upgrade 2.17

Page 27

27

näherer Zukunft keine Gefahr eines Zerfalls der Europäischen Union. Aber auch diese Einstellung ist in bildungsnahen Milieus deutlich stärker vertreten. Die deklarierte EU-Skepsis ist bei jungen Menschen mit niedriger und mittlerer formaler Bildung höher: Sie sehen die EU als Institution insgesamt kritischer und haben geringeres Vertrauen. Immerhin jeder Vierte aus dieser Gruppe geht davon aus, dass die EU-Mitgliedschaft mehr Nachteile als Vorteile bringt. Die Jugendforscherin betont, dass sich junge Menschen eher nicht in der Lage fühlen, Europa zu verändern: „Sie sehen das auch nicht als ihre Aufgabe. Das kann man ihnen kaum vorwerfen, gilt für Europa doch, was für Österreich gilt: Es wird viel über Jugendbetei­ligung gesprochen, aber der tatsächliche Gestaltungsspielraum ist gering.“

Fotos: Ringler © RenÇe del Missier; Grossegger © Privat; Filzmaier © DUK Andrea Reischer

Pro-EU als Wahlmotiv Gerade hat Österreich einen Bundespräsidenten angelobt, der sich im Wahlkampf pro Europa deklariert hat. „Allgemein wurde Alexander Van der Bellen mehr von jungen und formal höher gebildeten Frauen gewählt und Norbert Hofer von Männern und formal niedriger gebildeten Wählerinnen und Wählern“, beschreibt Politikwissenschafter Peter Filzmaier. Das Europaverständnis war ein starkes Wahlmotiv für die Wählerinnen und Wähler des siegreichen Bundespräsidenten. Ein echter Zusammenhang von Alter oder Geschlecht mit diesem Wahlmotiv lässt sich aus der Stichprobe aber nicht herauslesen. Für den Politikwissenschafter ist die Zustimmung zur EU auch eine Generationenfrage: „Je älter, desto mehr EU-Skepsis“, aber „altersunabhängig korreliert die Zustimmung auch mit formalem Bildungsgrad und Einkommen sowie der Selbstverortung in der sozialen Rangordnung. Je höher der soziale Rang, desto mehr EU-Befürwortung.“ Auf die Barrikaden für die EU? Verena Ringler, Beraterin für European Public Diplomacy und Teil der Mercator-Stiftung, beobachtet, dass nicht nur Politiker und Politikerinnen „die kritische Infrastruktur namens Demokratie schützen, sondern gerade auch Bürger und Bürgerinnen“. Junge

Je älter, desto mehr EU-Skepsis. Peter Filzmaier

und ältere Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen und beruflichem Hintergrund gehen auf die Straße, um europäische Werte, Errungenschaften und Ziele zu verteidigen. „Das passiert aktuell in Barcelona, in Bukarest oder von Rom bis Brüssel beim ‚Marsch für Europa‘“, so die Europa-Expertin. Sonntags erklingt inzwischen in verschiedenen europäischen Großstädten der „Pulse of Europe“, wo Menschen für die Grundlagen der Wertegemeinschaft mit den Insignien Europaflagge, offenes Mikro und Beethovens „Ode an die Freude“ als Europahymne demonstrieren gehen. Am Anfang dieser Bewegung stand ein Ehepaar in Frankfurt, das einen Aufruf verfasste. Ein Beispiel für die technologieunterstützte Ad-hoc-Mobilisierung heute, wie sie auch Beate Großegger in ihrem Buch ­„Kinder der Krise“ (2014) beschreibt. Ihre Analyse rezenter jugendlicher Protestbe­ wegungen wie der „Indignados“, von „Uni brennt“ oder „Occupy“: Politisches Engagement passiert spontan entlang von Themen des alltäglichen Lebens. Es wird auf Missstände aufmerksam gemacht und eher kein politischer Forderungskatalog eingereicht. International gesehen sind auch die neuen Protest­ bewegungen ein Phänomen der Bildungsschichten. Auf der anderen Seite der sozialen Hierarchie formieren sich eher Krawall und Randale. Dass sich junge Menschen auf breiter Front gegen Demokratie aussprechen, kann die Jugendforscherin nicht bestätigen. Sie ortet aber eine „Politikerverdrossenheit“, weil das Polit-Establishment jungen Menschen zu viel diskursive Selbstreferenzialität und zu wenig steuerungspolitische Kompetenz vermittelt. Hier dürfen sich also Politiker und Politikerinnen aller europäischen Länder an der Nase nehmen.

PETER FILZMAIER Univ.-Prof. Dr. Peter Filzmaier studierte Politikwissenschaft und Publizistik an der Uni Wien, lehrt an Univer­ sitäten in ganz Österreich, seit 2005 Leiter der ­Plattform Politische Kommunikation und Professor für Demokratiestudien und Politikforschung an der Donau-Universität Krems, ORF-Wahl­ analytiker.

VERENA RINGLER Verena Ringler baut seit 2013 das Europaprogramm der Stiftung Mercator auf. Master in European Studies & Emerging Markets von der School for Advanced International Studies (Johns Hopkins University), Beraterin für European Public Diplomacy, im Beirat für das Europäische Forum Alpbach.

upgrade 2/2017


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.