Unsere Tiere - Ausstellungskatalog

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Frank D. Steinheimer Das Tote Tier in der Wissenschaft Biologie ist die „Lehre des Lebens“. Daher mag es erst einmal sehr erstaunen, dass gerade anhand toter Tiere das Leben erforscht wird. Dennoch sind viele biologische Teildisziplinen, von der zoologischen Taxonomie und Nomenklatur, über die Genetik und Phylogenie bis hin zur beispielsweise Parasitologie und Immunologie, auf tote Tiere angewiesen. Museen voller toter Tiere Schon in der Renaissance entstanden die ersten Wunderkammern und Naturalienkabinette, die damals, ähnlich heutiger Museen, zwei Anliegen bedienten: dem Erkenntnisgewinn durch das Studium des Objektes und die Freude daran. Bis weit in das zwanzigste Jahrhundert hinein fehlte es einem Großteil der Forschenden an entsprechender optischer Ausrüstung im Feld, an technischen Aufnahme- und Analysemöglichkeiten und an moderner Expeditionslogistik. Nur das tote Tier konnte ausgiebig studiert werden. Daher waren die Anleitungen zur Feldforschung im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert auch voll von Instruktionen, wie ein Feldforscher wohl am besten lebende Tiere fangen, töten, präparieren und nach Hause schaffen könnte (Schulze-Hagen et al. 2003). Im Laufe der Zeit wurden so allein in Deutschland um die dreihundert heute noch existierende naturkundliche Sammlungen mit insgesamt mindestens 140 Millionen Einzelobjekten toter Tiere und Pflanzen gefüllt. Darunter sind beispielsweise fünfzig rein zoologische Sammlungen an Universitäten beheimatet und achtundzwanzig Museen mit naturkundlichen Dauerausstellungen öffentlich zugänglich (Eder 2013, Anonym 2014, Weber 2014) (Abb. S. 7). Mit der Anhäufung des Toten wuchs zeitgleich aber auch die Erkenntnis vom Leben. Sogar einschlägige Theorien in der Biologie, wie die Evolutionstheorie von Charles Darwin, basieren maßgeblich auf totem Material. Warum das tote, nicht das lebende Tier? Günstiger Umstand beim toten Tier ist derjenige, dass es absolut still hält, sich beschneiden, begucken, drehen und wenden, sich chemisch analysieren und ins letzte Detail sezieren, sich in ein System – und 6


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