Rheinisches Landestheater Neuss (Hg.): Blick zurück nach vorn. 110 Jahre Rheinisches Landestheater

BLICK ZURÜCK

VORN NACH

1925 2025

BLICK ZURÜCK NACH VORN EIN JAHRHUNDERT RHEINISCHES LANDESTHEATER NEUSS 1925–2025

BLICK ZURÜCK NACH VORN EIN JAHRHUNDERT RHEINISCHES LANDESTHEATER NEUSS 1925–2025

In Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Neuss

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

INHALT 006 Grußworte

012

Frank-Walter Steinmeier Ina Brandes Reiner Breuer Cornel Hüsch Marie Johannsen

Rückblick Ein Jahrhundert Theater

022 Augenblicke 1925/26–1957/58 028 Das Rheinische Städtebundtheater 034

im Horizont der Weimarer Republik Prof. Dr. Peter W. Marx

on der Gründung 1925 bis zum V Theaterneubau 1958 Dr. Annekatrin Schaller

044 Augenblicke 1958/59–1974/75 048 Es ist noch kein Abstecher vom Himmel gefallen Dirk Gondesen

052 49 Jahre auf Abstecher unterwegs für das Rheinische Landestheater Ein Interview mit Josef Bebber

054 Augenblicke 1975/76–1999/2000 058 Das Rheinische Landestheater im 064

ausgehenden 20. Jahrhundert Dr. Heribert Brinkmann

Neusser Impressionen der 1990er Lutz Hübner

070 Augenblicke 2000/01–2025/26 080 Das Rheinische Landestheater im neuen

4

Schauspielhaus an der Oberstraße Helga Bittner-Mies

090 Korkenknallen für die Knochenbühne 096 098

Stefan Keim

»Horst, du machst das schon« Ein Grußwort von Horst Lichter inblicke E Hinter den Kulissen 1925–2025

106 Das Rheinische Landestheater in seinem 114

Jubiläumsjahr Natalie Urbig

Hundert Jahre Rheinisches Landestheater Dr. Bertold Mathias Reinartz

116 Überleben durch Veränderung in Richtung

124

Utopie Marie Johannsen, Cornel Hüsch und David Michalski im Gespräch

Durchblick Ein Jahrhundert in Spielplanauszügen 1925–2025

130 Wir sind auch schon 37!

Joachim Rulfs

132 Blickwinkel

144

146 148 149

Intendant:innen Trägergemeinden Besucher:innen lickpunkte B Intendant:innen des Rheinischen Landestheaters und Vorsitzende des Trägervereins Förder:innen und Kooperationen Abbildungsnachweis Dank

5

GRUẞWORTE

6

Wie es sich im Rheinland gehört, hat das Rheinische Landestheater Neuss seinen hundertsten Geburtstag ausgiebig gefeiert – eine Woche lang.

Was es seinem Publikum in dieser Woche dargeboten hat, spiegelt das beeindruckende Repertoire wider: Kindertheater und politische Diskussion, Lesung und Fotoausstellung, gemeinsames Singen und eine Uraufführung.

Im Kulturleben Nordrhein-Westfalens gehört das Rheinische Landestheater Neuss zu den wichtigsten Bühnen. Die Stücke des größten reisenden Schauspieltheaters sind aber nicht nur in Neuss und Umgebung, sondern getreu seines Namens im ganzen Rheinland zu sehen, vor allem an Orten ohne eigene Schauspielhäuser.

Im Programm der Festwoche habe ich mich über eine Inszenierung besonders gefreut: »Der Gestiefelte Kater«. Dieses schöne Grimm’sche Märchen stand schon auf dem ersten Spielplan des Theaters. Und ich kann mir gut vorstellen, dass der gewitzte Kater das junge Publikum 1925 ebenso sehr begeistert hat, wie er es heute, hundert Jahre später, in einer neuen Bearbeitung tut.

Frank-Walter Steinmeier Bundespräsident

Denn geht es im Theater nicht genau darum: Geschichten erzählt zu bekommen? Geschichten, die Menschen unterhalten, sie zum Träumen, zum Schmunzeln, zum Nachdenken bringen.

Theater kann uns verzaubern, vielleicht sogar verwandeln, die Fantasie anregen – gerade mit einem Märchen. Und insbesondere junge Menschen an das Theater heranzuführen, das hat sich das Rheinische Landestheater Neuss schon lange zur Aufgabe gemacht: Regelmäßig findet dort Schülertheater statt und seit 2003 auch das Kinder- und Jugendtheatertreffen des Landes Nordrhein-Westfalen.

Theater kann und darf auch verändern. Es will der Gesellschaft auch den Spiegel vorhalten, wirkt in sie hinein und bestimmt deren Diskurse mit. Im Theater kommen Menschen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund zusammen. Und wenn Menschen im Theater über dasselbe lachen und nach einer Vorstellung angeregt über das Stück miteinander diskutieren, dann stärkt das auch das Miteinander. Theater wie das Rheinische Landestheater Neuss bereichern unsere demokratische Kultur und unsere Demokratie.

Herzlichen Glückwunsch zum hundertsten Geburtstag!

Frank-Walter Steinmeier

7

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

LIEBE LESERINNEN UND LESER, zum Jubiläum des Rheinischen Landestheaters Neuss gratuliere ich herzlich – oder besser gesagt: zu den Jubiläen. Denn das Rheinische Landestheater feiert in diesem Jahr nicht nur seinen hundertsten Geburtstag, sondern auch den 25.

Geburtstag des Gebäudes, das den passenden Rahmen für seine hervorragende Arbeit stellt.

Als eines von vier Landestheatern ist das Rheinische Landestheater Neuss von großer kulturpolitischer Bedeutung. Denn die Landestheater bringen mit ihrem Gastspielbetrieb Theaterkunst dorthin, wo es kein festes Angebot gibt. Von ihrer Programmauswahl und ihrer Ansprache hängt ab, wie viele Menschen diesen Zugang nutzen. Sie tragen also maßgeblich dazu bei, die sogenannte kulturelle Grundversorgung im ländlichen Raum mit vielfältigen Theaterangeboten – insbesondere auch für Kinder und Jugendliche – zu sichern und damit gleichwertige Lebensverhältnisse zu gewährleisten. Damit stehen sie für ein Kunstverständnis, das alle einbezieht und mitdenkt. Deshalb stellt das Land etwa 50 Prozent der Finanzierung der vier Landestheater bereit.

