turi2 edition #10, Agenda 2020: Was wirklich wichtig wird.

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Wenn man aus der Geschichte lernen kann – was lernen wir aus den 1920er Jahren? Dass die Demokratie wehrhaft sein muss. Das haben auch die Väter des Grundgesetzes gewusst und deshalb die Möglichkeit des Verbotes verfassungsfeindlicher Parteien vorgesehen. Daher sollten wir viel stärker als bisher mit der Härte des Gesetzes gegen die Feinde der Republik vorgehen – auch mit Verboten. Es kann nicht angehen, dass Verfassungsgegner die Verfassung in Anspruch nehmen, um sie de facto abzuschaffen. Daneben halte ich es für inakzeptabel, dass wir immer noch kein Mittel gegen jene angeblich „sozialen“ Medien gefunden haben, in denen von offener Lüge bis zum hate speech der abscheulichsten Art alles von dem Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sein soll. In Wirklichkeit geht es Mark Zuckerberg und Co nicht um einen offenen Diskurs, sondern um ihr Geschäftsmodell. Das aber ist zerstörerisch für die Demokratie. Was glauben Sie, wie werden die 2020er? Das können wir nicht wissen. Wenn Sie mich nach meinen Wünschen fragen, so kann ich nur hoffen, dass die Kartellbehörden in allen Ländern endlich die Monopole zerschlagen, die sich in den vergangenen 20 Jahren im Silicon Valley gebildet haben: vor allem Facebook und Google. Da waren die amerikanischen Behörden vor über 100 Jahren schon weiter: Die haben damals den Ölkonzern Standard Oil in 34 Firmen aufgeteilt – obwohl der längst nicht so marktbeherrschend war wie heute die riesigen Digital-Monopole. Und vor 70 Jahren haben die US-Behörden verboten, dass Hollywoodstudios zugleich auch Kinos besitzen durften, um so eine Marktverzerrung zu verhindern. Wie kann es dann angehen, dass Google mit seiner Suchmaschine sowohl die Plattform für – sagen wir mal: Stellenanzeigen – beherrschen und zugleich eine eigene Firma für die Jobsuche gründen darf – die dann auch noch gleich in seiner Suche ganz oben platziert wird. Wenn das kein Fall für das Kartellamt ist. Was könnte der prägende Trend werden nach Globalisierung und Digitalisierung? Wenn ich das wüsste... Ganz sicher wird es mehr von dem geben, was wir jetzt schon als Reaktion auf Globalisierung und Digitalisierung sehen: nämlich eine Wiederentdeckung von Heimat sowie des Analogen. In den westlichen Industriegesellschaften wird es überdies einen weiteren Trend zur Mäßigung geben, als Reaktion auf die Klimakrise. Aber das vorherzusagen, ist nicht allzu schwer, es liegt ja auf der Hand. Es wird ganz sicher auch eine Rückbesinnung auf das Echte, Authentische geben – schon allein als Reaktion auf die derzeitige Fake-Kultur. Und natürlich wird uns die Künstliche Intelligenz überrollen, im Guten wie im Schlechten. Aber wenn wir aus den vergangenen Jahrzehnten eines lernen, dann dieses: Das Mega-Phänomen des nächsten Jahrzehnts ist jetzt vermutlich noch gar nicht erfunden. Wächst sich die Klimakrise zur Klimakatastrophe aus? Schafft es die Menschheit, hier umzusteuern?

Ein anderer Zugang zum Thema Sexualität – auch dafür stehen die Zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts

Ich glaube nicht an eine Klimakatastrophe. Die Erderwärmung wird zwar kommen – aber die Menschheit wird Mittel und Wege finden, sich darauf einzustellen. Geschichte ist nun mal ein extrem dynamischer Prozess. Im übrigen möchte ich gern auf die Wortmeldungen des hochangesehenen Klimaforschers Hans von Storch verweisen, der darauf verweist, dass wir bei aller sinnvollen Diskussion über die Erderwärmung nicht die anderen Dramen unserer Zeit vergessen dürfen: Krieg, Vertreibung, Armut, Rassismus sowie die Bedrohung durch totalitäre Regime. Sind Sie fürs neue Jahrzehnt insgesamt eher positiv oder negativ gestimmt? Ich bin im Prinzip immer Optimist – auch wenn einen die derzeit politische Großwetterlage und die Wiederkehr des Totalitären etwa in Russland und China oder der in jeder Hinsicht besorgniserregende Niedergang der USA im Moment nicht froh stimmen kann. Welche Schlagzeile fürchten Sie? Die Krise der Printmedien beschleunigt sich. Welche Schlagzeile würden Sie sich wünschen? Die Green Bay Packers gewinnen den Super Bowl.

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