UnAufgefordert Nr. 155

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Titel Am Ende des Monats. Kein einziger Cent mehr im Portemonnaie. Wie man sich über Wasser hält, wenn es schon bis zum Hals steht.

noch fünf tage bis zum Ersten

Play it again, Sam. Again and again. Bis genug Geld zusammen ist

> Aus der Brieftasche rieseln nur noch die Überreste alter Kassenbons und Adresszettel. Der Dispokredit kann sich fast mit den Staatsschulden eines kleinen Entwicklungslandes messen. Selbst die Euromünze für den Bibliotheksschrank ist schon vor Tagen am Kiosk für fünf einzelne Filterzigaretten draufgegangen. Fünf Tage geldloser Leere trennen mich noch von der rettenden Banküberweisung am nächsten Monatsersten. Kurz bevor das Kabelfernsehen abgeklemmt wird, sehe auf Phoenix noch ein Interview mit Hans Eichel: »Langfristige Planung für nachhaltige Zukunftssicherung« lautete seine inspirierende Parole. Dann wollen wir mal langfristig planen, genauer gesagt: Bis zum nächsten Ersten! Im Geiste erstelle ich zwei Listen: Auf einer stehen die Leute, die mir noch Geld schulden, auf der anderen die, denen ich noch Geld schulde. Erstere sind natürlich nicht erreichbar,

WENN ES KNAPP WIRD, MUSS MAN DIE SCHNÄPPCHEN-SCHERE RAUSHOLEN UND DAMIT DIE PREISE STUTZEN. RECHTS: UNSERE FURCHTBAR BILLIGE BEUTE

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oder müssen ganz dringend weg – diese undankbaren Parasiten! Den anderen muss ich um jeden Preis aus dem Weg gehen – diesen habgierigen Geizhälsen! Es bleiben nur noch eine Handvoll, die auf keiner der beiden Listen stehen. Im stolzen Bewusstsein, diesen Prachtmenschen zu einer guten Tat zu verhelfen, mache ich ein paar zwanglose Besuche: »Wie geht‘s denn so?« – »Und selbst?« – »Muss ja, übrigens, du kannst mir doch sicher…« Mein Ansehen in der Bekanntschaft sinkt in wenigen Stunden unter das Niveau von Leichenschändern und Eisverkäufern im Kino, aber wenigstens ist das Mittagessen gesichert. Weitere strategische Entscheidungen sind schnell getroffen: An einem Unirechner mit Internetanschluß (»E-mail, Chatten und Spiele verboten!«) biete ich meine sämtlichen wissenschaftlichen Bücher bei Ebay feil. Es stimmt also doch: Ein geisteswissenschaftliches Studium macht sich immer bezahlt – so oder so. Artikelbeschreibungen wie »ältere Auflage, Kaffeeflecken, Seiten 16-22 fehlen« ändere ich vorsichtshalber in »Seltenheit, Top-Zustand, einmalige Gelegenheit«. Wer darauf reinfällt, verdient es nicht anders. Doch bevor die ersten Überweisungen eingehen, heißt es erstmal durchhalten.

Gute Freunde sind Geld wert Ein Kaffee wäre jetzt nett. Ich ziehe meine Kreise um den Automaten und halte nach herrenlosen Pfandbechern Ausschau. Bei zehn Cent pro Becher braucht man sechs Becher für einen neuen Kaffee. Da nur ein Einziger da ist, bleibt nur der

ABENDS, FÜNF VOR ACHT IN DEUTSCHLAND: BEIM BÄCKER GIBT`S SCHRIPPEN FÜR UMSONST

DANKE, FÜR DIESE TOLLE FLASCHE; DANKE FÜR DIESES 1A PFAND. DANKE, DASS MAN SO MANCHE FLASCHE AUF DEN FLUREN FAND.

UNAUFgefordert

Juni 2005


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