BI 43 Designtheoretische Studie: Wintersemester 2020/21 / Betreuung der Designtheoretischen Studie: Gisela Matthes / Betreuung der Bacherlorthesis: Prof. Pelin Celik & Prof. Birgit Weller Industrial Design / Fachbereich Gestaltung / Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin
Tim Schütze
empowering gender equality & diversity through gender-sensitive design
Zur Form dieser Arbeit Die vorliegende Arbeit verfolgt der inhaltlichen Thematik entsprechend einen gendersensiblen Gestaltungsansatz. Der Umschlag spielt dabei eine wichtige Rolle. Er ist das erste, das wir von einem Buch wahrnehmen, schützt den inneren Buchblock und gibt ihm zugleich eine umfassende Erscheinungsform. Er markiert das sichtbarste Element dieser Studie. Der Umschlag dieser Arbeit versteht sich daher als symbolisches Beispiel einer offenen und individualisierbaren Gestaltung. In der physischen Version liegen dieser Studie zwei Aufkleber verschiedener Farben bei. Sie tragen die obligatorischen Angaben und vervollständigen das offene Buchcover. Als Leser*in sind Sie ermutigt, einen Aufkleber nach belieben auszuwählen und ebenfalls Ihrer Vorstellung nach auf dem Cover zu positionieren. Behalten Sie auch den nichtverwendeten: vielleicht ändert sich Ihre Meinung und Sie wollen Ihre Gestaltung zu einem späteren Zeitpunkt anpassen. Oft sind es die abgeschlossenen Gestaltungen, die aus einem entworfenem Produkt ein unterwerfendes machen. Nutzen Sie diese kurze gestalterische Tätigkeit, um sich der Freiheit einer persönlichen Intervention bewusst zu werden.
gender affairs empowering gender equality & diversity through gender-sensitive design
Tim Schütze [557911] schuetze.tim@gmx.de BI 43 Designtheoretische Studie: Wintersemester 2020/21 Gisela Matthes Betreuung der Bacherlorthesis: Prof. Pelin Celik & Prof. Birgit Weller Industrial Design Fachbereich Gestaltung Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin
Inhalt 6 8 10 11 12
15 16
18 18 19 20 22 23 24 40 41 43 43
1. Einleitung 1. 1. Zur Sprache dieser Arbeit 2. Das Problem Geschlecht als gesellschaftliche Affäre 2. 1. Von der Wandelbarkeit und Chancenungleichheit binärer Geschlechter(un)ordnung 2. 1. 1. Gesellschaftliche Ordnung durch ge- schlechtliche Unordnung 2. 2. Seeing and doing gender: die Performativität nicht intendierten Handelns und der Geschlechter 2. 2. 1. Das Hinterfragen pseudo-biologischer Geschlechtsmuster: Judith Buthler und das Verfestigen queeren Denkens 2. 2. 2. Radikale Vielfalt und Diversität 2. 3. Undoing gender: das Verlernen des Erlernten als performativer Akt 2. 4. Zusammenfassung 3. Das Problem Geschlecht als gestalterische Affäre 3. 1. Zum Designverständnis: Entwerfen zwischen (geschlecht licher) Gewalt und Gestalt 3. 1. 1. Vom entwerfendem und unterwerfen dem Design 3. 2. Gender affairs: Design als unterwerfende Geste – exemplari sche Beispiele 3. 3. Unterwerfende Gestaltungsmuster 3. 3. 1. Gender codes 3. 4. Ursachen unterwerfender Gestaltung 3. 4. 1. Identitätsgestaltung durch gender marketing
44 46
50 51 66 66 68 68 70 71 72 73 75 76
78 79 79 80 80
3. 4. 2. Vom gender data gap und pseudo objektiven Daten 3. 5. Individuelle und gesellschaftliche Konsequenzen unterwer fenden Designs 4. Undoing gender – gendersensibles Design als (Gegen)entwurf 4. 1. Gender affairs: Design als entwerfende Geste – exemplari sche Beispiele 4. 2. Gendersensible Entwurfsstrategien 4. 2. 1. Genderneutrales und uneindeutig konnotiertes Design 4. 2. 2. Genderspezifisches Design 4. 2. 3. Partikulare Bedürfnisorientierung 4. 2. 4. Fluid design 4. 2. 5. Subversives Design 4. 2. 6. Post gender marketing 4. 3. Der Entwurf eines gendersensiblen Designverständnisses 4. 3. 1. gendersensibles Design 4. 4. Gesellschaftsgestaltung: Chancen des gendersensiblen Designs 5. Technische Perspektiven gendersensiblen Designs 5. 1. Überwindung des gender data gap 5. 2. Vernetzte Produkte & smart materials 5. 3. Mass-customization & digital fabrication 5. 4. Partizipation & tool it yourself
82
6. Resümee
84 85 87 89 98
Anhang Glossar Abbildungsverzeichnis Literaturverzeichnis Eigenständigkeitserklärung
1. Einleitung
„The better we understand how identities and power work together from one context to another, the less likely our movements for change are to fracture.“ Kimberlé Williams Crenshaw, 2015 6
Das Industrial Design Studium war in den letzten vier Jahren eine intensive, persönliche Prägung. Die anfängliche Motivation, etwas mit eigenen Händen zu formen, wurde sukzessive um eine ideelle Position und den Glauben an das disruptive Potenzial von Design als politische Handlung ergänzt. Meine gestalterische Tätigkeit, die in den ersten Semestern hauptsächlich ihrem Selbstzweck folgte, erscheint mir heute in untrennbarer Wechselwirkung mit den Werten, die mir in unserer Gesellschaft von Bedeutung sind. Daher gilt es, für die gestalterische Lösung eines Problems nicht nur den projektspezifischen Kontext zu betrachten, sondern darüber hinaus, die eigenen Ideen der kritischen Frage: „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“ entgegen zu stellen. Als Gestalter*in sollten wir uns in stetiger Reflexion der Verantwortung und Reichweite unseren Schaffens bewusst werden und dementsprechend Stellung beziehen. Gerade in einer Welt, in der Innovation und Produktion grenzenlos erscheinen, sollten wir Victor Papaneks Mahnung: „There are professions more harmful than industrial design, but only a few.“1 ernst nehmen und hinterfragen, welche Wirklichkeiten, Werte und Strukturen wir (re)produzieren und welche wir überwinden wollen. In diesem Sinne möchte ich die anstehende Arbeit nutzen, um zwei scheinbar unterschiedliche Themenfelder miteinander zu verknüpfen: einerseits die der produktiven Produktgestaltung, andererseits die der gesellschaftlichen Konstruktion von Geschlechtsidentitäten und dem Prozess der geschlecht7
lichen Gleichberechtigung. Obwohl letzteres in den vergangenen Jahrzehnten eine steigende Präsenz im öffentlichen Diskurs erfuhr, ist die systematische Aufarbeitung im designtheoretischen Diskurs sowie der gestalterischen Praxis und Lehre weniger sichtbar. Als Reaktion darauf ist es mir, gerade in meiner Position als weißer, heterosexueller cis-Mann, in der mich geschlechtlicher Chancenungleichheit und Diskriminierung nicht negativ betrifft, ein besonderes Anliegen, mich diesbezüglich achtsam zu bilden und aktiv zu werden. Als Verbündeter möchte ich jenen den Rücken stärken, die tagtäglich unter den geschlechtlichen Hierarchien leiden, für die diese Gesellschaft mitunter weniger Freiheit bedeutet als für mich. „Verbündete sind nicht gegen Diskriminierung, weil diese sie persönlich trifft. Sie sind gegen Diskriminierung, weil Diskriminierung für sie nicht hinnehmbar ist.“2 Das Studienfeld des Industrial Designs erscheint mir hier als ein geeignetes Experimentierfeld, denn es verknüpft Alltägliches mit Ideellem und Formalem und schafft somit Raum für praktische Formen gesellschaftlicher Utopie. Als roter Faden dieser Arbeit stellt sich die Frage nach geschlechtlich entwerfendem Design und wie folglich eine offene und gleichberechtigende Gesellschaft mithilfe gendersensibler Produkte möglich ist. Hierfür wird in einem Ersten Teil anhand fragmentarischer Einblicke in elementare Theoriekonstrukte aufgezeigt, inwiefern gender als Sozialkonstruktion gesellschaftliche Ordnungs- und Ungleichheitsverhältnisse konsolidiert. Im zweiten Teil werden die Erkenntnisse in einer praktischen Analyse unterwerfenden und entwerfenden Designs angewandt, um schließlich eine gendersensible Gestaltungshaltung zu skizzieren. Der auf diese Studie folgende Entwurf soll entsprechend zeigen, wie technische Innovationen gendersensible Produkte ermöglichen können, die ihrem Wesen nach Diversität und geschlechtliche Gleichberechtigung fördern.
1 Papanek 1972: 9 2 Czollek 2020: 161
1.
1. Zur Sprache dieser Arbeit Bevor diese Studie der Frage nach gendersensiblem Design nachgeht, wird im Sinne der sprachlichen Achtsamkeit ein kurzer Exkurs in die hier verwendete Sprache vorangestellt. Sprache ist für menschliche Koexistenz elementar, sie konstruiert Realität.3 Sie erlaubt Verständigung in komplexen Gesellschaften, sie organisiert Wissen, Gefühle, Streit und Verständigung. Sie inkludiert, aber sie exkludiert auch. Besonders präsent ist dies in Sprachen, die nach Genus gebeugt werden und, wie im Deutschen, den generische Maskulin verwenden.4 Dieser wird zahlreichen Studien zufolge nicht als generisch und damit neutral sondern überwiegend als männlich* interpretiert5 und sorgt so bereits in der sprachlichen Wirklichkeit für eine Hierarchisierung. Im Vergleich zu Sprachen, die das natürliche Geschlecht verwenden (z.B. Englisch), herrscht bei jenen, die nahezu jeder Aussage eine Vorstellung von maskulin oder feminin einschreiben, die geringste Geschlechtergerechtigkeit.6 Auf dem Weg zu geschlechtlicher Gleichberechtigung kommt der Sprache also eine zentrale Bedeutung zu. Um dem gerecht zu werden, wird daher im Folgenden eine gendersensible Sprache bemüht. Das heißt, dass im Bezug auf Subjekte entweder genderneutrale Personenbezeichnungen oder Bezeichnungen mit einem Genderstern, gefolgt von der femininen Wortendung (*in, *innen), verwendet werden.7 Diese Schreibweise wird bewusst verwendet, weil sie im Gegensatz zu Formen wie beispielsweise dem Binnen-I oder dem Doppelpunkt nicht bloß die binäre Sprachgewohnheit (‚Mann‘/‚Frau‘) reproduziert, sondern mit dem hochgestellten Stern mit symbolischer Offenheit diverse gender einschließt.8 Im Rahmen dieser Arbeit sind die Kategorien ‚Mann‘/‚Frau’ generell zu problematisieren, weil sie die Existenz lediglich zweier gender und deren eindeutige Differenzierbarkeit postulieren.9 „Frau und Mann werden damit zu Urkategorien sozialer Differenzierung und Ungleichheit.“10 Da die sprachliche Dichotomie jedoch Gegenstand der gesellschaftlichen Geschlechterfrage und damit auch der anschließenden Betrachtung ist, wird sie stellenweise Verwendung finden. Bis auf bewusste Ausnahmen, bei denen es um die präzise Wiedergabe von Quellen, bzw. gesellschaftlich tradierter Narrative geht, wird sie jedoch ebenfalls um den Genderstern ergänzt. Wenn im Folgenden also von „Frau*/Mann*, weiblich*/männlich*“ die Rede ist, wird damit in Distanzierung zur traditionellen binären Sprachgewohnheit ausdrücklich die Pluralität jener gender adressiert. Des Weiteren wird in dieser Arbeit explizit zwischen biologischem Geschlecht (sex) und sozial konstruierter Geschlechtsidentität (gender) unterschieden. Da die sprachliche Trennung im Deutschen weitaus weniger verbreitet ist und durch den umgangssprachlich diffusen Gebrauch von „Geschlecht“ Missverständnisse entstehen können, wird im Sinne der Geschlechtsidentität folgend der Englische Begriff „gender“ benutzt. In Bezug auf das ‚biologische Geschlecht‘ wird „sex“ benutzt, wobei diese Kategorie anschließend einer Kritischen Diskussion unterzogen und danach sprachlich möglichst vermieden wird. „Geschlecht“ findet im Folgenden bewusst nur in Bezug auf das breite, allgemein diffuse Geschlechtsverständnis der Gesellschaft Verwendung. Um die semantische Differenzierung auch formal zu kennzeichnen, werden Begriffe, die trotz grundsätzlicher Distanzierung zu Schreibweise und/ oder Bedeutung angeführt werden, mit ‚einfachen Anführungszeichen’ markiert. Begrifflichkeiten, die aus spezifischen Milieus stammen und im allgemeinen Sprachgebrauch
3 Der Realitätsbegriff bezieht sich hier auf die epistemologische Postion des Konstruktivismus. 4 Vgl. Perez 2020: 25 5 Vgl. Sczesny et al. 2016, zitiert nach Perez 2020: 21 6 Vgl. Prewitt-Freilino et al. 2012, zitiert nach Perez 2020: 25 7 Der hochgestellte Stern erhält durch den Ursprung in der Programmiersprache, in der der sog. Asterisk als Platzhalter für alle möglichen Werte steht, eine semantische Bedeutung. Vgl. Hecht 2020 8 Vgl. ebd. 9 Siehe hierzu u.a. Butler 2019: 16; Kroll 2020: 116; Meissner 2008: 3 10 Kroll 2002: 116
8
selten vorkommen, werden kursiv gesetzt und entweder im Text bzw. in einer Fußnote oder im angehängten Glossar erklärt. Begriffe, die eine besondere Betonung erfahren sollen, werden fett gesetzt. Die gendersensible Sprache ist in diesem Sinne eine Analogie für den Anspruch, in der folgenden Entwurfsarbeit die Diversität menschlicher Identitäten in den Fokus zu stellen. Genau wie Sprache in erheblichem Maße zur Entstehung der Realität beiträgt,11 teilt auch Design das Schicksal, mit dem Hervorgebrachtem bei der Konstruktion eben dieser mitzuwirken. Jede gestalterische Handlung ist schließlich eine gesellschaftliche Handlung.
9
11 Lakoff 2004, zitiert nach Deutsch 2007: 122
2. Das Problem Geschlecht als gesellschaftliche Affäre
10
Im Folgenden wird dem ersten Themenkomplex dieser Arbeit nachgegangen, nämlich der Frage, wie das tradierte Geschlechterdenken in Gesellschaften systematische Ungleichheiten produziert. Hierzu werden Einblick in gängige Theoriekonstrukte von Judith Butler, Simone de Beauvoir und anderen Vordenker*innen geleistet sowie Bezüge zum gesellschaftlichen Status quo hergestellt.
2.
1. Von der Wandelbarkeit und Chancenungleichheit binärer Geschlechter(un)ordnung
11 Die Betrachtung von gender im Design setzt ein allgemein konsensuelles Geschlechterverständnis voraus. Zuerst wird daher eine Betrachtung des geschlechtlichen Diskurses aus gesellschaftlicher Sicht vorgestellt, um mithilfe soziologischer, kulturwissenschaftlicher und queer-feministischer Perspektiven aufzuzeigen, inwiefern die binäre Geschlechterordnung Einfluss auf soziale und individuelle Chancenungleichheit hat. Hierzu wird auch die temporäre Struktur herangezogen, um den dynamischen Charakter von Geschlechterordnungen zu veranschaulichen. Gesellschaften sind dynamisch, so befindet sich gender als soziales Konstrukt in einem stetigen Wandel. Das Ein-Geschlecht-Modell, das den ‚weiblichen’ Körper lange Zeit als abweichende Form des ‚männlichen‘ Ideals betrachtete12 und dabei kein „reales“ biologisches Geschlecht kannte13, wurde im Zuge der Aufklärung durch die binäre Geschlechtertrennung und eine damit einhergehende natürliche Ordnung der Geschlechter abgelöst.14 Bis ins 20. Jahrhundert wurden Ungleichberechtigung auf physische, dualgeschlechtliche Differenzen und geltende Machtverhältnisse auf die vermeintlich unzulängliche Eignung ‚weiblicher‘ Körper für geistige Aufgaben zurückgeführt.15 Die Auffassung, dass gender sich nicht kausal aus den biologischen Geschlechtsmerkmalen ableiten lässt, etablierte sich erst mit der zweiten feministische Welle der 1960er Jahre, für die Simone de Beauvoirs Werk „Das andere Geschlecht“ (franz. „Le Deuxième Sexe“, 1949) epochemachend war.16 Die Sozial01 Protestzug der zweiten Feministischen Welle, 1970
12 Vgl. Perez 2020: 17 13 Thomas Laqueur rekonstruiert in seinem Werk „Auf den Leib geschrieben: Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud“ das geltende Geschlechterverständnis und unterscheidet dabei zwischen dem Ein-Geschlecht- und Zwei-Geschlecht-Modell. Vgl. Laqueur 1992: 150. 14 Vgl. Haslinger 2004: 16 15 Vgl. Hines 2019: 33ff 16 Vgl. „Das andere Geschlecht“, 2020
konstruktion von gender und damit die prinzipielle Kontingenz geltender Geschlechternormen wurden Thema des wissenschaftlichen Diskurses17, wobei die zweigeschlechtliche Trennung zwischen ‚Mann’ und ‚Frau’ zunächst nur neu interpretiert wurde.18 Judith Butler entwickelte in den 1990ern, unter anderem mit ihrer Veröffentlichung „Das Unbehagen der Geschlechter“ (eng. „Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity“, 1990), die Konstruktionsthese weiter und hatte dadurch großen Einfluss auf die weitere feministische Theorie.19 In einer nun auch intersektionellen Kritik20 hinterfragen die Gender Studies und der Queer-Feminismus die Hegemonie des binären Systems radikal.21 Der sozial sowie kulturell konstruierte Charakter von Geschlecht gilt in diesen Kreisen heute als Konsens.22 02 Queerfeminitischer Protestzug, 2020
Die Kritik an der anatomisch begründeten, Hierarchien strukturierenden Kategorie Geschlecht, wächst seitdem stetig. Obwohl dessen Präsenz im popkulturellen und avantgardistischen Jetzt an Sichtbarkeit gewinnt und u.a. das zukunftsInstitut Gender Shift als einen der zwölf Megatrends unserer Zeit anführt23, stehen konventionelle Gesellschaftsmuster den Transformationsprozessen für eine Gleichberechtigung aller gender dennoch beharrlich im Wege.24 Den (post)modernen westlichen Industrieländern, auf die sich diese Arbeit bezieht, liegt die binäre Matrix der Zweigeschlechtlichkeit nach wie vor zugrunde. Demnach lässt sich die Bevölkerung aufgrund biologischer Unterscheidungsmerkmale zu nahezu gleichen Teilen in ‚männlich’ und ‚weiblich‘ trennen. Im Widerspruch zu grundgesetzlich festgeschriebenen Rechten25 führt dies, wie sich im Verlauf dieses Kapitels zeigen wird, wiederum zu einem eindeutigen Macht- und Chancengefälle, das orthogonal zu dieser Trennlinie verläuft und dadurch das patriarchale Gefüge unserer Gesellschaft festigt. Im Sinne eines von ‚Männern‘ dominierten sozialen Systems26 manifestiert sich das Patriachat durch die Benachteiligung von ‚Frauen‘ und die Geschlechterunterdrückung sexueller Minderheiten in diversen Lebensbereichen. Realgesellschaftlich ist beispielsweise die Mandatsverteilung europäischer, nationaler Parlamente ein transparentes Beispiel. Im Schnitt der EU-Mitgliedstaaten sind nur 31,7% der Parlamentsabgeordneten weiblich* (Stand 2019).27 Bei einem Bevölkerungsanteil von 50,6% sind Frauen* hier politisch eindeutig unterrepräsentiert.28 Folglich wundert es bei zwei Dritteln männlicher* Entscheidungsträger nicht, dass sich mangelnde Parität so resilient hält. Ein subtileres Beispiel ist die unbezahlte Care-Arbeit, die weltweit zu 75% von Frauen* geleistet wird.29 Die dadurch entstehende Bedürfnisse finden in der Stadt- & Verkehrsplanung zudem nur selten Beachtung.30 Die kausale Kette erschwerter Bedingungen führt weiter zum Gender Pay Gap. In Deutschland verdienten Frauen* von 2002 bis 2019 konstant ca. 20% weniger als Männer*.31 Zudem führt die durch Care-Arbeit bedingte, deutlich höhere Teilzeitquote32, bei Frauen* zu geringeren Aufstiegschancen und niedrigeren Rentenbezügen bzw. höherer Altersarmut.33 Zusammen mit Stress, körperlicher Belastung und finanzieller Abhängigkeit entstehen so überproportional häufig prekäre Verhältnisse bei Frauen*.34
17 Vgl. Meissner 2008: 3 18 Vgl. Kroll 2002: 75 19 Vgl. „Das Unbehagen der Geschlechter“, 2020 20 Vgl. Meissner 2008: 3 21 Vgl. Kroll 2002: 75 22 Vgl. Meissner 2008: 2 23 Mit ‚Gender Shift‘ meint das zukunftsInstitut die Abkehr schicksalshafter Rollenbilder und Geschlechterstereotypen mit dem Ergebnis einer neuen „Kultur des Pluralismus“. zukunftsInstitut 2020 24 Die Autorin und Kolumnistin Margarete Stokowski beschreibt in ihrem Buch „Untenrum frei“ diverse Situationen geschlechtlicher Chancenungleichheit und verweist als Ursache u.a. auf die beharrlichen Strukturen des zeitgenössischen Patriarchats. Vgl. Stokowski 2018; Siehe auch Perez 2020 25 Bürger*innen der Europäischen Union (EU) dürfen dem geltenden Grundrecht zufolge weder aufgrund des Geschlechts, noch der sexuellen Ausrichtung diskriminiert werden. Vgl. ABl. C 364/1 vom 18.12.2000, Art. 21 Abs. 1 Darüberhinaus verpflichtet sich die EU, „bei allen ihren Tätigkeiten [darauf hin zu wirken], Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern.“ ABl. C 326/53 vom 26.10.2012, S. 7 26 Vgl. „Patriarchat (Soziologie)”, 2020 27 Vgl. Eurostat, zitiert nach de.statista.com, 2020 28 Vgl. Statistisches Bundesamt, zitiert nach de.statista.com, 2020 29 Vgl. Perez 2020: 104 30 Vgl. ebd.: 98 31 Vgl. Statistisches Bundesamt, zitiert nach de.statista.com, 2020 32 Vgl. Statistisches Bundesamt, zitiert nach de.statista.com, 2020 33 Vgl. Perez 2020: 111ff 34 Vgl. ABl. C 70 E/3 vom 8.3.2012, S. 3; Vgl. Perez 2020: 185
12
Androzentristische Unterdrückungsmuster betreffen nicht nur Frauen*, sondern benachteiligen alle gender, die sich abseits dieser Norm definieren. Der generische Maskulin setzt sich auch in der kulturellen Praxis des Designs fort: Die Mannigfaltigkeit androzentristischer Mechanismen wird besonders sichtbar in der Bandbreite von Objekten wie der Klaviertastatur35, die die anthropometrischen Eigenschaften jener, die von dem männlichem* Standard abweichen, ignorieren, bis hin zu Produkten wie Nassrasierern36, die in Hinblick auf vermeintliche Gleichberechtigung eine scharfe Geschlechtersegregation vornehmen, nach dem Prinzip pinking and shrinking jedoch Stereotypen reproduzieren und alle, die durch die binäre Matrix fallen, ausschließen. Die Diskriminierung geschlechtlicher Minderheiten geht jedoch weiter, zeigt sich in Beruf und Öffentlichkeit37 deutlich und gipfelt, wie beispielsweise in den selbsterklärten sog. ‚LGBT-ideologiefreien Zonen‘ zwei Drittel Polens, in öffentlicher Ausgrenzung und Hass.38 So müssen Menschen queerer, fluider oder trans*39 Identität weltweit gegen Unterdrückung und Gewalt und letztlich für das grundlegendste „Recht auf die freie Entfaltung [der] Persönlichkeit“40 kämpfen. Generell bestätigen sich also hierarchische Muster, die Frauen* sowie sexuelle Minderheiten der Gruppe weißer, heterosexueller cis-Männer* unterordnen. Es zeigt sich, dass die gesellschaftliche Achse der Chancenungleichheit deckungsgleich entlang der Achse binärer Geschlechterdifferenz verläuft. In Bezug auf gender stellt sich daher die Frage, worin diese Kategorie wirklich gründet und wieso sie sich so beharrlich fortsetzt. 13
2.
1.
