turi2 edition #7: Unterwegs

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»40 Kilometer Elberadweg können genauso erlebnisreich sein wie sechs Monate Himalaya«

MARTIN MOSCHEK wird 1975 in Quedlinburg geboren und beginnt in der Grundschule mit dem Radrennsport – beim BSG Stahl Südwest Leipzig. Später spielt er lieber Fußball und studiert an der Universität Leipzig Politikwissenschaften und Soziologie. Moschek arbeitet zwölf Jahre lang bei der Agentur Faktor3, seit 2016 ist er Kommunikationschef für Zentraleuropa bei Adobe. Moschek lebt mit seiner Frau und zwei Söhnen bei Hamburg. Auf seinem Reiseblog BiketourGlobal (www.biketour-global.de) erzählt er von seinen Radreisen

Die Nutzer haben damit laut Plan keinen Grund mehr, noch andere Software zu nutzen – sie bleiben stets im AdobeKosmos. Wirtschaftlich und wettbewerbstechnisch logisch, sagt Moschek. Kritiker entgegnen, dass Adobe so kleine Künstler aus den Augen verliert und sich zunehmend auf Konzerne und Digitalmarkting konzentriert. Moschek will das so nicht stehen lassen. Geht es nach ihm, profitieren gerade die vielen kleinen Unternehmen unter seinen Kunden davon, dass Adobe ihnen genau die Skalierung bietet, die zu ihnen passt. Und wer in Deutschland die anhaltende Bedeutung von Print in Abrede stelle, den widerlegten sowieso alle gängigen Statistiken. Moschek ist ein versierter Kommunikationsmann. Auf jeden Einwand hat er ein Argument parat, auf jedes Nachhaken eine Antwort. Das zu beweisen – und zwar sich selbst – hat ihn überhaupt erst angestachelt, zu Adobe zu wechseln. Bei der Agentur Faktor3 hatte

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er nach zwölf Jahren im Unternehmen alle zu sammelnden Lorbeeren in der Tasche. Moschek ist kein KarriereHengst, aber ihn treibt eine Frage auf die neue Weide: „Bin ich so gut, wie ich selber denke? Oder habe ich mir nur eine Umgebung geschaffen, in der ich gar nicht mehr daneben hauen kann?“ 2016 tauscht er sein eigenes AgenturBüro gegen ein Leben unterwegs. Alles, was er zum Arbeiten braucht, transportiert er seitdem in einer blaugrauen Laptoptasche und der Cloud. Zu 30 Tagen Urlaub im Jahr kommen etliche Ausgleichstage durch lange Geschäftsflüge. Gut für den radreisenden Moschek: Er nutzt sie so oft wie möglich für Touren. Mit seiner Frau hat er drei Regeln festgelegt. Erstens: Anwesenheitspflicht an Weihnachten und den Geburtstagen der beiden Söhne. Zweitens: alle zwei Jahre eine große Tour. Drittens: „Keine Länder, in denen man erschossen werden kann.“ Aus Nervenkitzel radreist Moschek ohnehin nicht. Mit dem Fahrrad ist er nah an den Menschen und der Natur, aber auch schnell wieder weg. „Es gab einige Orte, wo mir letzteres sehr lieb war.“ Seit 1991 fährt Moschek immer wieder los, auf den ersten Touren noch mit Leistungsgedanken, antrainiert in Kindheitstagen im DDR-Radsportzentrum in Leipzig. Während des Studiums fährt er durch den Himalaya, schafft es nicht rechtzeitig zum Semesterbeginn zurück, entschuldigt sich schriftlich bei seinem Professor. Der schreibt ins Abschlusszeugnis, Herr Moschek sei „kulturell sehr interessiert“. Moschek grinst, so war das damals. Inzwischen misst er keine Kilometer mehr, achtet eher auf Qualität bei der Tourenplanung: „40 Kilometer Elberadweg können genauso erlebnisreich sein wie sechs Monate Himalaya.“ Anfangs, in den 90ern, fährt Moschek mit einem Kumpel aus Schulzeiten. Der verliebt sich unterwegs, die Frau wird schwanger, der Freund sesshaft. Moscheks erste Tour im Alleingang führt durch Westafrika. „Ich wusste selbst nicht, ob das was für mich ist.“ Schnell zeigt sich: Es ist was. Moschek, der in seinem Berufsleben ständig mit Menschen zu tun hat, genießt das wortkarge Reisen ohne Absprachen. „Da ist nichts Esoterisches dran, ich bin einfach gern alleine.“ Einziger Haken: Wer allein durch zig Länder fährt, jahrelang, jahrzehntelang, der vergisst irgendwann

einiges. Moschek führt zwar Tourbuch, klassisch auf Papier, wünscht sich aber bald eine Art Denkarium. Also startet er seinen Blog, BiketourGlobal. Eher als eigene Erinnerungsstütze, aber in einer Zeit, in der es kaum ähnliche Blogs gibt. Seine Leserschaft wächst schnell. Blogger sollten ihre Arbeit nicht verscherbeln und alles kostenlos machen, findet Moschek. Er selbst hat dank Festanstellung keinen Monetarisierungsdruck. „Zum Glück. Ich sehe durch meinen Job, wie die Identität manches Bloggers auf der Strecke bleibt.“ Der 43-Jährige kann sich bei dem Thema richtig in Fahrt reden – die vielen heroischen Buzzwords und die Attitüde „Traveller statt Tourist“ kommen ihm abgehoben vor. Dass Touristen sich für Sehenswürdigkeiten interessieren, sei nur menschlich. Sie sind eben sehenswert. Und den Freiheitsbegriff der meisten Influencer, Hashtags wie #ichchoosefreedom, naja, das hält er sowieso für fragwürdig. Seine DDR-Konditionierung spielt in diese Einschätzung rein, schiebt Moschek hinterher. „Ich habe einen politischen Freiheitsbegriff, der nicht damit abgegolten ist, irgendwo mal drei Monate reisen zu können. Freiheit ist grundsätzlicher, mehr als ein Instagram-Post mit ausgebreiteten Armen.“ Moschek ist keiner der Rad-Religiösen, die in Foren über Insider-Routen philosophieren. Sein nächstes, großes Ziel können trotzdem nur Geografie-Asse aus dem Stehgreif verorten: Gabun. Ein kleines, afrikanisches Land an der Atlantikküste, zwischen Äquatorialguinea, Kamerun und Kongo. Moschek ist durch ein altes Buch über Albert Schweitzer und eines seiner Buschkrankenhäuser darauf gekommen. Außerdem reizt ihn die Aussicht auf sehr wenig Infrastruktur. Und, natürlich: das geringe Risiko, erschossen zu werden.

Den Unterwegs-Fragebogen beantwortet Martin Moschek unter: turi2.de/edition/moschek turi2 edition #7 · Unterwegs


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