Im Rahmen seiner Festwoche hat sich das Landestheater Neuss dem Thema »Demokratie erleben« gewidmet. In diesen Zeiten wird uns allen bewusst, dass der Zusammenhalt einer Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit ist, sondern immer wieder neu errungen werden will.

Ich bin sicher, dass sich das Rheinische Landestheater auch in den nächsten Jahren als ein wichtiger Ort erweisen wird, an dem auf künstlerische Weise Fragen verhandelt werden, die uns alle betreffen.

Für die Zukunft wünsche ich den Verantwortlichen, dass Sie den Erfolg der letzten hundert Jahre fortsetzen können. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Tatkraft, Ihr Engagement und Ihre Leidenschaft, mit denen Sie das Rheinische Landestheater zu einem Ort für Theaterkunst gemacht haben, der aus Nordrhein-Westfalen nicht wegzudenken ist.

Ihre Ina Brandes MdL

8

Ina Brandes MdL Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen

LIEBE NEUSSERINNEN UND NEUSSER, LIEBE FREUNDINNEN UND FREUNDE DES RHEINISCHEN! Hundert Jahre Rheinisches Landestheater – dieses Jubiläum erfüllt uns mit Stolz und Dankbarkeit! Seit einem Jahrhundert ist dieses Haus weit mehr als eine Bühne: Es ist für uns Neusserinnen und Neusser ein kulturelles Herzstück, ein Ort der Begegnungen, des Austauschs und der Inspiration.

Bürgermeister der Stadt Neuss Ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen, lachen, nachdenken und streiten. Hier wird Demokratie lebendig, hier werden Werte vermittelt, Debatten geführt und Gemeinschaft gestärkt. Es zeigt, dass Neuss nicht nur Industrie- und Handelsstandort ist, sondern auch Kulturstadt.

Reiner Breuer Bürgermeister der Stadt Neuss

Mein herzlicher Dank gilt allen, die das Rheinische täglich mit Leben füllen: den Schauspielerinnen und Schauspielern, den vielen Menschen hinter den Kulissen in Technik, Maske, Kostüm, Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit. Ein besonderer Dank gilt dabei natürlich Frau Johannsen und Herrn Michalski. Sie beide haben frischen Wind in dieses Haus gebracht. Mit neuen Ideen und einem zukunftsgewandten Blick zeigen Sie, dass das Theater gleichermaßen Tradition bewahren und neue Wege gehen kann.

Kultur braucht starke Schultern. Das Rheinische ist nicht nur ein Stadttheater, sondern auch ein Landestheater – und damit gemeinsame Verantwortung von Kommune und Land. Dass wir die technische Ausstattung und neue Bestuhlung dank großzügiger Unterstützung der Spar­ kasse Neuss und des Neusser Bauvereins erneuern können, ist ein starkes Zeichen lokaler Verbundenheit.

Theater ist weit mehr als Unterhaltung. Es ist ein Ort der Bildung, der Empathie, der Verständigung – gerade in Zeiten zunehmender Polarisierung.

Das Rheinische bleibt damit, was es immer war: ein Ort, an dem sich unsere Stadtgesellschaft über das Leben verständigt.

Herzlichen Glückwunsch zu hundert Jahren voller Geschichte, voller Geschichten und voller Zukunft!

Ihr Reiner Breuer

9

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

LIEBE FREUNDINNEN UND FREUNDE DES RHEINISCHEN LANDESTHEATERS! »Jung, mach nicht so ein Theater!« Wie oft habe ich diesen Satz, vor allem in der Schule, gehört.

Warum machen wir so ein Theater? Theater ist eine Ausdrucksform des gemeinschaftlichen Zusammenlebens, bei dem die wesentlichen Fragen nach Macht, Liebe, Gemeinschaft und Vertrauen verhandelt werden. Im Theater können die unterschiedlichsten Menschen gemeinsam, analog und direkt, zusammenkommen. Das Theater ist Ausdruck eines starken Bürgersinns, der auch vor der Kritik an der Obrigkeit nicht zurückschreckt.

Das Theater schützt vor einem allzu extremistischen Blick auf die Realitäten.

Was für eine fantastische Idee war es, dass sich vor hundert Jahren im Rheinland Städte und Gemeinden, die kein eigenes Theater hatten, zu einer Gemeinschaft zusammenschlossen, um gutes Theater für Menschen überall zu ermöglichen. Heute sind die Stadt Neuss, der Rhein-Kreis Neuss, die Städte Dormagen, Grevenbroich, Radevormwald, Rommerskirchen, Meerbusch, Emmerich, Geldern, Kleve und Heinsberg die Träger des Rheinischen Landestheaters, das maßgeblich finanziell mit getragen wird durch das Land Nordrhein-Westfalen. Die Gründungsidee ist nach wie vor topaktuell. Und genau dafür machen wir Theater. Für das Publikum, für die Menschen am Niederrhein und weit darüber hinaus, die ansonsten in ihrer Stadt kein Theater erleben könnten. Das Rheinische Landestheater ist stolz, aus dieser Verantwortung und Geschichte zu leben und die Idee der Gemeinschaft in die Zukunft zu tragen.

Ein herzlicher Dank gilt heute vor allem den Trägern und Förderern der Vergangenheit mit der festen Gewissheit, dass die Aufgabe, die sich das Rheinische Landestheater bei seiner Gründung bereits gesetzt hat, auch in Zukunft von den Trägern und dem Land Nordrhein-Westfalen im erforderlichen Maße unterstützt wird. Hierauf vertrauen wir fest.

Heute arbeiten wir, mit einem zuversichtlichen Blick in die Zukunft. Jeder weiß, dass gerade in diesen gesellschaftlich aufgeregten Zeiten, in denen extreme Tendenzen Platz gefunden haben, gutes Theater für die Gesellschaft existenziell und überlebenswichtig ist.

10

Cornel Hüsch Vorsitzender des Trägervereins

Hundert Jahre Rheinisches Landestheater ist eine Gemeinschaftsleistung aller jetzt 130 Mitarbeitenden, vor und hinter den Kulissen. Es ist eine großartige Leistung, für die wir auch heute unseren großen Dank aussprechen. Mit dem Rheinischen Landestheater hat die Stadt Neuss ein ganzes Stadttheater zum Preis eines halben Theaters. Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützt ein ganzes Theater, das mit bis zu achtzig Vorstellungen im Jahr außerhalb von Neuss in der Fläche aktiv ist, zum Preis eines halben Theaters. Wenn das keine Win-win-Geschichte ist, die in die Zukunft übertragen werden muss.

