UnAufgefordert Nr. 150

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Die Jugend von heute (Katrin Neuhaus) lacht über die Alten von gestern (Volkskammer).

Kann die UnAufgefordert ein Leben verändern? Katrin Neuhaus weiß es: Sie war von Anfang an dabei.

»Die Tür war nicht mehr zu« > UnAufgefordert: Wenn vom Herbst 1989 die Rede ist, heißt es immer, die Studenten seien zu spät aufgewacht. Siehst Du das auch so? Katrin Neuhaus:: Ja, wir empfanden es selbst als spät. Aber es musste trotzdem etwas passieren. Wir spürten im November, dass es Zeit war, eine Zeitung zu machen. Auch wenn wir kein Konzept hatten. Ich weiß gar nicht mehr, ob ich über einen Aushang oder Mundpropaganda von der ersten Redaktionssitzung erfahren habe. Jedenfalls saß ich dann am 8. November, nur einen Tag bevor die Mauer fiel, zusammen mit anderen Studenten in einer überfüllten Hinterhofwohnung in Prenzlauer Berg, und wir planten die erste Ausgabe der neuen Zeitung. Fühltest du dich damals auch in deinem Studium eingeschränkt? Nicht direkt. Ich studierte damals Germanistik und Anglistik. In der Regel ist man damit Lehrer geworden. Ich hätte aber gerne ein Forschungsstudium begonnen und meinen Doktor gemacht. Das wurde mir verweigert. Irgendjemand hatte mich in der amerikanischen Botschaft gesehen. Die hatten damals ein schönes Kino und eine große Bibliothek. Trotzdem waren selten mehr als zwei oder drei Leute da. Die Menschen hatten Angst. Mir war das aber egal. Es war ja nicht verboten. Es war eben nur nicht zu meinem Vorteil.

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Wie war dein Verhältnis zur DDR zu diesem Zeitpunkt? Mir war vieles egal. Das Thema DDR war für mich abgeschlossen. Vielleicht auch, weil ich vorher schon dreimal in den Westen reisen konnte, um meine schwer kranke Großmutter zu besuchen. Beim dritten Mal – ich war noch vom 4. bis 7. November 1989 bei meiner Großmutter im Westen – sagte man mir allerdings, dass es das letzte Mal sein würde. Meine Großmutter war wohl etwas zu oft schwer krank. Ich hatte auch schon daran gedacht, dort zu bleiben. Ich habe es aber nicht getan, weil meine Eltern dann nicht mehr zu ihr hätten reisen dürfen. Aber in der DDR hätte ich es wohl auch nicht mehr lange ausgehalten. Und dann, am 9. November, einen Tag nach Eurer ersten Redaktionssitzung, war die Mauer plötzlich offen. Was für ein Gefühl war das? Mit der offenen Mauer war man plötzlich so frei. Ihr könnt euch das heute gar nicht vorstellen. Wenn jetzt noch irgendwas passiert wäre, sich die Stimmung verschärft hätte – man hätte immer weggehen können. Die Tür war nicht mehr zu. Es war so viel in Frage gestellt und überwunden worden. Auch wenn es die DDR theoretisch noch gab, gab es sie doch im wirklichen Leben nicht mehr. Von einem Tag auf den anderen veränderte sich alles. Leute, denen man sein ganzes Studium lang zuhören musste, waren auf einmal nicht mehr wichtig; die FDJ-Leiter zum Beispiel. Das war so ein Genuss.

UNAUFgefordert

November 2004


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