Von Juden und Christen in Holzminden 1557-1945

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„Die bürgerliche Verbesserung der Juden“

Sobald jener Enkel auch nur glaubwürdig darlegte, daß er eine solche Lehre beginne, bekam er durch den Magistrat aus einem Legat von 200 rt. 30 rt. Zinsen ausgezahlt. Das Stichwort „Akkulturation“ hat an sich in dem großen Zusammenhang, der den sozialen Fragen gewidmet ist, wenig zu suchen. Zwei Gründe rechtfertigen dennoch ein kurzes Verweilen bei diesem Stichwort an dieser Stelle. Der erste Grund liegt in Folgendem: Die bürgerliche Verbesserung, die Isaac Moses im Auge hat, verbindet sich bei ihm auf ganz einfache Weise mit der Frage der Bildung, über die die christliche Umwelt verfügt und die ihm für seinen Enkel unverzichtbar erscheint. Als zweiter Grund ist die schlichte Tatsache zu sehen, daß die Holzmindener Materialien für eine eigenständige Behandlung der Frage nicht ausreichen. Hin und wieder wird die Frage angeschnitten, ob ein Jude die deutsche Sprache — auch schriftlich — ausreichend beherrscht. Neben Isaac Moses und den Menschen, die das Gesuch des verhinderten Steinmetzen Philipp David ablehnten, wies auch Gerson Abraham auf diese Frage hin. Seine eigenen Kenntnisse im deutschen Schreiben wollte er gern hervorgehoben und honoriert sehen. Daß ein Schutzjude sich um das Ende des Jahrhunderts mündlich des (Hoch-)Deutschen bedienen konnte, dürfte angesichts der Betonung des Lesens und Schreibens durch Isaac Moses und Gerson Abraham durchaus anzunehmen sein. Das war 1732 noch anders, als ein in der Nähe Holzmindens vermuteter Verbrecher als Beteiligter an einem Raubüberfall gesucht wurde. Im Steckbrief heißt es, der Gesuchte, Leibmann Schuster, sei „hochteutscher Sprache“ und „nicht pockennärbig vom Angesicht“. Durch beides konnte man einen damaligen Juden noch unter anderen hervorheben. 201 Wenn es in der neuen Untersuchung über Corvey heißt, daß gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine kleine jüdische Oberschicht langsam aus der „Ghettokultur“ heraustrat und bewußte Schritte zur Akkulturation tat, 202 so ist dem im Prinzip sicher zuzustimmen. Nur darf man vielleicht den Begriff „Oberschicht“ nicht zu eng nehmen. Zu ihr konnten auch Juden auf dem Lande oder aus eigentlich anspruchslosen Gemeinden wie in Holzminden zählen. Noch im Herbst 1807 nahm die ehemals Amelungsbornsche Klosterschule in Holzminden ihren ersten jüdischen Schüler auf, Simon Aser Leffmann Löwenstein aus Beverungen, und fünf jüdische Knaben aus Holzminden selbst „warteten“ gewissermaßen darauf, in der „Franzosenzeit“ teils sofort Ostern 1808, teils bis 1811 die Lateinschule zu beziehen. 203 Deren jeweilige Eltern zählten nicht zu Familien, die im jüdischen Milieu des braunschweigischen Holzminden in ihrer sozialen Stellung hervorgetreten waren. Einen Schritt aus seinem geistigen Kreis heraus in den der nichtjüdischen Umwelt hinein hatte auch Gerson Abraham mit einer informativen Schrift getan, die den Christen Einblick in die „Jüdische Schreibart“ vermitteln sollte. Er schuldete 1782 dem Herzog noch 58 Taler an Schutzgeldern. Die Ausweisung war ihm angedroht. Er sollte aber geduldet bleiben, weil aus einem erwarteten Konkurs die geschuldete Summe erhofft wurde. In seinem Bemühen, eigenes Geld zu verdienen, reichte er als Manuskript zwei „Anweisungen zu Erlernung der Juden[-]deutschen Sprache“ ein und bat um herzogliche Förderung des Drucks. Nach einer Prüfung durch einen Professor Remer bekam die Waisenhaus-Druckerei den Auftrag, 45 Taler vorzuschießen und 1000 Stück zu drucken. 91


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