Clean Cube

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Clean Cube Zur Kritik der reinen Vernunft

Ausstellung / VortrAG Workshop / Performance Filmscreening



„… no single item is dirty apart from a particular system of classification in which it does not fit.“ (Mary Douglas: Purity and Danger. An Analysis of Concepts of Pollution and Taboo [1966], London/New York: Routledge 2002, S. xvii)


Vorwort

VORWORT „Vor dem Eintreten Hände waschen“. Angelika Windeggers Installation Berührung bildet den Auftakt zu der Ausstellung CLEAN CUBE in der kulturtankstelle. Wer der Aufforderung nachkommt, wird bald feststellen, dass das Wasser bereits durch die Hände Anderer gelaufen ist. Ausgangspunkt der Ausstellung ist das Dispositiv der Waschstraße. 17 Studierende und Absolvent*innen der Kunstuniversität Linz und der Kunsthochschule für Medien Köln befragen die Grenzen der Sauberkeit und die Reinheitsideale der Moderne. Sie spielen mit der Kontamination, untersuchen Mechanismen des Ein- und Ausschlusses, urbane Wasserkreisläufe, politische Aufräumrhetorik und den Schmutz des White Cube. Schnecken agieren als Fensterwischer, Sockel speien Staub, Seife verliert an Form, Körperflüssigkeiten hinterlassen Spuren, Oberflächen wehren sich gegen Schmutz, Waschungen begleiten Klärungsprozesse, moderne Architektur zeigt sich aus der Perspektive einer Reinigungskraft und Minimal Art bemisst sich an der Kragenweite eines white-collar workers. Eine Kritik der reinen Vernunft.

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INHALT

Ausstellung 06-39 Santiago Alvarez 06 Maria Dirneder 08 Johannes Fiebich 10 Eveline Handlbauer 12 Julie Sophie Kratzmeier 14 Twana Kushnau 16 Bernadette Laimbauer 18 Matthias Lindtner 20 David Moises 22 Atena Neuhuber 24 Carina Nimmervoll 26 Jens Pecho 28 Marlene Penz 30 Domas Schwarz 32 Andrey Ustinov 34 Nico Joana Weber 36 Angelika Windegger 38

Workshop 40 VORTRAG 42 22. Juni 2018, 10:00 Uhr

12. Juni 2018, 18:00 Uhr

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Ausstellung

Santiago Alvarez studiert Mediale Künste an der Kunsthochschule für Medien Köln vimeo.com/santiagoal

Gepflegte Hände werden sorgsam gesäubert, Fingernägel vorsichtig geschliffen, durch glänzende, künstliche Nägel normiert – Santiago Alvarez‘ Video Nails zeigt mit naher Kamera fast intime Szenen in einem Nagelstudio. Es geht um den Arbeitsalltag eines Mitarbeiters, der eher weiblich konnotierten Tätigkeiten nachgeht, zu denen auch das Reinigen der Utensilien und des Fußbodens gehört. Themen wie Hygienepraktiken und Genderzuschreibungen werden verhandelt, wenn die Kamera dem Protagonisten folgt, der während der Maniküre über

sein Leben nachdenkt, das ihn an diesen Ort brachte. Wir befinden uns in einer Zwischen- oder Übergangszone: in Hinblick auf die Beschäftigung mit der Transformation von Körperlichkeit zwischen Individualität und Norm, die wir in blassen Farben und leisen Tönen vorgeführt bekommen, im Hinblick auf Androgynität und die Veränderung der Arbeitswelt und auch im Hinblick auf den urbanen Schauplatz – das Studio befindet sich in einer Ebene zwischen dem Straßenniveau und einer U-BahnStation. (s)

SANTIAGO ALVAREZ, NAILS, 2017, VIDEO, 12 min (Bildgestaltung und Ton: Lukas Soboll)