1. Gesellschaftliche Ordnung durch geschlechtliche Unordnung In Bezug auf die eingangs formulierte Frage, wieso sich Geschlecht als Kategorie vielseitiger Ungleichberechtigung ständig tradiert, bietet ein Blick auf den Zusammenhang von Geschlecht und sozialer Ordnung Aufschluss. Wenn gender gesellschaftlich konstruierter Natur ist (↖ 2.2.), lässt sich Geschlecht als zentrales soziales Klassifikationssystem verstehen. Geschlecht ist demnach nicht (nur) Merkmal einzelner Subjekte, sondern „vielmehr ein Merkmal der Sozialorganisation selbst, ein grundlegender Ordnungsfaktor gerade auch in modernen Gesellschaften.“41 Geschlechterverhältnisse entstehen immer innerhalb gesellschaftlicher Kontexte und „können von diesen weder getrennt noch abstrahiert gedacht werden“.42 Doch wie wird aus dem Ordnungsfaktor ein Ordnungsprinzip? Für die effektive Organisation einer Gesellschaft ist die Distribution von Arbeit, Gütern, familiärer
35 Vgl. Perez 2020: 217ff 36 Vgl. Haslinger 2004: 72 37 Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, 2009, 82 38 Vgl. LSVD o.J. 39 Der trans*-Begriff wird an dieser Stelle wohlwissend der Problematik der sprachlicher Benennung von Lebensrealitäten und der Gefahr der Fremddefinition von Menschen verwendet. In diesem Sinne gilt er als Verweis auf einen weiterführenden Diskurs über die Gewalt der Sprache, den u.a. Zita Grigowski ihrem Buch Trans* Fiction führt (vgl. Grigowski 2016: 7ff), auf den hier jedoch nur verwiesen werden kann. 40 § 2 Abs. 1 Satz 1 GG 41 Gildemeister 2006: 5, zitiert nach Throm 2010: 66 42 Throm 2010: 66
und sozialer Verantwortlichkeit sowie die Produktion kultureller Werte wie Musik, Kunst und Geschichte unabdingbar.43 Nach Lorber stehen für diese Zuteilung zwei Schemata zur Verfügung: Entweder aufgrund von Begabungen, ausgewiesenen Leistungen, Motivation, Kompetenzen oder durch die Einteilung in Kategorien aufgrund von gender, Ethnie, Klasse, Alter. Mit historischer Stringenz bedienen sich die (post)modernen westlichen Gesellschaften bis heute vorrangig letzterer Art und vollziehen die Klassifizierung konkret nach den Prinzipien der Heteronormativität und des Androzentrismus.44 Dadurch entsteht eine Hierarchie, in der die ‚Frau’ sowie sexuelle Minderheiten dem ‚Mann‘ untergeordnet sind. Kirkham veranschaulicht dies anhand nicht genderkonformer Verhaltensweisen. Demnach können Frauen* durch Imitation oder Übernahme ‚männlicher‘ Verhaltensweisen innerhalb der Hierarchie aufsteigen und beispielsweise durch seriöse, männliche*-konnotierte Geschäftskleidung ein höheres Ansehen erlangen. Für Männer* bedeuten das adaptieren weiblich*-konnotierten Verhaltens hingegen eher einen Abstieg in der heteronormativen, gesellschaftlichen Hierarchie.45 Crossdressing46 führe in diesem Fall zu weniger Glaubwürdigkeit und Autorität.47 „Nie würde in westlichen Industrieländern ein Manager eine wichtige Besprechung mit einem Rock bekleidet leiten. Er würde Ansehen verlieren und könnte diese Aufgabe wahrscheinlich nicht mehr wahrnehmen.“48 Dem Beispiel ist hinzuzufügen, dass es sich auf die Untersuchungen Kirkhams bezieht, die 1996 veröffentlich wurden. Die gender-Debatte, hat in den vergangenen 25 Jahren zu einer deutlichen Erosion derartig pauschaler Sexismen geführt, zudem gilt seriöse Geschäftskleidung heutzutage weitaus weniger stark männlich*-konnotiert. Dennoch zeigt das Beispiel patriarchale, heteronormative Hierarchisierungsmuster, die bis in unsere Gegenwart reichen. Geschlechterdifferenzen dienen im Zuge gesellschaftlicher Ordnungsmechanismen jedoch nicht nur der Kategorisierung, sondern in sich selbst erhaltender Weise auch zur Validierung ihrer Naturhaftigkeit und damit auch zur Legitimation von Hierarchie, Chancenungleichheit und Unterdrückung.49 Im Bezug auf doing gender entpuppt sich dies als toxisches Paradoxon, weil die geschlechtliche Organisation, entgegen eines gesellschaftlich unhinterfragten Verständnisses, nicht als Folge der Geschlechterdifferenz zu verstehen ist, sondern vielmehr als eine ihrer Voraussetzungen. Die Verrichtung bestimmter Tätigkeiten bringt immer auch gender hervor und festigt das soziale Geschlechterverständnis.50
43 Vgl. Haslinger 2004: 9 44 Vgl. Throm 2010: 68 45 Vgl. Kirkham 1996: 6, zitiert nach Haslinger 2004: 10 46 Cross-Dressing bezeichnet allgemein das absichtliche Tragen von Kleidung, die innerhalb der Geschlechterordnung Mann*/Frau* als typisch für das jeweils andere Geschlecht angesehenen werden. Vgl. „Cross-Dressing“, 2020 47 Vgl. Kirkham 1996: 6, zitiert nach Haslinger 2004: 10 48 Haslinger 2004: 10 49 Vgl. Meissner 2008: 11 50 Vgl. ebd.
14
2.
2. Seeing and doing gender: die Performativität nicht-intendierten Handelns und der Geschlechter Doch wie ist die Sozialkonstruktion von gender zu verstehen und wie funktioniert sie konkret? Candace West und Don H. Zimmerman erläutern dies mit dem vielfach rezitierten Konzept des doing gender, das sie wie folgt beschreiben: “[it] involves a complex of socially guided perceptual, interactional, and micropolitical activities that cast particular pursuits as expressions of masculine and feminine ‚natures‘.“51 Gender ist demnach keine determinierte Eigenschaft, nichts, das wir haben sondern etwas, das wir tun.52 Es handelt es sich also um einen performativen Akt, der entweder ‚weiblicher’ oder ‚männlicher‘ Natürlichkeit zugeschrieben wird.53 Im Zuge normativer Erwartungshaltungen ist die Konstruktion von gender eine Bedingung sozialer Interaktion, wobei die normative Vorstellung in Zeit, Ethnie, Klasse und Kultur variiert.54 Dieser Akt ist entgegen der Suggestion bewusst-aktiven ‚Tuns’ des doing meist nicht intentionierter Natur und damit klar von einer gezielten Reproduktion und Konstitution gesellschaftlicher Normen zu unterschei-
15
den.55 „Begleitend und verwoben mit unserem täglichen Handeln, unserem Umgang mit uns selbst und mit anderen, stellen wir – meist unbewusst und selbstverständlich, daher ums so wirksamer – eine Ordnung der Geschlechtszugehörigkeit her.“56 Suzanne Kessler und Wendy McKenna betonen dabei, dass die geschlechtliche Zuordnung in einer interaktiven Wechselwirkung zwischen sozialen Akteur*innen stattfindet.57 In der Untersuchung geschlechtlicher Attributionsprozesse problematisieren sie bei der Begegnungen und Interaktion von Menschen explizit das Sehen von Geschlecht, wobei nicht bloß ‚reale’ Differenzen wahrgenommen, sondern aktiv Zuschreibungen gemacht werden.58 Diese wiederum beruhen auf kulturellen Grundgewissheiten, die uns anhand von Indikatoren, wie Pronomina, Stimmlage, Gestik, Körperhaltung und Verhaltensweisen sowie kultureller Genitalien59 gestalterischer Art wie Kleidung, Accessoires und benutzter Produkte, Individuen als Mann* oder Frau* interpretieren lassen.60 Dadurch wird seeing zum doing und das Subjekt zu Darsteller*in und Betrachter*in zugleich.61 In einer Gesellschaft stellen wir gender also nicht nur bei uns selbst sondern immer auch bei Anderen her. Auch wenn die Existenz diverser gender im Sinne der Geschlechtsidentität allgemein verbreitet ist und 2017 auch vom Bundesverfassungsgericht anerkannt wurde62, suggerieret die sex/gender-Trennung, dass sex als ahistorische biologische Bestimmung des Geschlechtskörpers ‚natürlich‘ definiert ist.63 Tatsächlich geht „[d]ie historische Anthropologie […] mittlerweile davon aus, dass auch nature und sex Konzepte mit Geschichte sind, weil das, was zu einem bestimmten Zeitpunkt als naturhaft gilt, immer bereits im Kulturraum einer bestimmten Gesellschaft definiert ist.“64 Die vermeintliche Naturgegebenheit dieser Kategorie ist an sich also auch ein Produkt kultureller Wahrnehmung.65 Dass sie sich dennoch so beharrlich fortsetzt, lässt sich anhand der ethnomethodologischen Prämisse, dass „Menschen in der Regel auf der Basis unhinterfragbarer kultureller Grundgewisssenheiten operieren“66, erklären.
51 West, Zimmerman 1987: 126 52 Vgl. Hagemann-White 1993: 68, zitiert nach Throm 2010: 69 53 Vgl. ebd. 54 Vgl. Deutsch 2007: 106f 55 Vgl. Throm 2010: 69 56 HagemannWhite 1993: 68f 57 Vgl. Meissner 2008: 10 58 Vgl. ebd. 59 Der Begriff „kulturelle Genitalien“ wurde 1993 von Stefan Hirschauer in seinem Werk „Die soziale Konstruktion der Transsexualität. Über die Medizin und den Geschlechtswechsel.“ eingeführt und beschreibt kulturell-symbolisch aufgeladene Attribute, die ähnlich wie die biologischen Genitalien eine klare Geschlechterzuordnung ermöglichen. Siehe hierzu Hirschauer 1993 60 Vgl. Meissner 2008: 9 61 Vgl. ebd.: 10 62 Vgl. BVerfG 2017 63 Vgl. Kroll 2002: 357 64 Ebd. 65 Vgl. ebd. 66 Meissner 2008: 9
Als Kritik an der sex/gender Unterscheidung differenzieren West/ Zimmerman drei Dimensionen der Geschlechterkonstruktion. Sex benennt die Klassifikation durch sozial vereinbarte, äußerliche Geschlechtsmerkmale (Genitalien) bei der Geburt. Sex-category benennt die alltäglich stattfindende, geschlechtliche Zuordnung. Da die Genitalien (sex) in der Regel nicht sichtbar sind, beruht die Zuordnung zumeist auf sozial vereinbarten Darstellungen der Geschlechtszugehörigkeit. Gender benennt die interaktive Bestätigung der Zuordnung. Diese wird durch soziale Verhaltensweisen geleistet, die den normativen Vorstellungen der jeweiligen sex-category entsprechen.67 Sex wird also auch als sozial vereinbart und damit als kulturelle Konstruktion identifiziert. In Bezug auf doing gender lassen sich anhand dieser analytischen Unabhängigkeit wichtige Erkenntnisse über die Konstruktionsprozesse erlangen. So kann die sex-category durchaus von der Kategorie sex abweichen, weil diese Zuordnung keiner positiven Verifizierung, also der Begutachtung der Genitalien bedarf, sondern auf den sichtbaren, kulturellen Genitalien beruht. Gender steht dem als dritte Dimension ebenso flexibel gegenüber und kann, ohne dass die sex-category infrage gestellt wird, in verschiedenen Ausprägungen wahrgenommen und geäußert werden.68 16
2.
2.
1. Das Hinterfragen pseudobiologischer Geschlechtsmuster: Judith Butler und das Verfestigen queeren Denkens Wie bereits angedeutet, gibt es in den letzten Jahrzehnten vermehrt Bemühungen, die oben beschriebenen Kulturtraditionen theoretisch zu brechen. Im Folgenden werden diese kurz angerissen: Judith Butler kritisiert mit ihrer Theorie der Performativität von Geschlecht ebenfalls die sex/ gender-Unterscheidung, die gender als diskursiv hergestellt, sex hingegen als vordiskursiv gegeben, also metaphysischen Ursprungs versteht. In Bezug auf Foucault analysiert sie Geschlecht als Identitätskategorie und verwirft jeden Rückgriff auf eine natürliche Geschlechterdualität.69 Binäre Körperdifferenzen seien demnach Ergebnis diskursiver Prozesse, bei denen
67 Vgl. ebd. 68 Vgl. ebd. 69 Vgl. ebd.: 13
Sprache eine produktive Form annimmt und dadurch zentrale Bedeutung erfährt. Die Geschlechterkategorien ‚Frau‘ und ‚Mann‘ sind demnach keine reinen Bezeichnungen sondern bringen an sich Bedeutung hervor. Diese Dimension der Konstruktion von Geschlecht bezeichnet Butler als Performativität der Sprache.70 Exemplarisch verweist sie auf die ursprünglichste sprachliche Konstruktion von Geschlecht, die sich nach der Geburt vollzieht, indem das ‚es‘ fortan ‚sie‘ oder ‚er‘ genannt wird. Dieser performative Akt, der nach Butler auf der Illusion beruht, vermeintlich vordiskursive biologische Merkmale ließen eindeutig auf eine Geschlechtsidentität schließen, setzt sich fort und führt zu einer Naturalisierung und Normierung des „inneren Geschlechtskerns“.71 Dies verdeutlicht, dass die performative Herstellung von Geschlecht auch in Butlers Theorie nicht dem freien Willen des Subjekts folgt, sondern eingebettet in determinierten, soziokulturellen Konstitutionsmustern stattfindet.72 Hieran knüpft die Queer Theory an. Diese bezeichnet eine Anfang der 90er Jahre aus den Gay und Lesbian Studies entstandene Forschungsrichtung. Ausgehend von 17
der kulturellen Aneignung des ursprünglich negativ konnotierten Begriffs queer markiert dieser im fachlichen Sinne die Zusammenführung geschlechtlich und/oder sexuell marginalisierter Gruppen.73 Die entsprechende Theorie befragt unter anderem im Rekurs auf die Performativität von Geschlecht und Begehren (s.o.) kritisch die Beziehung von ‚biologischem Geschlecht‘, Geschlechtsidentität und sexuellem Begehren.74 Als Konzepts des „Widerstands gegenüber de[s] Regimes der Normalität“75 verweist die Queer Theory auf die Kontingenz des Zusammenhangs zwischen Geschlecht und Sexualität, der Butler zufolge als dynamisch jenseits eines heteronormativen Determinismus, dennoch aber in Abhängigkeit eines soziokulturellen Rahmens gedacht werden kann.76 In Anlehnung an die Queer Theory entwickelte sich der Queer-Feminismus (auch als dritte Welle des Feminismus bezeichnet), der im Gegensatz zu vorherigen Frauenbewegungen nicht ausschließlich die ‚Frau‘, sondern alle sexuellen Minderheiten in den Fokus der Betrachtung rückt.77 Die einheitliche Kategorie ‚Frau‘ (sowie die Kategorie ‚Mann’) wird dabei explizit kritisiert, weil sie unter anderem die Trennschärfe intersektionaler Diskriminierungsformen neben dem ‚Frausein’ verwischt und darüber hinaus die dichotome Kategorisierung des binären Systems stützt.78 Die queer-feministische Perspektive, die in dieser Studie referenziert wird, verfolgt die Dekonstruktion der Zweigeschlechtlichkeit als Differenzkategorie und geht im Sinne einer radikalen Vielfalt (diversity) von einer weitaus größeren Diversität der Geschlechtsidentitäten aus. Queerfemi-
70 Vgl. ebd. 71 Butler 1991: 200 72 Vgl. Butler 1993: 44, zitiert nach Meissner 2008: 13 73 Vgl. Kroll 2002: 327 74 Vgl. ebd.; vgl. „Queer-Theorie“, 2020 75 Vgl. Kroll 2002: 327f 76 Vgl. Butler 1995: 315, 327ff 77 Vgl. „Queer-Feminismus“, 2020 78 Siehe hierzu u.a. Meissner 2008: 3; Chlebos et al. 2018: 3
nismus zeichnet sich durch Multiperspektivität aus und bedeutet auf sprachlicher Ebene auch in singulären Verwendungen immer Pluralität.79
2.
2.
2. Radikale Vielfalt und Diversität Der Begriff der Diversität entzieht sich einheitlichen Definitionsversuchen und meint, je nach Kontext, unterschiedliche Dimensionen der Vielfalt. Zurzeit taucht er häufig als diversity management oder gender diversity in Verbindung mit wirtschaftlich motivierten Konzepten der Produktivmachung von Unternehmen auf.80 Dabei geht es inhaltlich zwar um das Wohlbefinden der Mitarbeiter*innen, praktisch werden Hierarchie-, Macht- und Gerechtigkeitsverhältnisse jedoch meist nicht hinterfragt, sobald sie Profitinteressen negativ gegenüberstehen. Die Idee der diversity (als wissenschaftliche Konzeption) zielt im Ursprung jedoch darauf ab, „dass alle Menschen in ihrer Gleichheit und ihren Differenzen bzw. Diversitäten an allen gesellschaftlichen Ressourcen (materiellen, sozialen, kulturellen, institutionellen etc.) partizipieren können müssen, und mit dieser Teilhabe auch anerkannter Teil der jeweiligen Gesellschaft werden.“81 In Bezug auf diesen Anspruch führen Czollek/Perko/ Weinbach den Begriff der radikalen Vielfalt (radical diversity) als Abgrenzung zu Diversitätskonzepten mit zentraler Profitmaximierung ein. Nach ihrer Definition, die in dieser Studie unter Diversität/diversity referenziert wird, bedeutet radikale Vielfalt die partizipative Anerkennung der Diversität, Heterogenität und Unterschiedlichkeit von menschlicher Existenz.82
2.
3. Undoing gender: das Verlernen des Erlernten als performativer Akt Als kritische Reaktion auf das Konzept doing gender nach West/ Zimmerman, entwirft Stefan Hirschauer undoing gender als Praxis des Unterlassens von gender/sex/sex-category-Zuschreibungen. Er hinterfragt das Handeln innerhalb einer
79 Vgl. Chlebos et al. 2018: 4 80 Vgl. Czollek et al. 2009: 1 81 Vgl. ebd. 82 Vgl. Czollek, Perko, o.J.
18
Geschlechterrolle als die einzige, sozial adäquate Handlungsmöglichkeit und verweist auf individuelle Potenziale, um das durch Tun und Sehen erzeugte Geschlecht zu widerrufen.83 Dadurch ist es nach Hirschauer möglich, das erlernte, soziale Geschlecht langfristig wieder zu verlernen. Wenn die Bedeutung der Geschlechtszugehörigkeit in sozialen Interaktionen schwindet, ist sie als Konstrukt zwar nicht grundsätzlich überwunden, sie kann aber in Situationen wie beispielsweise der Arbeitswelt ihre Relevanz verlieren.84 Demnach geht im Sinne des undoing gender die stärkste Kraft von individuellen, sozialen und zivilgesellschaftlichen Transformationsprozessen aus, um auf institutioneller und damit gesamtgesellschaftlicher Ebene einem Bedeutungsverlust der Geschlechterzugehörigkeit anzutreiben.85 gender und sex (sowie sex-category) können also als grundsätzlich wandelbare, kulturelle Konstruktion ohne vordiskursive Existenz verstanden werden. Das Narrativ der naturgegebenen Differenz der Geschlechter und einer darin gründenden Hierarchie verliert so seine Wirksamkeit. Folglich eröffnet sich eine kritische Perspektive auf Geschlecht als Gegenstand sozialer Ordnung. Die Errungenschaft feministischer Diskurse, gender (sowie sex) als soziale Konstruktion zu denaturalisieren und damit die Veränderbarkeit patriarchale Machtverhältnisse zu betonen, ist von grundlegender Bedeutung. „Wenn die genderUngleichheit abgeschafft werden soll, […] darf [gender] nicht länger eine zentrale soziale Kategorie sein, die bestimmt, welcher soziale Status einem Menschen zugewiesen wird.“86 19
In der Umsetzung einer nicht sexistischen Gesellschaftsordnung ist die Chancengleichheit durch paritätische Machtverteilung zwischen den gendern ein bedeutender Schritt. Das Ergebnis ist allerdings in weiten Teilen eine Symptombekämpfung und an sich instabil, da die Zweigeschlechtlichkeit als Differenzierungskategorie weiter besteht. Um geschlechtlicher Chancenungleichheit nachhaltig die Basis zu entziehen, gilt es daher, den Gegenstand der Differenzierung als solches zu entschärfen. Das heißt, die basale Stetigkeit des binären Geschlechterverständnisses zu erodieren87 und die Kategorie gender sowie das biologische Geschlecht als soziales Ordnungskriterium zu überwinden. Dieser Auftrag richtet sich neben Politik und Zivilgesellschaft auch an die Profession des Designs als kulturelle Praktik. In ihrer Funktion als realitätsstiftende, Ideelles in Reales übersetzende, die Gesellschaft verbessernde Tätigkeit, muss Gestaltung grundsätzlich gendersensibel werden. Als Designer*in gilt es, im Sinne des undoing gender, doing gender zu verlernen. „[…] we need to shift from talk about doing gender to illuminating how we can undo gender.“88
2.
4. Zusammenfassung Die (post)moderne westliche Gesellschaft zeigt sich also bei genauerem Hinsehen als eine weitreichend sexistische, die in patriarchaler Manier ihre Machtstrukturen, Hierarchien und Wirkmechanismen durch die heteronormative Hegemonie der Zweigeschlechtlichkeit stabilisiert. Der Geschlechterdualismus ist darüber hinaus eng an einen weit verbreiteten Androzentrismus geknüpft, der in dem ‚Männlichen’ die Norm sieht. Gender wird dabei über die Sphären individueller Lebensgestaltung hinaus zum sozialen Ordnungsprinzip, schließlich also zu einem kulturellen Phänomen.
83 Vgl. „Undoing Gender”, 2020 84 Vgl. ebd. 85 Vgl. ebd. 86 Lorber 1999: 35, zitiert nach Haslinger 2004: 10 87 Vgl. Lorber 2005, zitiert nach Deutsch 2007: 107 88 Vgl. Deutsch 2007: 107
3. Das Problem Geschlecht als gestalterische Affäre
20
Im Anschluss an die vorangegangenen Perspektiven der gesellschaftlichen Dimension von Geschlecht stellt sich die Frage, inwiefern dies mit Design zusammenhängt. Um gender auch als gestalterische Affäre zu begreifen, muss dafür zunächst auch Design als eine kulturelle Praxis verstanden werden, die in ständiger Wechselwirkung gleichzeitig Anker und Spiegel gesellschaftlicher Strukturen ist, die soziale Hierarchien zum Ausdruck bringt89. Hinsichtlich Gender Studies zeigen sich dabei strukturelle Gemeinsamkeiten im Selbstverständnis der Professionen. So charakterisiert die Designtheoretikerin und Professorin für gender und Design Uta Brandes zukunftsorientiertes Design als eine „undisziplinierte Disziplin“90. Dabei bezieht sie sich auf das Wesen der Gestaltung, das gerade durch die Interdisziplinarität diverser Fachrichtungen die inhaltliche Segmentierung überkommt91 und mit nicht-konformativer Haltung auf die Gesellschaft schaut. Es wohnt also dem Design ein unbequemes Moment inne. Parallel dazu teilen auch die Gender Studies die nicht-konformative Haltung gegenüber tradierter Werte und Normen und stellen diese in intersektionaler, also disziplinübergreifender Weise in Frage. „Making trouble“92 im Sinne des Hervorbringens radikaler Gegenentwürfe stellen in beiden Bereichen also eine zentrale Methode dar. Darüber hinaus lassen sich auch konkretere Schnittstellen feststellen. Wie bereits in Kapitel 2.2. gezeigt wurde, sind Objekt-Mensch Beziehungen für die Gender Studies von großer Bedeutung, weil innerhalb dieser gender hervorgebracht und reproduziert wird. Im Fokus steht dabei Gemachtes jeglicher 21
Art, das in diesem Kontext über gegenständliches hinaus auch Interaktionen, Prozesse und Dienstleistungen einschließt, und durch die Gestaltung eine semantische Bedeutung erfährt.93 Die Zuschreibung von Bedeutung erfolgt oft auf Grundlage kultureller Interpretationen, bei denen immer auch geschlechtliche Normvorstellungen mitschwingen und die sich in Form von binären gender codes in das Designverständnis einschreiben.94 Sind gender-Hierarchien in einem demokratischen Designverständnis tatsächlich intentioniert oder entstehen diese unbewusst und nebenbei? In Welcher Form wirkt das Geschlechterverständnis durch das Design auf die Gesellschaft und welche Folgen lassen sich daraus ableiten? Trotz der weitreichenden Verstrickungen ist Design einer der letzten Bereiche, in dem die Geschlechterfrage überhaupt gestellt wurde.95 Da in Diskurs, Praxis und Lehre auch nach eigener Erfahrung eine systematische Aufarbeitung fehlt, soll dieser zweite Teil Brücken zwischen dem sozialen Konstrukt Geschlecht und dem gestalterischen Ausdruck schlagen. Das Ziel dieses Kapitels ist die Erarbeitung eines grundlegenden Verständnisses über den Einfluss von Design bezüglich der Aufrechterhaltung bzw. Veränderung gegenwärtiger Macht- und Geschlechterverhältnisse.
89 Vgl. Haslinger 2004: 31 90 Brandes 2000: 177 91 Vgl. ebd. 92 Butler 2017: 7 93 Vgl. Haslinger 2004: 23 94 Vgl. ebd.: 24 95 Vgl. Brandes 2020: 131
3.
