leib-Hormon. Oh Gott, lass es Winter werden!

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SCHW ATZVER BOT Der Klimawandel ist in aller Munde. Müsste zur Verringerung des CO2-Ausstosses nicht auch das Reden verboten werden?

Die Ferien sind vorbei. Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt! Wobei … Wie war Ihr Urlaub? Das frage ich auch den braun gebrannten Kollegen, als ich ihn auf dem 36er-Bus ablöse. Er sei in Kroatien gewesen. Ich frage, wie es war, und er antwortet, alles schön, tolles Land … Als die ersten Passagiere mit den Füssen zu scharren beginnen, verabschiede ich mich und fahre los. Die neunzig Sekunden Verspätung hole ich wieder ein. Trotzdem lässt mir eine Sache keine Ruhe: Wie spielen sich solche Plaudereien in Büros ab? Dort gibt es keine ungeduldigen Passagiere, folglich dauert der

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Ferienschwatz statt neunzig Sekunden vielleicht zwei, drei Minuten. Und weil man mehrere Kollegen trifft, und weil alle anderen auch im Urlaub waren … Da läppert sich einiges zusammen. Arbeitszeit wird vergeudet! Hat das einmal jemand ausgerechnet? Schaden Feriengespräche einer Firma? Entsteht eine gesamtwirtschaftliche Negativbilanz? Ich bin sicher: Irgendjemand oder irgendetwas leidet unter dem Ferienschwatz. Ganz sicher das Klima. Weil das Klima zurzeit unter allem leidet … Im zweiten Teil meiner Schicht drehe ich meine Runden mit dem Kleinbus in Riehen. Erneut rotiert es in meinem Kopf. Natürlich schadet das Geschwätz dem Klima! Ich meine, wir stossen beim Parlieren mehr Atemluft aus, sprich mehr CO2. Da haben wir es! Der Ferienschwatz muss verboten werden. Überhaupt, das viele Gerede. Oder man führt für Vielschwätzer eine CO2-Abgabe ein. Ui! Da müssten vermutlich viele Schnuuri tief in die Tasche greifen. Besonders teuer könnte es für gewisse Politikerinnen und Politiker werden! Ha, von wegen, diese würden nur heisse Luft erzählen. Das wird völlig verharmlost. Politiker sind regelrechte CO2-Schleudern! Auf der letzten Runde mit dem Kleinbus überlege ich mir sogar, ob wir unseren Planeten retten könnten, wenn wir Menschen nicht mehr atmen würden … Höchste Zeit für den Feierabend. Ich fahre als Passagier mit dem 6er nach Hause. Am Claraplatz hat der Drämmler Schichtwechsel und beginnt mit der Kollegin einen – Ferienschwatz! Ich scharre. Und will den beiden zurufen: «Nicht schwatzen. Denkt an unser Klima!»

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