UNI NOVA 139 (2022/01): Angst.

Page 24

Dossier

Wer hat Angst vorm Muezzin? Überfremdung, Islamisierung, Verlust von Wohlstand: Mit bedrohlichen Szenarien beeinflussen politische Akteure die Menschen. Sie verlassen die rationale Ebene und instrumentalisieren Gefühle für ihre Zwecke.

Text: Noëmi Kern

D

er Bau von Minaretten ist in der Schweiz verboten, steht in der Bundesverfassung. Das Schweizer Stimmvolk hatte im November 2009 einer entsprechend den Volksinitiative zugestimmt, mit 57,5 Prozent Ja-Anteil. Auf dem Abstimmungsplakat durchbohren schwarze Minarette die Schweizer Fahne, im Vordergrund eine ebenfalls schwarze, verhüllte Frau. Das wirkt düster, gar bedrohlich. Wie man dieser Gefahr entgegentreten kann, zeigen die Schriftzüge: «Stopp» und «Ja zum Minarettverbot». Eine kurze und klare Botschaft, eingängig, plakativ, emotionalisierend. Das ist in der Politik wichtig. «Bilder und verkürzte Nachrichten wirken oft viel stärker als etwa die Erklärung eines Risikos, bei der die Argumente nachvollziehbar und nachprüfbar sein sollen», sagt Alexander Fischer. Der Philosoph forscht an der Universität Basel unter anderem über Manipulation als Instrument, bei dem man sich auch die Angst zunutze machen kann, zum Beispiel eben in der Politik. Hier ist das Provozieren von Angst durch das Aufzeigen möglicher katastrophaler Zukunftszustände ein häufig eingesetztes Mittel. In einer Gegeninitiative rational zu erklären, warum eine Gefahr beispielsweise nicht real ist, gestaltet sich schwieriger. «Die Darstellung im Überzeugungsprozess ist viel komplexer und kommt damit oft nicht an», sagt Fischer.

Alexander Fischer beschäftigt die Frage, warum der Mensch handelt, wie er handelt. Er ist wissenschaftlicher Assistent am Philosophischen Seminar der Universität Basel und forscht über Manipulation, Emotionen und Ethik. Zusätzlich ist er auch als Therapeut tätig.

Spiel mit dem Feuer Menschen lassen sich als begrenzt rationale Wesen beeinflussen. Das weiss nicht nur die Politik, sondern auch die Werbebranche. Gezielte Manipulation soll die Affekte so lenken, dass eine bestimmte Handlung letztlich als angenehm oder unangenehm empfunden wird und damit attraktiver oder unattraktiver

Stärker als das Monster Viele politische Kampagnen weisen deshalb auf Bedrohungen hin und schüren damit Ängste. Zum Minarettverbot sagte der damalige SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer gegenüber swissinfo.ch: «Das Minarett ist ein Machtsymbol, eine Speerspitze zur Durchset-

24

zung der politischen Islamisierung. Gegen diese Islamisierung, die den Grundsätzen unserer Verfassung widerspricht, wehren wir uns.» Solche Aussagen zielen auf die Affektebene, statt einen rationalen Diskurs zu fördern. «Angst ist eine schwierige Emotion. Weil sie unangenehm ist, wollen wir sie loswerden», sagt Fischer. Ein wichtiger Mechanismus der Angst in Zusammenhang mit der Politik ist, zu suggerieren, dass das heraufbeschworene Monster besiegbar ist. Dazu müsse man nur der Abstimmungsempfehlung folgen und alles werde gut, so die Botschaft. Das ist motivierend und zieht. «Mit oft diffusen Ängsten zu spielen, ist eine Grundbewegung in der Politik, deren wesentliche Aufgaben eben auch ist, Ängste zu beseitigen», so Fischer. Darum spielt Angst hier ständig eine Rolle. Die Themen, die in der Schweiz regelmässig für ein Gefühl der Bedrohung sorgen, ändern sich mit dem Lauf der Zeit: In den 1980er-Jahren war es die Atomkraft, Anfang der 2000er-Jahre der Genmais. Danach standen und stehen die Angst vor islamistischem Terror, Überfremdung, dem Klimawandel und die Beziehungen mit der EU auf der politischen Agenda, jüngst ging es um die befürchtete Installation eines Polizeistaats während der Pandemie. Ein hierzulande offenbar zeitloses Thema ist der drohende Verlust von Wohlstand.

UNI NOVA

139 / 2022


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.
UNI NOVA 139 (2022/01): Angst. by Universität Basel - Issuu