Wir haben motivierte, kreative und fleißige Mitarbeitende. Wir haben mit Marie Johannsen und David Michalski das jüngste Leitungsteam eines deutschen Theaters. Die Zuschauer:innenzahlen steigen und sind bereits über dem Vor-CoronaDurchschnitt. Stücke, Geschichten, die zu erzählen sind, gehen uns nicht aus. Was kann die Zukunft des Rheinischen Landestheaters eigentlich noch stoppen? So ist die erfolgreiche Arbeit der letzten hundert Jahre erst der erste Schritt in die Zukunft. »Jung, mach nicht so ein Theater!« Doch, wir machen das, und zwar zusammen.

Ihr Cornel Hüsch

Ein Jubiläum ist ja manchmal ein guter Anlass, um Gewohnheiten zu hinterfragen und hier und da Neues auszuprobieren. Mit diesem Gedanken sind wir 2024/25 in die neue Intendanz-Spielzeit gestartet. Seitdem hat sich das Haus an der Oberstraße nicht nur innerlich neu gestaltet, sondern auch nach außen in die Stadtgesellschaft geöffnet.

Die Umsetzung war eine Teamleistung der ganz besonderen Art. Meine Festrede zum hundertjährigen Jubiläum habe ich genutzt, um Herz, Geist und Seele des Theaters in den Mittelpunkt zu stellen: die Menschen.

In gekürzter Form ist die Rede hier für Sie noch mal abgedruckt: Marie Johannsen Intendantin des Rheinischen Landestheaters Neuss

VEREHRTES PUBLIKUM DES RHEINISCHEN LANDESTHEATERS NEUSS, ja – ich meine das ganz ernst: Ich verehre Sie wirklich. Denn ohne Sie gäbe es kein Theater.

Theater entsteht erst im Moment des gemeinsamen Erlebens – wenn Menschen zusammenkommen, um Geschichten zu teilen.

Es gibt eine Gleichung, die man im Theaterwissenschaftsstudium lernt, die versucht, Theater zu erklären: A spielt B vor C. A sind die Schauspieler:innen auf der Bühne, B ist das Stück, das gespielt wird, und C sind Sie, unser Publikum.

Ohne C kann A zwar B spielen – aber dann ist es keine Aufführung, sondern nur eine Probe. Theater lebt erst, wenn jemand zuschaut, wenn Resonanz entsteht, wenn sich ein Raum mit Aufmerksamkeit füllt. Doch in dieser Gleichung fehlt noch ein entscheidendes Element: D. D steht für all die Menschen, die überhaupt erst möglich machen, dass A vor C B spielen kann. Über 130 Mitarbeiter:innen arbeiten täglich daran, dass sich Abend für Abend der Vorhang hebt – sie nähen Kostüme, bauen Bühnenbilder, schreiben, planen, werben, leuchten, putzen, verwalten und halten den Theaterbetrieb mit Herz, Geduld und Humor am Laufen.

Ohne D spielt A kein B. Ohne B kein C. Und ohne C kein Theater.

Hundert Jahre Rheinisches Landestheater – das sind hundert Jahre voller Menschen, die dieses Haus geprägt, getragen und geliebt haben. Hun-

dert Jahre voller Geschichten, die auf, hinter und rund um die Bühne entstanden sind – Geschichten von Mut, Witz, Widerspruch und Zusammenhalt. Ich bin gerade 34 Jahre alt geworden und darf jetzt hier als jüngste Intendantin mit Ihnen den hundertsten Geburtstag des Theaters feiern.

Das fühlt sich ein wenig verboten an – und zugleich wie ein großes Geschenk. Denn im Vergleich zu all den Leben, die dieses Theater bereits berührt und verändert hat, kann ich mich nur demütig verneigen. Und versprechen, alles dafür zu tun, dass es weitergeht – noch viele Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte lang.

Das kann ich dann zwar nicht nachprüfen – aber ich will versuchen, die Grundlage dafür zu schaffen. Ich verspreche Ihnen: Ich werde mich gut um dieses Haus und um alle As, Bs, Cs und Ds kümmern. So gut ich kann und so lange ich darf.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in dieser Mission meine Verbündeten werden wollen. Denn wir wissen ja jetzt: Ohne C kein A, ohne D spielt A kein B, ohne B kein C. Oder – um einen Satz aus der Prinzipalin vorwegzunehmen: »Es sind immer die Bedingungen, die alles bedingen.« Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen, liebes Rheinisches Landestheater.

Ihre Marie Johannsen

11

RÜCKBLICK EIN JAHRHUNDERT THEATER

1925

GRÜNDUNG RHEINISCHES STÄDTEBUND­THEATER AM 17. AUGUST 1925 Ziel der Gründung war es, theaterlose Städte und Gemeinden im Raum des nördlichen Rheinlands und in einem Großteil des Ruhrgebiets mit künstlerisch wertvollen Schauspielaufführungen zu bespielen. Die Stadt Neuss hatte den Vorsitz im Aufsichtsrat der Theater GmbH und stellte ein spielfertiges Haus, Garderoben und Büroräume zur Verfügung. Die Eröffnungspremiere fand am 4. Oktober 1925 mit »Agnes Bernauer« von Friedrich Hebbel im Zeughaus am Markt statt. Die erste Spielstätte hatte Platz für 600 Zuschauer:innen.

Blick auf das Zeughaus, um 1930

1934–44 INTENDANT ROBERT SAWALLICH

1925–28 INTENDANT RICHARD JOST

1933–34 INTENDANT HEINRICH VOIGT

1928–30 INTENDANT FRITZ KRANZ

1930–33 INTENDANT HANNS KÖNIG

ab 1933

Die Theater wurden DURCH DIE REICHSTHEATERKAMMER KONTROLLIERT, die erste »nationale« Spielzeit war 1933/34 und der Spielplan wurde an eine nationalsozialistische Ausrichtung angepasst.

12

1938

Das Theater befand sich in einer wirtschaftlich schwierigen Lage. In der Spielzeit 1937/38 wurde das Rheinische Städtebundtheater organisatorisch neu aufgestellt – »als wertvolles Instrument der nationalsozialistischen Kulturpflege« – und in RHEI­NISCHES LANDESTHEATER NEUSS E. V. umbenannt.

Anstelle einer GmbH trat nun ein Verein. Dessen Vorsitzender war Heinrich Haake, Oberpräsident der Rheinprovinz. AM 24. SEPTEMBER 1938 FAND DIE GRÜNDUNGSVERSAMMLUNG STATT.