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Ausstellung

Maria Dirneder studiert Malerei und Grafik an der Kunstuniversität Linz

Nebel ist in seiner Erscheinungsform gegenstandslos, aber über verschiedene Sinne wahrnehmbar. Gasförmig quillt er auf, schwerelos agiert er im Raum, bildet ruhelos immer neue Körper aus. Man kann die transportierte Feuchtigkeit haptisch spüren. Der aufsteigende Nebel visualisiert Temperaturveränderungen. Die Schwaden durchdringen in ihren unterschiedlichen Transparenzgraden unsere

Umgebung. So wird eine Nebelwand unter Umständen zur Barriere. Maria Dirneder lässt die ehemalige Feuchtigkeit der Waschstraße aus dem Boden treten und formt sie zu lebendigen Skulpturen. Der Nebel wird vom Raum absorbiert und weckt Assoziationen zu Reinigungsritualen wie dem Ausräuchern von Gebäuden, aber auch zu Abgasen und Kanalisation. (lms)

Maria Dirneder, White Fog, 2018, Nebelmaschine

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Ausstellung

JOHANNES FIEBICH studiert Medienkultur- und Kunsttheorien an der Kunstuniversität Linz fiebich.carbonmade.com

Welche Reinheitsvorstellungen bilden die Grundlage für politische Entscheidungen, wenn diese anhand der Triade Sauberkeit, Ordnung und Sicherheit getroffen werden? In seiner Plakatserie Dimensionen der Reinigung verweist Johannes Fiebich auf die Mehrdeutigkeit und Instrumentalisierbarkeit dieser Begriffe. Auf den Plakatflächen der Tankstelle problematisiert er die Rhetorik und Ikonographie realer Wahlkampagnen aus dem In- und Ausland, die mit Slogans

wie „Grote kuis!“ (Großreinemachen!) oder „Wir säubern...“ für sich werben. Fiebich verfremdet, aktualisiert und rekombiniert diese Motive. Vorlage für eines seiner Plakate ist eine WaschmittelWerbung der Firma Henkel aus dem Jahr 1937. Zwei Hände befestigen weiße Laken auf Wäscheleinen, an Stelle des Werbespruchs steht ein Zitat aus Theodor W. Adornos Minima Moralia: „Wo es am hellsten ist, herrschen insgeheim die Fäkalien.“ (viwi)

Johannes Fiebich, Dimensionen der Reinigung, 2018, Plakate, 100 x 220 cm

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Ausstellung

Eveline Handlbauer studiert Bildhauerei – transmedialer Raum an der Kunstuniversität Linz

Privatzimmer setzt sich mit Versatzstücken eines schematischen Mobiliars auseinander und geht der Frage nach, wie auf einer schmutzabweisenden Silikonoberfläche Verunreinigung und Unordnung erkennbar wird. Die verwendeten Grundelemente werden von Eveline Handlbauer bodenbedeckend, raumgreifend, raumschaffend, raumteilend und begrenzend in situ installiert. Ihr Interesse richtet sich dabei auf die Beschaffenheit der Materialien. In Ambivalenz zeugen Oberflächen von ihrem materi-

ellen Charakter, während sie ihn an anderer Stelle verbergen oder gar manipulieren: Sind sie geschliffen, poliert, gefeilt, beschichtet, geformt, lackiert, kaschiert, geschützt, optimiert oder unbehandelt? Solche Entscheidungen werden zwischen Komfort und Zweck getroffen. Anti-Kratz-, Anti-Fett- oder Anti-Schmutz-Beschichtung, Abnutzung, Retusche und Schutzschichten sind Teil und gleichzeitig Antithese der Objektgeschichte. Privates und Öffentliches verbinden sich. (s)

Eveline Handlbauer, Privatzimmer, 2018, mixed media, MaSe variabel

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Ausstellung

Julie Sophie Kratzmeier Absolventin der Kunstuniversität Linz juliekratzmeier.com

