turi2 edition #9, TV Totale Vielfalt. Faszination Bewegtbildwelt.

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TV & MARKE

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ommunikationschef Thomas Voigt, 59, ist so etwas wie die Brücke zwischen zwei Firmen, die in Hamburg-Bramfeld ineinander verschlungen existieren und miteinander ringen. Da ist auf der einen Seite der traditionsreiche Otto-Versand, der früh aufs Internet gesetzt hat, aber noch mit klassischer Hierarchie funktioniert. Und auf der anderen Seite die agile, voll digitalisierte und neue Gruppe, die gern cool und nachhaltig sein will – und die beiden großen Herausforderungen der neuen Zwanzigerjahre meistern soll: die Digitalisierung und den Wertewandel. Voigt kommuniziert den Generationswechsel bei Otto. In die Fußstapfen der Überfigur Michael Otto, 76, der das Unternehmen seit 1981 prägt, tritt mehr und mehr Benjamin Otto. Als „gestaltender Gesellschafter“ will Benjamin, laut „manager magazin“ ein „Freigeist“, Otto als „Amazon in nett“ positionieren, als europäische, nachhaltige Alternative zu den globalen Plattformen. Dezent, aber wirkungsvoll zieht Kommunikationschef Voigt die Strippen. Mit dem „manager magazin“ hat er gerade ein Bravourstück abgeliefert: Ein halbes Jahr lang durfte Redakteur Martin Mehringen den Juniorchef Benjamin Otto in der Firma, privat und bei seinen sozialen Projekten begleiten. Heraus kam ein einfühlsames Porträt, das ein differenziertes, letztlich positives und vor allem wahrhaftiges Bild von Benjamin Otto zeichnet. Beste PR – und ein klares Signal nach innen und außen. Die Otto Group ist eine der vielen Marken, die sich neuerdings wie ein Medium benehmen und die Tools,

»Ja-Sager-Mentalität führt ins Verderben« die früher den Medien eigen waren, selbst nutzen. Thomas Voigt, einstmals Chefredakteur von „W&V“, „Horizont“ und „Impulse“, moderiert eine Videoreihe namens „In a nutshell“, eine Art CEO-Interview mit angeschlossener Mitarbeiter-Fragerunde. Voigt talkt im Firmenfernsehen lässig wie ein Journalist, aber das Vokabular verrät den PR-Mann: Alles ist „wunderbar“ – der Chef, die Etage, die Kollegen. Otto find‘t sich gut. Immerhin: Im Lauf der Sendung dürfen Mitarbeiter den CEO Alexander Birken befragen. Kommunikationschef Voigt wünscht sich Dialog statt Frontalbeschallung, ein Firmenfernsehen mit Rückkanal. Noch löst die Videoreihe zu wenig Dialog aus: „Wir wünschen uns mehr Kommentare, Nachfragen, Posts dazu“, sagt Voigt. Es sei „jede Art von Kritik“ willkommen – Denkanstöße „in kleinen und großen Runden, online und offline“. Denn: „Ja-Sager-Mentalität führt ins Verderben.“ Ein anderes Problem treibt Voigt um: „Die Wirtschaft fehlt im gesellschaftlichen Dialog – gerade im Fernsehen“. Bis 2008 seien Top-Manager gern gesehene Gäste in Talkshows gewesen. Doch „Übermut und Überheblichkeit“ seien den Managern in der Finanzkrise auf die Füße gefallen. „Jetzt kommt Wirtschaft im TV kaum noch vor“. Und wenn, dann suchten TV-Redaktionen „eher die Konfrontation, statt sich vorurteilsfrei anzuhören, was die Wirtschaft zu sagen hat“, klagt Voigt.

Otto versaut Hamburg Das Handelsunternehmen Otto Group ist mit Werbung groß geworden, sehr groß sogar: 2019 erwirtschaften über 52.000 Mitarbeiter mehr als 13 Milliarden Euro Umsatz, nur Amazon ist in Deutschland größer. Dabei fing 1949 alles bescheiden an: Firmengründer Werner Otto, ein mittelloser Ost-Flüchtling, klebt die Fotos von 28 Paar Schuhen von Hand in die Druckvorlage des ersten Katalogs - Auflage 300. Doch Otto behauptet sich gegen die etablierten Konkurrenten Gustav Schickedanz (Quelle) und Josef Neckermann. Den klassischen Werbeslogan „Otto-Versand, Hamburg“ ändert Komiker Otto Waalkes in „Otto versaut Hamburg“. Werners Sohn Michael Otto übernimmt 1981 mit gerade mal 26 Jahren und bestimmt die Geschicke bis heute. Weil Michael früh das Internet umarmt, wächst Otto weiter, während Neckermann und Quelle Pleite gehen. Otto ist heute weltweit der einzige Versandhaus-Dino, der den Change zum E-Commerce-Unternehmen geschafft hat. Den gedruckten Katalog schafft Otto 2018 ab. Spätestens 2023, wenn Michael Otto 80 wird, soll sein Sohn Benjamin Otto, 44, übernehmen. Schon heute verantwortet Benjamin, den das „manager magazin“ als „sanftmütig“ beschreibt, bei Otto Marke, Marketing, Digitalisierung und vor allem den Kulturwandel. Die Tochter About You hat er zusammen mit Tarek Müller, 30, groß gemacht

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