Blick auf das bei einem Bomben­angriff 1944 zerstörte Theater­gebäude und den Freithof, 1945

1944

Zum 31. August wurden alle Theater im Zuge des »totalen Krieges« GESCHLOSSEN. Mitarbeiter, die zuvor vom Kriegsdienst befreit worden waren, wurden daraufhin in den Krieg eingezogen.

Am 23. September wurde das Zeughaus durch einen Bombenangriff ZERSTÖRT, das gesamte Inventar ging verloren.

1939-44

Das Rheinische Landestheater fungierte während des Zweiten Weltkriegs als FRONTTHEATER IN DEN BESETZTEN GEBIETEN in Belgien und Frankreich mit einer Ausrichtung auf das »Lustspiel«.

Spielzeit 1939/40: Gesamtzahl der Vorstellungen: 1331, davon Wehrmachtsvorstellungen in Deutschland 942, in Belgien und Frankreich 158, Zivilvorstellungen 231.

Spielzeit 1940/41 von September 1940 bis April 1941: Gesamtzahl der Vorstellungen 733, davon Wehrmachtsvorstellungen in Deutschland 45, in Belgien und Frankreich 506, Zivilvorstellungen 182

Das Rheinische Landestheater als Fronttheater, um 1940

13

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

1950–67 INTENDANT PHILIPP VOGEL

Theater an der Drususallee, vor 1956

1945

1950

Das bisher von Philipp Vogel gelei­ tete Westdeutsche Landestheater (Siegburg) wurde mit dem Rheinischen Landestheater ZUSAMMENGELEGT.

Ab Herbst wurde der Theaterbetrieb wieder aufgenommen, als neue Spielstätte fungierte die FESTHALLE IN SOLINGEN-OHLIGS; am 8. Dezember 1945 war die erste Vorstellung mit Johann Wolfgang von Goethes »Stella«.

1945–46 INTENDANT ERICH THORMANN

1946–50 INTENDANT ERICH BRANDT

14

1949/50 In der Spielzeit 1949/50 fand die RÜCKKEHR NACH NEUSS statt und das 1945 von Roland Müller-Stein gegründete Schauspielhaus Neuss wurde in Teilen in das Rheinische Landestheater überführt. Am 10. Oktober 1949 fand die Eröffnung mit dem Stück »Othello« von William Shakespeare statt.

Zunächst waren die Aufführungen in Neuss im ehemaligen Saal der Gaststätte DRUSUSHOF in der Drususallee (300 Sitzplätze, 65 m2 Bühne), den die Stadt Neuss für das Theater gemietet hatte und später kaufte.

1957/58

Im April 1957 ließ die Baupolizei das einsturzgefährdete Haus an der DRUSUSALLEE SCHLIEẞEN, das Ensemble wich daraufhin in das Apollo-­ Theater an der Niederstraße, in die Aula des Staatlichen Gymnasiums und in das Notburgahaus aus.

Am 31. Oktober 1958 wurde DER NEUBAU AN DER DRUSUSALLEE eingeweiht.

Blick in den Saal des Rheinischen Landestheaters bei der Eröffnung der Spielstätte an der Drususallee am 31. Oktober 1958

1970er

Ausrichtung auf bekannte Gastschauspieler:innen

1967–78

1978–83

INTENDANT DR. HERMANN WETZKE

INTENDANT PROF. DR. KARL WESSELER

1981

1. Januar: FUSION MIT DEM THEATER AM NIEDERRHEIN IN KLEVE

1983–87 INTENDANT GERT OMAR LEUTNER

1983

Als ZUSÄTZLICHE SPIELSTÄTTEN für das Rheinische Landestheater fungierten seit 1983 der KULTURKELLER AN DER OBERSTRAẞE und seit 1987 das STUDIO AN DER WOLBERO­ STRAẞE.

15

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

1989–2020 VERWALTUNGSDIREKTOR DIRK GONDESEN Mit der Einführung einer Doppelspitze, bestehend aus Verwaltungsdirektion und Intendanz, wurde eine neue Leitungsstruktur eingeführt.

Nebenamtlicher Geschäftsführer war von 1984 bis 2021 Egon Negele.

Rheinisches Landestheater an der Drususallee, 1970/80er Jahre

1988

1988 gründete sich der Kreis der FREUNDE UND FÖRDERER des Rheinischen Landestheaters Neuss e. V., um das Theater zu unterstützen. Als das Rheinische Landestheater 1989 vor der Zahlungsunfähigkeit stand, übernahm die Stadt die bestehenden Verbindlichkeiten und setzte Dirk Gondesen als Verwaltungsleiter zur Kon­trolle der finanziellen Mittel ein.

1987–92

1992–2004 INTENDANT BURKHARD MAUER

1994/95

In dieser Spielzeit wurde erstmals ein gemeinsames Büro der nordrhein-westfälischen Landestheater für Öffentlichkeitsarbeit und Verkauf eingerichtet: DAS GEMEINSAME BÜRO DER LANDESTHEATER NRW.

INTENDANT EGMONT ELSCHNER

1984

Es wurde erstmals eine eigene Reihe für KINDERTHEATERSTÜCKE eingerichtet.

16

Blick in das Foyer des Rheinischen Landestheaters an der Drususallee, um 1980

Blick auf das Rheinische Landestheater an der Oberstraße, 2018

2000

Am 16. Dezember wurde das Rheinische Landestheater an der OBERSTRAẞE ERÖFFNET (Umbau des ehemaligen Horten-Kaufhauses nach Plänen der Architekten Ingenhoven und Ingenhoven).

Seit 2000 ist das Acrylgemälde »GROẞER SEE­ROSEN­ TEICH« des Künstlers Salomé im Foyer des Rheinischen Landestheaters präsent.

2004–09 INTENDANTIN ULRIKE SCHANKO

2004

Erster Bühnenauftritt von HORST LICHTER im Rheinischen Landestheater: Horst Lichter kochte hier live vor Besucher:innen.

Blick in das Foyer des Rheinischen Landestheaters mit Zentauren, um 2005

2005

Seit 2005 organisiert das Rheinische Landestheater das VORSPRECHEN FÜR ABSOLVENT:INNEN von Schauspielschulen für das gesamte Bundesland Nordrhein-Westfalen.

17

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

2010 Am 16. Januar wurde erstmals ein FLOHMARKT mit ausrangierten Kostümen aus dem FUNDUS des Rheinischen Landestheaters eingeführt.

