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Mobilität und Kaufkraft
Spitzen brechen mit MobilityPricing: unfair und unsozial
Mit einem neuen Gesetz soll die Grundlage geschaffen werden, dass Pilotprojekte zu Mobility-Pricing durchgeführt werden können. Doch damit wird der Schlagbaum am Stadttor ermöglicht.
TEXT PETER GOETSCHI | FOTO EMANUEL FREUDIGER
Mobility-Pricing ist seit Jahren nicht nur ein Modewort, sondern wird gar als Allheilmittel herumgereicht:
Wenn die Rede davon ist, Probleme im
Zusammenhang mit der Mobilität anzugehen, so wird immer wieder der Begriff Mobility-Pricing strapaziert. Die einen wollen damit lenken (oder gar verhindern), die anderen finanzieren, wieder andere wollen beides zusammen.
Schliesslich gibt es auch noch die Gruppen, die unter dem Deckmantel eines
Mobility-Pricings nichts anderes als ein ausschliessliches Road-Pricing (Weggebühren mit dem Ziel der Einschränkung des Autoverkehrs) einführen wollen.
Auch der Bundesrat hat das Thema aufgenommen. Im Jahre 2016 hat er seine diesbezüglichen Vorstellungen in einem Konzeptbericht veröffentlicht, und 2019 folgte eine theoretische Wirkungsanalyse am Beispiel der Region Zug. Heute will der Bundesrat einen Schritt weiter gehen: Mit einem neuen Gesetz soll die Grundlage geschaffen werden, dass Kantone, Städte und Gemeinden Pilotprojekte zu Mobility-Pricing durch führen können.
Nun soll man sich bekanntlich neuen Dingen nicht einfach verwehren, und neue Wege mit Pilotprojekten auszuprobieren, tönt ja – zumindest auf den ersten Blick – ganz vernünftig. Wenn dann noch die Möglichkeit des Spitzenbrechens, also weniger überfüllte Züge und Strassen, in Aussicht gestellt wird, dann darf man ja wohl kaum Nein sagen. Oder doch? Wenn man den Gesetzesentwurf näher anschaut, so kommen rasch grössere Bedenken auf. Die Behörden sollen ein Werkzeug erhalten, mit welchem sie individuelles Mobilitätsverhalten – unab hängig von Stosszeiten – steuern und lenken können. Auch wenn das Ganze unter dem Deckmantel von Mobility- Pricing – das heisst Bepreisung der gesamten Mobilität – präsentiert wird, so sollen auch Pilotprojekte für nur einen Verkehrsträger möglich sein, was den Schlagbaum am Stadttor nicht nur ermöglicht, sondern geradezu ankündigt. Und den Flickenteppich unterschied licher Verkehrsgebühren, in welchen eine Umsetzung des Gesetzes die Schweizer Landschaft zu verwandeln droht, kann man sich auch sehr plastisch vorstellen.
Kurzum: Eine Umsetzung des Gesetzes würde Tür und Tor für willkürliche Einschränkungen und eine unsoziale Verteuerung unserer persönlichen Mobilität öffnen. Die Schweiz würde sich ganz einfach von der Errungenschaft der freien und fairen Benützung von Strasse und Schiene verabschieden. Es würde nicht gelenkt, sondern bestraft. Diejenigen, die feste Arbeits- oder Schulzeiten haben und nicht ausweichen können, müssten eine Pendlersteuer entrichten, die Mobilität würde von der Kaufkraft abhängig gemacht.
Dabei gibt es für den Umgang mit Verkehrsspitzen viel bessere Alternativen, das hat uns die Corona-Krise gezeigt: Flexibilisierung von Arbeits- und Schulzeiten, Telearbeit und vermehrter Einsatz von virtuellen Sitzungen sind Ansätze, die es nicht 1:1 zu übernehmen gilt, aber das Poten-
«Die Mobilität würde von der Kaufkraft abhängig gemacht.» Peter Goetschi, Zentralpräsident TCS
zial haben, Überlastungen im Verkehr zu reduzieren. Dort muss die öffentliche Hand ansetzen und – wieso nicht? – auch Pilotprojekte durchführen. Es wäre sicher interessant, zu sehen, wie sich eine Verschiebung des Unterrichtsbeginns um eine Stunde «Verschwenden in den Schulen wir keine Zeit einer grös seren Stadt auf deren damit, mit Verkehr ausunfairen und wirkt … unsozialen In diesem Pilotprojekten Sinne: Verschwenden zu versuchen, wir keine Zeit unsere Mobilität damit, mit unfairen und unzu steuern.» sozialen PilotPeter Goetschi, projekten zu Zentralpräsident TCS versuchen, unsere Mobilität zu steuern. Dies führt einzig zu einer Beeinträchtigung und Verteuerung eben dieser Mobilität. Das wollen wir nicht – die Schweiz soll keine Zweiklassengesellschaft werden! PS: Die Ablehnung eines Mobility- Pricing zum Zwecke der Verkehrslenkung und der in diesem Zusammenhang vorgeschlagenen Pilotprojekte ist nicht gleichzusetzen mit einer allgemeinen Ablehnung neuer Modelle. Langfristig besteht zum Beispiel Handlungsbedarf bei der Strassenfinanzierung. Der stetige Rückgang des Treibstoffverbrauchs und die Elektrifizierung der Fahrzeugflotte lassen die Mineralölsteuer als ein zu ersetzendes Auslaufmodell erscheinen. Eine diesbezügliche Lösung über eine ein heitliche Kilometerabgabe scheint ein absolut prüfenswerter Ansatz. Sie muss jedoch zwingend ohne Einbau einer Verkehrslenkung über unterschiedliche Preise je nach Ort und Zeit aufgegleist werden. •

Verkehrsrowdies – ab zum «Idiotentest»
Wer im Strassenverkehr extrem negativ auffällt, muss mit einem Fahreignungstest rechnen. Die im Volksmund auch «Idiotentest» genannte Untersuchung soll zeigen, ob jemand für den Verkehr (noch) geeignet ist.