Wie in einem Brutnest angeordnet sitzen sie da, die Fauleier, und brüten etwas aus. Wie ein echtes Eigelege ist die Kläranlage ein Ort der Transformation‎. Historische Fotografien der Linzer Kläranlage, die die Künstlerin Julie Sophie Kratzmeier im Archiv gefunden hat, zeugen von der Begegnung mit einer fremden Architektur, an der Schwelle zwischen umtriebiger Stadt und ländlicher Abgelegenheit. Organisch im Inneren wie im Äußeren

wächst das monumentale Nest als konstruiertes Gebilde aus dem Boden. Seine horizontalen u ‎ nd vertikalen Linien schneiden sich regelrecht in die Umgebung ein. Die futuristische Ästhetik entzieht sich jeder räumlichen oder zeitlichen Verortung. Julie Sophie Kratzmeier versammelt verschiedene Blicke auf die Kläranlage im Medium einer Zeitung, die selbst wieder ins Archiv gegeben wird. (lms)

Julie Sophie Kratzmeier, TRACKING EGGS, 2017, Zeitung, 37 x 52 cm

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Ausstellung

Twana Kushnau studiert Medienkultur- und Kunsttheorien und Bildhauerei – transmedialer Raum an der Kunstuniversität Linz

Twana Kushnau beschäftigt sich mit dem arabischen Buch Ahkam Altahara aus dem 13. Jahrhundert. Der Autor, Taqī ad-Dīn Ahmad ibn Taimīya, kommentiert darin verschiedene Überlieferungen zur tahāra, der rituellen Reinheit im Islam. In Frage steht unter anderem der Umgang mit Körperflüssigkeiten, insbesondere Sperma. Ist es rein oder unrein, sollte/darf es von Oberflächen oder Körpern abgewaschen werden? Ibn Taimīya zitiert dazu den 66. Vers aus der 16. Sure des Koran (Die Bienen): „Wir tränken euch mit dem, was in ihren Leibern ist in der Mitte zwischen Mist und

Blut, mit lauterer Milch, die den Trinkenden so leicht durch die Kehle gleitet“. Kushnau projiziert diesen Satz in arabischer Schrift auf den Boden. Die Besucher*innen werden beim Durchgehen von dem weißen Licht markiert, befleckt. Dadurch wirft der Künstler Fragen nach Sexualität und körperlichen Erfahrungen auf, die vielfach religiös überformt werden. Er thematisiert Zuschreibungen und Vorstellungen von Un/Reinheit, die auch in der aktuellen Rezeption des Buchs Ahkam Altahara in islamistischen Kreisen eine Rolle spielen. (s)

Twana Kushnau, Altahara, 2018, Druck auf Glas, Lichtprojektion, MaSe variabel

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Ausstellung

BERNADETTE LAIMBAUER studiert Experimentelle Gestaltung an der Kunstuniversität Linz bernadettelaimbauer.com

Bernadette Laimbauers Werk Untitled - How would you like to get rid of it? ist ein Angebot zur sinnlichinteraktiven Begegnung im Ausstellungsraum. Der Würfel aus Seife ist ästhetisches Objekt und Akteur zugleich. Im Zentrum der One-to-One-Performance zwischen Mensch und Riesenseife steht die Berührung. Durch den Kontakt mit menschlichen Körpern und Wasser wird ein Transformationsprozess eingeleitet, das Sei-

fenobjekt verändert seine ursprüngliche Form. „Am Ende der Ausstellung wird der Seife die Abnutzung anzusehen sein“, sagt die Künstlerin voraus. Höhepunkt dieser Verwandlung ist die Auflösung der Form und der Materie. „Die Seife nimmt den Schmutz mit, der Schmutz verschwindet und dabei auch die Seife selbst“, erklärt Laimbauer und gibt eine klare Handlungsanweisung: „Bitte berühren!“ (viwi)

Bernadette Laimbauer, Untitled - How would you like to get rid of it?, 2018, Seife

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Ausstellung

Matthias Lindtner studiert Kunst- und Kulturwissenschaften UND Bildhauerei – transmedialer Raum an der Kunstuniversität Linz matthiaslindtner.com