Am 18. Februar absolvierte FRITZ BEHRENS (MdL, Vorsitzender des Kulturausschusses des Landtags NRW) im Rheinischen Landestheater einen Tag als PRAKTIKANT, um den Arbeitsalltag im Theater näher kennenzulernen.

2013

Am 24. September stimmte der Kulturausschuss der Stadt Neuss dem Konzept eines Literaturcafés im ehemaligen Bistro neben dem Rheinischen Landestheater zu, das vom Rheinischen gemietet und betrieben werden soll, am 25. Mai 2014 wurde das neue THEATERCAFÉ DIVA im Eingangsbereich des Rheinischen Landestheaters eröffnet, das später zum Herzstück wurde.

Am 5. Oktober wurde das Rheinische Landestheater als einziger Betrieb im Rhein-Kreis Neuss durch die Unfallkasse NRW als SICHERES UND GESUNDES UNTERNEHMEN in der höchsten Bewertungsstufe EINGESTUFT.

2009–18 INTENDANTIN BETTINA JAHNKE

2007

Schauspieler:innen des Rheinischen Landestheaters bei der Protest­aktion gegen geplante Kürzungen im Kulturbereich, 2007

Am 24. April fand mit dem »Café Pumpe« ein WELTREKORDVERSUCH statt: Unterstützt durch Schauspieler:innen, Kabarettist:innen, Musiker:innen und Zuschauer:innen versuchten Schauspieler:innen des Rheinischen Landestheaters, mit einer über 24 Stunden dauernden, ununterbrochenen Vorstellung einen Weltrekord aufzustellen. Es war eine PROTESTAKTION gegen die geplanten Kürzungen im Kulturbereich. Das Theater stellte einen Weltrekord in »Bühnenimprovisation mit spontanen Dialogen und einer Handlung aus dem Stegreif« auf und am 10. Juni 2008 wurde daraufhin durch die Jury des Kulturförderpreises NordrheinWestfalen der Sonderpreis für fantasievolle Wehrhaftigkeit und wehrhafte Fantasie für das Projekt »Café Pumpe – 24 Stunden Nonstop Improvisationstheater als Protest gegen Mittelkürzung« verliehen.

18

2018–19 INTENDANT REINAR ORTMANN

2019–24 INTENDANTIN CAROLINE STOLZ Das Studio an der Wolberostraße sowie die Probebühnen und die Werkstätten, 2018

2020–22 VERWALTUNGSDIREKTORIN TANJA KRISCHER

2020

Im Frühjahr erklärte die WHO den Ausbruch von Covid-19, eine durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelöste Infektionskrankheit, offiziell zur weltweiten Pandemie.

Am 30. März sah sich das Rheinische Landestheater gezwungen, den Betrieb weitgehend einzustellen, das Café Diva musste schließen.

20. September: Wiederaufnahme des Spielbetriebs unter Coronaauflagen

Entwurf für das Herzstück im Rheinischen Landestheater an der Oberstraße, um 2021

19

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

Eröffnung des Offenen Foyers im Rheinischen Landestheater an der Oberstraße, 2024

2024

12. September: Das OFFENE FOYER wurde als dritter Ort geöffnet, der kosten- und konsumfrei nutzbar und zugänglich ist.

seit 2022 VERWALTUNGSDIREKTOR DAVID MICHALSKI

seit 2024 INTENDANTIN MARIE JOHANNSEN

20

2025

Das Rheinische Landestheater feiert sein HUNDERTJÄHRIGES JUBILÄUM mit einer Festwoche vom 13. bis 21. September.

Am 20. September fand der Festakt und die Uraufführung von »Die Prinzipalin – Das unauslöschliche Theaterleben der Caroline Neuber und ihrer Comödien-Bande« von John von Düffel statt.

Das Offene Foyer im Rheinischen Landestheater bei der Kulturnacht, 2024

Das Spielfeld im Rheinischen Landestheater an der Oberstraße während des Festakts, 2025

Blick auf die Kleine Bühne im Rheinischen Landestheater bei der Kultur­ nacht, 2024

21

AUGENBLICKE SPIELZEITEN 1925/26–1957/58

1927/28 »EMILIA GALOTTI« von Gotthold Ephraim Lessing

UM 1926 »DER PATRIOT« von Alfred Neumann

1930/31 »DIE WEBER« von Gerhart Hauptmann

22

1930/31 »DIE AFFÄRE DREYFUS« von Hans José Rehfisch und Wilhelm Herzog

WALTER OEHMICHEN Schauspieler am Rheinischen Städtebundtheater während der Spielzeit 1925–28, 1925

DORA DIAMANT Schauspielerin am Rheinischen Städtebundtheater in der Spielzeit 1928/29

ASTA NIELSEN Stummfilmstar Asta Nielsen gab am 1. April 1929 ein Gastspiel auf der Bühne des Rheinischen Städtebundtheaters, 1920

1929/30 »DIE DEUTSCHEN KLEINSTÄDTER« von August von Kotzebue, Regie Alexander Kardan

23

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

GRETE BÖTTCHER seit 1940 als Operettendarstellerin am Rheinischen Landestheater

ANNEMARIE LOEHMKE seit 1938 als Operettendarstellerin am Rheinischen Landestheater

1939 »DER VETTER AUS DINGSDA« Operette von Eduard Künneke

24

Das Rheinische Landestheater als Fronttheater in Paris vor dem Arc de Triomphe, um 1940

1934 »ENDLOSE STRAẞE« von Sigmund Graff und Carl Ernst Hintze Regie Robert Sawallich Programmzettel zur Matinee »Unsere Arbeit im Kriege«, 1940

1940 »KLEINER SCHWINDEL – GROẞE LIEBE« Operette von Heinz Vogt und Jupp Lotzkes

25

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

1952/53 »TARTÜFF« von Molière Maria Schünemann, Werner Sindermann

1955/56 »DIE BRAUT VON MESSINA« von Friedrich Schiller

26

1956/57 »DAS TAGEBUCH DER ANNE FRANK« von Albert Hackett und Frances Goodrich im Notburgahaus, Preußenstraße Maria Schünemann, Willi Hugemann

1955/56 »HEXENJAGD« von Arthur Miller Maria Schünemann, Hubert Pfisterer, Sibylle Gilles-Abigail, J. Saringer

27

DAS RHEINISCHE STÄDTE­BUND­ THEATER IM HORIZONT DER WEIMARER REPUBLIK

PROF. DR. PETER W. MARX (*1973 in Limburg an der Lahn) ist Theaterwissenschaftler und Direktor der Theaterwissenschaftlichen Sammlung sowie Professor für Theater- und Medienwissenschaft am Institut für Medienkultur und Theater an der Universität zu Köln.

