VCS Magazin 2/2013

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REISEN

© Dres Balmer/Saarland Tourismus

Velotour

© Saarland Tourismus

D

as Saarland ist kleiner als der Kanton Tessin, und es hat kleine Verwandtschaften mit der Schweiz. Beide stehen unter anregendem Einfluss der etwas anderen Kulturen ihrer Nachbarn; beim Saarland sind das Luxemburg und Frankreich. Obwohl es bloss 200 Kilometer nördlich von Basel liegt, kennt man es hierzulande kaum. Um das zu ändern, schwingen wir uns in Saarbrücken in den Sattel, kommen auf der Radpiste am Saar-Ufer gut in Fahrt und glauben, das Saarland sei flach. Wir haben keine Grenze zu Frankreich gesehen, doch jetzt sind die Schilder bei den Schleusen französisch beschriftet, die Saar ist la Sarre, der Name Sarreguemines enthält die industrielle Vergangenheit der Gegend, den Bergbau, weist hin auf die bewegte Geschichte des Saarlandes: Nach 1918 wurde es aus dem Deutschen Reich ausgegliedert und bis 1935 dem Völkerbund unterstellt, war im Nationalsozialismus wieder deutsch, nach 1945 französische Besatzungszone, dann eine autonome Region und trat 1957 der Bundesrepublik bei. Die Flachradlerei ist nach einer Stunde zu Ende, es geht links in die stillen Hügel des Bliestals, in eine andere Welt. Die Bäche plätschern, in den Wäldern klingt die Sinfonie der Vogelstimmen, auf den Weiden stehen zufriedene Kühe. Die Zivilisation finden wir wieder, als wir auf einer still-

VCS MAGAZIN / MAI 2013

gelegten Bahnstrecke fahren, die zu einer Velopiste umgebaut wurde. In den folgenden Tagen werden wir oft stundenlang aufgegebenen Schienenwegen entlangfahren, nahe an intensiven Verkehrsströmen auf den Strassen. Auch das Bahnmuseum in Losheim gibt den tristen Eindruck, die Eisenbahn sei hier Vergangenheit. Das Städtchen Blieskastel finden wir als verschlafenen Etappenort angenehm, dann zieht es uns zum Höchen Berg. «Höcher Berg», das klingt ja fast schweizerdeutsch. Deshalb wohl wird es steil. Die Velopiste steigt mit 15 Prozent den Berg hinauf, die Autostrasse gleich daneben ist viel sanfter angelegt und hat nur spärlichen Verkehr. Warum braucht es da eine Velopiste? Der Radler gerät ins Grübeln. Die Autos haben für die schwache Auffahrt starke Motoren, die starke Steigung aber wird radlerischer Muskelkraft zugemutet. Die 15 Prozent würden bei motorisierten Kraftfahrern lauten Protest auslösen. In dieser verkehrten Welt wird zumindest klar, wer tatsächlich die Bezeichnung «Kraftfahrer» verdient: Wir Radlerinnen und Radler! Ist die Situation am Höchen Berg ein Schulbeispiel deutscher Verkehrspolitik? Die bemüht sich, zur Sicherheit die Zweiräder partout vom motorisierten Verkehr zu trennen, so dass Automobilisten kaum mehr einen Kraftfahrer zu Gesicht bekommen und vergessen können, dass es Velos gibt. Dem

Grandiose Ausblicke auf tiefere Hügelzüge, ausgedehnte Wiesen und lauschige Plätze lassen die Anstrengung vergessen.

Eidgenossen kommt die Heimat in den Sinn, wo es für solche Politik zu wenig Territorium gibt. Neben dem Aussichtsturm auf dem Höchen Berg ist ein Gasthaus. Es regnet, wir sind die einzigen Gäste. Der Wirt klagt übers Wetter. Wir sagen, der Regen sei gut für die Landwirtschaft. «Aber schlecht für die Gastwirtschaft», lacht der Wirt, verschwindet in die Küche und klopft für uns hungrige Kraftfahrer ein paniertes Schnitzel. Dass eines klar ist: Das Saarland ist zum Velofahren ein tolles Revier. Der Schweiz gleicht es auch in diesem Punkt – es ist nicht flach. Überraschungen erleben die Velozipedisten immer wieder, und Sonderbares kann ihnen widerfahren mit hochgelobten touristischen Attraktionen, die Neugier wecken, die viele Besucherinnen und Besucher anziehen. Eine solche Attraktion ist an unserer Route der Bostalsee, laut Führer «der grösste Freizeitsee im Südwesten Deutschlands». Aha, Freizeitsee. Die interessante Wortschöpfung weckt unsere Neugier, wir radeln hin. Vor lauter voll besetzten Parkplätzen finden wir das Ufer kaum. Jetzt aber wissen wir wenigstens, was ein Freizeitsee ist. Lieber sind uns da die Hügel, und dort werden wir belohnt. Der Petersberg, zum Glück kein Freizeitberg, ist mit 33


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