Matthias Lindtners Saugkel durchkreuzen in willkürlichen Linien den Ausstellungsraum und verunmöglichen das selbstbestimmte Bewegen und Betrachten der Besucher*innen. Sie tasten den Boden ab und reagieren erst im Moment des Aufpralls auf die räumlichen Grenzen. Nach einem Richtungswechsel widmen sie sich wieder ihrer Aufgabe, dem Saugen. Dabei wird der Staub jedoch nicht einfach entfernt, sondern auf eine neue Ebene gehoben. Die Partikel werden kunstvoll ‎über den Sockel geleitet. Dort scheinen sie kurz zu schweben, bevor

sie auf der Trägerfläche landen, auf der sie schließlich - wie auf einem Serviertablett - durch die Ausstellung transportiert werden. In diesem Moment erfahren sie eine Apotheose. Eine Apotheose des Drecks. Matthias Lindtner bedient sich hierfür des allgemein gültigen Präsentationsmediums Sockel, der als entscheidendes Element für die Erhöhung zum Kunstwerk funktionalisiert werden kann. Die mobilen Saugkel heben zudem den vermeintlich sterilen Kunstraum als künstlichen Schutzraum für die Kunst selbst aus den Angeln. (lms)

Matthias Lindtner, Saugkel, 2018, Holz, Glas, Styropor, Elektroteile, Schläuche, 130 x 36 x 35 cm

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Ausstellung

David Moises Absolvent der Kunstuniversität Linz davidmoises.com

Die rotierenden Bürsten haben sich von ihrem Platz gelöst und treten aus der Waschstraße heraus. Eine Translozierung, die befremdlich wirkt. Nicht nur aufgrund der grellen Tigermusterung, die wie der Titel auf das prominente Werbemaskottchen des Mineralölkonzerns Esso verweist. Die maschinellen Reinigungsinstrumente sind in ihrer ursprünglichen Funktion Autos, also ebenfalls Maschinen,

vorbehalten. David Moises bietet die motorisierten Bürsten im Kontext seiner Installation Touch of the Tiger den Besucher*innen an, die wie in einem Reinigungsritual das säubernde Portal durchschreiten können. Indem man sich auf die Ganzkörper-Berührung einlässt, erlauben die durch Zentrifugalkraft verschlossenen Freiräume zwischen den zotteligen Säulen einen rite de passage. (lms)

David Moises, Touch of the Tiger, 2005, drei WaschstraSenbürsten, Stahlgestell, Motoren, ca. 250 x 300 x 100 cm, Artothek des Bundes Foto: Charim Galerie Wien

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Ausstellung

Atena Neuhuber Absolventin der Kunstuniversität Linz (raum&designstrategien) atenaneuhuber.com

Das Ausscheiden von Exkrementen ist wie das Schlafen, Essen oder Gehen soziokulturell und religiös überformt. Die Entscheidung für Klopapier, Torf oder Wasser, Stehen, Sitzen oder Hocken wird zum kulturellen Differenzkriterium. Islamische Reinheitsgesetze etwa schreiben Hocktoiletten mit Waschmöglichkeit vor, die keinesfalls in Gebetsrichtung positioniert sein dürfen. In ihrer Rauminstallation greift Atena Neuhuber Praktiken auf, die historisch tra-

diert und dem menschlichen Körper als Habitus eingeschrieben sind. Die Kulturintensive Klobrille ist der Prototyp einer Toilette, der auf ihre persönlichen Erfahrungen als Sozialarbeiterin mit Geflohenen, die österreichische Sanitäranlagen häufig als unrein empfinden, referiert. Mit einer klapp- und drehbaren, auf unterschiedliche Ansprüche anpassbaren Klobrille entwirft Neuhuber ein interkulturelles Modell, das eine kulturelle Grenzziehung verschwinden lassen will. (s)