28

D

ie Abdankung des Kaisers 1918 und die folgende Kapitulation bedeuteten für das Deutsche Reich einen radikalen politischen Bruch innerhalb kürzester Zeit, auf den kaum jemand ernsthaft vorbereitet war: weder die Kräfte, die das Kaiserreich getragen hatten, noch jene, die in Opposition zu ihm standen. Der junge Staat – eine »Republik ohne Republikaner«, um ein viel zitiertes Wort zu bemühen – stand in der Spannung zwischen weitgehenden rechtlichen Freiheiten, die die Verfassung garantierten, und ihren Bürger:innen, die diese Rechte teils nicht oder sogar gegen die politische Ordnung nutzten. Die Demokratisierung der Gesellschaft, die zu großen Teilen unter den Traumata des Krieges sowie den schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen litt, war eine Überlebensaufgabe, von der wir schmerzlich wissen, dass sie letztlich nicht gelang.

Mit der Gründung der Weimarer Republik traten nun all die Widersprüche offen zutage, die das repressive System des Wilhelminismus verdrängt hatte. Unter der Oberfläche eines konservativen Regimes, das nicht zuletzt der Kaiser selbst im Wortsinne verkörperte, bildeten sich Kräfte in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur, die eine nachhaltige Veränderung und Mobilisierung der Gesellschaft vorantrieben. Gleichzeitig wurde dies durch ein autoritäres Gepräge verdeckt, indem Standesdünkel, Antisemitismus und antimoderne Ressentiments verhinderten, dass viele dieser Akteure in offizielle Ämter kamen. Das Theater ist nur ein Beispiel unter vielen, denn die Hoftheater sanken zunehmend zur Bedeutungslosigkeit herab, während privat geführte Theater, wie das Deutsche Theater unter Max Reinhardt oder das Düsseldorfer Schauspielhaus unter Dumont/Lindemann (um nur zwei Beispiele zu nennen), den Diskurs bestimmten. Dass Wilhelm II. mit seinem eher zweifelhaften Geschmack die Moderne als »Rinnsteinkunst« denunzierte, steht exemplarisch für diese kulturelle Schizophrenie.

Mit Ausrufung der Republik nun verschoben sich die Koordinaten grundsätzlich: Nicht zuletzt die neue Form öffentlicher Trägerschaft nahm die Kultur sehr grundsätzlich in den Dienst für die neue Republik – eine Entwicklung, die wiederum von den ehemals dominierenden Kräften, die sich verdrängt oder benachteiligt fühlten, bekämpft wurde. Ohne Übertreibung kann man davon sprechen, dass die Kulturpolitik der Weimarer Republik vielleicht eines der besten Mittel ist, um das Ringen um eine Demokratisierung der Gesellschaft zu beschreiben – in allem Glanz und in allem Scheitern.

Ein besonders prominentes Beispiel für diese Transformation ist die Gründung des Preußischen Staatstheaters als Nachfolgerin des ehemaligen Hoftheaters, denn die neue demokratische Regierung markierte schon in ihrer Personalpolitik den Willen zu einer radikalen Wende: Stammten die früheren Intendanten stets aus dem engsten Kreise des Hofes (sogenannte Kavaliersintendanten), wurde nun Leopold Jessner (1878– 1945) zum ersten Intendanten des Staatstheaters gewählt. Schon seine Biografie zeichnete ihn als Repräsentant eines radikalen Neuanfangs aus: Als bekennender Jude und Sozialdemokrat verkörperte er den Anspruch auf einen grundsätzlichen Neuanfang.

Für Jessner galt es, künstlerisch, sozial und politisch den Standort des Theaters im Horizont der Republik neu zu bestimmen: Als überzeugter Demokrat arbeitete er in seinen Inszenierungen an einer neuen Ästhetik, die für ihn nicht künstlerischer Selbstzweck sein sollte, sondern eine Antwort auf die Anrufung einer neuen Zeit, die alte Gewissheiten hinweggefegt hatte. So schreibt Jessner: Denn der Mensch von heute glaubt nicht mehr an die sogenannte Wirklichkeit, die ihm mit Pappe und Schminke demonstriert wurde, glaubt nicht mehr an die Illusion eines glanzvoll-farbigen Flitters, den ihm die Rampenlichter vortäuschen. Dem, der selbst ein Zerrissener, durch das Geschehnis der unmenschlichen letzten Jahre voll Blut, voll Tränen, voll verhaltenem Grimm gewandert ist, können die Bretter, die die Welt darstellen, nicht mehr als verkleinernde Photographie oder spielerisch-opulentes Zauber-Theater bedeutsam werden. (Die Stufenbühne, 1924)

Leopold Jessner (1878–1945)

Jessner wandte sich somit sowohl von früheren, naturalistischen Versuchen ab als auch von einer überbordend lukullischen Bühnenästhetik.

In der Konfrontation von Klassikern wie Schillers »Wilhelm Tell«, Shakespeares »Richard III.« oder »Hamlet« mit einer neuen Ästhetik klopfte er das Repertoire bürgerlicher Bildung auf seine Tauglichkeit für die neue Republik.

Leopold Jessner tat dies, indem er dramaturgisch und ästhetisch mit den Erwartungen seines Publikums brach und neue Sichtweisen etablierte: Dominierten bis anhin etwa bei »Tell«-Inszenierungen üppige Alpenkulissen, die das Publikum in Fernweh und Alpensehnsucht schwelgen ließen, reduzierte Jessner den Raum auf eine Anordnung von Treppen und Podesten, so dass aus

29

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

dem sprichwortschwangeren Klassiker eine moderne, bildstarke Parabel von Macht und Ermächtigung wurde. Dass das Publikum keineswegs einhellig begeistert war – einige der Inszenierungen lösten regelrechte Saalschlachten aus –, bedeutet keineswegs ein Scheitern dieses Ansatzes.

Die Auseinandersetzung um die Bühne war mehr als eine Geschmacksfrage – es war das Ringen um die Vorstellungs- und Ideenwelt einer neuen, pluralistischen Gesellschaft.