1. Zum Designverständnis: Entwerfen zwischen (geschlechtlicher) Gewalt und Gestalt Bevor es hier jedoch um die Wechselwirkung von Geschlecht und Design geht, soll zuerst das zugrundeliegende Verständnis von Design näher erläutert werden. Während der Gestaltungs-Begriff sich in unserem deutschen Sprachgebrauch zumeist auf ästhetisch-künstlerische Sphären beschränkt, eröffnet der englische Design-Begriff ein breiteres Spektrum an Geltungsbereichen. Demnach betrifft Design auch die konstruktiven Entwurfsaktivitäten des Ingenieurwesen und der Architektur sowie ein generelles Verständnis von lösungsorientierter Planung und Konzeption.96 „Everyone designs who devises courses of action aimed at changing existing situations into preferred ones.“97 Design ist als zukunftsorientierte Optimierung von Ist-Zuständen daher nicht mehr unmittelbar objektgebunden. Brandes deutet es daher als eine vermittelnde, integrative Kompetenz, „die die Vermittlung von Zwei- und Dreidimensionalität, von Realität und Virtualität, von Textur und Struktur, innen und außen, Ding, Sprache und Zeichen, von Herstellung und Gebrauch gewährleistet.“98
22 Dabei betont die Design- und Kulturwissenschaftlerin Claudia
Mareis, dass Design nicht per se als naturgegebene Kompetenz verstanden werden kann. Vielmehr ist die gestalterische Tätigkeit eine Kulturpraxis, die erlernt, weiterentwickelt und weitergegeben wird und dadurch auch je nach Kulturraum und Historie andere Formen annimmt.99 Sie entwickelt sich in Abhängigkeit gesellschaftlicher Bedürfnisse und Normen und hat dadurch, wie auch das Konstrukt Geschlecht, einen kontingenten Charakter. In Bezug auf den thematischen Schwerpunkt der vorliegenden Studie sei dies hervorgehoben, weil es als Grundprämisse eine stetige, kritische Reflexion der gestalterischen Werte im Kontext gesellschaftlicher Diskurse fordert und dabei zur Identifikation und Emanzipation von Missständen anregt. Dabei schwingt unweigerlich auch die politische Dimension des Designs mit. Während wir als demokratische Gesellschaft der Frage nachgehen, in welcher Welt wir leben wollen, beschäftigt uns Designer*innen gleichwohl die Frage, wie wir sie gestalten können. Dabei kommt uns eine verantwortungsvolle Rolle zu, weil wir mit der Gestaltung von Produkten und Systemen auch immer eine Nutzart, einen Geltungsbereich, eine Nutzer*innen-Gruppe definieren. Selbst das Nicht-Designen ist ein politischer Akt.100 Wenn eine bestimmte Nutzer*innen-Gruppe bewusst oder unbewusst keine gestalterische Beachtung erfährt, entsteht auch dadurch eine klare Aussage. Folglich ist die Frage nach gutem Design schließlich eine Frage nach kulturellen und politischen Maßstäben und daher nur unter Berücksichtigung dieser zu beantworten. Der Designtheoretiker Friedrich von Borries schlägt hierfür die Unterscheidung zwischen entwerfendem und unterwerfendem Design vor.101 Als analytisches Werkzeug bietet dies eine geeignete Grundlage, um im Folgenden Gestaltetes in Hinblick auf Gendersensibilität zu untersuchen.
96 Vgl. Mareis 2016: 42 97 Simon 1996: 111, zitiert nach Mareis 2016: 42 98 Brandes 2000: 177 99 Vgl. Mareis 2016: 43 100 Vgl. Koop 2020: 12:00–12:20 101 Vgl. Von Borries 2017: 9
3.
1.
1. Vom entwerfendem und unterwerfendem Design Von Borries plädiert in seiner politischen Designtheorie für eine Neubelegung der Maßstäbe guten Designs. In Bezug auf Dieter Rams „Zehn Thesen zum Design“102 kritisiert er den unpolitischen Fokus auf ästhetische, funktionalistische und ökonomische Bewertungskriterien und schlägt in Bezug auf Bruno Latours Überlegungen zur Designethik103 stattdessen politische und ethische Maxime zur Bewertung guten oder schlechten Designs vor.104 Als Parameter führt er dafür entwerfend (gut) und unterwerfend (schlecht) ein. „Design schafft Freiheit, Design ermöglicht Handlungen, die zuvor nicht möglich oder nicht denkbar waren. Indem es dies tut, begrenzt es aber auch den Möglichkeitsraum, weil es neue Bedingungen schafft. Alles, was gestaltet ist, entwirft und unterwirft. […] Diese dem Design
23
inhärente Dichotomie ist nicht nur eine gestalterische, sondern eine politische. Sie bedingt Freiheit und Unfreiheit, Macht und Ohnmacht, Unterdrückung und Widerstand. Sie ist das politische Wesen von Design.“105 Entwerfendes Design erweitert also den Möglichkeitsraum und ist im Gegensatz zu unterwerfendem Design ein ermächtigender, emanzipatorischer Akt.106 Als symbolisches Beispiel verweist Von Borries hierfür auf einen alltäglichen Salzstreuer. Das vermeintlich unpolitische Objekt befreit uns von den Vorgaben der Kochenden, indem es uns ermöglicht, Essen den individuellen Vorlieben entsprechend zu salzen.107 Jedoch zeigt das Beispiel auch, dass die Grenzen zwischen entwerfendem und unterwerfendem Design fließend sind. So bedingt der Salzstreuer nämlich durch Größe und Anzahl der Löcher, wie schnell wir salzen und grenzt uns zudem von anderen Kulturen ab, die zum Salzen ein offenes Schälchen, dessen sich mit den Fingern bedient wird, nutzen. Hier wird außerdem deutlich, dass der ent- oder unterwerfende Charakter von Gestaltung kontextabhängig ist.108 Der Stuhl „Sedia 1“ kann an sich als Paradebeispiel entwerfender, guter Gestaltung betrachtet werden. Die Idee des 1974 von Enzo Mari entworfenen Designklassikers ist, dass Nutzer*innen das Material im Einzelhandel kaufen und den Stuhl nach Anleitung Maris selber bauen. Das symbolische Designhonorar betrug lediglich einen Dollar.109 Das Objekt ist damit ein preiswertes und gutes Möbel, das zudem im Sinne 03 Individualisierter Sedia 1 Stuhl
offener Gestaltung an individuelle Bedürfnisse angepasst werden
102 „Gutes Design ist innovativ. […] Gutes Design macht ein Produkt brauchbar. […] Gutes Design ist ästhetisch. […] Gutes Design macht ein Produkt verständlich. […] Gutes Design ist unaufdringlich. […] Gutes Design ist ehrlich. […] Gutes Design ist langlebig. […] Gutes Design ist konsequent bis ins letzte Detail. […] Gutes Design ist umweltfreundlich. […] Gutes Design ist so wenig Design wie möglich.“ Rams 2009 [ca. 1987]: 584ff. 103 Latour 2010: 24, zitiert nach Von Borries 2017: 36 104 Vgl. Von Borries 2017: 37 105 Vgl. ebd.: 9f 106 Vgl. ebd.: 11 107 Vgl. ebd.: 10 108 Vgl. ebd.: 28 109 Vgl. ebd.: 29
kann. Anfang des 21. Jahrhunderts wurden die Lizenzrechte des Stuhls jedoch von der Möbelfirma Artek gekauft und das SelbstbauSet von da an für 261 EUR verkauft. Aus dem sozialen Projekt wurde so ein unterwerfendes Design, das der kapitalistischen Logik zum Opfer gefallen ist und in geschlossener Form nur noch einer sehr wohlhabenden Schicht zugänglich ist. Unterwerfendes Design festigt bestehende Macht- und Ordnungsverhältnisse110, während entwerfendes Design auf subversive Weise zur positiven Weiterentwicklung der Gesellschaft bei-
04 Der Sedia 1 Stuhl als Teil des Cucula Projekts von Geflüchteten in Berlin gefertigt. Das Designobjekt erfährt durch die Verwendung von Treibholz eine kritische Dimension und gibt den Geflüchteten zugleich die Möglichkeit, sich selbst die finanzielle Grundlagen für einen Neuanfang in Europa zu schaffen.
tragen kann.111 Im Hinblick auf die in Kapitel zwei angeführten Ungleichheiten und Unterdrückungsmechanismen benötigt eine Gesellschaft, in der Chancengleichheit währen soll, also eine entwerfende Gestaltungshaltung. „Die Autoren [sic!] und Akteure [sic!] eines entwerfenden Designs versuchen, […] Alternativen zum gesellschaftlichen Status quo aufzuzeigen und eine bessere Gesellschaft zu erschaffen, in der die Beziehungen der Menschen untereinander und zu ihrer Umwelt neu organisiert sind.“
3.
112
2. Gender affairs: Design als unterwer fende Geste – exemplarische Beispiele Im Folgenden wird in einer exemplarischen Untersuchung gestalteter Objekte, Räume und Systeme die Vielfalt unterwerfender, also unterdrückender, exkludierender und heteronormativer Muster im Design aufgezeigt. Unterwerfendes Design wird dafür metaphorisch als erkrankt bezeichnet und in Hinblick auf Pathologie, Betroffene Organe und Diagnose dekonstruiert. Pathologien sind in dieser Logik die „krankhaften Vorgänge und 113
Zustände“ , also die in Kapitel 2 in Bezug auf gender equality und Chancengleichheit identifizierten, schädlichen Motive, wie beispielsweise Androzentrismus oder doing gender. Als betroffene Organe werden die gestalterischen Ebenen, beispielsweise Ergonomie oder Ästhetik, auf denen die Pathologien greifen, verstanden. Die Diagnose stellt gestalterische Meta-Motive, wie beispielsweise genderspezifisches Design oder universelles Design dar.
110 Vgl. ebd.: 21 111 Vgl. ebd.: 25 112 Ebd. 113 „Pathologie“, 2020
24
Die letztlich folgenden, spezifischen Auswirkungen des kranken Designs auf Nutzer*innen, bzw. die Gesellschaft, werden symptomatisch beschrieben. Manche dieser Auswirkungen sind dabei eindeutig, indem beispielsweise unterschiedliche ergonomische Bedürfnisse schlichtweg ignoriert werden. Andere wirken eher verborgen, dabei aber umso weitreichender, weil sie eine binäre, heteronormative Matrix festigen und damit ein System der Chancenungleichheit stützen.
25
26
05-06 Produkt- und Verpackungsdesign-Beispiele aus der Lego Technik und Lego Friends Serie. Während beim Schaufelbagger Performance und Kontrolle beworben werden, verspricht das Rettungsschiff Abenteuer mit einhörnrigen Unterwasserwesen.
LEGO (Friends) LEGO entstand ursprünglich als relativ geschlechtsneutrales
gestalterische Disziplin UX Design
Industriedesign
Kommunikationsdesign
Spielzeug, das nachweislich Kreativität, räumliche Vorstellungskraft und mathematisches Verständnis fördert.114 In den letzten Jahrzehnten wurden Mädchen* dabei jedoch zunehmend aus der Zielgruppe verdrängt. Besonders deutlich wird dies mit dem 2012
Pathologien
eingeführten und bis heute verkauften LEGO Friends. Während bei
doing gender
Heteronormativität
gender-Stereotypen
LEGO Technic oder LEGO City das kreative Bauen und Imaginieren, bzw. Feuer löschen oder Schurken jagen beworben wird, offenbart sich LEGO Friends als pastellfarbeneres Universum klischeehafter Freizeitaktivitäten für Mädchen*. Das kreative Gestalten wurde kurzerhand gegen das Nachspielen vermeintlich femininer
betroffene Organe Farbe
Konzept
Marketing
Ästhetik
Tätigkeiten wie Cupcakes-Backen oder Haare-Schneiden ersetzt. Dafür wurden sogar neue Figuren eingeführt, die jedoch nicht für gendersensible Diversität sorgen, sondern mit einer idealisierten und sexualisierten Figur nach dem Schema lange dünne Beine,
Diagnose genderspezifisches Design 27
Minirock sexistische Rollenbilder produzieren. Erschreckend ist dabei, dass LEGO angeblich vier Jahre und mehrere Millionen Euro in die Entwicklung investiert hat. „We focused on creating a play experience centered on the joy of creation, while heeding the way girls naturally build and play.“115 Der Bezug auf ein vermeintlich natürliches Spielverhalten von Mädchen* ist hierbei besonders fatal, weil dieses wie in Kapitel 3 gezeigt nicht bloß trügerisch ist, sondern geschlechtliche Stereotypen und patriarchale Strukturen so bereits im Entwicklungsalter statisch festigt. Vervollständigt wird das Bild neben der Ausrichtung auf stereotypisch männliche* Spiel-Szenarien durch ein Gesamt-Marketing, das mit Ausnahme von LEGO Friends, ausschließlich Jungs* und Männer* adressiert. Auf eine weiblich*-identifizierte Figur folgten 2012 18 männlich*identifizierte Figuren.116 Zwar erreichen neu eingeführte Sets mittlerweile eine Quote weiblich*-identifizierter Charaktere von knapp 40%, im gesamten LEGO Universum sind Figuren abseits männlich*-normativer gender jedoch deutlich unterrepräsentiert.117 Neben sexistischen gender-Stereotypen und dem stringent heteronormativen doing gender ist LEGO damit auch ein extremes Beispiel androzentristischer Muster im Design, das sich immer noch eines großen Absatzmarktes erfreut.
07 Das Cockpit eines Militärhubschraubers mit dem TSAS als Gürtel-Wearable.
28
Sicherheitsausrüstung Tactile Situation Awareness System (TSAS)
gestalterische Disziplin Industriedesign
Das TSAS ist ein für Air-Force-Pilot*innen entwickeltes Wearable, Ingenieurwesen
das mit 32 Vibrationsaktuatoren gezielt bei der Positionskorrektur assistiert. Nach Studienangaben hätten damit 24% der Unfälle in der Armeeluftfahrt (Class A) verhindert werden können.118 Weitere Untersuchungen zeigen, dass Vibrationen gut auf haariger, knochi-
Pathologien
ger Haut, schlechter hingegen an weichen, fleischigen Körperstel-
Androzentrismus
len wahrgenommen werden kann.119 Daten über die offensichtlich geringere Wirksamkeit an weiblichen* Körpern werden jedoch
generischer Maskulin
ignoriert. Die Geschlechterdifferenz im Militär zeigt sich hier mit tödlichem Risiko. Ein klassisches Beispiel androzentristischer
betroffene Organe Form
Konstruktion
Entwicklung von Sicherheitsausrüstung. Von Männern* (Das „Schlüsselpersonal“ des Entwicklers ist ausschließlich männlich* und weiß120) für Männer*.
Diagnose androzentrisches Design
08 In dieser Sammlung von Crashtest-Dummys folgt auf diverse männlich*-orientierte Dummys ein weiblich*-orientiertes Modell.
29
Crashtest-Dummys
gestalterische Disziplin Industriedesign
Frauen* werden bei Autounfällen mit 47% höherer WahrscheinIngenieurwesen
lichkeit als Männer* schwer verletzt.121 Das ist unter anderem auf eine von der Norm abweichende Sitzposition zurückzuführen. Diese Norm fußt auf Befunde aus Crashtests, bei denen größtenteils Dummys verwendet werden, die dem generischen Maskulin entsprechen.122 2018 musste bei keinem EU-Zulassungstest
Pathologien Androzentrismus
ein anthropometrisch korrekter weiblicher* Dummy eingesetzt
generischer Maskulin
dem Beifahrersitz getestet.123 Verbrauchertests verwenden trotz
werden. Diese werden mittlerweile zwar verlangt, jedoch nur auf körperbaulicher Unterschiede häufig kleine männliche* Dummys
betroffene Organe Funktion
Konstruktion
Diagnose genderneutrales Design
als weibliche* Repräsentanz.124 Frauen* gelten bei Crashtests also als zu vernachlässigende Abweichung der männlichen* Norm.
09-10 Stereotypische Moodbilder aus dem Werbematerial der Gillette / Venus Rasierer
30
Nassrasierer Gillette/Venus
gestalterische Disziplin
Nassrasierer wurden ursprünglich für Männer* entworfen. Als in
Industriedesign
den 1990er Jahren Frauen* zunehmend anfingen, Beine und Ach-
Kommunikationsdesign
sanfte Ästhetik und phantasievolle Rhetorik von den funktionalen
seln zu rasieren, kamen neue Modelle auf den Markt, die sich durch Ursprüngen entfernten.125 Um einen neuen Markt zu erschließen
Pathologien
und die maskuline* Aura zu wahren, wurde das männlich* konno-
doing gender
Heteronormativität
gender-Stereotypen
tierte Modell dem gender swapping unterzogen und als abweichende Variante der Norm gegensätzlich vergeschlechtlicht.126 So verkörpern Rasierer gesellschaftlich verbreitete Indikatoren heteronormativer und binärer Geschlechterrollen, dessen Integri-
betroffene Organe Form
Materialität
Farbe
Ästhetik
tät durch Marketing und Gestaltung proaktiv verteidigt wird. Marketing Konstruktion
Diagnose genderspezifisches Design
11 Typisches Schraubglas, häufig verwendet für Marmeladen o.ä.
31
Schraubgläser (Mason Jar)
gestalterische Disziplin
Schraubgläser zeigen als alltägliches Beispiel, dass auch das Unterlassen von Design unterwerfend, bzw. sexistisch sein kann.
Industriedesign
Seit der Patentierung vor über 150 Jahren127 sorgen festsitzende Schraubdeckel für Probleme beim Öffnen. Dabei ist auch diese Situation von geschlechtlicher Relevanz, da Männer* durchschnittlich eine 50% höhere Oberkörperkraft128 und damit auch
Pathologien Androzentrismus
doing gender
seltener Schwierigkeiten haben, als Frauen*. Wäre die Design- und Ingenieurs-Geschichte nicht von Männern* geprägt, ist davon auszugehen, dass die schlechte Usability längst zu nutzer*innenfreundlicheren Redesigns geführt hätte. Tatsächlich wiederholen
betroffene Organe Form
Funktion
Diagnose androzentrisches Design
Schraubgläser jedoch bis heute das Narrativ eines starken und Konstruktion
eines schwachen Geschlechts.
2.70
15.3
12.7
5.05
13.9
2.70
14.2
12.7
4.20
2.70
3.95
12 Dimensionen einer Standard-Klaviatur
15.0 [mm]
100
45
32
23.6
23.6
23.6
23.6
23.6
23.6
23.6
Klaviatur
gestalterische Disziplin Industriedesign
Die Oktave einer Standardklaviatur ist 18,8cm breit und damit für Ingenieurwesen
einen durchschnittlichen Pianisten gut spielbar. Menschen mit abweichender, verhältnismäßig kleiner Handspannweite haben es dabei deutlich schwerer.129 Die durchschnittliche Handspannweite einer Frau* beispielsweise beträgt 17,8–20,3cm. Eine Studie
Pathologien
zum Zusammenhang zwischen Handspannweite und Grad der
Androzentrismus
Berühmtheit ergab, dass die Handspannweiten der zwölf inter-
generischer Maskulin
betragen.130 Die Standardklaviatur benachteiligt demzufolge 87%
national berühmtesten Pianist*innen alle mindestens 22,3cm der erwachsenen Pianistinnen.131
betroffene Organe Form
Konstruktion
Es zeigt sich, dass die Gestaltung vermeintlich geschlechtsneutraler Produkte häufig dem Prinzip „eine Männergroße für alle Menschen“132 folgt und damit alle benachteiligt, die von dieser Norm abweichen.
Diagnose androzentrisches Design genderneutrales Design
13 Frühe Entwürfe eines ‚Herrenrads‘, 1893.
33
Fahrräder
gestalterische Disziplin Industriedesign
Das Fahrrad wurde im 19. Jhd. entworfen, um den Aktionsradius Ingenieurwesen
adeliger Männer* zu erweitern.133 Die rautenförmigen Diamantrahmen erschwerten es Frauen*, die dem Sittenkodex nach Kleider tragen sollten, an der Innovation teilzuhaben.134 Spätere Damen-Fahrräder, die als Abwandlungen des Normfahrrads auf
Pathologien
das horizontale Oberrohr verzichteten, waren in der Performance
Androzentrismus
doing gender
generischer Maskulin
immer unterlegen.135 Im zeitlichen Verlauf symbolisiert das Fahrrad die Bedeutungsverlagerung von der sozialen Ordnungskategorie Klasse zu Geschlecht. Es zeigt, wie durch Gestaltungen soziale Gruppen intersektional von der Nutzung eines Produkte exkludiert
betroffene Organe Konstruktion Ästhetik
werden können. Noch heute werden unterschiedliche RahmenFarbe
Funktion
Diagnose genderspezifisches Design androzentrisches Design
Form
typen als „Herren- oder Damenrad“, anstatt sinnvoller als sportlich oder komfortabel bezeichnet.
14 Apartment nach einem Entwurf von Le Corbusier: Unité d’Habitation, 1925.
34
Wohnraumgestaltung (Architektur)
gestalterische Disziplin Architektur
Das Feld der Architektur ist strukturell von gender-Pathologien
Innenarchitektur
durchzogen. „The heterosexual matrix is a precondition for how we understand our built environment.“136 Deutlich wird dies unter anderem an typischen Wohnraumgestaltungen. Das Schlafzimmer ist seit dem Boudoir, dem ersten heimischen Raum, exklusiv für
Pathologien
Frauen, mit Sexualität, Privatheit und Weiblichkeit* konnotiert. Die
Androzentrismus
doing gender
strikte räumliche Trennung von Wohn- und Arbeitszimmer, die mit Rationalität, Logik und Männlichkeit* assoziiert werden, evoziert stereotypische Geschlechterrollen. Die Räumliche Segregation stabilisiert die Geschlechtersegregation. Ein weiteres, gestalte-
betroffene Organe Funktion
Konzept
Konstruktion Diagnose genderspezifisches Design androzentrisches Design
risch zu kritisierendes Beispiel ist die Frankfurter Küche, die nach moderner Rationalität die ‚Hausfrau‘ räumlich isoliert und damit Zeugnis von patriarchalen Hierarchien ablegt.137
15 Die Sprachassistenz „Siri“ von Apple
35
Sprachassistenz/Spracherkennung Apple, Google, Amazon, etc.
gestalterische Disziplin System Design
Sprachassistenz- und Spracherkennungssoftware (VA) finden
UX Design
Kommunikationsdesign
sowohl in professionellen Bereichen wie der Medizin, als auch auf dem privaten Smartphone oder im Auto zunehmend Verwendung.138 Dabei fällt auf, dass die Algorithmen tiefe Stimmen deutlich besser erkennen und Menschen mit hoher Stimme oft nicht korrekt verstehen,139 obwohl die Verständlichkeit weiblicher*
Pathologien Androzentrismus
doing gender
generischer Maskulin
Sprache signifikant höher ist.140 Der Grund dafür lässt sich im gender data gap verorten.141 Demzufolge sind Frauen* in den AI schulenden Datenbanken (Korpora) deutlich unterrepräsentiert. TIMIT, ein häufig verwendeter Korpora, beinhaltete zu 69% männliche* Stimmen.142 Darüber hinaus haben die meisten VA
betroffene Organe Data
Ton
Funktion
Algorithmus Diagnose genderneutrales Design
standardmäßig eine weibliche* Stimme und bestärken damit binäre, heteronormative Geschlechterhierarchien.143 Zudem benachteiligen sie systematisch Menschen mit hoher Stimme.
16 Werbematerial von Makita Deutschland. Die zweckfremde Arbeitssituation des Bildes unterstreicht den oberflächlichen Charakter der Produktvariante.
36
Schlagbohrschrauber HP331DSAP1 Makita
gestalterische Disziplin
Die Werkzeugmarke Makita hat 2018 eine Neuauflage des bewährten 12V Akkuschraubers eingeführt und richtet sich damit unter
Industriedesign
dem Motto „#Smart. #Kompakt. #Pink.“144 dem Werbematerial zufolge explizit an Frauen*. Dabei wurde jedoch beispielsweise die Ergonomie nicht auf Grundlage anthropometrischer Daten
Pathologien
angepasst, um das Produkt für Menschen mit kleinen Händen zu
doing gender
gender-Stereotypen
verbessern. Die Normvariante wurde stattdessen lediglich stereotypisch gepinkt ohne sie konstruktiv zu verändern. Das Gerät ist ein weiteres tristes Beispiel sexistischer Produktvermarktung, dass auf stereotypischen gender codes beruht und die Geschlechterdif-
betroffene Organe Farbe
Ästhetik
ferenz in einer ohnehin stark heteronormativen Branche verstärkt. Marketing
Diagnose genderspezifisches Design
17 Nachträglich als ‚Unisex‘ gelabelte Toiletten. Die Urinale sind weiterhin nur Menschen mit entsprechenden körperlichen merkmalen zugänglich.
37
(Unisex) Toiletten
Die Grundfläche geschlechtsspezifischer Toiletten steht vorgestalterische Disziplin Architektur
Innenarchitektur
System Design
schriftlich im Verhältnis 50:50.145 Da Urinale eine geringere Fläche benötigen, können ‚Herrentoiletten‘ von mehr Personen pro Qm genutzt werden. Zudem benötigen Frauen* für den Toilettengang statistisch gesehen 2,3 mal länger146, müssen häufiger auf die Toilette (Schwangerschaft, Periode)147 und stellen die Mehrheit
Pathologien
Älterer und Menschen mit Behinderung, bzw. werden häufiger von
Androzentrismus
jenen oder Kindern begleitet.148 Das gleiche Verhältnis ist demnach nicht gleichberechtigend. Als Zeichen der gender equality werden öffentliche Toiletten zunehmend als Unisex ausgewiesen. Da ein Großteil der Menschen aufgrund körperlicher Merkmale Urinale
betroffene Organe Funktion
Konzept
Konstruktion Diagnose androzentrisches Design genderneutrales Design
schlecht nutzen können, stehen sie weiterhin länger an, um sich zu erleichtern. Unisex Toiletten wirken damit gegen Diskriminierung nicht-binärer gender, nicht jedoch für geschlechtliche Gleichberechtigung.