Atena Neuhuber, Die Kulturintensive Klobrille, 2018, MDF, 60 x 50 cm

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Ausstellung

CARINA NIMMERVOLL studiert raum&designstrategien an der Kunstuniversität Linz

Mittels einer Fußwaschung vollzieht Carina Nimmervoll einen autobiografischen Klärungsprozess. Im linken Teil der Video-Sound-Installation wäscht die Künstlerin rote Farbe von ihren Füßen. In der weißen Badewanne verfärbt sich das Wasser. Im rechten Video läuft der Wasserstrahl aus einem Duschkopf über ihre Beine und Füße. Diese werden vom zarten Sonnenlicht beleuch-

tet und wirken sauber. Aber: „Rein-Sein, also die Befreiung von Unreinheit ist ein Ding der Unmöglichkeit“, so die Künstlerin. Nimmervoll erschafft eine reduzierte Szenerie, die von Erinnerungen, Assoziationen, Phantasien und Illusionen geprägt ist. Die klare Zuordnung der Bilder zur inneren oder äußeren Realität verschwimmt. (viwi)

Carina Nimmervoll, Ohne Titel, 2018, Video-Sound-Installation, 1:36 min

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Ausstellung

Jens Pecho Absolvent der Kunsthochschule für Medien Köln jenspecho.de

Drei in den RAL-Farben 9010, 5010 und 3000 lackierte Holzleisten sind an der Wand des Ausstellungsraums angebracht. Ihre Abmessungen sind denen eines Hemdkragens nachempfunden. Die auf den ersten Blick an Objekte der Minimal Art der 1960er Jahre erinnernde Arbeit erschließt sich erst über ihren Titel. Dieser erweitert das aus dem angelsächsischen Raum stammende Begriffspaar „white-collar“ und „bluecollar“, welches zur sprachlichen Unterscheidung von Angestellten und Arbeitern

dient, um den im US-amerikanischen Slang geläufigen Begriff des „redneck“. Abgeleitet von den durch Sonnenbrand geröteten Nacken hellhäutiger Farmarbeiter, wird dieser Ausdruck als deklassierende Bezeichnung für die bildungsferne, weiße Landbevölkerung verwendet. Das soziologische Modell wird dadurch um einen dritten Stand ergänzt. Eine Gruppe, die sich nicht mehr über die Farbe des Hemdkragens kategorisieren lässt, sondern sich durch dessen Fehlen auszeichnet. (jens pecho)

Jens Pecho, White Collar, Blue Collar, Red Neck, 2010, Holz, Lack, 46 x 39 x 1,3 cm (c) Jens Pecho, VG-Bildkunst, Bonn

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Ausstellung

Marlene Penz studiert textil.kunst.design an der Kunstuniversität Linz marlenepenz.com

Marlene Penz verwendet in ihrer Arbeit gebrauchte Laken, aus denen sie Gebrauchsspuren herausschneidet und durch neues textiles Gewebe ersetzt. Das Flicken von Stoffen hat eine lange Tradition mit unterschiedlichen ästhetischen Konzepten. Während der Stoff in der westlichen Tradition möglichst unversehrt wirken und dem ursprünglichen Zustand gleichen soll, bleiben in östlichen Kulturkreisen die nachträglichen Eingriffe bewusst sichtbar. Wie Narben zieren die angebrachten Flicken den

Marlene Penz, o.T. (Secret), 2018, Stoff, Garn, ca. 145 x 210 cm

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Stoff und markieren zeitliche Spuren des Gebrauchs, die sich dem Material narrativ eingeschrieben haben. Penz bezieht sich vor allem auf Spuren des Körpers, die sich als Flecken in den Stoff einarbeiten. Jedoch beziehen sich die Arbeiten nicht auf einen konkreten Körper, der Körper ist viel mehr in seiner Abwesenheit vorhanden. Durch diese Unbestimmtheit öffnet sich die Arbeit und bildet die Möglichkeit, Erinnerungen zu platzieren. (s)