Hier liegt der Anfang des politischen Regietheaters, wie es nach 1945 zu einer neuen Blüte kam. Das TheaCover »Das Zeughaus«, 1. Jahrgang Heft 1, 1925 ter war nicht nur ›moralische Anstalt‹ oder Bildungstempel, sondern Ort einer aktiven Aushandlung zwischen den Anforderungen des neuen politischen Systems, das sein Publikum nicht belehren wollte, sondern als aktives und mündiges Gegenüber begriff.

Die Schwäche des neuen Staates aber lässt sich auch daran erkennen, dass Jessner und sein Theater zur Zielscheibe für revanchistische und antidemokratische Kräfte wurden und er selbst dauerhaft antisemitischen Angriffe gegen seine Person ausgesetzt war, die letztlich auch seine Entlassung 1930 herbeiführten. Ein Fanal, das das Ende der Republik ahnen ließ.

Jessner selbst war stets klar, dass sein Berliner Theater ein Flaggschiff dieser Demokratisierung war, jedoch keineswegs einzigartig. Offensiv setzte er sich für eine allgemeine Politisierung des Theaters im Sinne der Republik ein – so auch in einem Artikel, der 1926 im Programmheft des Rheinischen Städtebundtheaters wieder abgedruckt wurde. Hier skizziert er die Anforderungen an einen Theaterleiter in Zeiten der Republik. Dabei sei es zunächst wichtig zu erkennen, dass das Theater »nicht nur als exklusive Unternehmung für den Abend wirkt, sondern ein Kampfobjekt […] aller Parteien und gesellschaftlichen Schichten [geworden ist]«.

Die Gründung des Rheinischen Städtebundtheaters 1925 ist von dieser politischen Überzeugung

30

getragen. In der ersten Nummer der Zeitschrift Das Zeughaus, mit der die Gründung programmatisch begleitet wurde, schreibt der Herausgeber E. A. Reismann: Die Erkenntnis muß allgemein werden: wirtschaftliches und kulturelles Streben müssen nebeneinander gehen, müssen einander unterstützen und helfen, damit der Einzelmensch und damit das gemeinschaftliche Leben einer Stadt und eines Staates sich entwickelt.

In diesem Sinne ist schon die breit gestreute Trägerschaft des Landestheaters, die nicht allein die unterstützenden Städte umfasst, sondern auch Vereine wie den Bühnenvolksbund, symptomatisch: Das kulturelle Leben sollte von einer breiten sozialen Basis getragen werden. Bemerkenswert ist hier das Wechselspiel von individueller Bildung und dem Entstehen eines Gemeinwesens: Es ist das modern gefasste Echo auf die Idee, dass mündige Bürger:innen nur denkbar als Produkt individueller Bildung sind.

Zur organisatorischen Konstruktion der Landesbühne gehörte es, dass neben einem zentralen Sitzort eine Reihe von ›Abstecherorten‹ versorgt wurden. 1928 waren dies für das Rheinische Städtebundtheater immerhin vierzig Städte. Dabei handelt es sich nicht nur um eine organisatorische Konstruktion, sondern um einen spezifischen, gesellschaftspolitischen Auftrag, wie Reismann in seinem Geleitwort zu »Das Zeughaus« herausstreicht. »Das Städtebundtheater will die Städte, in denen es spielt, unabhängig machen von ›Kunstversorgung‹ seitens der Nachbargroßstädte.« Die politische Dimension dieses Anspruchs wird den heutigen Betrachter:innen vielleicht erst deutlich, wenn man es mit dem so populären Schlagwort der ›kulturellen Teilhabe‹ identifiziert: Die Zugänglichkeit von Kunst und Kunsterfahrung sollte nicht auf die großen Städte beschränkt bleiben, sondern zu einer niedrigschwelligen Erfahrung vor Ort werden. Dies mag aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts, die von transregionalen und metropolitanen Räumen träumt, erstaunlich klingen, für das frühe 20. Jahrhundert ist hier jedoch ein wichtiger Aspekt sozialer Gerechtigkeit zu sehen, denn stärker noch als heute war individuelle Mobilität auch ein Aspekt sozialer Ungleichheit.

SPIELPLAN UND REPERTOIRE Wer die Spielpläne des Rheinischen Städtebundtheaters in den ersten Jahren seit seiner Gründung ansieht, mag auf den ersten Blick enttäuscht sein, weil Stücke, die im Allgemeinen als ikonisch für

geordneten sozialen Erwartungen findet sich auch in vielen anderen der ausgewählten Stücke, sei es im tragisch-ernsten Register (»Maria Stuart«, »Prinz von Homburg«), sei es im Gewand der Komödie, wie in Shakespeares »Der Widerspenstigen Zähmung«.

Besetzungszettel »Agnes Bernauer« in »Das Zeughaus«, 1. Jahrgang, Heft 1, 1925

die »Goldenen Zwanziger« angesehen werden, fehlen: kein Brecht, kein Jazz, kein Expressionismus. Stattdessen eine bemerkenswerte Mischung aus Klassikern (Shakespeare, Schiller, Goethe, Hebbel), kritischen Zeitstücken (im weiteren Sinne: Ibsen, Strindberg, Shaw, Wilde, Hauptmann) und einer Reihe von Lustspielen.

Eine nähere Betrachtung aber lässt die symptomatische Konstellation, die sich in diesem Spielplan niederschlägt, etwas deutlicher werden: Die Wahl von Hebbels »Agnes Bernauer« befremdet, denn es handelt sich keineswegs um eines jener ikonisch-klassischen Stücke, wie Schillers »Wilhelm Tell« oder Goethes »Faust«, die man am Beginn eines solchen Unterfangens erwarten würde. Doch eine kleine Interpretationshilfe von Wolf Neumeister in »Das Zeughaus« erhellt möglicherweise die Intention der Wahl; er deutet das Stück als Ausdruck des tragischen Untergangs individueller Wünsche vor den Anforderungen der Zeit: »Menschliche Wünsche, menschliche, warme, edle Gefühle, gute, unschuldige Menschen zerschellen an der Mauer der eheren [sic!] Notwendigkeit höherer Gesichtspunkte, die unser Leben – nach Hebbel – umzieht.« Damit ist auf gewisse Weise ein konservativer Grundton gesetzt, der Einsicht ins Notwendige, aber auch die Unterordnung individueller Hoffnungen unter das Gemeinwohl ins Zentrum stellt. Das Leitmotiv des Einfügens in die über-

Prägender für den Spielplan jedoch ist die Dominanz der ›leichten Muse‹, wobei auch hier das Motiv des Einverständnisses mit sozialen Regeln, variiert jeweils mit einer Mischung aus Augenzwinkern und Schlitzohrigkeit, dominiert. So finden sich mit Oscar Blumenthals »Im weißen Röß’l«, Franz und Paul Schönthans »Raub der Sabinerinnen« und Gustav Freytags »Die Journalisten« zwei Stücke wieder, die zu den erfolgreichsten und meistgespielten Stücken des Kaiserreichs gehören. Diese Komödien thematisieren auf je unterschiedliche Weise Phänomene ihrer Gegenwart, lösen die entstehenden Verwicklungen aber letztlich unter dem Vorzeichen eines Einverständnisses mit bestehenden sozialen Rollenbildern und Erwartungen. Der zeitliche Brückenschlag in die Populärkultur des Kaiserreichs bot dem Publikum so auch die beruhigende Erfahrung von Kontinuität an.