TEXT URS-PETER INDERBITZIN
Gründe für eine verkehrspsychologische Untersuchung können beispielsweise charakterliche Defizite, schwere Geschwindigkeitsdelikte, aggressives
Verhalten im Strassenverkehr oder aber auch Fahren trotz Entzug des
Führerausweises sein. Ebenfalls zur verkehrspsychologischen Untersuchung muss, wer dreimal an der praktischen Führerprüfung durchgefallen ist. Das Führen eines Fahrzeugs in nicht fahrfähigem Zustand wie beispielsweise unter Einfluss von Alkohol und/ oder Drogen führt zu einem verkehrsmedizinischen Test, wobei in solchen Fällen zusätzlich auch eine verkehrspsychologische
Untersuchung stattfinden kann. Alkohol und Drogen
Autobahnrennen
solches Verhalten ist laut Bundesgericht verantwortungslos und legt nahe, dass der Betreffende charakterliche Defizite aufweist und keine Gewähr dafür bietet, seinen Pflichten als Lenker jederzeit zuverlässig nachzukommen (Urteil 1C_298/2020). Einer verkehrspsychologischen bzw. verkehrsmedizinischen Untersuchung unterziehen musste sich auch ein Lenker, der unter Einfluss von Kokain und Alkohol (1,2‰) bei dichtem Nebel auf der Autobahn die erlaubte Geschwindigkeit um 46 km/h überschritten hatte. Wer ein solches Verhalten an den Tag legt, bietet möglicherweise keine Gewähr dafür, den Konsum von Alkohol und Drogen Das Bundesgericht musste sich und die Teilnahme am motorisierschon mehrmals damit auseinan- ten Strassenverkehr zuverlässig zu dersetzen, ob die Anordnung einer trennen, meint das Bundesgericht Fahreignungsprüfung nach rück- (Urteil 1C_224/2016). Unzulässig sichtslosem Verhalten gerechtfer- war es demgegenüber, einen Mann tigt war. Keine Bedenken hatte das zur verkehrspsychia trischen BeBundesgericht, einen Mann zum gutachtung zu schicken, der stark Psychiater zu schicken, der im süd- alkoholisiert (2,27 g/kg) auf eideutschen Raum an einem illega- nem Trottoir stürzte und sich dabei len Rennen auf einer Autobahn ein Bein brach. Aufgrund dieses teilgenommen hatte. Sechs Fahr- isolierten Ereignisses und weil der zeuge hatten sich in zwei Reihen Mann zu Fuss unterwegs war, mit je drei Fahrzeugen nebenein- rechtfertigte es sich nicht, eine ander aufgestellt und auf weniger Fahreignungsabklärung anzuord-Fahreignungsabklärung anzuord als 100 km/h abgebremst, bevor nen. Dass der Mann in frünen. Dass der Mann in früdas Beschleunigungsrennen be- heren Jahren mehrheren Jahren mehrgann. Ein am Rennen unbeteilig- mals wegen Alkohol wegen Alkohol tes Fahrzeug, das sich von hinten am Steuer den Ausam Steuer den Ausmit einer Geschwindigkeit von weis hatte abgeben weis hatte abgeben 160 km/h näherte, konnte eine müssen, ändert nichts müssen, ändert nichts Kollision nur knapp vermeiden. daran (Urteil daran (Urteil «Wer ohne Bewilligung auf einer 1C_144/2017). •1C_144/2017). öffentlichen, für den allgemeinen Verkehr nicht gesperrten Strasse ein Autorennen veranstaltet oder daran teilnimmt, er- URS-PETER URS-PETER weckt ernsthafte Zweifel an INDERBITZIN seiner Fahreignung.» Ein Verkehrsexperte Verkehrsexperte