Ausstellung

Domas Schwarz Studiert Zeitbasierte Medien an der Kunstuniversität Linz domas.at

Der innere Zwiespalt aus Ekel und Voyeurismus lässt uns die schleimigen Gebilde‎skeptisch mit den Augen verfolgen. Der intime Blick auf die Bäuche der Mollusken lässt ihre feuchte Anatomie zu abstrakten Formen verschwimmen. Rhythmisch tanzend bewegen sie sich, ohne einem bestimmten Ziel zu folgen. Domas Schwarz rückt die Kriechtiere in unmittelbare Nähe, ohne sie zur Gänze

zu zeigen. Der abgesonderte Schleim beweist ihre Anwesenheit, auch wenn sie nicht im Bild zu sehen sind. Während die lichtüberflutete Glasfläche dadurch ihre Transparenz verliert, distanziert sich die Beobachtungsposition zunehmend, bis sie geradezu an Naturdokumentationen erinnert. Der neue Blickwinkel erlaubt eine Neubewertung der zuvor befremdlichen Objekte auf der Glasplatte. (lms)

Domas Schwarz, Contact Soul, 2018, Video, 3:49 min

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Ausstellung

ANDREY USTINOV Absolvent der Kunsthochschule für Medien Köln andreyustinov.com

Andrey Ustinov dokumentiert in ICONOCLASH. Footage zu einem nicht realisierten Videoprojekt die sachgemäße Zerstörung von Werbebildern. Er unternimmt damit den Versuch, den Bilderstreit im Kontext einer modernen, multikulturellen Großstadt fortzusetzen. Die Fotografie zeigt Herrn C., wie er routiniert Plakatschichten herunterreißt. Denn das Säubern gehört genauso wie das Anbringen zu seiner Arbeit als Plakatkleber. Das Herunterreißen der Werbeplakate ist für ihn eine sub-

versive politische Geste, weil er viele der plakatierten Bilder als Muslim und politisch denkender Mensch ablehnt. Er verwandelt sich so vom Lohnarbeiter in einen urbanen Guerillakämpfer. Ustinov macht die nächtliche Aktion zum Ausgangspunkt seiner geplanten Videoarbeit. In diesem Video wird Herr C. zehnfach ein Plakat plakatieren, das ihn selbst beim Herunterreißen von Plakaten zeigt und schlussendlich alle zehn Plakatschichten herunterreißen. (viwi)

Andrey Ustinov, ICONOCLASH. Footage zu einem nicht realisierten Videoprojekt, 2015/2018. Ein angestellter Plakatkleber bei der Arbeit an einer Reklametafel in Köln, Fotografie, 2015 / Zeichnungen, 2018

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Ausstellung

Nico Joana Weber Absolventin der Kunsthochschule für Medien Köln nicojoanaweber.com

Wir begleiten eine Frau bei einer gemeinhin nicht sichtbaren Routine. Sie sorgt dafür, dass eine Architekturikone Le Corbusiers, die Villa Lipchitz in der Nähe von Paris, instandgehalten und bewohnbar bleibt. Nach der Emigration des ersten Besitzers, des Bildhauers Jacques Lipchitz, holte die Villa schon einmal das Schicksal einer verlassenen Ruine ein. Die Haushälterin Dhorie Pitong führt arbeitend durch den Architekturklassiker der Moderne in seinem heutigen, belebten Zustand und

eröffnet dadurch einen neuen Blick auf ein Bauwerk im Spannungsfeld zwischen historischem Monument und persönlichem Wohnraum. Dabei werden kontinuierlicher Verfall und natürliches Wachstum spürbar. Das allmähliche Kennenlernen der Raumkomposition entspricht der Strategie Le Corbusiers, wodurch man Architektur erst richtig erfassen und verstehen kann, indem man sich durch sie hindurchbewegt (promenade architecturale). (lms)