18 Winterdienst in Stockholm
38
Winterdienst (Mobilitätsplanung)
gestalterische Disziplin System Design
Bei der Schneeräumung werden üblicherweise zuerst die Hauptverkehrsadern und zuletzt die Geh- und Radwege geräumt.149 Frauen* und Männer* sind davon ungleich betroffen, weil sie statistisch verschiedene Mobilitätsverhalten haben. Bei Haushalten mit einem Auto haben Männer* meistens den Vorrang und
Pathologien
legen damit einfache Arbeitswege (stadteinwärts, stadtauswärts)
Androzentrismus
zurück.150 Frauen* haben durch Care-Arbeiten hingegen 39%151 mehr gestückelte, kompliziertere Wege, die zu Fuß, mit Kinderwagen oder Fahrrad zurückgelegt werden.152 Damit lässt sich Schnee deutlich schwerer durchqueren als mit dem Auto. Das Beispiel
betroffene Organe Funktion
Konzept
zeigt, wie komplex und strukturell Sexismus in einer Stadtplanung verankert ist, die hauptsächlich aus männlicher* Perspektive entsteht. Nicht gendersensible Stadtplanung macht aus öffentlichen Räumen Räume für Männer*.153
Diagnose androzentrisches Design
39
114 Vgl. Lenz 2014 115 The LEGO Group 2011 116 Vgl. Feminist Frequency 2012 117 Vgl. ramblingbrick 2017 118 Vgl. Kelley et al. 2014: 1 119 Vgl. Myles, Binseel 2007: 4 120 Vgl. EAI Engineering Acoustics, Inc. o.J. 121 Vgl. Shaver 2012 122 Vgl. Perez 2020: 254 123 Vgl. ebd.: 255 124 Vgl. ebd. 125 Vgl. ZFBT 2006: 13 126 Vgl. ebd.; Vgl. Haslinger 2004: 72 127 Vgl. „Mason Jar“, 2020 128 Vgl. Perez 2020: 174 129 Vgl. Perez 2020: 217 130 Vgl. Boyle et al. 2015: 61 131 Vgl. ebd. 132 Perez 2020: 217 133 Vgl. „Geschichte des Fahrrads“, 2020; Vgl. Haslinger 2004: 53 134 Vgl. Haslinger 2004: 54 135 Vgl. Hochmuth 1991: 80ff 136 Bonnevier 2005: 167 137 Vgl. „Frankfurter Küche“, 2020 138 Vgl. Tractica, zitiert nach de.statista.com, 2016 139 Vgl. Perez 2020: 224 140 Vgl. Kwon 2010: 73 141 Vgl. ebd.: 225 142 Vgl. ebd.: 226 143 Vgl. HfG-Archiv 2020: 92 144 Makita Deutschland 2018 145 Vgl. Perez 2020: 75 146 Vgl. Banks 1991: 273 147 Vgl. Perez 2020: 76 148 Vgl. Greed 2014: 2 149 Vgl. Perez 2020: 51 150 Vgl. Goldmark 2012 151 Die Zahl bezieht sich auf eine in London durchgeführte Studie. Weitere Untersuchen ergeben je nach Kriterien bis zu 54% mehr miteinander verknüpfte Wegstrecken für Berufstätige Frauen. Vgl. Perez 2020: 52 152 Vgl. ebd. 153 Vgl. Perez 2020: 98
3.
3. Unterwerfende Gestaltungsmuster Die Liste unterwerfender Gestaltung lässt sich endlos weiterführen und mäandriert zwischen Konventionellem, das wir aktuell mühsam überkommen, und Neuem, das die Hoffnung auf eine geschlechtergerechte Zukunft regelmäßig dämpft. In der Untersuchung treten vor allem Androzentrismus und doing gender als allgegenwärtige Wirkmechanismen der heteronormativen Matrix auf. Diese erscheinen in der Regel als korrelate Pathologien innerhalb eines gendered objects. Anhand der Offenbach Theory of Product Language nach Jochen Gros und Richard Fischer (1976) lassen sich die Wirkungsansätze jedoch auf unterschiedlichen Ebenen lokalisieren und so spezifisch analysieren.
User
praktische Funktionen
Funktionen
Produkt
Produksprache
semantische Funktionen
formal-ästhetische Funktionen
indikative Funktionen
symbolische Funktionen
19 Konzeptuelle Darstellung der Offenbach theory of product language (Gros, 1976)
Gros/Fischer unterscheiden bei der Produkt-Nutzer*in-Beziehung zwischen praktischen Funktionen und formalen, kommunikativen Aspekten, die sie als Produktsprache bezeichnen.154 Diese setzt sich aus formal-ästhetischen Funktionen (z.B. Farbe, Form, Material), und semantischen Funktionen zusammen. Letztere sind wiederum in indikative Funktionen (z.B. Grafiken, Bedienelemente) und symbolische Funktionen (z.B. Metaphern, Anspielungen) unterteilt. Mehrere Kritiken weisen hierzu darauf hin, dass bei strikter Trennung das Risiko besteht, Zusammenhänge zwischen formalen und semantischen Funktionen zu übersehen.155 Daher wird die Produktsprache hier als zusammenhängender Komplex betrachtet. Auf der Ebene der praktischen Funktion wird bei diversen Gestaltungen, ganz gleich ob systemischer oder ästhetischer Art, deutlich, dass die Perspektive eine androzentrische ist, die bewusst oder unbewusst den generischen Maskulin als Maßstab annimmt. Ob bei Crashtest-Dummys, Werkzeugen oder Sprachassistenzsystemen - überall zeigen sich diskriminierende Muster, die von der männlichen* Norm abweichende Nutzer*innen benachteiligen. Für all jene wirkt sich Androzentrismus also negativ auf Funktion und Usability aus. Schlagbohrschrauber mit überdimensionierten Griff-Proportionen oder Crashtest-Dummys, die den Körperbau nicht korrekt widerspiegeln, sind aus der Perspektive nicht berücksichtigter Gruppen schlechte Designs. Neben Menschen aller gender sind Frauen* davon besonders betroffen156, weil die Benachteiligung neben der anthropometrischen Dimension auch auf gesellschaftlichen Rollenbildern und Stereotypen
154 Vgl. Steffen 2010: 87 155 Vgl. Ehrnberger, Räsänen, Ilstedt 2012: 3 156 Vgl. Perez 2020: 230
40
fußt. Diese beeinflussen Design und werden wechselseitig von Design beeinflusst. In der Produktsprache findet doing gender als Prozess der kontinuierlichen Herstellung von gender, der These von West/Zimmermann (↖ 2.2.) folgend, auch im (und mit dem) Designprozess statt. Designer*innen schreiben die eigenen Erfahrungen, das eigene doing gender konsequenterweise in die entworfenen Produkte ein und beeinflussen damit Objekt-Mensch Beziehungen.157 Als gendered object wird Design auch selbst zum Gegenstand von doing gender. Wie die Beispiele von LEGO Friends und Gillette/Venus zeigen, existiert auch im Design eine normierte Vorstellung von männlich* und weiblich*. Dabei gibt es tatsächlich kein per se männliches* oder weibliches* Design.158 „Eine solche Zweiteilung ist höchst gefährlich. Das klingt nach Naturalisierung. Gestaltung ist aber nichts Natürliches, sondern eine Konstruktion.“159 Dennoch wird die binäre Konnotation besonders durch gestalterisch differenzierte und stereotypisch vermarktet „Produkte für Männer“ und „Produkte für Frauen“ aufrechterhalten. Dies betrifft nicht nur das wie oben gezeigte, oft benachteiligte weibliche* Geschlecht, sondern besonders alle Menschen, die durch das Raster der binären Matrix fallen, bzw. die sich dieser nicht unterordnen wollen. Die (Re-)Produktion heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit kann in Anlehnung an West/Zimmerman als doing gender im Design bezeichnet werden.160 Geschlechtlich konnotierte Zeichen, die eine geschlechterspezifische Semantik evozieren, werden als gender codes zusammengefasst.161
41
3.
3.
1. Gender codes Die Zuschreibung von Bedeutung, die aus dem gestalteten Objekt ein gendered object macht, erfolgt maßgeblich durch Codes. Diese sind im Kontext von gender mit einer dualen Gegensätzlichkeit konstruiert162 und wirken nach dem “Principle of separation”163. Gängige Merkmale sind Größe, Form und Farbe.164 Darüber hinaus sind Material, Haptik, Geruch, Geschmack, Klang, Rhetorik, etc. ebenfalls oft geschlechtlich konnotierte Merkmale. Sie lösen bei uns Reize aus, die in Sekundenschnelle verarbeitet werden und basierend auf unserem Erfahrungswissen zu Urteilen über das vorliegende Objekt führen.165 „Ist ein Werkzeug handlich? Ist ein Stuhl bequem? Ist ein Automobil sportlich oder stadttauglich? Ist etwas »nicht mein Ding«?“166 Anhand dieser Reaktion wird deutlich, dass wir Gestaltetes nicht nur objektiv bewerten, sondern auch mit unserer Identität abgleichen. Als Teil dieser spielt gender eine erhebliche Rolle. Da es sich hierbei um eine kulturelle Konstruktion handelt (↖ 2.2.), ergibt sich für gender codes auch ein kontingenter Charakter, der dem zeitlichen und kulturellem Wandel unterliegt.167
157 Vgl. Kirkham 1996: 2, zitiert nach Haslinger 2004: 36 158 Vgl. Schubiger 2004: 21 159 Schubiger 2004: 21 160 Vgl. Haslinger 2004: 36 161 Vgl. Haslinger 2004: 23 162 Vgl. Haslinger 2004: 24 163 Ehrnberger et al. 2012: 5 164 Vgl. Kirkham 1991: 4 165 Vgl. HfG-Archiv et al. 2020: 135 166 Ebd. 167 Vgl. Ebd.
Nach Ehrnberger/Räsänen/Ilstedt sind zeitgenössische Produkte für weibliche* Zielgruppen charakterisiert durch organische Formen, helle Farben (bevorzugt Rosa) und sanfte, geordnete Erscheinungsbilder. Produkte, die auf männliche* Nutzer abzielen, sind von komplexen, kantigen Formen und dunklen, kontrastreichen Farben geprägt. Während dekorative Elemente bei ersterer Produktgruppe emotionaler Art sind (Herzen, Blumen, etc.), steht bei letzterer die Performance im Fokus und wird durch maschinelle Dekore hervorgehoben.168 In diesem Zusammenhang fällt auf, dass Produkte, die für alle sind, also keine explizite Genderspezifikation aufweisen, tendenziell der maskulinen Produktsprache folgen.169 Am Beispiel der Farbe wird deutlich, dass gender codes artifiziellen Ursprungs sind. Im 19. Jhd. existierten keine codierten Farben für Kinder, stattdessen war Kleidung meistens weiß, weil dies leichter zu reinigen war.170 In den 1920er Jahren fingen US-Amerikanische Warenhäuser an, Kinderkleidung geschlechtlich zu differenzieren, um höhere Verkaufszahlen zu erzielen. Rosa wurde als Farbe für Jungs*, Blau als Farbe für Mädchen* festgelegt.171 Erst in den 40ern wurde diese Zuweisung aufgrund marktwirtschaftlicher Analysen umgekehrt und ist seitdem tief in das assoziative Geschlechterverständnis der Gesellschaft eingeschrieben.172 Gender codes sind also zeit- und kulturgebundene Zuschreibungen und auch entgegen gesellschaftlicher Entwicklungen meist binärer Art.173 Zu betonen ist dabei, dass nicht jedes Gestaltungsmerkmal immer einer eindeutigen geschlechtlichen Codierung unterliegt. Eine Form kann auch zwischen der genderDichotomie liegen, eine Farbe kann uns neutral erscheinen oder eine ambivalente Zuordnung auslösen. Bei der Anwendung von gender codes wird oft auf das sog. gender swapping zurückgegriffen. Darunter wird die Umkehr (stereotypischer) gender codes bezeichnet, um eine neue Zielgruppe anzusprechen. Historisch betrachtet wurden und werden viele Designs auf ein binäres gender ausgerichtet. Wie im Beispiel der Nassrasierer ist auffällig, dass Produkte häufiger und häufiger zuerst für Nutzer entworfen und dann durch gender swapping als Alternative für Nutzerinnen weiterentwickelt und explizit gekennzeichnet werden.174Umgangssprachlich 20 Die Künstlering JeongMee Yoon treibt bei ihrer Arbeit die Darstellung von gender codes ins Extrem.
168 Vgl. Ehrnberger et al. 2012: 5 169 Vgl. ebd. 170 Vgl. Pater 2016: 80f 171 Vgl. ebd. 172 Vgl. Maglaty 2011 173 Vgl. Haslinger 2004: 24 174 Vgl. ZFBT 2006: 13
42
wird dieser Vorgang auch als pinking and shrinking bezeichnet. Die Formulierung ist insofern provokativ, als dass sie suggeriert, die Anpassung für in diesem Fall weibliche* Zielgruppen laufe nach einem banalen, universalen Prinzip ab. Tatsächlich zeigt sich beim gender swapping durchaus häufig die Ignoranz für Nutzer*innenbedürfnisse.
3.
4. Ursachen unterwerfender Gestaltung Die Ursachen geschlechtlich unterwerfender Gestaltung sind vielfältig. In weiten Teilen spiegelt die Gestaltung jeweils herrschende gesellschaftliche Selbstverständnisse wieder und kann durch allgegenwärtige Strukturen beherrscht werden. Wie sich im folgenden Kapitel zum entwerfenden Design zeigen wird, ist dies jedoch keine notwendige Bedingung, vielmehr kann (und sollte) Design diese auch in Frage stellen. Dennoch ist die Tatsache, dass Design soziale Hierarchien und Machtverhältnisse beein-
43
flusst „[…] vornehmlich jenen Designer/innen und Designpädagog/innen bewusst, welche sich mit den Geschlechterverhältnissen aktiv befassen.“175 Im Umkehrschluss kennzeichnet dies, in Bezug auf die vorangegangenen Kapitel, die Gefahr, dass Designer*innen auch ihr persönliches, unbewusstes doing gender ins Design einfließen lassen.176 Gestalterische Perspektiven, die das Konstrukt Geschlecht nicht reflektiert betrachten, laufen Gefahr, dadurch zu unterwerfen statt zu entwerfen. „Sich dieser Instrumentalisierung und Banalisierung des Themas zu erwehren, ist gar nicht so leicht. Ich arbeite daran und dagegen.“177 Natürlich gibt es hingegen auch rational intentionierte, wissentlich reproduzierte Ursachen für die Gestaltung zweigeschlechtlich differenzierter Produkte. Im Folgenden werden darunter kapitalistisch motivierte Aspekte sowie pseudo-objektive Datengrundlagen thematisiert.
3.
4.
1. Identitätsgestaltung durch gender marketing Die wirtschaftlichen Beweggründe des gender marketings spielen bei der geschlechtlichen Differenzierung von Produkten eine maßgebliche Rolle. In Anbetracht des thematischen Umfangs seien diese hier nur verkürzt angeschnitten.Haslinger führt an, dass „Anderssein als die Konkurrenz“ ein grundlegendes Ziel des Marketings ist.178 Differenzierung und Abgrenzung durch Produkte sind sowohl für die Konkurrenz-
175 Haslinger 2004: 31 176 Vgl. HfG-Archiv et al. 2020: 135 177 Brandes 200: 184 178 Vgl. Haslinger 2004: 76
fähigkeit der Unternehmen, als auch die Identitätsbildung der Konsument*innen essentiel. Nach Kotler/Bliemel179 sind entsprechende Differenzierungselemente Produkt, Serviceleistung, Mitarbeiter*innen, Distribution und Identitätsgestaltung. Produkt und Identitätsgestaltung sind dabei jene, die Geschlecht als Differenzkategorie besonders instrumentalisieren180 und nach der Logik des Marktes ausschöpfen. In dieser Funktion wird gender für die Marktsegmentierung, die Produktgestaltung, die Zielgruppendefinition und die Kommunikation wirksam.181 Als illustrierendes Beispiel lassen sich hier die Nassrasierer von Gillette/Venus anführen. Besonders letztere grenzen sich durch explizit weiblich* konnotierte Produktsprache von der Konkurrenz ab und segmentieren den Markt dadurch. Beide werden zudem als Lifestyle-Produkt für das jeweilige Geschlecht beworben und nutzen gender auf diese Weise als Identifikationskategorie. Indem funktional gleichartige Produkte geschlechtlich differenziert werden, können zudem neue Absatzmärkte geschaffen werden.182 Gender marketing reproduziert binäre Geschlechterwahrnehmungen nicht nur, es trägt auch aktiv zur kollektiven Bildung solcher bei. Als Beispiel sei hier auf das Farbpaar Rosa/Blau verwiesen. Wie im vorherigen Kapitel angeführt, wurden diese Farben erst durch das systematische Marketing geschlechtlich codiert. Viele gender codes folgen tatsächlich der Dichotomie marktwirtschaftlicher Segmentierungsmechanismen.183 Im Ergebnis festigt das gender marketing in sich binäre, hierarchische Rollenbilder184 und strahlt diese auf das Produktdesign aus.
3.
4.
2. Vom gender data gap und pseudo-objektiven Daten Ein weiterer Ursprung geschlechtlich unterwerfenden Designs ist der gender data gap. Obwohl die UNO sich schon seit 2006 explizit mit der Abwesenheit von Frauen* in vielen statistischen Erhebungen beschäftigt, erfährt dieses Thema seit der Veröffentlichung „Invisible Woman“ von Caroline Criado-Perez 2019 eine neue Welle öffentlichen Diskurses.185 Der Begriff gender data gap (dt. Geschlechter-Datenlücke) bezeichnet den Zustand aktueller,
179 Kotler/Bliemel 1992: 459, zitiert nach Haslinger 2004: 76 180 Vgl. Haslinger 2004: 76 181 Vgl. ebd. 182 Vgl. Kotler 1992: 421f, zitiert nach Haslinger 2004: 65 183 Vgl. Haslinger 2004: 65 184 Vgl. DW Deutsch 2019 185 Vgl. „Gender Data Gap“, 2020
44
gesellschaftlich, wirtschaftlich und medizinisch relevanter Datenerhebungsverfahren, die meistens übermäßig viele männliche* Daten enthalten.186 Perez zufolge hat die geschlechtliche Datenlücke daher eine „dezidiert weibliche Form“187, weil Frauen* in vermeintlich repräsentativen Datensätzen entsprechend unterrepräsentiert sind. Darüber hinaus weist der gender data gap auch auf die fehlende Erhebung von Daten hin, das explizit Frauen* betreffen.188 Perez entwickelt in ihrer umfangreichen Recherche die These, dass die Erhebung von Daten in Bereichen größtenteils weiblicher* Betroffenheit, wie zum Beispiel der unbezahlten Care-Arbeit oder der sexueller Belästigung, bewusst unterdrückt wird, um weitreichende ökonomische und politische Konsequenzen zu unterbinden.189 Vielmals wird die Relevanz solcher Datensätze gar nicht erst gesehen, weil die Menschen in entscheidenen Positionen meist männlich* und dadurch nicht betroffen sind.190 Abgesehen davon sorgt der gender data gap auch bei der Entwicklung physischer und digitaler Produkte für geschlechtliche Unterdrückung und Diskriminierung jener, die vom Standard der erhobenen Daten abweichen. Dieser Standard ist analog zu gesellschaftlichen Hierarchieverhältnissen (↖ 2.1.1.) 45
in der Regel weiß, heterosexuell und männlich*.191 Das Beispiel der Spracherkennungssoftware zeigt, wie der gender data gap zu unterwerfenden Prozessen führen kann. Ein weiteres Beispiel sind CrashtestDummys, die zum einen aufgrund mangelnder Daten die Anatomie weiblicher* Körper schlechter und seltener repräsentieren als die männlicher* Körper. Zum anderen setzten sie als analytische Instrumente, die Daten erheben, den gender data gap mit fatalen Folgen fort. Autos birgen dadurch erwiesenermaßen für Frauen* ein höheres Verletzungspotenzial als für Männer*. Ein Umstand, der dem gender data gap entspringt.192 Neben fehlerhafter Datensätzen zeigen sich auch in diesem Kontext androzentrische Muster, die selbst vorhandene Daten ignorieren. Exemplarisch hierfür ist das TSAS Beispiel. Trotz existenter Daten, die belegen, dass die Interaktion mit weiblichen* Körpern schlechter funktioniert, existiert nur eine universale Version der Schutzausrüstung. Mit deutlich weitreichender Betroffenheit zeigt sich die androzentrische Ignoranz von Daten auch im Städtebau und der Mobilitätsplanung. Obwohl hier umfangreiche Daten zu sexueller Belästigung und Angstempfinden im öffentlichen Raum existieren, werden die Sicherheitsbedürfnisse von Menschen abseits der männlichen* Norm (explizit u.a. Frauen*, Homosexuelle*, Trans*) bei der Planung öffentlicher Räume und Mobilitätsangebote nur selten berücksichtigt.193 Der Informatiker und KI-Forscher Richard Socher betont, wie wichtig gerechte Trainingsdaten auch bei der Entwicklung künstlich intelligenter Algorithmen sind.
186 Vgl. ebd. 187 Perez 2020: 13 188 Vgl. „Gender Data Gap“, 2020 189 Das genannte Schema wird im Verlauf der Recherche von Perez anhand diverser Beispiele deutlich. Exemplarisch sei hier auf das Thema sexueller Belästigung verwiesen. Vgl. Perez 2020: 83ff 190 Vgl. ebd. 191 Vgl. Perez 2020: 13 192 Vgl. Perez 2020: 255 193 Vgl. Perez 2020: 81f, 96f
Deren Urteilsvermögen, bzw. Intelligenz ergibt sich explizit aus den zugrundeliegenden Schulungsdaten. Ein BilderkennungsAlgorithmus benötigt beispielsweise ca. 1000 verschiedene Bilder von Katzen, um „Katze“ als erkennbares Objekt zu erlernen. Anhand eines weiteren Beispiels illustriert Socher die fatalen Folgen fehlerhafter Datensätze.194 Ein Algorithmus vergab Frauen* systematisch seltener Kredite, weil in den zugrundeliegenden Trainingsdaten Frauen* seltener einen Kredit bekamen. Die Ursache ist jedoch keine statistisch geringere Bonität sondern die Tatsache, dass vor 20 Jahren weniger Frauen* Kredite beantragt haben und die Schulungsdaten in diese Zeit zurückreichen.195 Diese Tatsache lässt sich auf geschlechtliche Hierarchie- und Machtverhältnisse zurückführen. Durch den Algorithmus werden jene Verhältnisse also entgegen gesellschaftlicher Entwicklungen verstärkt.Hinzu kommt, dass die meisten Algorithmen als proprietär geschützte Software schwer zu prüfen und/oder meist nicht nach Geschlecht aufgeschlüsselt sind.196 In diesem Falle ist eine merkmalspazifische Datenerhebung jedoch wichtig, um den Bedürfnissen aller gender bzw. der Diversität menschlicher Körper gerecht zu werden. 46 Im Hinblick auf eine datenbasierte Zukunft stellt der gender data gap eine besonders problematische Entwicklung dar. In einer Welt, in der immer mehr Produkte und Prozesse auf Grundlage von Daten entwickelt werden, laufen wir Gefahr, mühsam bekämpfte, diskriminierende Geschlechterverhältnisse potenziert weiterzutragen. „Vielleicht am schlimmsten ist, dass anhand von Algorithmen entwickelte Produkte die Ungleichheit in der Welt noch verstärken“197, wenn zugrundeliegende Daten nicht gendersensibel erhoben und stetig begutachtet werden.
3.
