Das Gespenst des Populismus. Ein Essay zur politischen Dramaturgie

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Der Aufschrei nutzt den bewährten Alarmruf: „Ein Rassist will uns abschotten!“, und das linksliberale Milieu steht ihm bei. Die Wahrheit ist hingegen, dass die Arbeitsvisa vor allem dazu gebraucht werden, um hochqualifizierte, aber billige Programmierer ins Land zu holen, die US-Amerikaner arbeitslos machen und deren Dumpinglöhne die Gewinne der Aktionäre steigen lassen. Hinter der moralischen Panik verstecken sich ausschließlich die Interessen des Kapitals, das einen Lohnkampf führt, indem es den Arbeitsmarkt globalisiert. Solange die liberalen Eliten das nicht verstehen, sind sie objektiv Kollaborateure der Superreichen. Die Kapitalismusversteher aus dem Milieu der Besserverdienenden sind von diesen Überschneidungen bisher nur irritiert. Sie leugnen weiterhin, dass z. B. die Schuld von Hillary Clinton darin liegt, ihren demokratischen Gegenkandidaten Bernie Sanders mit politischen Intrigen verhindert zu haben. Sie haben noch nicht verstanden, dass das Projekt einer offenen Gesellschaft schon lange von feindlichen Interessen vereinnahmt worden ist, und sie ziehen darum die falschen Schlüsse, wenn sie alle, die gegen das bestehende System aufbegehren, in den Topf der Rassisten und Faschisten werfen. In der realen Politik gibt es hingegen längst Beispiele dafür, wie der populistische Druck eine positive Wirkung auf die Macht hat. Wenn Theresa May als neue Premierministerin in Großbritannien nach dem Brexit-Votum erklärt, dass nun eine Kehrtwende in der neoliberalen Politik erfolgen muss, dann sagt niemand den Brexitwählern dafür Danke, sondern alle behaupten, dass dies endlich ein gelungener Schlag gegen den Populismus ist. Dabei ist die Tatsache offensichtlich, dass eine solche Kehrtwende in der Sozialpolitik einer Tory-Politikerin

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