HIGHTECH AUF DEM SPIELFELD
Die Vermessung des Fußballs
M
itten in die Aufregung platzte Markus Gisdols Vorschlag. Es müsse doch möglich sein, sagte der damalige Trainer der TSG 1899 Hoffenheim, „für 3,50 Euro so ein Ding an die Latte zu hängen, das bei Nicht-Tor rot und bei Tor grün aufleuchtet“. Kurz zuvor hatte seine Mannschaft gegen Bayer Leverkusen durch ein Phantom-Tor von Stefan Kießling ungerechtfertigt verloren. So geschehen im Jahr 2013. Heute könnte das nicht mehr passieren. Seit 2015 ist in Bundesliga-Stadien das „Hawk-Eye“ installiert. Es hat wenig mit der groben Skizze von Gisdol zu tun, sondern steht für ein ausgefeiltes System, das sich lange zuvor schon bei großen Tennisturnieren bewährt hat. Die Torlinienüberwachung ist nur ein Beispiel, wie moderne Technik Einzug in den Fußball hält. Als epochal gilt der zur Saison 2017/18 in Deutschland eingeführte Einsatz von Videoassistenten, die Spiele am Bildschirm verfolgen, mit dem Schiedsrichter in Kontakt sind und im Zweifel Videobeweise vorlegen. Auch Trainer und Verantwortliche vertrauen zunehmend moderner Technik. Spiele werden bis
ins Feinste analysiert, Leistungen bewertet, Trainingsinhalte geplant, körperliche Belastungen gesteuert. Im Leistungssport sind „präzise, sofort verfügbare Daten heute unverzichtbar“, so Bob Schoos, Athletik-Trainer von Schalke 04. Zu Beginn der 1990er Jahre ließ Sat.1 die „ran“-Fußballdatenbank entwickeln. Eckbälle, Freistöße, Torchancen wurden gezählt, Zweikampfwerte und Ballbesitzzeiten notiert. Datenscouts saßen im Stadion. „Hohe Flanke Müller“ oder „Torschuss Schulze“ meldete der eine, der andere schrieb es auf. Rund 30 Jahre später ist die Vermessung des Fußballs zur Hightech-Aufgabe geworden, um die sich Spezialisten kümmern: Die von Wissenschaftlern der TU München gegründete Firma Kinexon hat ein System entwickelt, das funkbasierte Sensortechnik und Analysesoftware so verknüpft, dass Livedaten erfasst und ausgewertet werden können. So ist es möglich, durch Chips in Spielertrikot und Ball anzuzeigen, wie schnell ein Sportler läuft, wie hoch er springt, wie hart er schießt. Noch nie war der Fußball so durchleuchtet wie heute. Aber tragen die vielen Zahlen auch wirklich
188 · turi2 edition #11 · Fußball
zur Erleuchtung bei? Meistermacher Felix Magath forderte einst: Gute Trainer sollten ihren Augen trauen, statt „ein Spiel nach Ballkontaktzeiten oder Laufwegen zu beurteilen“. Andererseits können Daten „letztlich dazu beitragen, die Qualität des Spiels zu erhöhen“, sagt Christofer Clemens, Leiter der Abteilung Scouts, Analysten und Diagnose beim DFB. Er geht davon aus, dass sich „modelliertes maschinelles Lernen während der Spiele“ durchsetzen wird. Entscheidend ist, die Datenflut in nützliche Informationen zu verwandeln. „Es werden heute so viele Daten erhoben, aber die meisten bringen nichts und niemanden weiter“, sagt der frühere Fußballprofi Stefan Reinartz. Deshalb hat er eine Methode erfunden, die als „Packing“ bekannt geworden ist. Dabei wird nicht nur die Zahl von Pässen gezählt, sondern wie effektiv und spielrelevant sie sind. Dadurch lassen sich auch Stärken und Schwächen einzelner Spieler identifizieren. Im Idealfall dürfte es kaum mehr Transferflops geben. Dann hätte sich der Einsatz des datenbasierten Scouting-Tools gelohnt. Roland Karle
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Sensoren im Ball, Chips im Trikot, Hightech im Stadion: Fußball wird zum Spiel der Daten