5. Individuelle und gesellschaftliche Konsequenzen unterwerfenden Designs Die weitreichenden Konsequenzen geschlechtlich unterwerfender Gestaltung wirken sowohl auf der gesellschaftlichen Metaebene als auch auf der individuellen Makroebene. Auch hier sind die Beziehungen wechselseitig. Individuen bringen persönliche Haltungen in eine Gesellschaft ein und werden gleichzeitig von dieser geprägt. Als kulturelle Disziplin und politische Handlung (ent)steht Design immer im Austausch mit der Gesellschaft. Die Werte und Normen, die sie als erstrebenswert erachtet, werden durch die Gestaltung von Objekten und Prozessen wider-
194 Vgl. Socher 2020: 41:10–41:50 195 Vgl. ebd. 196 Vgl. Perez 2020: 13 197 Perez 2020: 231
„Everything that we design is designing us back.“ Jason Silva, 2015
gespiegelt. Diese verkörpern dementsprechend auch das Maß an Ungleichheit und Chancenungleichheit, das die Mitglieder einer Gesellschaft tolerieren.198 „Wenn Design bewusst oder unbewusst Ungleichheit kommuniziert, kommt zum Ausdruck, dass
Ungleichheit toleriert oder gewünscht wird. Designer/innen nehmen in ihren Designstücken Stellung, ob und welche Hierarchien sie schaffen möchten“199 Gestaltetem kommt dabei gleichwohl auch eine aktive Rolle zu. Judith Butler betont, dass die Wiederholung für die Konstitution von Normen von essentieller Bedeutung ist. „[…] norm acquires its durability through being reinstated time and again.“200 Gesellschaftliche Normen und Hierarchien entspringen also keiner naturgegebenen Kondition, sondern werden mit der Wiederholung kontinuierlich konstruiert.201 Objekte, die gestaltet werden, erfahren, wie in Kapitel 2.2. gezeigt, eine politische Dimension. Die Reproduktion gestalterischer Muster (gender codes) betrifft also nicht nur die konkrete Objekt-Mensch Beziehung, sondern partizipiert bei der Fortsetzung analoger, gesellschaftlicher Verhältnisse. In Bezug auf Geschlechter-Normen und damit zusammenhängende Hierarchien ist dies besonders deutlich. Wie die vorangegangene Untersuchung zeigt, ist die Geschlechterdifferenz im Design tief verankert. Teils bewusst, teils unbewusst prägt das principle of separation diverse Produkte. Ehrnberger/Räsänen/Ilstedt führen aus, dass dieses vom principle of hierarchy gefolgt wird.202 Demnach gelten männlich* konnotierte Produkte hochwertiger, während weiblich* konnotierte Produkte oft als Abwandlung 47
einer Standardversion erscheinen.203 Die Tatsache, dass Produkte für männliche* Zielgruppen häufig geschlechtsneutral mit Bezug auf Performance und Erlebnis, Produkte für weibliche* Zielgruppen hingegen explizit „for woman/girls“ beworben werden, belegt dies (LEGO ↖ u.a. 3.2.). Indem Design stereotypische, geschlechtliche Segregationen wiederholt, reproduziert es gender als Ordnungsmerkmal und unterwirft Nutzer*innen in eine Geschlechter-Hierarchie. Diese ist, wie in Kapitel zwei gezeigt, Ausgangspunkt für Chancenungleichheit und Diskriminierung. Auch auf der individuellen Ebene ergeben sich weitreichende Konsequenzen geschlechtlich unterwerfenden Designs. Wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt, führen androzentristische Gestaltungsperspektiven zu einer Benachteiligung aller, die nicht der männlichen* Norm entsprechen. Die Autorin Caroline Criado-Perez fasst ihre umfangreiche Recherche sexistisch entwickelter und/oder wirkender Produkte und Prozesse wie folgt zusammen: „Unsere derzeitige Herangehensweise an Produktdesign als solches benachteiligt Frauen[sic!]. Sie beeinflusst unsere Fähigkeit, effektiv zu arbeiten und manchmal sogar unsere Möglichkeit, überhaupt Arbeit zu bekommen. Sie beeinflusst unsere Gesundheit und Sicherheit.“204 Besonders in Hinblick auf historische Entwicklungen kulminiert die Benachteiligung teilweise sogar im Ausschluss bestimmter Gruppen. Das Fahrrad beispielsweise wurde anfänglich für eine männliche* Zielgruppe entworfen. Frauen* wurden bei der Konstruktion im Kontext geltender Kleidernormen strukturell nicht berücksichtigt und eigneten sich das Objekt erst im späteren Verlauf an.205 „Werden Produkte für nur ein gender entworfen, sind Inbetriebnahme, Technologie und Vermarktung speziell darauf ausgerichtet. Das führt in weiterer Folge dazu, dass auch damit verbundene Handlungen entsprechend konnotiert sind.“206 Annahmen wie „Die Zielgruppe ist hauptsächlich männlich“ erscheinen in diesem Sinne problematisch. Sie suggerieren eine Aussage über die Ursache, bezeichnen tatsächlich jedoch häufig eine Folge der Gestaltung. Erneut wird deutlich, dass Design nicht nur passiv sondern aktiv gesellschaftliche Verhältnisse konsolidiert.
198 Vgl. Karmesin 1993: 125, zitiert nach Haslinger 2004: 33 199 Haslinger 2004: 33 200 Butler 2002: 37 201 Vgl. Bonnevier 2005: 167 202 Vgl. Ehrnberger et al. 2012: 5 203 Vgl. Ehrnberger et al. 2012: 8 204 Perez 2020: 231 205 Vgl. Haslinger 2004: 72 206 Ebd.
Eines der grundlegendsten dieser Verhältnisse ist die binäre Norm der Zweigeschlechtlichkeit (↖ 2.). Design, dass dieses Paradigma durch doing gender stabilisiert, steht der Diversität menschlicher Identitäten im Wege. „Unfortunately this reinforces a binary perception of gender, and perpetuates stereotypes that many have fought hard to progress.“207 Neben dem formalen Ausschluss von Menschen, die nicht durch diese Matrix repräsentiert werden, unterstützt es gleichzeitig Logiken, aus denen Narrative der Diskriminierung von nicht-binäreren Geschlechtsidentitäten hervorgehen (↖ 2.1.). Darüber hinaus schränkt es die freie Entwicklung von Geschlechtsidentitäten aktiv ein. Genderspezifische Kinderkleidung und -spielzeuge beispielsweise geben in der frühen Entwicklungsphase, lange bevor sich überhaupt ein Bewusstsein vor Geschlecht entwickelt, bereits den heteronormariven, binären Rahmen vor, in dem die gesellschaftlich akzeptierte Identitätsbildung ablaufen soll.208 Im weiteren Lebensverlauf setzt sich dieser fort und lässt Verhaltensweisen, Vorlieben, Begehren, bzw. ganze Identitäten, die außerhalb des Rahmens liegen, als atypisch und ‚nicht erstrebenswert‘ erscheinen. Wenn wir also weiterhin mit unterwerfenden Gestaltungshandlungen wiederholt die gegenwärtigen Geschlechterverhältnisse zur Norm formen, rückt das Ideal einer Gesellschaft der gender equality & diversity in weite Ferne. Wir als Gestalter*innen verschwenden damit nicht nur das Potenzial unserer Profession sondern verfehlen die Werte guten Designs. 48
207 genderlessvoice o.J. 208 Vgl. Pater 2016: 80f
49
4. Undoing gender: gendersensibles Design als (Gegen)entwurf
50
Wenn die Gleichstellung der Geschlechter weiterhin in den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen verläuft, erreichen wir die politische Gleichstellung erst in 94,5 Jahren, die wirtschaftliche Gleichberechtigung dauert noch ganze 257 Jahre.209 Zusätzlich akzeptieren wir, dass sexuelle Minderheiten, Menschen nicht-binärer und nicht-heteronormativer gender auch zukünftig ausgeschlossen und diskriminiert werden. Entspricht das unseren Vorstellungen einer lebenswerten Zukunft? Wollen wir auf eine geschlechtergerechte Gesellschaft wirklich noch über zwei Jahrhunderte warten? Als Mitwissende können wir dabei zuschauen, wir können aber auch aktiv werden. Im Feld der Gestaltung sind uns die Voraussetzungen dafür gegeben. Design ist entgegen vieler systemrelevanter Professionen als Disziplin des Entwerfens nicht nur der unmittelbaren Gegenwart verpflichtet. Es muss (und sollte) sich nicht den gegenwärtigen Maßstäben unterwerfen, sondern hat den basalen Sinn und die subversive Kraft, neue Realitäten zu entwerfen. Gestalter*innen sind nicht an die Einhaltung gesellschaftlicher Normen gebunden, vielmehr ist es ihre Aufgabe, diese stetig zu hinterfragen. In der faktischen Betrachtung verspricht Design als Bindeglied zwischen Forschung und Praxis zudem die schnelle und nahbare Umsetzung neuer Erkenntnisse.210 Der Entwurf materialisiert Ideelles und macht uns das Bessere dadurch zugänglich.211 Doch was heißt das in Bezug auf gender im Design? Hirschauer entwirft als Reaktion auf benachteiligende Geschlechterverhältnisse das Konzept des undoing gender (↖ 2.3.). Er hinterfragt 51
das Handeln innerhalb sozialer Normen als einzig adäquate Möglichkeit und betont die individuellen Handlungsmöglichkeiten, Geschlecht als Ordnungskategorie zu widerrufen. Konkret übersetzt er undoing gender als vergessen und verlernen von Geschlecht. Kann dieses Konzept mit dem Ziel der gender equality auch auf Design übertragen werden? Können wir Geschlecht einfach vergessen und ist damit genderneutrales Design die Lösung geschlechtlicher Benachteiligung? In diesem Kapitel wird die These erörtert, dass undoing gender im Design nicht ohne weiteres mit genderneutralem Design übersetzt werden kann, sondern undoing gender im Designkontext mit einer Sensibilität für gender einhergehen muss. In Bezug auf die in Kapitel zwei angeführte Kritik dieser Kategorie eröffnet sich dabei ein Spannungsfeld zwischen der betonten Differenzierungen menschlicher Bedürfnisvielfalt und der Vermeidung spaltender Differenzierungen nach Geschlechtsidentität. Diesbezüglich soll gezeigt werden, dass gendersensibles Design nicht die Aussöhnung dieser Spannung verfolgt, sondern die resultierende Energie zum Erhalt der eigenen selbstreflektierten und diskursiven Kraft nutzt. Gendersensibles Design strebt nicht nach Kompromissen oder Standards, sondern nach Flexibilität und Individualität. Es ist eine dynamische Gestaltungshaltung.
4.
1. Gender affairs: Design als entwerfende Geste – exemplarische Beispiele Um die oben genannten Thesen weiter zu erläutern, werden an dieser Stelle in einer zweiten Untersuchung entwerfende Beispiele gendersensibler Gestaltung vorgestellt. In Kapitel 3.2. wurde für die Betrachtung die Metapher des erkrankten
209 Diese Zahlen gehen aus dem Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums von 2020 hervor. Vgl. „Gender Data Gap“, 2020 210 Vgl. Haslinger 2004: 22 211 Vgl. Von Borries 2017: 15, 21
Designs angeführt. Dabei schwingt mit, dass die von unterwerfendem Design befallenen Objekte, Systeme und Prozesse nicht hoffnungslos dem Untergang geweiht sind, sondern dass Design, bzw. die Gestaltungshaltungen genesen können. Entsprechende gestalterische Pathologien sind heilbar. Daher kehren im hiesigen Kapitel Inhalte aus der vorherigen Untersuchung zurück und werden in einer gendersensiblen Version gezeigt. Methodisch wird die Logik aus Kapitel 3.2. weiterverfolgt, wobei konsequenterweise die Kategorie Pathologie durch die Kategorie Behandlung ersetzt wird.
52
↗ 21 Eine Auswahl aktueller Emoji Piktogramme.
53
Emoji Unicode Consortium In Kapitel 1.1. wurde angeführt, dass Sprache in erheblichen Maße
gestalterische Disziplin System Design
UX Design
Kommunikationsdesign
unsere Wahrnehmung beeinflusst und in der Interaktion von Menschen entsprechend der Performativitätstheorie von Butler (↖ 2.2.1.) und der These von Kessler/McKenna zum seeing von gender (↖ 2.2.) bei der Konstruktion von gender mitwirkt. Emoji,
Behandlung
der aktuell am schnellsten wachsenden Sprache der Welt, kommt
Individualisierung
Diversität
Bedürfnisorientierung
dabei eine besondere Bedeutung zu, da es sich um eine bildliche Sprache handelt.212 Emoji wird von über 90% der online aktiven Menschen verwendet.213 Die Symbole gehen auf die gemeinnützigen Organisation Unicode Consortium zurück. Diese legt fest, welche Emojis zur aktuellen Sprachversion gehören und
betroffene Organe Farbe
Form
Konzept
Data
veröffentlichen die zugrundeliegenden Codes. Diese werden von jeder Platform (iOS, Google, Twitter, Facebook, usw.) individuell interpretiert und gestaltet, wodurch verschiedene Versionen der jeweiligen Zeichen entstehen.
Diagnose genderspezifisches Design partikulare Bedürfnisorientierung fluid design
Ursprünglich hat Unicode für die meisten Symbole kein Geschlecht festgelegt. Sie wurden beispielsweise als runner oder police officer (und nicht police man) klassifiziert.214 Dennoch interpretierten die Plattformen die meisten Symbole männlich*
215
und so war Emoji
lange eine androzentrische, heteronormative Sprache. Unicode reagierte darauf 2016 mit der Abkehr von der genderneutralen Haltung und der Einführung eines generativen Codes, der zukünftig mehrere Geschlechtsidentitäten pro Symbol abbilden kann.216 Seitdem steigt die Anzahl der Emoji und damit auch die repräsentative Diversität stetig.217 Aktuell umfasst die Sprache 3521 Zeichen218, darunter sind mittlerweile stillende Frauen* und fütternde Männer*, Männer* in Hochzeitskleidern und Frauen* mit Hijab. Es gibt verschiedene ‚Weihnachtsfrauen’ und Astronautinnen; Forschende, Firefighter, Police Officers, Elfen, Bauarbeiter*innen, Superheld*innen und Pilot*innen binärer und nicht-binärer gender. Laufende, betende, rollstuhlfahrende, gewichthebende und sich küssende Menschen aller Geschlechtsidentitäten. Gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern sowie alleinerziehende Männer* und Frauen*. Die Sektion der Flaggen wird von der Gay Pride Flag und Transgender Pride Flag angeführt. Natürlich lässt sich hier kritisieren, dass trotz Diversität Geschlecht als Differenzkategorie fortgesetzt wird. Als Gesamtgesellschaft sind wir jedoch noch an einem Punkt, an dem selbst formal-gestalterisch geschlechtsneutrale runner tendenziell männliche* Assoziationen hervorrufen.219 Hier zeigt sich das eingangs erwähnte Spannungsfeld. Emojis verfolgen dabei einen gendersensiblen Gestaltungsansatz, der sich durch stetige Updates dynamisch und flexibel an gesellschaftliche Entwicklungen anpasst und die Individualisierung priorisiert.
54
22 Unter www.genderlessvoice.com kann das Sprachprofil interaktiv getestet werden.
55
Q The First Genderless Voice
gestalterische Disziplin System Design
Als Reaktion auf das von gängigen VA-Systemen reproduzierte
UX Design
Muster der „weiblichen hilfsbereiten Dienstleistungskraft“220 riefen u.a. Copenhagen Pride und Virtue Nordics Q ins Leben. Das geschlechtslose Sprachprofil wurde aus Stimmaufnahmen fünf nicht-binärer Menschen und der anschließenden Befragung von
Behandlung Diversität
über 4600 Personen entwickelt. Mit 145–175 Hertz spricht Q in Bedürfnisorientierung
Datenerhebung
Subversion
einem neutral empfundenem Frequenzbereich und soll analog zum dritten Geschlecht Diversität fördern.221 Q wirft die diskursive Frage auf, ob künstliche Intelligenz wirklich ein Geschlecht braucht und „[…] is an example of what we hope the future holds; a future
betroffene Organe Konzept
Data
of ideas, inclusion, positions and diverse representation in technoTon
Algorithmus Diagnose uneindeutig konnotiertes Design subversives Design
logy.“222
23-24 Online-Konfigurator und Darstellung des neuen IXO 6.
56
IXO Serie Bosch
gestalterische Disziplin Industriedesign
Der Akkuschrauber IXO von Bosch ist mit insgesamt über 18 Mio. UX Design
Kommunikationsdesign
umgesetzten Exemplaren das weltweit meistverkaufte Elektrowerkzeug.223 Es ist entgegen dem pinking and shrinking Prinzip ein funktional entwickeltes Produkt für den DIY-Bereich, das Menschen aller gender anspricht.224 In regelmäßigen Sonder-
Behandlung
editionen werden Bedürfnisse und Geschmäcker der Nutzer*innen
Bedürfnisorientierung Individualisierung
Partizipation
neu befragt. Die Gestaltung der aktuellen Version „Himbeerrot“
digital fabrication
Zudem kann in dem neuen Online-Konfigurator ein individueller
ist Ergebnis von Nutzer*innen-Partizipation durch Befragung.225 MyIXO gestaltet werden.
betroffene Organe Farbe
Bosch setzt sich auch Firmenintern u.a. durch die Unterstützung
Form
Konzept
Materialität
Ästhetik
Marketing
Diagnose uneindeutig konnotiertes Design partikulare Bedürfnisorientierung fluid design
post gender marketing
von Initiativen wie dem „Bosch LGBTI Netzwerk“ oder„woman@ bosch“ für Diversität und geschlechtliche Gleichberechtigung ein.226
25-26 Darstellung und Werbematerial der Bosch Compact Line 12V. Die Werkzeuge werden mit entsprechndem Arbeitsschutz in realistischen Anwendungssituationen gezeigt.
57
Compact Line 12 V Bosch
gestalterische Disziplin
Mit der neuen Compact Line 12 V zeigt Bosch, dass sich gendersensibles Design nicht nur auf ein werbewirksames Produkt
Industriedesign
beschränkt. Die neuen Akkuschraub- und -schleifgeräte „Easy“ versprechen Performance & Usability Verbesserungen durch brushless Motor, überarbeitete Richtungsschalter oder neu konzipierte Schleifteller.227 Die Form betont dabei Ergonomie und
Behandlung
Funktion und verzichtet auf scharfkantige, maschinelle Dekore. Im
Bedürfnisorientierung
begleitenden Werbematerial benutzen sowohl Frauen* als auch Männer* die Geräte in der Heimanwendung. Bosch verzichtet hier also auf herkömmliche gender codes und entwickelte das Produkt
betroffene Organe Farbe Ästhetik
Form
gendersensibel technisch und ästhetisch weiter. Konstruktuion
Marketing
Diagnose uneindeutig konnotiertes Design post gender marketing
Dennoch sei kritisch angemerkt, dass viele Bosch Produkte, z.B. die Professional Serie, weiterhin unterwerfende gender codes fortsetzen.
27-28 Serifbabe Specimen
Serifbabe is having a moment – she is scared and angry and she is not afraid to show it. She will not repress her emotionality to please others.
58
Serifbabe Charlotte Rohde
gestalterische Disziplin Kommunikationsdesign
Charlotte Rohde ist Künstlerin und Schriftgestalterin und erforscht, wie zeitgenössische feministische Konzepte in der gestalterischen und künstlerischen Praxis Ausdruck und Diskurs finden.228 Ihre Schrift Serifbabe existiert als Serifbabe (2018), Serifbabe ALT (2019) and Serifbabe APLHA und zeigt sich als Typeface mit sich verändernder Erscheinung (Personalität)229 Durch Strichstärken-
Behandlung
kontraste, das Überschreiten von Grundlinien und ausschweifende
Subversion
Rundungen exponiert sie dabei Komplikationen und Emotionen und bricht so mit herkömmlichen Serifen-Schriften. Rohde zufolge darf emotionales Design das Primat der Funktion verlassen und
betroffene Organe Form Ästhetik
Funktion Konzept
Diagnose subversives Design
queere und inklusive Perspektiven bedienen.230 „Serifbabe is having a moment – she is scared and angry and she is not afraid to show it. She will not repress her emotionality to please others.“231
29 Ansicht der Toiletten-Infrastruktur
59
Unisex + Womxn Toiletten Berghain Berlin
gestalterische Disziplin System Design
Der Berliner Technoclub Berghain gilt als Ort sexueller Freiheit
Innenarchitektur
mit Ursprung in der ‚Schwulenszene‘. Vorweg sei betont, dass dieser Anspruch nicht paritätisch währt, sondern u.a. durch Tür- & Preispolitik einer privilegierten, explizit segregierten Gruppe größtenteils schwuler Männer* zukommt. Dieses Beispiel bezieht
Behandlung Bedürfnisorientierung
sich ausschließlich auf den Mikrokosmos der Besucher*innen. Für Diversität
jene rückt gender trotz omnipräsenter Geschlechtsmerkmale als Differenzkategorie in den Hintergrund. Der inklusive Anspruch setzt sich mit dem Konzept der Unisex Toiletten fort. Zu Stoßzeiten entstehen jedoch häufig lange Warteschlangen vor den Kabinen-
betroffene Organe Konzept
toiletten. Um Menschen, die aufgrund körperlicher Merkmale nicht auf Urinale ausweichen können, zu berücksichtigen, wurden gendersensible Toiletten für „Womxn only (or those who identify as them)“232 eingerichtet.
Diagnose genderspezifisches Design partikulare Bedürfnisorientierung
30-31 Piktogramme und Hilferuf-Säule der der #NeueSBahn.
60
#NeueSBahn S Bahn Berlin
gestalterische Disziplin Industriedesign
Die S Bahn Berlin hat mit ihren Zügen 2020 gendersensible UX Design
Kommunikationsdesign
Piktogramme eingeführt. Mit den neuen Symbolen für die Fahrradabteile kontrastiert sie das in der StVO verankerte ‚Herrenfahrrad’, das auf allen deutschen Verkehrsschildern abgebildet ist233, mit einem geschlechtlich nicht eindeutig konnotierten Fahrrad mit
Behandlung
abgesenktem Oberrohr. Die #NeueSBahn, die ab 2021 eingesetzt wird, verfügt zudem über exponierte Hilferuf-Sprechstellen, die
Bedürfnisorientierung
Sicherheit und Sicherheitsgefühl in den Zügen erhöhen sollen.234 Symbolische wie auch praktische Beispiele gendersensibler Gestaltung im öffentlichen Raum.
betroffene Organe Form
Funktion
Konzept
Diagnose uneindeutig konnotiertes Design partikulare Bedürfnisorientierung
32 Collage des Wohnzimmers in Eileen Grays E.1027. Das Bett bildet das Zentrale Element des Raumes, der durch verfahrbare Fenser die Grenze zum Äußeren auflöst.
61
E.1027 Eileen Gray
gestalterische Disziplin Architektur
E.1027 (1926–1929) von Eileen Gray ist ein (innen-)architekto-
Innenarchitektur
nisches Beispiel gendersensibler Gestaltung. Ein von queeren Zitaten geprägtes Haus dichter Lebhaftigkeit, abseits der heteronormativen Marix.235 Im Mittelpunkt des multifunktionalem Wohnzimmers steht das Bett symbolisch für offene Intimität.236
Behandlung
Bewegliche Fensterfronten und versteckte Türen verwischen die starren Grenze zwischen Innen und Außen. Privatheit und Öffent-
Subversion
lichkeit lösen sich als Gegensatz auf, geschlechtliche Dichotomien erscheinen abwesend. Im Spiel der Materialien wird die Trennung von Dekor und Konstruktion unmöglich237
betroffene Organe Farbe Konzept
Form
Als frühes Werk queerer Gestaltung folgt E.1027 nicht dem Bild der Konstruktuion
Materialität
traditionellen Familie238, sondern bringt die Grenzen des normativen Bauens durcheinander.239 Eine räumliche Interpretation geschlechtlicher Kontingenz und Performativität. „That which is being performed in the space, with the help of the architecture,
Diagnose subversives Design
decides what space it is.“240
33 Die Produkte der Basik-Serie erscheinen in uneindeutig konnotierter Farb- und Formsprache
62
BASIK Rasierer- & Verpackungskonzept Saana Hellsten
gestalterische Disziplin Industriedesign
Hellsten begreift Verpackungsdesign in ihrer Konzeptstudie als UX Design
Gestaltungsmittel einer diversitäts-zugewandten Gesellschaft und problematisiert, dass klassisches Verpackungsdesign stereotypen wiederholt.241 Am Beispiel des Rasierers stellt sie fest, dass funktionale Unterschiede nicht an gender sondern Körperpartien gebunden sind.242 Unter Partizipation von über
Behandlung
400 Studienteilnehmer*innen243 entwirft sie daher zwei funktional
Partizipation
differente Produkte, die eine minimalistische und geschlechtlich unkonnotierte Ästhetik teilen. Teil des Konzeptes ist zudem die Individualisierbarkeit durch einen online Konfigurator.
betroffene Organe Farbe Konzept
Form
Konzept
Marketing
Diagnose uneindeutig konnotiertes Design partikulare Bedürfnisorientierung post gender marketing
34 Die virtuellen Avatare experimentieren mit Geschlechtlichkeit im weiten Sinne.
63
A journey of digital introspection and relief Marcel/a Baltarete
gestalterische Disziplin
Marcel/a Baltarete reagiert mit diesen Animationen auf
Kommunikationsdesign
Geschlechtsdysphorie, also die Gefühle, sich nicht mit dem bei
Modedesign
Selbsttherapeutisches Projekt spielt they in der Virtuellen Realität
Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren zu können.244 Als mit abstrakten Körperteilen und Geschlechtsmerkmalen, ohne dabei mit der Realität des eigenen Körpers konfrontiert zu sein.245
Behandlung Subversion
Diversität
They begreift virtuelle Realitäten als Räume normfreier Entfaltung und hinterfragt mit der Arbeit gender innerhalb dieser. Als Teil des The Immersive Kind Kollektivs zeigt das Projekt, wie digitale Technologien zu einer zugänglichen, inklusiven und nachhaltigen Zukunft beitragen können.246
betroffene Organe Farbe Konzept
Form
Materialität
Data
Diagnose fluid design
subversives Design
35 Die BH Kollektion 2064 an diversen Körpern.
64
2064 Elena Blazquez
gestalterische Disziplin Industriedesign
2064 ist eine BH-Kollektion, die aus vier unterschiedlichen ModelModedesign
len besteht und für alle gender tragbar ist. Das Projekt thematisiert die geschlechtliche Ungleichbehandlung durch Kleidung, indem es Unisex Kleidung, die sich gegenwärtig an einem maskulinen Stil orientiert, kritisch befragt. Nach Blazquez kennzeichnet der BH
Behandlung
dabei ein sexuelles Stigma, indem dieser eine Voraussetzung für
Individualisierung
Subversion
Diversität
weibliche* Personen ist, um in der Öffentlichkeit zivilisiert auftreten zu können, während nackte männliche* Oberkörper Akzeptanz erfahren.247 2064 bricht diese Praxis auf, indem gender-unabhängig eine freie
betroffene Organe Farbe Konzept
Form
Entscheidung über die Darstellung der eigenen Brust getroffen Materialität
Funktion
werden kann. Obwohl die Kollektion viel Haut zeigt, entsteht keine sexualisierte Assoziation. Entgegen tendenziell monochromer geschlechtsneutraler Kleidung, die möglichst wenig Femininität in die maskuline Kleidungspraxis einbringt, zeigt sich der Entwurf mit
Diagnose uneindeutig konnotiertes Design partikulare Bedürfnisorientierung subversives Design
einem sanften, klaren und sportlich-verspielten Stil.248
65
212 Vgl. Perez 2020: 26 213 Vgl. Shaul 2015 214 Vgl. Davis et al. 2016: 1 215 Vgl. ebd. 216 Vgl. ebd.: 2 217 Vgl. Unicode, zitiert nach de.statista.com, 2020 218 Vgl. Unicode Inc. 2020 219 Vgl. Perez 2020: 27 220 HfG-Archiv 2020: 92 221 Vgl. ebd. 222 genderlessvoice o.J. 223 Vgl. HfG-Archiv et al. 2020: 100 224 Vgl. ebd. 225 Vgl. ebd.: 102 226 Vgl. ebd.: 100 227 Vgl. Bosch o.J. 228 Vgl. Form 2020: 72 229 Vgl. Loring Murphy 2020 230 Vgl. Studio Charlotte Rohde o.J. 231 Ebd. 232 Auf die Schwierigkeit der Deklaration dieser Toiletten sei als Teil eines weiterführenden Diskurs an dieser Stelle verwiesen, in Anbetracht dessen Umfangs aber nicht näher eingegangen. 233 Vgl. Haslinger 2004: 54 234 Vgl. S Bahn Berlin o.J. 235 Vgl. Bonnevier 2005: 162 236 Vgl. ebd.: 164 237 Vgl. ebd.: 163 238 Vgl. ebd.: 170 239 Vgl. ebd.: 177 240 Ebd.: 166 241 Vgl. HfG-Archiv 2020: 115 242 Vgl. HfG-Archiv 2020: 116 243 Vgl. ebd. 244 Vgl. „Gender dysphoria“, 2020 245 Vgl. Hahn 2020 246 Vgl. ebd. 247 Vgl. Folkwang Universität der Künste o.J. 248 Vgl. German Design Graduates 2020
4.