Nico Joana Weber, La Promenade Architecturale, 2013, HD Video, 23:30 min

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Ausstellung

ANGELIKA WINDEGGER Absolventin der Kunstuniversität Linz angelikawindegger.com

Durch die Verfremdung eines bekannten Settings erzeugt Angelika Windegger Momente der Irritation. An der Vorderseite der dreiseitigen Rauminstallation Berührung befindet sich ein Waschbecken mit der Handl u n g s a nwe i s u n g „Vor dem Eintreten Hände Waschen“. Im Innenraum der Holzkonstruktion zeigt sich, dass das zum Händewaschen verwendete Wasser einem geschlossenen Kreislauf entspringt; das Wasser selbst wird zum Medium der Interaktion. „Fließendes Was-

ser nimmt auf, speichert und gibt Berührungen weiter“, so Angelika Windegger. In der Installation wird ein Satz aus Elfriede Jelineks Roman Lust zitiert – „Danach ist es mit der Frische, die sie sich mühselig hineingewaschen haben, wieder zu Ende“. Auf ironische Weise thematisiert Windegger Ekel, Reinheitsansprüche und Berührungsängste und verweist damit auf gesellschaftliche Prägungen und kulturelle Codes. (viwi)

Angelika Windegger, Berührung, 2010, Holz, Waschbecken, Seifenspender, Handtuchhalter, Wassertank, Pumpsystem und Hinweisschild, 220 x 200 x 200 cm

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Workshop

rein praktisch/ rein theoretisch Workshop – Performance – Screening – Ausstellung

Der abschließende Workshop ist mit der Ausstellung eng verwoben und ein experimenteller Teil des CLEAN CUBE-Projekts: Wie lassen sich künstlerische Praxis, Theorie, Geschichte und Dienstleistungssektor zusammendenken? Was entsteht rein praktisch und rein theoretisch, wenn so verschiedene Menschen wie Künstler*innen, Theoretiker*innen, Historiker*innen und Dienstleister*innen gemeinsam über Reinigungsprozesse nachdenken? Welche Bedeutung hat Reinheit in ganz verschiedenen Kontexten und auf unterschiedlichen Ebenen? Wie sind diese mit- und durcheinander vermittelt? Die Vortragenden aus Kunst-, Medien- und Kulturwissenschaft, Stadtforschung, Altphilologie, Kunst und Service befassen sich mit Reinigung nicht nur als Metapher, sondern auch ganz konkret – als Beruf, oder als einem in die urbane Infrastruktur eingebundenen Prozess. Zum Auftakt entwirft Jürgen Hasse eine „Kleine Phänomenologie der Waschstraße“ und verortet sie in der Architektur des Parkhauses, das er in seinem Band Übersehene Räume als Heterotopie beschreibt. Die Waschstraße – eine von automatisierten Prozessen begleitete Passage, in die man schmutzig hinein- und sauber herausfährt – ist eine starke Metapher für das, was man sich von der Begegnung mit Kunst erhoffte: Transformation oder gar Läuterung. Viele der ausgestellten Arbeiten greifen diese Idee auf, feiern, persiflieren oder hinterfragen sie.

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Workshop

Das erweiterte Konzept kathartischer Erfahrung entspricht der Forderung des Altphilologen Martin Vöhler, die aristotelische Kategorie vor dem Hintergrund des weiten Bedeutungsspektrums des Begriffes zu sehen, das vom Händewaschen über rituelle Waschungen, Purgierungs- und Entspannungstechniken bis hin zur Reinigung von Schuld und der philosophischen Klärung von Begriffen reichte. Peter Bexte bringt die Frage nach der Reinheit unter die Haut. Der Kultur- und Medienwissenschaftler untersucht das Phantasma porentief reiner Haut, die als die intimste aller Oberflächen in besonderer Weise Raum für Diskurse der Reinheit und den forschenden Blick der Mikroskopie gibt. Die Unterscheidung schmutzig/sauber bzw. rein/unrein gehört zu den grundlegenden politischen und religiösen Differenzkategorien. Ein Urteil über Sauberkeit setzt Grenzziehungen voraus und geht mit Mechanismen des Ein- und Ausschlusses einher. Laura Moisi kommentiert die Ästhetik der sauberen Trennung bei Mary Douglas und Jacques Rancière. Reinigungsarbeit wird nicht nur in Begriffen, sondern auch mit Wischtüchern betrieben. Die Kunst- und Kulturwissenschaftlerin Katharina Rosenbichler moderiert ein Gespräch mit Rosalia Zelenka, einer Fachfrau für Tatort-Reinigung, deren Aufgabe das spurenlose Verschwinden von Tragödien ist. Zum Abschluss des Workshops spricht der Journalist und Regisseur Ed Moschitz über seine Arbeit an dem Dokumentarfilm Mama illegal (Ö 2011). Über mehrere Jahre hinweg begleitete er drei Mütter, die mit Hilfe von Schleppern ihre Heimat Moldawien verließen, um in Österreich und Italien als Reinigungskräfte für eine bessere Zukunft ihrer zurückgelassenen Familien zu arbeiten. (avdH, jm, lms)