2. Gendersensible Entwurfsstrategien Die vorangegangene Untersuchung zeigt exemplarisch die Vielfalt geschlechtlich entwerfender Gestaltung auf. Dabei stellt sich gendersensibles Design nicht als einheitliche Strategie heraus, sondern als wandelbare, kontextabhängige und dynamische Gestaltungshaltung, die als Überkategorie verschiedene Ansätze vereint. Das eingangs formulierte Spannungsfeld soll an dieser Stelle auf Grundlage der Beispiele sowie der sich daraus abzeichnenden Strategien zusammengefasst werden. Anschließend wird in Bezug auf Thesen von Uta Brandes eine designtheoretische Grundlage besprochen, um gendersensibles Design als wirksames und notwendiges Werkzeug für die Gestaltung einer gender-gerechten und diversität-zugewandten Zukunft vorzuschlagen.
4.
2.
1. Genderneutrales und uneindeutig konnotiertes Design Am Anfang des fünften Kapitels wurde die Frage formuliert, ob genderneutrales Design im Sinne des Vergessens von Geschlecht die Lösung geschlechtlicher Benachteiligung ist.Mit dem Begriff der Neutralität tun sich in Bezug auf entwerfende Gestaltung dabei jedoch zweierlei Probleme auf. Zum einen lässt sich neutral nicht allgemein gültig definieren, zum anderen ist Neutralität nur schwer mit der menschlichen Vielfalt vereinbar. Neutralität setzt que Definition immer etwas spezifisches, parteiliches als Maßstab voraus. Unabhängige und absolute Neutralität bzw. Objektivität existiert als philosophisches Ideal, ist praktisch jedoch nicht möglich.249 Im Bezug auf Geschlecht gilt dies umso mehr, da Menschen nicht genderneutral sind oder sein können. Als wahrnehmende, sich identifizierende Subjekte, die durch biologische Merkmale kulturellen Geschlechtsverständnissen ausgesetzt sind, „[…] können wir nicht so tun, als wären wir neutrale Wesen“.250 In diesem Sinne lässt sich genderneutrale Gestaltung ebenso wenig objektiv definieren. Vermeintlich Neutrales ist immer Ergebnis einer kulturellen und somit konstruierten Vereinbarung. Das Beispiel der Emoji-Piktogramme zeigt, dass diese Zuschreibung an gesellschaftliche Verhältnisse geknüpft ist und dadurch häufig androzentrischen Mustern folgt. ‚Neutrale’ Gestaltung orientiert sich tendenziell an männlich* konnotierten Produktsprachen (↖ 3.3.1.) und wird dadurch eher männlich* interpretiert. Demnach
249 Vgl. „Objektivität“ 2020 250 Brandes 2020: 130; Hierzu sei entsprechend aus Kapitel zwei festzuhalten, dass es bei der Gleichstellung der Geschlechter nicht um Gleichheit sondern Gleichberechtigung geht. Es suggeriert, dass Menschen nicht auf einen gleichen Nenner zu bringen sind, sondern dass die Vielfalt menschlicher Existenz durch Gleichberechtigung bestärkt wird.
66
spielt das antiquierte Verständnis des Mannes* als ‚neutraler Standard‘ und der Frau* als ‚Abweichung‘ (↖ 2.1.) bei der Rezeption von Neutralität bis heute eine Rolle. Abgesehen von der Definitionsproblematik und der kulturell geprägten Konnotationen wird Neutralität als Gestaltungshaltung der menschlichen und geschlechtlichen Vielfalt, die es durch das Entwerfen zu fördern gilt, nicht gerecht. Wenn wir an Neutralität denken, knüpfen wir es immer an eine Vermittlung zwischen zwei Parteien, es stellt einen Standard, eine Mischung oder eine Abschwächung dar. Neutralität ist damit nicht autonom sondern immer abhängig von einer übergeordneten Gegensätzlichkeit. Im Rahmen menschlicher Vielfalt gilt es diese Gegensätzlichkeit, die in der Regal als Zweigeschlechtlichkeit auftritt, zu überkommen. Trotz dieser Überlegungen findet sich auch in der gendersensiblen Gestaltung oft neutral gelesenes. Immer dann, wenn Vielfalt in der Produktsprache nicht möglich ist, bzw. es um die Gestaltung eines Produktes für alle geht, tritt uns häufig eine universale Unisex-Version entgegen. Eine geschlechtlich uneindeutig konnotierte Gestaltung kann durchaus 67
angemessen und förderlich sein, sofern sie einer partikularen Bedürfnisorientierung entspringt und die Vorstellung dessen, was als ‚neutral‘ gelesen wird, reflektiert. Der Akkuschrauber IXO sowie die BH-Kollektion 2064 sind hier exemplarisch anzuführen. Beide Entwürfe zielen darauf ab, stereotypische Geschlechterdifferenzen zu überwinden, indem das Produkt, bzw. die Kollektion Menschen gender-unabhängig anspricht. Dabei werden konventionelle Rezeptionen von ‚neutral‘ als minimalistisch, monochrom und geometrisch, durch farbliche, sportliche oder geschwungene Motiven abgelöst. Die Beispiele setzen mit dem uneindeutig konnotiertem Design auf der Ebene der Produktsprache an, während die praktische Funktion partikularen Bedürfnissen folgen (Offenbach Theory of Product Language ↖ 3.3.). Schlussfolgernd bleibt die Bezeichnung ‚neutral’ zu problematisieren, weil sie einerseits einen statischen Zustand suggeriert und zum anderen im Kontext kultureller Bedeutungs-Zuschreibung einer männlich* Prävalenz entspringt. Stattdessen soll dafür die Bezeichnung uneindeutig konnotierte Gestaltung vorgeschlagen werden. Diese berücksichtigt die Tatsache, dass vermeintlich Neutrales durchaus genderspezifisch interpretiert werden kann, dies jedoch nicht eindeutig beabsichtigt und in Form einer Konnotation wandelbar und kulturell konstruiert ist.
4.
2.
2. Genderspezifisches Design Aus Kapitel drei geht hervor, dass genderspezifisches Design oft mit der Festigung geschlechtlicher Stereotypen oder geschlechtlicher Benachteiligung einhergeht. Dies ist besonders der Fall, wenn aus einer unreflektierten, androzentrischen Perspektive gestaltet wird (Siehe hierzu die Beispiele Fahrrad und Gillette/Venus). Mit Blick auf gesellschaftliche Machtverhältnisse ist die Kritik an der Differenzkategorie gender also definitiv notwendig. Allerdings dürfen bei der Diversifizierung von gender gegenwärtig benachteiligte Gruppen nicht untergehen sondern bedürfen einer besonderen Aufmerksamkeit.251 Die Thematisierung der weitreichenden Benachteiligung von Frauen* beispielsweise darf nicht unter der Auflösung von gender als Differenzkategorie verstummen, bzw. die Grundlage verlieren. Geschlechtliche Benachteiligung ist eine strukturell verankerte Wahrheit unserer Gesellschaft und muss daher auch explizit adressiert werden. Gendersensibles Design schließt genderspezifisches Design also nicht aus, sofern es tatsächlichen Bedürfnissen folgt und der Zustandsverbesserung einer geschlechtlich benachteiligten Gruppe dient. Im Sinne diskursiver Gestaltung können zudem gegenwärtige Geschlechtersegregationen abgebildet werden, um Chancenungleichheiten sichtbar zu machen. Dies setzt jedoch ein achtsames und reflektiertes Vorgehen sowie die Genderkompetenz der Gestalter*innen voraus.
4.
2.
3. Partikulare Bedürfnisorientierung Die partikulare Bedürfnisorientierung stellt eine zentrale Bedingung des gendersensiblen Designs dar. Auf Grundlage eines demokratischen Designverständnisses richtet sie sich an die Vielfalt menschlicher, darunter funktionaler, ergonomischer, ästhetischer und systematischer Bedürfnisse, die losgelöst von einer Geschlechterdifferenzierung zu berücksichtigen sind.252 Partikular ist diese Haltung insofern, als dass sie nicht den Menschen als singuläre Größe sondern die Menschen in ihrer pluralen Vielfalt fokussiert. Damit ist die partikulare
251 Die Designhistorikerin Cheryl Buckley weist darauf hin, dass die gegenwärtigen Gender Studies dazu neigen, die Women’s Studies zu verdrängen. In der Tat ist dieser Konflikt Gegenstand aktueller Diskurse, bei denen eine Spannung zwischen dem Ziel des Feminismus (2. Welle), die Benachteiligung der ‚Frau’ zu beenden und den Bestrebungen des Queerfeminismus, ‚Frau‘ als Kategorie aufzulösen, besteht. Siehe hierzu u.a. Brandes 2020: 131; Meissner 2008: 2 252 Vgl. Weller, Krämer 2012: 238
68
Bedürfnisorientierung differenziert vom assoziiertem humancentered design zu betrachten. Letzteres schließt als Lösungsansatz die menschliche Perspektive in allen Prozessschritten ein,253 verfällt gängigen Kritiken folgend aber häufig der globalen Maximierung des Geltungsbereiches und wird dadurch selten spezifischen Zielgruppen gerecht.254 Im Sinne eines gendersensiblen Gestaltungsansatzes geht es nicht um die Entwicklung eines bestmöglichen Standards aus der Gesamtheit an Bedürfnissen, sondern die Anerkennung dieser im Partikularen, wodurch sich mitunter auch die Herausforderungen gegensätzlicher Bedürfnisse auftun. Deutlich wird dies zum Beispiel anhand der Geschichte der Emoji-Piktogramme. Obwohl diese ursprünglich als geschlechtsneutrale Figuren gedacht waren, wurden sie von den Plattformen und dadurch auch von Nutzer*innen überwiegend männlich* interpretiert. Die Standard-Version wurde der paritätischen Repräsentation der Geschlechter also nicht gerecht. Daraufhin wurde die neutrale Herangehensweise verworfen und fortan stattdessen radikale Diversität in den Fokus gerückt. Das Ergebnis ist ein dynamisches System viel69
fältiger expliziter Symbole und Figuren, dass durch regelmäßige Updates um eine bestmögliche und zeitgemäße Repräsentanz partikularer Bedürfnisse und Vorlieben bemüht ist. Indem diverse Bedürfnisse im Einzelnen berücksichtig werden, wird das System schließlich einer großen Masse gerecht. Bei dem Beispiel der Unisextoiletten wird hingegen das Dilemma zwischen partikularer Bedürfnisorientierung und der Vermeidung geschlechtlicher Differenzierung deutlich. Unisex Toiletten, die eine Trennung nach gender vermeiden, benachteiligen in der Umsetzung oft die individuellen Bedürfnissen jener Menschen, die aufgrund körperlicher Merkmale Urinale nicht uneingeschränkt nutzen können. Der Ansatz des Berghains ist in sich nicht als vollendete Lösung zu verstehen, zeigt jedoch, wie zur Gewährleistung geschlechtlicher Gleichberechtigung mitunter Kombinationen verschiedener Ansätze eingesetzt werden können. Zusätzlich zu den geschlechtsunspezifischen Räumlichkeiten richten sich Toiletten für „Womxn only (or those who identify as them)“ hier explizit an Besucher*innen, die Urinale nicht oder nur schwer nutzen können. Als letztes Beispiel dieser Kategorie sei der Akkuschrauber IXO genannt. Dieser deckt die Bedürfnisse einer vielseitigen, nicht-kommerziellen Heimanwendung, ohne dabei klassische gender codes in der Gestaltung zu verwenden. Neben der partikularen praktischen Funktion wirkt die Produktsprache ‚neutral’, also geschlechtlich uneindeutig konnotiert. Durch Individualisierungs- und Partizipationsmöglichkeiten erhält die Serie dabei einen offenen und zeitgemäßen Charakter.
253 Vgl. „Human-centered design“, 2020 254 Vgl. Ions 2020
Partikulare Bedürfnisorientierung schließt also nicht aus, dass mit Bezug auf eine bestimmte Geschlechtsidentität gestaltet wird, wenn dies zur Berücksichtigung entsprechender und tatsächlicher Bedürfnisse geschieht. In Hinblick auf die Förderung von Vielfalt kann Bedürfnisorientierung auch geschlechtspezifische Gestalt annehmen, sofern sie dem Anspruch auf radikale Diversität folgt und sich nicht am heteronormativen Geschlechterdualismus und dessen Stereotypen orientiert. Auf der anderen Seite kann bedürfnisspezifische Gestaltung auch in neutraler Form in Erscheinung treten. Dabei sollte in achtsamer und stetiger Revision jedoch geprüft werden, ob der verfolgte Ansatz durch das Gestaltete angemessen wirkt.
4.
2.
4. Fluid design Fluid Design leitet sich inhaltlich von offenem Design ab. Dieses bezeichnet allgemein verbreiteten Definitionen zufolge die Bestrebung, Entwürfe, aber auch Gestaltungsprozesse transparent, zugänglich und für die weitere Verwendung offen zu gestalten.255 Im ideellen Sinne geht es dabei um Demokratisierung, Partizipation und Inklusion. Dieser Ansatz ist besonders in Hinblick auf Gestaltung im Kontext von gender-Dynamiken interessant und kann im fluid Design erweitert werden. Fluid Design öffnet sich für die Erfahrungen und Einsichten aus der praktischen Nutzung. In Kombination mit offen gestalteten Systemen stellt es die unmittelbare und produktive Anpassung und Weiterentwicklung des jeweiligen Objekts in Aussicht. Es versteht sich als Gegenteil einer „positivistic pseudo-objectivity“256, die für sich beansprucht, ein objektives und determiniertes Urteil über die Anwendung von Objekten zu treffen (↖ 4.2.1.). Nach Brandes/Stich/Wender kann fluid Design dabei gleichzeitig als dynamische Recherchetätigkeit verstanden werden. Gestaltetes ist in diesem Sinne nicht nur offen sondern auch in Bewegung Auch hier lassen sich Emoji-Pikto gramme als Vorbild anführen. Als open source Codes sind sie öffentlich zugänglich und transparent. Je nach Plattform treten sie unterschiedlich in Erscheinung und sind jeweils modifizierbar. Zudem greift Unicode bei Updates Feedback und Anforderungen der Nutzer*innen auf, um das System stetig weiterzuentwickeln. Wie das Beispiel A journey of digital introspection veranschaulicht, bieten zudem VR-Anwendungen ein großes Potential, um besonders im Bezug auf gender offen zu gestalten.
255 Vgl. Netzpolitik.org 2019 256 Brandes et al. 2008: 14
70
In der virtuellen Realität sind Subjekte nicht an gegenständliche Körper gebunden und können daher losgelöst von Geschlechtlichkeit frei imaginiert werden. Individualisierungsmöglichkeiten wie bei IXO oder BASIK folgen ebenfalls fluiden Designstrategien, rangieren aktuell jedoch in ausbaufähigen Spähren der Individualisierung. In einer zukunftsgerichteten Perspektive erscheint digital fabrication als vielversprechende Schnittstelle, um die vielfältigen Möglichkeiten fluider Gestaltung aus dem Digitalen ins Physische zu übertragen. Als technische Perspektive gendersensibler Gestaltung wird darauf in Kapitel 5. eingegangen. Es bleibt daher spannend, in welcher Form sich fluide Gestaltung in der physischen Welt zukünftig materialisiert und welche neuen Bilder von gender dadurch entstehen. Diesbezüglich ist fluid Design als wandelbare Strategie vielversprechend. Sie unterwirft Nutzer*innen nicht implizierten Bedingungen sondern ermutigt zur Teilhabe an Gestaltung und ermächtigt zur Anpassung von Gestaltetem.
71
4.
2.
5. Subversives Design Unter subversivem Design wird eine kritische Designstrategie (critical design) verstanden, bei der es inhaltlich weniger um einen praxistauglichen Entwurf sondern mehr um eine kritische Intervention geht, die Aufmerksamkeit auf gegenwärtige und zukünftige Missstände lenkt.257 Dabei ähnelt es dem spekulativen Design, da beide Ansätze die Grenzen von Kunst und Design verwischen, indem Objekte nicht dem Anspruch funktionalistischer Nutzbarkeit unterworfen sind, sondern mit zum Teil schockierenden, humorvollen oder spielerischen Perspektiven Fragen aufwerfen, statt Lösungen anzubieten. Dabei wird eine enge politische und emotionale Beziehung deutlich, die Design an dieser Stelle eingeht.258 In der vorliegenden Betrachtung wird subversives Design dennoch bewusst von spekulativen Design differenziert, da entsprechende Entwürfe sehr wohl funktionalen Ansprüchen gerecht werden und dadurch auch als realistische, der Praxis nahe Strategien gendersensibler Gestaltung förderlich sein können. Als reine Begrifflichkeit meint Subversion Untergrabung und Umsturz der bestehenden (staatlichen) Ordnung259 und findet damit auch in der gender-Debatte Verwendung. Gender-subversive Strategien eignen sich, um geschlechtliche Hierarchie-, Macht- und Ungleichheitsverhältnisse aufzuzeigen
257 Vgl. UDK Berlin o.J. 258 Vgl. ebd. 259 Vgl. „Subversion“, 2020
und aufzulösen.260 Im Sinne des undoing gender Konzepts nach Hirschauer haben wir besonders im freierem, gestalterisch-kulturellem subversiven Design „[…] alle Möglichkeiten zur Abwehr, Reform und selbst Rebellion“261 gegenüber den kulturell konstruierten Ungleichheitsverhältnissen der Geschlechter. Das Beispiel 2064 veranschaulicht dies passend. Das Kleidungsstück zeigt, wie subversives Design kulturelle Ungleichheits- und Unterdrückungsmuster spezifisch adressieren kann, ohne dabei in der rein spekulativen Sphäre zu verharren. Durch die praktische Nutzbarkeit erhält die Kritik Einzug in den Alltag und unterstreicht den entwerfenden Charakter des Projekts. Die Schrift Serifbabe ist ebenfalls ein Beispiel anwendungsorientierter subversiver Gestaltung. Als Werkzeug der Inhaltsvermittlung ermöglicht sie individuelle Interventionen mit dem kulturell wirksamen Medium der Schrift. Das architektonische Werk E. 1027 zeugt ebenfalls von subversiven Zügen, die mit queeren Gestaltungsansätzen einhergehen. Bonnevier interpretiert Grays Werk insofern als queer, als dass normative Vorstellungen bewusst mit zum Teil provokanten Gegenentwürfen konfrontiert werden.262 Queer Design sei hier als eigenständiges Gestaltungsmotiv betont, zusammenfassend jedoch mit subversivem Design angeführt. Queer Design muss nicht zwangsweise subversiv sein, genauso wie subversives design nicht queer sein muss. Dennoch ist beiden gemein, dass sie den Status quo des klassischen Designsystems infrage stellen und auf kreative Weise eine Veränderung anführen.263
4.
2.
6. Post gender marketing In Anbetracht der thematischen Reichweite sei an dieser Stelle nur verkürzt auf den Marketingaspekt gendersensibler Gestaltung eingegangen. Da Marketing mit der zugrundeliegenden Marktforschung unmittelbar mit den gegenwärtigen Bedürfnissen von Konsument*innen verknüpft ist, können gesamtgesellschaftliche und/oder kollektive Forderungen nach der Abkehr heteronormativer Geschlechterrollen nicht ignoriert werden. Im Gegenteil bezieht sich das sog. post gender marketing betont auf eine Zukunft jenseits der tradierten Binarität und rangieren mit Motiven von unisex über crossgender bis hin zu Genderneutralität.264 Entsprechende Werbesujets erstrecken sich mittlerweile aus der wegbereitenden Modebranche auf das Marketing diverser Warengruppen. Wie am Beispiel des
260 Vgl. Haslinger 2004: 35 261 Lorber 1999: 34 262 Vgl. Bonnevier 2005: 165 263 Vgl. Winterhagen/Bieber o.J. 264 Vgl. Kirig/Muntschick 2015
72
Akkuschraubers IXO und des Rasierers BASIK sichtbar wird, treten dabei im Produkt-Kontext Modifizierbarkeit und Individualisierbarkeit als möglichkeitssteigernde und ermächtigende Prozesse zunehmend in den Vordergrund.265 Dem post gender marketing eröffnen sich dadurch neue Absatzmärkte besonders bei jungen Zielgruppen.266
4.
3. Der Entwurf eines gendersensiblen Designverständnisses Um zu veranschaulichen, wie gendernsensibles Design die vorangegangenen Entwurfsstrategien zusammenführen kann, soll an dieser Stelle zusammenfassend die Idee des „Weder-Noch“ angeführt werden. Uta Brandes beobachtet bereits vor 20 Jahren, dass sich in den damaligen Bildern von ‚Weiblichkeit’ und ‚Männlichkeit‘ eine
73
zunehmende „Undiszipliniertheit“ abzeichnet.267 Als Reaktion darauf formuliert sie die These, „[…] dass sich zukünftig eine dritte Möglichkeit zwischen Entweder-Oder und dem Sowohl-Als auch abzeichnen könnte: ein Weder-Noch.“268 Wie ist das zu verstehen? Mit Bezug auf das Konstrukt Geschlecht lassen sich in der These Analogien zu drei Phasen des Geschlechtsverständnisses herstellen. Das Entweder-Oder entspricht dabei der traditionellen Zweigeschlechtlichkeit, derzufolge es genau zwei heterosexuelle Cis-Geschlechter gibt: ‚Frau‘ und ‚Mann’. Das Sowohl-Als auch markiert eine Vorstellung, die Identitäten dazwischen zulässt und dementsprechend unter anderem Trans* inkludiert. Sowohl-Als auch konsolidiert dabei jedoch immer noch die Polaritäten männlich* und weiblich*. Das Weder-Noch ist laut Brandes hingegen schwerer vorzustellen, da wir als Gesellschaft aufgrund unserer Neigung, in Gegensätzen zu denken und zu handeln, bereits bei der Vorstellung des Dazwischen Probleme haben.269 Zur Veranschaulichung führt sie ein Beispiel der Inuit an, die über 20 Wörter für die Farbe Weiß kennen.270 Innerhalb ihrer Umgebung, die überwiegend aus Schnee und Eis besteht, haben sie eine Wahrnehmungskompetenz entwickelt, um die subtile Vielfalt verschiedener Weiß-Töne zu unterscheiden. Die Bezeichnungen dieser basieren dabei nicht auf gegensätzlichen Differenzen oder Abstufungen zweier Extreme, sondern sind an sich autonom. Die Nuancen erscheinen in unserer Logik gesprochen nicht als Graustufen, also als Mischung aus Weiß und Schwarz, sondern als bunt. „Denn bunt meint ja eben gerade nicht, alle Farben zu einer einzigen neuen zu vereinen, sondern bunt imaginiert viele Farben, die nebeneinander und miteinander existieren, ohne aber dass bunt überhaupt eine Farbe bezeichnet.“271 Das Weder-Noch emanzipiert sich also von den Einschränkungen des Entweder-Oder und Sowohl-Als auch und tritt unabhängig in Erscheinung. Zurück im gender-Kontext beschreibt das Weder-Noch also eine Vorstellung, die Geschlechtsidentitäten losgelöst von dem Rahmen der dichotomen Zweigeschlechtlichkeit begreift. Im Vergleichen des Weder-Noch mit queerfeministischen und zeitgenössischen Positionen, stellt sich heraus, dass Brandes These dabei ist, sich zu bewahrheiten. Das Geschlechterverständnis,
265 Vgl. Papasabbas o.J. 266 Vgl. Kirig/Muntschick 2015 267 Vgl. Brandes 2000: 184 268 Ebd.: 185 269 Vgl. ebd. 270 Vgl. ebd.: 187 271 Ebd.
das aus dem Queerfeminismus hervorgeht, ist eines abseits heteronormativer Binarität, das Menschen nicht in Abhängigkeit zweier antagonistischer Geschlechtervorstellungen versteht, sondern die Überwindung der Differenzkategorie Geschlecht anstrebt (↖ 2.2.1.). Diskriminierung, Chancenungleichheit und patriarchale Machtverhältnissen werden durch die Erosion der Kategorie gender in der Wurzel bekämpft. Analog dazu versteht sich der Anspruch gendersensibler Gestaltung. Wenn die vermeintlich natürliche Geschlechtlichkeit in den Hintergrund rückt, eröffnet sich Raum für neue, innovative und freie Problemlösungsansätze. Zudem entblößt sich ein breites Feld konventioneller, unterdrückender Gestaltungsmuster, die mit dem Ziel einer gleichberechtigenden, diversität-zugewandten Zukunft proaktiv sichtbar gemacht und überwältigt werden müssen. Indem gender als Ordnungskategorie wegfällt, stabilisiert sich eine gendersensible Gestaltungshaltung entgegen einer unterwerfenden durch die partikulare Bedürfnisorientierung an der menschlichen Vielfalt. Gendersensibles Design folgt dem Ideal des Weder-Noch und ist damit offen. Genau so, wie Differenzierungen im Weder-Noch einer befreienden Unschärfe weichen272, ist auch gendersensibles Design nicht abschließend und trennscharf zu definieren. Vielmehr ist es eine wandelbare Haltung, die sich durch Flexibilität und Individualität der gender-Dynamik anpasst. 74
272 Vgl. ebd.
4.
75
3.
1. gendersensibles Design
ist bunt statt grau ist disruptiv entwirft ist mehrdeutig fokussiert partikulare Bedürfnisse ist divers ist paritätisch ist sichtbar verwirft gender als Differenzkategorie ist gesprächsbereit ist unangenehm verwirft Standards ist emotional ist offen und beweglich ist weder noch
4.
4. Gesellschaftsgestaltung: Chancen des gendersensiblen Designs Die gesellschaftstheoretischen Untersuchungen aus Kapitel zwei haben gezeigt, dass für den Abbau von geschlechtlicher Ungerechtigkeit gender als soziale Ordnungskategorie überwunden werden muss (Siehe 3.6). Dafür gilt es, Diversität in Form partizipativer Anerkennung explizit zu fördern und sichtbar zu machen (↖ 2.2.2.). Gendersensibles Design kann dabei als gestalterischer Wirt queerfeministischer Perspektiven dienen, um ideelle und aktivistische Positionen praktisch zu materialisieren und dadurch gesamtgesellschaftlich zu verbreiten. Als interventionist turn wird diese Praktik bereits in Bereichen der Informations- und Computerwissenschaften diskutiert und angewandt.273 Sandra Buchmüller bezieht diesen in ihrem „Entwurf einer machtkritischen und geschlechterinformierten Designmethodologie“ auf die Gestaltung und appelliert, „[…] dass die Ansätze der Geschlechterforschung und der feministischen Wissenschaft so in die Designforschung und -praxis integriert werden sollen, dass sie zu handlungspraktischen, machtkritischen und geschlechtergerechten Interventionen führen“.274 Gendersensibles Design kann dabei zum einen mit subversiven Ansätzen auf Missstände aufmerksam machen und darüber Diskurse in weiteren gesellschaftsprägenden Milieus wie Politik, Kultur und Öffentlichkeit anregen. Zum anderen bietet sich gendersensibles Design auf praktischer Ebene als konkrete Strategie an, um aus Objekten des alltäglichen Lebens entwerfende Produkte zu machen, die als Träger gendergerechter Werte dienen. Dafür gilt es besonders die aufstrebende Generation von Gestalter*innen für das Thema zu sensibilisieren und Genderkompetenz in Studium, Lehre und Gestaltungspraxis als Megatrend neben unter anderem Nachhaltigkeit und Digitalisierung zu positionieren. Die Beispiele aus Kapitel 4.1., denen allen gemein ist, dass sie gender als Differenzkategorie verneinen, illustrieren vielfältig, dass eine Umsetzung unmittelbar und gewinnbringend möglich ist. Indem die materielle Welt, die uns umgibt und mit der wir prägende Objekt-Mensch Beziehungen eingehen, stereotypische Geschlechterdifferenzierungen und Unterdrückungsmustern überwindet, bietet sie die Basis für gesamtgesellschaftliche Transformationen, „[…] die alle bekannten Raster zum Einsturz bringen könnten.“275 Wie Butler beschreibt, erfahren Normen ihre Stabilität durch Wiederholung (↖ 3.5.). Innerhalb dieser kann Design als „undisziplinierte Disziplin“ befreit von Konventionellem ansetzen, um die Saat neuer Realitäten zu verbreiten.276
273 Vgl. Rommes et al. 2012: 654 274 Buchmüller 2016: 227 275 Brandes 2000: 188 276 Vgl. Bonnevier 2005: 167
76
77
5. Technische Perspektiven gendersensiblen Designs
78
Im Folgenden wird abschließend eine Auswahl technischer Perspektiven für die praktische Umsetzung der Anforderungen an geschlechtliche Gleichberechtigung und Diversität vorgestellt. Der eingangs auf Prozesse und Räume ausgeweitete Designbegriff erfährt an dieser Stelle mit Hinblick auf das konkrete Entwurfsvorhaben eine Fokussierung auf des Feld des Industriedesigns. Den Ansätzen ist dabei die zentrale Bedeutung von Digitalisierung und Industrie 4.0 gemein.
5.
1. Überwindung des gender data gap Der gender data gap hat Auswirkungen auf Produktdesign- und Produktentwicklungsprozesse (↖ 3.4.2.). Mit dem Ziel, diesen zu mindern, bieten sich gendersensiblem Design zwei Schnittstellen an. Zum einen kann es als entwerfende Strategie dienen, um diversitäts-zugewandte, wissenschaftliche Datenerhebungen277 in die Praxis zu
79
übersetzen. In einer Zeit, in der Gestaltung auf Grundlage umfangreicher Daten entsteht, setzt gendersensibles Design entsprechend gendersensible Datensätze voraus. Zum anderen kann Gestaltetes dem Ansatz des fluid design (↖ 4.2.4.) folgend zur Erhebung solcher Daten beitragen und dadurch eine gendersensible Haltung vertreten. In beiden Fällen versprechen innovative Technologien vielseitiges Entwurfspotenzial. Exemplarisch liegt dabei der Fokus dieser Arbeit auf smart materials, printable electronics, vernetzten Produkten und digital fabrication.
5.
2. Vernetzte Produkte & smart materials Smart materials besitzen die Fähigkeit, sich an veränderte Bedingungen anzupassen, bzw. lassen sich manipulieren oder konkret steuern, um diese Anpassung vorzunehmen. Die ‚Intelligenz‘ kann durch zusätzliche elektronische Komponenten gesteigert werden. Innovationen aus dem Bereich der flexible und printable electronics ermöglichen zudem die Integration komplexer Schaltkreise auf textilen Materialien.278 So können beispielsweise integrierte Sensoren und Aktuatoren in Kleidungungsanwendungen Echtzeit-Daten erheben oder funktionale Aktionen ausführen. Dabei spielt die zunehmende Vernetzung von Produkten und die steigende Rechenleistung von Smartphones als Schnittstellen eine entscheidende Rolle. Je intelligenter alltägliche Produkte werden, desto größer wird auch das Potenzial,
277 Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene gilt dies als Grundlegender Ansatz, um den gender data gap zu mindern. Vgl. Haynie 2019 278 Vgl. Fraunhofer IZM o.J. 279 Hierbei sei sowohl auf Datenschutz als auch ethische Evaluationen als essentielle Themen verwiesen.
↑ 36 Stoffsampel mit integrierten LEDs und Schaltkreisen.
5.
dadurch gendersensible Daten zu erheben und partikulare Bedürfnisse zu berücksichtigen.279 Voraussetzung dafür sind unter anderem flexible und adaptive Fertigungsverfahren.
3. Mass-customization & digital fabrication
Eine Chance offener, fluider Produktgestaltung liegt in der mass-cus-
tomization. Dabei reicht das Spektrum von der flexiblen Nutzung von Systemen, Räumen und Produkten bis hin zur Individualisierung des Materials, der Farbe, der Oberfläche, der Form und der Konfiguration. Modularität, Individualisierung, Open Source, Adaptierbarkeit, Erweiterbarkeit, etc. bilden dabei Gestaltungsmotive, die durch digital fabrication umgesetzt werden können. Dabei bieten 3D-Druck-Verfahren mit verschiedenen Materialien sowie innovative additive Fertigungstechniken wie beispielswiese 3D-Knit und 3D-weaving interessante Ansätze, um bedürfnisorientiert und on-demand zu produzieren. Allgemein zeichnen sich Individualisierung und damit zusammenhängend mass-customization und digital fabrication als zukünftige Megatrends ab.280
37 Das Designstudio Kram/Weisshaar hat in Kooperation mit Adidas einen Roboter entwickelt, der auf Grundlade individueller anthopometrischer Daten einen passgenauen Laufschuh webt.
280 Vgl. zukunftsInstitut 2020; Vgl. Markforged 2020: 2 281 tool it yourself spielt auf die Praxis des do it yourself an, betont dabei aber, dass Werkzeuge einen zunehmenden Teil der Tätigkeit übernehmen. Vgl. Krejci 2019: 12
80
5.
4. Partizipation & tool it yourself Neben der kommerziellen mass-customization bieten niederschwellige Herstellungsverfahren wie 3D-Druck und CNC-Fräsen zudem die Möglichkeit, Gestaltung und Herstellung unabhängig und individualisierbar zugänglich zu machen. Das kann sowohl nach dem Prinzip tool it yourself281 privat als auch crowd- und communitybased öffentlich erfolgen. In einem modernen Verhältnis von Digitalität und Handwerk können Nutzer*innen zu Prosumern werden, sie konsumieren also nicht nur sondern partizipieren aktiv bei der Produktentwicklung.282 Gestalter*innen eröffnet sich damit ein Tätigkeitsfeld, in dem offene Prozesse, Anleitungen und Werkzeuge anstelle determinierter Produkte gestaltet werden. Diese können beispielsweise in Form von Online-Konfiguratoren, Apps oder Bausätzen zugänglich gemacht werden.
81
38 Das Projekt BeeHome ermöglicht nach dem open source Prinzip ein eigenes Bienen-Haus per Online-Konfigurator zu gestalten. Die entsprechenden Pläne können runtergeladen und z.B. von lokalen MakerLabs mit der CNC-Fräse gefertigt werden.
282 Vgl. Krejci 2019: 12
6. Resümee
82
In dieser Studie wurden mit Hinblick auf den Entwurf einer gendersensiblen, entwerfenden Gestaltungshaltung die gesellschaftliche Konstruktionsprozesse von Geschlecht mit der produktiven Produktgestaltung verknüpft. Eingangs wurden dazu Macht-, Hierarchie- und Ungleichheitsverhältnisse des gegenwärtigen Patriarchats aufgezeigt und mit Geschlecht als sozialem Ordnungsprinzip in Beziehung gesetzt. Es zeigte sich, dass die Achsen binärer Zweigeschlechtlichkeit und gesellschaftlicher Geschlechterunterdrückung kongruent verlaufen und der pseudo-biologische Charakter ersterer ein Legitimationsnarrativ letzterer darstellt. Anschließende Theorien zur Sozialkonstruktion von sex und gender charakterisierten Geschlecht jedoch als kontingente Konstruktion ohne vordiskursive Grundlage und verwandte Normvorstellungen, wenn auch an die Beharrlichkeit der Heteronormativität geknüpft, damit als wandelbar. Indem unter Bezug auf Standpunkte von Judith Butler die Gültigkeit dieser an eine stetige Wiederholung geknüpft wurde, eröffnete sich eine Schnittstelle queerfeministischer Intervention, die im weiteren Verlauf eine praktische Entsprechung im gendersensiblen Design erfahren sollte. Um die Relevanz von gender im Design aufzuzeigen, wurden in einer gestalterischen Analyse geschlechtlich unterwerfende Produkte und Prozesse angeführt und auf die zuvor skizzierten Muster hin untersucht. Dabei zeigten sich gesellschaftliche Phänomene des Androzentrismus und doing gender auf systematische Weise dem konventionellem Design inherent sowie in dessen Folge der generische Maskulin als dominant und die Benachteiligung jener von dieser 83
Norm abweichenden als intendiert bzw. toleriert. Gender beeinflusst als gestalterische Differenzkategorie Objekt-Mensch- und Objekt-Gesellschaft-Beziehung, wodurch diese als unterwerfende Momente vielfach der Förderung von gender equality und diversity entgegen stehen. In Anbetracht der Reichweite ist dessen Präsenz in designtheoretischer Literatur, besonders im deutschsprachigen Raum, bis auf die Publikationen von Uta Brandes verhältnismäßig schwach. Thematisierungen von Geschlecht und Gestaltung verbleiben meist mit einem Appell an dessen Relevanz und schließen damit ohne Perspektiven zur methodologischen oder praktischen Umsetzung. Mit dem Entwurf einer gendersensiblen Gestaltungshaltung verfolgte der dritte Themenkomplex daher den Beitrag einer entwurfsorientierten und theoretisch fundierten Auseinandersetzung. Dazu wurden in einer zweiten Analyse anhand geschlechtlich entwerfender Gestaltungsbeispiele die partikulare Bedürfnisorientierung in Kombination mit subversivem oder fluidem (offenem) Design als gendersensible Entwurfsstrategien identifiziert. In Bezug auf die gestalterischen Analogien zum undoing gender wurde betont, dass genderneutrales bzw. genderspezifisches Design nicht pauschal der Vielfalt diverser gender gerecht wird, sondern sehr achtsam anzuwenden ist. Als gestalterische*r Protagonist*in eines queerfeministischen Geschlechterverständnisses nach der Idee des Weder-Noch ist gendersensibles Design dabei indeterminierter Natur und dessen Definition wie auch gender selbst schließlich dynamisch. Es kann als unangenehme Provokation oder als alltagspraktische Problemlösung in Erscheinung treten, wobei die Intervention in gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse und die Materialisierung eines diversität-zugewandten Geschlechterverständnisses stets den kleinsten gemeinsamen Nenner bilden. Die Gegensätzlichkeit beispielsweise genderneutralen und genderspezifischen Designs ist in diesem Sinne nicht als logischer Widerspruch, sondern Zeichen der Ambivalenz der gender affairs zu verstehen und unterstreicht umso mehr die zentrale Bedeutung der partikularen Bedürfnisorientierung. Diesbezüglich wurde die Überwindung des gender data gap gleichwohl als gesellschaftliche Herausforderung und potenzieller Entwurfsansatz dargestellt. Die zunehmende Vernetzung und Intelligenz von Produkten ermöglicht dabei eine individuelle Datenerhebung und kann mit mass-customization und tool it yourself Ansätzen durch diversifizierte Produktentwicklung die Hinfälligkeit der Differenzkategorie gender bewirken. Der folgende praktische Entwurf soll innerhalb dieses thematischen Spektrums ein Beispiel gendersensibler Gestaltung anbieten und seinem Wesen nach geschlechtliche Gleichberechtigung und Diversität materialisieren.
Anhang
84
Glossar gender equality (deutsch: Gleichstellung der Ge-
lesbisch, bisexuell, queer oder asexuell leben.
schlechter) ist der auf Menschen bezogene Prozess
Cisender ist als Begriff das Pendant zu Transgender,
tatsächlicher Gleichstellung von Geschlechtern oder
wobei diese Bezeichnungen keinen binären Gegen-
Geschlechtsidentitäten in rechtlicher Hinsicht und
satz darstellen. Geschlechtsidentitäten sind viel-
im Hinblick auf ihr persönliches und berufliches
fältig oder auch fließend.288
Entfaltungspotential in einer Gesellschaft (Chancengleichheit).283
binäres System, binäre Geschlechtermodell, Zweigeschlechtermodell Das binäre System beruhen
Heteronormativität bezeichnet eine Weltanschau-
auf der Annahme, es gäbe ausschließlich die zwei
ung, welche die Heterosexualität als soziale Norm
Geschlechter ‚Mann‘ und ‚Frau‘ bzw. nur Männer
postuliert. Zugrunde liegt eine binäre Geschlechter-
und Frauen seien die geschlechtliche Norm.289
ordnung, in welcher das anatomische/biologische
85
Geschlecht mit Geschlechtsidentität, Geschlechts-
care-Arbeit oder Pflegearbeit bezeichnet Tätigkeiten
rolle und sexueller Orientierung gleichgesetzt wird.
des Pflegens und Sich-Kümmerns. Der Ausdruck
Das heteronormative Geschlechtermodell geht von
care work entstand in den 90er Jahren im englischen
einer dualen Einteilung in ‚Mann‘ und ‚Frau‘ aus,
Sprachraum und schloss an feministische Theorien
wobei es als selbstverständlich angesehen wird, dass
der zweiten Frauenbewegung an. Dort wurde unbe-
eine heterosexuelle Entwicklung vorgesehen ist und
zahlte Hausarbeit als gesellschaftlich notwendige
damit der ‚normalen’ Verhaltensweise entspricht –
und zumeist von Frauen* geleistete Arbeit sichtbar
andere Aspekte der menschlichen Sexualität werden
gemacht und ihre Bedeutung für die Wiederherstel-
oftmals pathologisiert.284
lung der Arbeitskraft herausgearbeitet.290
heteronormative Matrix Das Konzept der hetero-
drittes Geschlecht Als drittes Geschlecht werden
normativen Matrix stammt aus Judith Butlers
Personen bezeichnet oder bezeichnen sich Personen
Werk „Gender Trouble“. Sie beschreibt damit eine
selber, die sich nicht in das binäre Geschlechts-
unsichtbare Norm, die nicht konstruiert, sondern
system ‚männlich’ und ‚weiblich‘ einordnen lassen
‚natürlich’ erscheint - eine Norm, die alle und alles
(wollen). Das „dritte Geschlecht“ gilt heute als
als heterosexuell definiert, bis das Gegenteil bewie-
Variante der nichtbinären Geschlechtsidentitäten.
sen ist. Die Norm schreibt andere Lebensweisen mit
Die Begrifflichkeiten sind nicht deckungsgleich, da
Unnatürlichkeit, Andersartigkeit oder Unsichtbar-
„nichtbinär“ unter anderem auch Personen beinhal-
keit ab. Sie setzt voraus, wie wir unsere konstruierte
tet, welche die Zuschreibung eines Geschlechts und
Umwelt wahrnehmen.
285
damit die Bezeichnung „drittes Geschlecht“ für sich ablehnen (genderfluid, genderqueer, neutrois).291
Anthropometrie ist die Lehre der Ermittlung und Anwendung der Maße des menschlichen Körpers.
queer/nicht-binär Nichtbinäre Geschlechtsidentität,
Anthropometrie wird vor allem in der Ergonomie
in Kurzform nichtbinär oder nicht-binär, ist eine
zur Gestaltung von Arbeitsplätzen, Fahrzeugen,
Sammelbezeichnung für Geschlechtsidentitäten
Werkzeugen und Möbeln gebraucht.
286
aus dem Transgender-Spektrum, die weder ausschließlich ‚männlich‘ noch ‚weiblich‘ sind, sich also
Cis-Mann*/Cis-Frau* Das Adjektiv cisgender,
außerhalb dieser binären Einteilung befinden. Aus
kurz cis, bezeichnet die Übereinstimmung von
dem Englischen wurde dafür auch die Bezeichnung
Geschlechtsidentität und dem Geschlecht, das einer
genderqueer eingeführt292.
Person bei der Geburt zugewiesen wurde.
287
Es sagt
nichts über die sexuelle Identität oder Orientierung aus. Cis-Menschen können heterosexuell, schwul,
283 „Gleichstellung der Geschlechter“, 2020 284 „Heteronormativität“, 2020 285 Architectures of gender 2017 286 „Anthropometrie“, 2020 287 „cisgender“, 2020 288 gender-nrw o.J. 289 NGVT o.J. 290 „Care-Arbeit“, 2020 291 „Drittes Geschlecht“, 2020 292 „Nichtbinäre Geschlechtsidentität“, 2020
they (Pronomen) Das singulare Pronomen they wird verwendet, um eine einzelne Person zu referieren, deren Geschlechtsidentität nicht-binär ist.293 Sexismus bezeichnet von der Vorstellung, dass ein Geschlecht dem anderen von Natur aus überlegen sei, getragene Diskriminierung.294 Intersektionalität beschreibt die Überschneidung und Gleichzeitigkeit von verschiedenen Diskriminierungskategorien gegenüber einer Person.295 Genderkompetenz beschreibt die Fähigkeit, relevante Geschlechteraspekte zu erkennen und gleichstellungsorientiert zu bearbeiten.296 Empowerment Mit Empowerment bezeichnet man Strategien und Maßnahmen, die den Grad an Autonomie und Selbstbestimmung im Leben von Menschen oder Gemeinschaften erhöhen sollen und es ihnen ermöglichen, ihre Interessen (wieder) eigenmächtig, selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu vertreten.297
293 Ebd. 294 „Sexismus“, 2020 295 Vgl. „Intersektionalität“, 2020 296 Vgl. „Genderkompetenz“, 2020 297 „Empowerment“, 2020
86
Abbildungsverzeichnis 01
https://www.uniminutoradio.com.co/revolucion-o-subordinacion-de-genero/
02
https://www.facebook.com/rootsofcompassion/photos/pcb.10156799591261771/1015679958568677 1/
03
https://boot-boyz.biz/products/sedia-1-chair
04
https://www.cucula.org/wp-content/uploads/2015/03/DOMUS_0012_Cucula.pdf
05-06
https://www.lego.com/de-de/product/liebherr-r-9800-excavator-42100 https://www.lego.com/de-de/product/rescue-mission-boat-41381
87
07
https://www.eaiinfo.com/etsas/
08
https://www.spiegel.de/geschichte/crashtest-dummys-a-948344.html
09-10
https://media.wired.com/photos/5c3f913f95d28a2cb5b76d38/master/w_2560%2Cc_limit/Culture_gillette-shaving-ad-951634214.jpg https://medianet.at/news/images/2020/02/Gillette_Venus_Extra_Smooth_Sensitive_Ros_Gold_.jpg
11
https://www.mambocat.de/einmachen-und-aufbewahren/sturzglaeser/435ml/12er-set-sturzglas435-ml-marmeladenglas-einmachglas-einweckglas-to-82-goldener-deckel-incl-diamant-zuckergelierzauber-rezeptheft_4154_5032
12
eigene Darstellung, nach https://de.wikipedia.org/wiki/Klaviatur
13
https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Fahrrads
14
http://rincondemaquetas.blogspot.com/2016/12/unite-dhabitation-le-corbusier.html
15
https://www.apple.com/de/siri/
16
https://www.schadeundsohn.de/werkzeuge-maschinen/makita/719-stark-kompakt-pinkmakita-akku-schlagbohrschrauber-limited-edition
17
https://twitter.com/RNBVB/status/1153597129056751616/photo/1
18
https://www.sueddeutsche.de/panorama/frauen-und-maenner-gleicher-als-gleich-1.3265185
19
eigene Darstellung
20
http://lenscratch.com/wp-content/uploads/2020/09/Yoon_The-Pink-Project_Jeeyoo.jpg
21
eigene Darstellung, nach https://emojipedia.org/people/
22
https://www.genderlessvoice.com/
23-24
https://www.bosch-heroes.com/de/de/ixo/ixo/116/myixo?number=06039C7104
25-26
https://www.obi.de/schleifmaschinen/bosch-easycurvsander-12-v-mit-akku/p/9536897 https://www.bosch-presse.de/pressportal/de/de/besonders-kompakt-und-langlebig-durch-buerstenlosen-motor-easyimpact-12-von-bosch-fuer-heimwerker-184066.html
27-28
eigene Darstellung, http://charlotterohde.de/typefaces
29
eigene Darstellung
30-31
https://sbahn.berlin/aktuelles/artikel/fahrgaeste-entwickelten-die-neue-s-bahn-mit/
32
https://www.nzz.ch/feuilleton/eileen-gray-und-le-corbusier-und-wie-das-haus-e1027-inroquebrune-mehrmals-beruehmt-wurde-ld.1501810
33
https://www.behance.net/gallery/21980783/BASIK
34
https://2020.rca.ac.uk/students/marcela-baltarete
35
https://germandesigngraduates.com/2064/
36
https://www.izm.fraunhofer.de/de/abteilungen/system_integrationinterconnectiontechnologies/ arbeitsgebiete/stretchable_electronics.html
37
https://www.kramweisshaar.com/projects/futurecraft.strung
38
https://www.beehome.design/
88
Literaturverzeichnis Literaturquellen Bartel, Rainer et al.. Heteronormativität und Homosexualitäten. Herausgegeben von Meinrad Ziegler. 1. Edition. Innsbruck: Studien Verlag, 2007. Statista. „Bevölkerung nach Geschlecht und Generation 2019“. Zugegriffen 16. November 2020. Bieling, Tom. Gender. Mimesis International, 2020. Bonnevier, Katarina. „A Queer Analysis of Eileen Gray’s E.1027“. In Negotiating Domesticity: Spatial Productions of Gender in Modern Architecture / [Ed] Hilde Heyen and Gulsum Baydar (Eds), London & New York: Routledge, 2005. Routledge, 2005. Boyle, Rhonda/Boyle, Robin/Booker, Erica. Pianist hand spans: gender and ethnic differences and implications for piano playing, 2015. 89
Brandes, Uta. „Dazwischen: Design und Geschlecht“. In Das undisziplinierte Geschlecht: Frauen- und Geschlechterforschung — Einblick und Ausblick, herausgegeben von Angelika Cottmann, Beate Kortendiek, und Ulrike Schildmann, 177–89. Geschlecht und Gesellschaft. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2000. Brandes, Uta. „Focus Uta Brandes“. Form 287, Nr. Frauen im Design (2020): 127–32. Brandes, Uta. Gender Design: Streifzüge zwischen Theorie und Empirie: Streifzge zwischen Theorie und Empirie. 1. Edition. Basel ; Boston: Birkhäuser, 2017. Brandes, Uta/Stich, Sonja/Wender, Miriam. Design by Use: The Everyday Metamorphosis of Things. 1st edition. Basel Boston, Mass. Berlin: Birkhäuser, 2008. Buchmüller, Sandra. „Geschlecht macht Gestaltung - Gestaltung macht Geschlecht“, 2015 Butler, Judith. Das Unbehagen der Geschlechter. Übersetzt von Kathrina Menke. Deutsche Erstausgabe, 20. Auflage. Edition Suhrkamp, 1722 = Neue Folge, Band 722. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2019. Butler, Judith. „Is Kinship Always Already Heterosexual?“ Differences: A Journal of Feminist Cultural Studies 13, Nr. 1 (1. Februar 2002): 14–44. Butler, Judith. Körper von Gewicht: Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Übersetzt von Karin Wördemann. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1997. Chlebos, Laura/Schmidt, Silvana/Ziemes, Johanna. „Queerfeminismus Ideen, Positionen und Aktionen“. onlinejournal kultur & geschlecht 21 (2018). Criado-Perez, Caroline. Unsichtbare Frauen: Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert. Übersetzt von Stephanie Singh. Deutsche Erstausgabe Edition. btb Verlag, 2020.