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Vortrag

Vortrag im Rahmen der Reihe relatifs 12. Juni 2018, 18:00 Uhr kulturtankstelle, OÖ Kulturquartier

Roger Fayet: „Meh Dräck“? Abfall, Ordnung und Immersion bei Song Dong und Christoph Büchel Die Arbeiten Waste Not von Song Dong und House of Friction von Christoph Büchel verfolgen unterschiedliche Strategien im Umgang mit dem Unreinen. Dennoch zeigt sich in den scheinbar entgegengesetzten Konzepten von Song Dong und Christoph Büchel auch Verbindendes. Dieses hat mit Problemen zu tun, die dem Verhältnis von Kunst und Unreinheit grundsätzlich inhärent sind. Roger Fayet hat sich als Autor und Kurator mit Reinheit, Schmutz und Abfall in der modernen und postmodernen Kunst beschäftigt. Seit 2010 ist er Direktor des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft, seit 2017 Privatdozent für Kunstgeschichte an der Universität Zürich sowie Gründer und Studienleiter des Weiterbildungslehrgangs „Angewandte Kunstwissenschaft. Material und Technik“

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Zur Kritik der reinen Vernunft 07.06. – 22.06.2018 kulturtankstelle DametzstraSe 14 / 4020 Linz

Ein Projekt von Studierenden und Absolvent*innen der Kunstuniversität Linz und der Kunsthochschule für Medien Köln in der kulturtankstelle, Coop-Lab des OÖ Kulturquartiers und der Kunstuniversität Linz im City Parkhaus Linz. Redaktion: Lisa Maria Schmidt Autorinnen: Lisa Maria Schmidt (lms), Stefanie Schiefermair (s) und Victoria Windtner (viwi) Grafische Gestaltung: Johanna Nock Kuratorische Leitung: Anne von der Heiden und Jasmin Mersmann PROJEKTLEITUNG KULTURTANKSTELLE: Sigi Atteneder und Katharina Weinberger-Lootsma © Die Bildrechte liegen bei den Künstler*innen bzw. der VG Bild-Kunst, Bonn und der Charim Galerie, Wien Druck: DIREKTA Druckerei & Direktmarketing Gesellschaft m.b.H. Auflage: 250 Stück Wir danken der Artothek des Bundes, dem Förderungsverein der Kunstuniversität Linz, dem Frauenbüro des Magistrats und den Firmen Tork und hollu für ihre Unterstützung. Unser Dank gilt außerdem: Sigi Atteneder, Randolf Helmstetter, Fritz Holzinger, Andi Kurz, Roland Laimer, Karin Lingnau, Peter Reinthaler, Sarah Rinderer, Katharina Rosenbichler, Anne Rotter, Nadia Shamsan und Katharina Weinberger-Lootsma.

IMPRESSUM

CLEAN CUBE


Santiago Alvarez Maria Dirneder Johannes Fiebich Eveline Handlbauer Julie Sophie Kratzmeier Twana Kushnau Bernadette Laimbauer Matthias Lindtner David Moises Atena Neuhuber Carina Nimmervoll Jens Pecho Marlene Penz Domas Schwarz Andrey Ustinov Nico Joana Weber Angelika Windegger