Czollek, Leah Carola/Perko, Gudrun/Weinbach, Heike. „Radical Diversity im Zeichen von Social Justice“. Soziale (Un)Gerechtigkeit. Kritische Perspektiven auf Diversity, Intersektionalität und Antidiskriminierung, 2009. Czollek, Max. Gegenwartsbewältigung. 3. Ausgabe. Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, 2020. Davis, M./ Been, R./Unicode Emoji Subcommittee. „Gender Emoji ZWJ Sequences“, 14. Juli 2016, 8. Deutsch, Francine M. „Undoing Gender“. Gender and Society 21, Nr. 1 (2007): 106–27. Ehrnberger, K./Räsänen, M.,/Ilstedt, S.. „Visualising Gender Norms in Design: Meet the Mega Hurricane Mixer and the Drill Dolphia“. International Journal of Dsign, 2012, 85–98. form GmbH & Co. form No 287. Frauen und Design. Verlag form, 2020. Foster, Nicola. „Gender Equality Scheme 2007-2010“, o. J., 34. Grigowski, Zita. Trans* Fiction: Geschlechtliche Selbstverständnisse und Transfeindlichkeit. 1. Edition. Münster: Unrast Verlag, 2016. 90 Haslinger, Susanne. „Designing Gender Der Einfluss des sozialen Geschlechts im Produktund Informations-Design“, 2004. Hagemann-White, Carol. „Die Konstrukteure des Geschlechts auf frischer Tat ertappen?: Methodische Konsequenzen einer theoretischen Einsicht“. Feministische Studien 11, Nr. 2 (1. November 1993): 68–78. HfG-Archiv Museum Ulm (Hrsg.)/Kurz, Katharina/Jerger, Pia. Nicht Mein Ding - Gender Im Design: Not My Thing - Gender in Design. 1. Edition. Stuttgart : Ulm: avedition, 2020. Hines, Sally. #dkkontrovers. Wie ändert sich Gender?: Große Fragen des 21. Jahrhunderts. 1. Edition. Dorling Kindersley Verlag GmbH, 2019. Hochmuth, Andreas. Kommt Zeit, kommt Rad. Wien: Wien : ÖBV, 1991. Kelley, Amanda et al.. A Materiel Solution to Aircraft Upset. AIAA Guidance, Navigation, and Control Conference, 2014. Kirkham, Pat. The Gendered Object. Manchester, UK ; New York : New York: Manchester University Press, 1996. Klaus Klemp. Less and More: The Design Ethos of Dieter Rams. 4. Edition. Berlin: Die Gestalten Verlag, 2015. Krejci, Jessica. „Tool-It-Yourself“. Form 282, 2019, 12–14. Kroll, Renate. Metzler Lexikon Gender Studies-Geschlechterforschung: Ansätze, Personen, Grundbegriffe. 1. Edition. Stuttgart: J.B. Metzler, 2002. Kwon, Ho-Beom. „Gender difference in speech intelligibility using speech intelligibility tests and acoustic analyses“. The Journal of Advanced Prosthodontics 2, Nr. 3 (September 2010):
Laqueur, Thomas. Auf den Leib geschrieben: Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud. Übersetzt von Jochen Bussmann. 1. Edition. Frankfurt/Main: Campus, 1992. Lorber, Judith. Gender-Paradoxien. 2. Aufl. Geschlecht und Gesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 1999. Mareis, Claudia. Theorien des Designs zur Einführung. 2., korrigierte Edition. Hamburg: Junius Verlag, 2016. Markforged. „The Additive Movement Has Arrived“, 2020. Meissner, Hanna. „Die soziale Konstruktion von Geschlecht – Erkenntnisperspektiven und gesellschaftstheoretische Fragen“, 2008, 23. Myles, Kimberly/Binseel, Mary. „The Tactile Modality: A Review of Tactile Sensitivity and Human Tactile Interfaces“, 1. Mai 2007, 27. Papanek, Victor. Design for the Real World: Human Ecology and Social Change. Third edition. London: Thames & Hudson, 2019. 91
Pater, Ruben. The Politics of Design: A (Not So) Global Manual for Visual Communication: A (Not So) Global Design Manual for Visual Communication. 5. Edition. Amsterdam, The Netherlands: BIS Publishers, 2016. Prewitt-Freilino, Jennifer L./Caswell, T. Andrew/Laakso, Emmi K.. „The gendering of language: A comparison of gender equality in countries with gendered, natural gender, and genderless languages“. Sex Roles: A Journal of Research 66, Nr. 3–4 (2012): 268–81. Rommes, Els/Bath, Corinna/Maass, Susanne. „Methods for Intervention: Gender Analysis and Feminist Design of ICT“. Science, Technology, & Human Values 37, Nr. 6 (November 2012): 653–62. Schubiger, Caroline. „Männer, Frauen, Messebau“. designreport 7+8, 2004, 20, 21. Sczesny, Sabine/Formanowicz, Magda/Moser, Franziska. „Can Gender-Fair Language Reduce Gender Stereotyping and Discrimination?“ Frontiers in Psychology 7 (2016). Simon, Herbert A. The Sciences of the Artificial. 3. Edition. Cambridge, Mass: MIT Press, 1996. Steffen, Dagmar. „Design Semantics of Innovation“. Design Semiotics in Use, 2010. Stokowski, Margarete. Untenrum frei. 16. Edition. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch, 2018. Throm, Claudia. „Diskurse der Geschlechterdifferenz“, 2010. Weller, Birgit/Krämer, Katharina. Du Tarzan ich Jane: Gender Codes im Design. Hannover: Blumhardt, 2012. West, Candace/Zimmerman, Don H.. „Doing Gender“. Gender & Society 1, Nr. 2 (1. Juni 1987).
Internetquellen „4 Konsequenzen aus dem Megatrend Gender Shift“, 1. Oktober 2020. https://www. zukunftsinstitut.de/artikel/4-konsequenzen-aus-dem-megatrend-gender-shift/ [11.27.20]. „About Us | Engineering Acoustics, Inc.“ Zugegriffen 3. Dezember 2020. https://www. eaiinfo.com/about-us/ [12.3.20]. „Anthropometrie“. In Wikipedia, 12. September 2020. https://de.wikipedia.org/w/index. php?title=Anthropometrie&oldid=203598625[12.3.20]. Statista. „Anzahl der verfügbaren Emoticons weltweit 2020“. Zugegriffen 10. Dezember 2020. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/984240/umfrage/anzahl-der-vefuegbaren-emoticons-weltweit/ [12.10.20]. Bosch. „EasyImpact 12 Akku-Zweigang-Schlagbohrschrauber | Bosch DIY“. Werkzeuge für Heim & Garten. Zugegriffen 10. Dezember 2020. https://www.bosch-diy.com/de/de/p/ easyimpact-12-06039b6106-v100047637 [12.10.20]. Bundesverfassungsgericht, 1 Senat. „Bundesverfassungsgericht - Entscheidungen - Personenstandsrecht muss weiteren positiven Geschlechtseintrag zulassen“. Gerichtsentscheidung. Bundesverfassungsgericht, 10. Oktober 2017. De. https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/10/rs20171010_1bvr201916.html [11.25.20]. „Care-Arbeit“. In Wikipedia, 22. November 2020. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Care-Arbeit&oldid=205827376[11.25.20]. „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“. Zugegriffen 13. November 2020. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:12012P/ TXT&from=DE[12.14.20]. „cisgender“. In Wikipedia, 5. Dezember 2020. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Cisgender&oldid=206244357[12.14.20]. „#cis-gender – FUMA Fachstelle Gender & Diversität“. Zugegriffen 14. Dezember 2020. https://www.gender-nrw.de/cis-gender/[12.14.20]. „Cross-Dressing“. In Wikipedia, 19. Juni 2020. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Cross-Dressing&oldid=201121687 [12.10.20]. Czollek, Leah Carola/Perko, Gudrun. „Social Justice und Diversity Training: Intersektionalität als Diversitymodell und Strukturanalyse von Diskriminierung und Exklusion“. Portal Intersektionalität. Zugegriffen 14. Dezember 2020. http://portal-intersektionalitaet.de/ theoriebildung/ueberblickstexte/perkoczollek/[12.14.20]. „Das andere Geschlecht“. In Wikipedia, 18. September 2020. https://de.wikipedia.org/w/ index.php?title=Das_andere_Geschlecht&oldid=203778215[12.14.20].
92
Deutscher Bundestag. „Deutscher Bundestag - Frauen und Männer“. Zugegriffen 16. November 2020. https://www.bundestag.de/abgeordnete/biografien/mdb_zahlen_19/ frauen_maenner-529508 [11.16.20]. „Die Megatrend-Map“, 1. Oktober 2020. https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/die-megatrend-map/[11.25.20]. „Drittes Geschlecht“. In Wikipedia, 30. Oktober 2020. https://de.wikipedia.org/w/index. php?title=Drittes_Geschlecht&oldid=205011978[12.25.20]. „Empowerment“. In Wikipedia, 6. November 2020. https://de.wikipedia.org/w/index. php?title=Empowerment&oldid=205244800 [11.16.20].. Statista. „Europäische Union - Anteil von Frauen in Parlamenten 2019“. Zugegriffen 16. November 2020. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1110105/umfrage/frauenanteil-in-den-nationalen-parlamenten-der-eu-laender/ [11.16.20]. Feminist Frequency. LEGO Friends - LEGO & Gender Part 1, 2012. https://www.youtube. com/watch?v=CrmRxGLn0Bk&ab_channel=FeministFrequency[12.02.20]. 93
Folkwang Universität der Künste. „Unisex-BH Kollektion “2064”“. Folkwang Industrial Design. Zugegriffen 15. Dezember 2020. https://id.folkwang-uni.de/projekte/unisex-bh-kollektion-2064/[12.15.20]. „Frauen im Europäischen Parlament (Infografik) | Aktuelles | Europäisches Parlament“, 7. März 2019. https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20190226STO28804/frauen-im-europaischen-parlament-infografik [11.16.20]. Fraunhofer IZM. „Stretchable Electronics - Fraunhofer IZM“. Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM. Zugegriffen 18. Dezember 2020. https://www. izm.fraunhofer.de/de/abteilungen/system_integrationinterconnectiontechnologies/arbeitsgebiete/stretchable_electronics.html [12.18.20]. Geimer, Alexander. „Undoing Gender“. Zugegriffen 23. November 2020. https://genderglossar.de/glossar/item/10-undoing-gender [11.23.20]. „Gender Data Gap“. In Wikipedia, 18. September 2020. https://de.wikipedia.org/w/index. php?title=Gender_Data_Gap&oldid=203766534 [11.20.20]. „Gender Dysphoria“. In Wikipedia, 8. Dezember 2020. https://en.wikipedia.org/w/index. php?title=Gender_dysphoria&oldid=992994916 [12.23.20]. „Genderkompetenz“. In Wikipedia, 3. November 2020. https://de.wikipedia.org/w/index. php?title=Genderkompetenz&oldid=205161424 [11.29.20]. German Design Graduates. „2064“, 2020. https://germandesigngraduates.com/2064/ [12.15.20]. „Geschichte des Fahrrads“. In Wikipedia, 15. November 2020. https://de.wikipedia.org/w/ index.php?title=Geschichte_des_Fahrrads&oldid=205557589 [12.01.20]. „Gleichstellung der Geschlechter“. In Wikipedia, 13. Dezember 2020. https://de.wikipedia. org/w/index.php?title=Gleichstellung_der_Geschlechter&oldid=206491707[12.03.20] .
Goldmark, Alex. „Census Data Show Public Transit Gender Gap | WNYC | New York Public Radio, Podcasts, Live Streaming Radio, News“. WNYC, 2012. https://www.wnyc.org/story/283137-census-data-show-public-transit-gender-gap/ [12.04.20]. Greed, Clara. „Global Gendered Toilet Provision“, 8. April 2014. https://uwe-repository. worktribe.com/output/819197/global-gendered-toilet-provision [12.02.20]. Meaningful Play Experiences to Girls Worldwide With New LEGO® Friends“. Zugegriffen 3. Dezember 2020. https://www.prnewswire.com/news-releases/lego-group-declares-newyears-resolution-for-2012-deliver-meaningful-play-experiences-to-girls-worldwide-withnew-lego-friends-135844888.html [12.3.20]. Hahn, Jennifer. „Marcel/a Baltarete Uses 3D Animation as Therapy for Gender Dysphoria“. Dezeen, 12. November 2020. https://www.dezeen.com/2020/11/12/marcela-baltarete-journey-digital-introspection-relief-3d-animation/ [12.11.20]. Haynie, Jeanette Gaudry. „Bridging the Gender Data Gap“. Brookings (blog), 20. November 2019. https://www.brookings.edu/blog/techtank/2019/11/20/bridging-the-gender-data-gap/ [12.18.20]. Hecht, Marie. „Doppelpunkt statt Gendersternchen?“ Supernova (blog), 2020. https://www. supernovamag.de/doppelpunkt/[11.25.20]. „Heteronormativität“. In Wikipedia, 15. Oktober 2020. https://de.wikipedia.org/w/index. php?title=Heteronormativit%C3%A4t&oldid=204563484[11.25.20]. „Heterosexual Matrix – Making Difference: Architectures of Gender“, 12. November 2017. https://blogs.ethz.ch/making-difference/2017/11/12/heterosexual-matrix/ [12.13.20]. „Human-Centered Design“. In Wikipedia, 9. Dezember 2020. https://en.wikipedia.org/w/ index.php?title=Human-centered_design&oldid=993243051 [11.13.20]. IONOS Digitalguide. „Human-Centered Design: Nutzerfreundliche Produkte, die tatsächliche Probleme lösen“. Zugegriffen 14. Dezember 2020. https://www.ionos.de/digitalguide/ websites/web-entwicklung/human-centered-design/[12.14.20]. „Intersektionalität“. In Wikipedia, 9. Dezember 2020. https://de.wikipedia.org/w/index. php?title=Intersektionalit%C3%A4t&oldid=206372240[12.18.20]. Kirig, Anja, und Verena Muntschick. „Von Gendering über Unisex zu Post Gender“, 2015. https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/von-gendering-ueber-unisex-zu-post-gender/ [12.14.20]. Lesben- und Schwulenverband (LSVD) e.V. „‚LSBTI-freie Zonen‘ in Polen - Steigender Hass im Nachbarland“. Zugegriffen 13. November 2020. https://www.lsvd.de/de/ct/2227-quotLSBTI-freie-Zonen-quot-in-Polen-Steigender-Hass-im-Nachbarland [11.13.20].. „LGBT-ideologiefreie Zone“. In Wikipedia, 2. Oktober 2020. https://de.wikipedia.org/w/ index.php?title=LGBT-ideologiefreie_Zone&oldid=204178115[11.13.20]. Loring Murphy, Zoe. „Serif, Babe.“ FEMME TYPE (blog), 25. März 2020. https://femmetype.com/serifbabe/[12.10.20].
94
Maglaty, Jeanne. „When Did Girls Start Wearing Pink?“ Smithsonian Magazine, 2011. https://www.smithsonianmag.com/arts-culture/when-did-girls-start-wearing-pink-1370097/ [12.6.20]. Dezeen. „Marcel/a Baltarete Uses 3D Animation as Therapy for Gender Dysphoria“, 12. November 2020. https://www.dezeen.com/2020/11/12/marcela-baltarete-journey-digitalintrospection-relief-3d-animation/[12.5.20]. „Mason Jar“. In Wikipedia, 18. November 2020. https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Mason_jar&oldid=989297270[12.06.20]. „Megatrend Gender Shift“, 1. Oktober 2020. https://www.zukunftsinstitut.de/dossier/megatrend-gender-shift/ [11.25.20]. Netzpolitik.org. „ABC der Offenheit - Was ist Open Design?“ netzpolitik.org (blog), 16. Dezember 2019. https://netzpolitik.org/2019/was-ist-open-design/[12.16.20]. „Neue S-Bahnzüge für Berlin“. Zugegriffen 10. Dezember 2020. https://sbahn.berlin/dasunternehmen/fahrzeugpark/neue-zuege/ [12.10.20]. 95
NGVT. „Binäres Geschlechtermodell / Zweigeschlechtermodell – NGVT* NRW“. Zugegriffen 13. Dezember 2020. https://ngvt.nrw/binaeres-geschlechtermodell-zweigeschlechtermodell/[12.13.20]. „Nichtbinäre Geschlechtsidentität“. In Wikipedia, 6. Dezember 2020. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Nichtbin%C3%A4re_Geschlechtsidentit%C3%A4t&oldid=206297156[12.17.20]. „Nutzung von virtuellen digitalen Assistenten weltweit bis 2021 | Statista“. Zugegriffen 23. Dezember 2020. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/620321/umfrage/nutzung-vonvirtuellen-digitalen-assistenten-weltweit/ [12.23.20]. „Objektivität“. In Wikipedia, 23. August 2020. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Objektivit%C3%A4t&oldid=203032181 [11.23.20]. Papasabbas, Lena. „4 Konsequenzen aus dem Megatrend Gender Shift“, 1. Oktober 2020. https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/4-konsequenzen-aus-dem-megatrend-gender-shift/ [12.14.20]. „Pathologie“. In Wikipedia, 26. November 2020. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Pathologie&oldid=205959537 [12.16.20]. „Patriarchat (Soziologie)“. In Wikipedia, 16. November 2020. https://de.wikipedia.org/w/ index.php?title=Patriarchat_(Soziologie)&oldid=205582815[12.14.20]. „Queer-Feminismus – Asex-Wiki“. Zugegriffen 14. Dezember 2020. http://asexuality. altervista.org/wiki/de/Queer-Feminismus[12.14.20]. „Queer-Theorie“. In Wikipedia, 27. November 2020. https://de.wikipedia.org/w/index. php?title=Queer-Theorie&oldid=205976881[12.14.20].
ramblingbrick. „Minifigure Gender Distribution: 2017 Update“. The Rambling Brick (blog), 31. Oktober 2017. https://ramblingbrick.com/2017/10/31/minifigure-gender-distribution2017-update/[12.3.20]. „Sexismus“. In Wikipedia, 3. Dezember 2020. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Sexismus&oldid=206206984 [12.14.20]. Shaul, Brandy. „Report: 92% of Online Consumers Use Emoji (Infographic)“, 30. September 2015. https://www.adweek.com/digital/report-92-of-online-consumers-use-emoji-infographic/ [12.10.20]. Shaver, Katherine. „Female Dummy Makes Her Mark on Male-Dominated Crash Tests“. Washington Post, 25. März 2012, Abschn. Transportation. https://www.washingtonpost. com/local/trafficandcommuting/female-dummy-makes-her-mark-on-male-dominatedcrash-tests/2012/03/07/gIQANBLjaS_story.html [12.11.20]. Socher, Richard. „Richard Socher, was denken Maschinen?“ 26.11.2020. Alles gesagt?, o. J. „Spielen mit LEGO macht aus Kindern kleine Genies“. Zugegriffen 3. Dezember 2020. https://www.forschung-und-wissen.de/nachrichten/medizin/spielen-mit-lego-macht-auskindern-kleine-genies-13372092 [12.3.20]. Statistisches Bundesamt. „Gender Pay Gap“. Statistisches Bundesamt. Zugegriffen 18. November 2020. https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/QualitaetArbeit/Dimension-1/gender-pay-gap.html [11.18.20]. „Subversion“. In Wikipedia, 11. Dezember 2020. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Subversion&oldid=206425844 [12.18.20]. UDK Berlin. „Spekulatives Design › Studiengang Design“. Zugegriffen 15. Dezember 2020. https://design.udk-berlin.de/lehrangebot/spekulatives-design/[12.15.20]. „Undoing Gender“. In Wikipedia, 19. Oktober 2019. https://de.wikipedia.org/w/index. php?title=Undoing_Gender&oldid=193270392 [12.05.20]. Unicode Inc. „Emoji Counts, v13.1“, 15. September 2020. https://unicode.org/emoji/charts/ emoji-counts.html [12.10.20]. „VERTRAG ÜBER DIE ARBEITSWEISE DER EUROPÄISCHEN UNION“. OPOCE. Zugegriffen 9. November 2020. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/ HTML/?uri=CELEX:12012E/TXT&from=GA [11.08.20]. Statista. „Vollzeit- und Teilzeitquote von erwerbstätigen Männern und Frauen mit Kindern 2019“. Zugegriffen 18. November 2020. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/38796/ umfrage/teilzeitquote-von-maennern-und-frauen-mit-kindern/ [11.18.20]. Statista. „Vollzeit- und Teilzeitquote von erwerbstätigen Männern und Frauen mit Kindern 2019“. Zugegriffen 25. November 2020. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/38796/ umfrage/teilzeitquote-von-maennern-und-frauen-mit-kindern/ [11.25.20]. Winterhagen, Judith, und Alain Bieber. „Subversives Design“. nextmuseum.io (blog). Zugegriffen 15. Dezember 2020. https://www.nextmuseum.io/exhibitions/subversives-design/ [12.15.20].
96
97
Eigenständigkeitserklärung Ich versichere hiermit, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Quellen und Hilfsmittel verfasst habe. Wörtlich übernommene Sätze oder Satzteile sind als Zitat belegt, andere Anlehnungen, hinsichtlich Aussage und Umfang, unter Quellenangabe kenntlich gemacht. Die Arbeit hat in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner Prüfungsbehörde vorgelegen und ist nicht veröffentlicht. Sie wurde nicht, auch nicht auszugsweise, für eine andere Prüfungs- oder Studienleistung verwendet. Ich weiß, dass meine Arbeit im Studiengang Industrial Design des Fachbereichs Gestaltung zu Dokumentationszwecken – auch öffentlich – archiviert wird.
Berlin, den 31.12.2020 98
99
Gestaltung Tim Schütze Typefaces Söhne, Klim Type Forundry Suisse Works, Swiss Typefaces Serifbabe ALPHA, Charlotte Rohde
Tim Schütze — 2021