Ganz in diesem Sinne ist auch »Schneider Wibbel« von Hans Müller-Schlösser zu sehen: Das Stück, 1913 in Düsseldorf uraufgeführt, ist eine Komödie, die in der Zeit der napoleonischen Besatzung spielt. Diese Komödie, die in Düsseldorf über tausend Vorstellungen mit Paul Henckels in der Titelrolle erlebte, verband den Komödienplot mit reichlich rheinischem Lokalkolorit, so dass nach der Aufnahme ins Repertoire in der Spielzeit 1926/27 in der folgenden Spielzeit auch die Fortsetzung Wibbels »Auferstehung« (UA 1926 in Düsseldorf) folgte.

Richard Jost, Intendant der Jahre 1925–28, betont in einem Aufsatz zum Programm 1926 den ›volksbildnerischen‹ Auftrag des Landestheaters als Wanderbühne, durch den er sie scharf gegen andere, kommerzielle Formen des Tourneetheaters (›Wanderschmiere‹) abhebt. In diesem Sinne ist es zu verstehen, dass etwa Ibsens »Nora« auf dem Spielplan steht, in deren Zentrum nach Jost der Zusammenbruch einer »Ehe, der die letzten und tiefsten menschlichen Voraussetzungen fehlen«, steht. Ansatzweise bricht hier der ansonsten

31

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

konservativ-beharrende Gestus des Spielplans auf, um einen Ausblick auf die Moderne zu wagen.

Der Blick auf das Repertoire wäre allerdings unvollständig, ohne auch auf die Präsenz von lokalbzw. regionalspezifischen Stoffen hinzuweisen, wie etwa einer Dramatisierung »Jan van Werth« oder dem »Altflämischen Mirakelspiel: Mariechen von Nymwegen«. Und schließlich Kinder- und Märchenstücke wie »Das tapfere Schneiderlein«, »Max und Moritz« oder »Der gestiefelte Kater«.

Robert Sawallich, der von Beginn an in Neuss mitwirkte und das Theater von 1934 bis 1944 als Intendant führte, gab 1926 in einem kleinen Essay zum Programm Einblick in die spezifischen Anforderungen des Spielplans einer ›Wanderbühne‹: Richard Jost, Intendant 1925 bis 1928

Spielt sie heute in einer Stadt, die schon ihr Theaterpublikum hat, das sonst die Theaterveranstaltungen des benachbarten Gross­ stadttheaters besuchte, so gastiert sie morgen in einer kleinen Gemeinde, die sie zum ersten Mal verpflichtet, und in deren Publikum sie nun allmählich das Verständnis für das Theater erwecken muss. […] Ihr Spielplan wird eine mittlere Linie einhalten, wird zunächst nur Stücke bringen müssen, deren Wert erprobt ist.

Bühnenbildentwurf für das Stück »Columbus«, 1926

In diesem Kontext sein eigenes Publikum zu finden und an sich zu binden, erforderte das Bewusstsein eines eigenen Profils, das sich nicht in der Nachahmung der ›Großen‹ erschöpft, aber auch nicht nur Leichtgängiges zur Unterhaltung anbietet. Richard Jost sieht hier selbstbewusst einen eigenständigen Auftrag der Wanderbühne:

Dieser ›mittlere Weg‹ ist mehr als strategische Bescheidenheit, sondern zeugt programmatisch von einer klugen Einschätzung der eigenen Position zwischen den Städten Düsseldorf und Köln mit ihrem je eigenen Theaterprofil: Seit 1905 hatten Louise Dumont und Gustav Lindemann mit ihrem Schauspielhaus nationale und internationale Aufmerksamkeit auf ihr Haus gelenkt: Dumont, die zuvor mit Max Reinhardt an einem kleineren Privattheater beteiligt war, wechselte just zu dem Zeitpunkt nach Düsseldorf, als dieser in Berlin das Deutsche Theater übernahm. Mit ihrem Programm einer innovativen Theatermoderne profilierte sie das Düsseldorfer Haus zu einem Leuchtturm, der national und international entsprechend wahrgenommen wurde.

NOTWENDIGE KULTURARBEIT – RÜCK- UND AUSBLICK

Die Kölner Theatergeschichte wiederum ist mithin wechselhafter, für die 1920er Jahre ist es aber vor allem der Name Gustav Hartung, der 1924 nach Köln kam, der weithin leuchtet. Hartung, der als einer der wichtigsten Vertreter des Theaterexpressionismus gilt, brachte eine radikal neue Bühnenästhetik mit sich, deren Lust an Form­ experimenten sich auch deutlich vom Düsseldorfer Schauspielhaus abhob.

Die Gründungsjahre des Rheinischen Städtebundtheaters waren geprägt vom Ringen um eine nachhaltige Demokratisierung und Wahrung des sozialen Zusammenhalts. Die Erfahrung einer gesellschaftlichen Transformation und Spannung, die Realität einer demokratischen Verfassung, die aber in der Lebenswelt der meisten Bürger:innen noch nicht angekommen war, prägten dieses kulturelle Unternehmen, das in seinen ers-

32

Es muss auch dem Bewohner der kleinen und kleinsten Städte die Möglichkeit gegeben sein, teilnehmen zu können an der eindrucksstärksten Kunst: dem Theater. […] Und wichtiger noch als dies Anrecht ist die Tatsache, dass das ursprüngliche Bildungs- und Erbauungsbedürfnis in manch kleiner Stadt grösser und ehrlicher ist als in der Großstadt. Jeder also soll an seinem Platz mitarbeiten an der Entwicklung der Wandertheater, jeder soll wissen, wie groß ihr Wert ist, wie sehr sie Mitträger notwendiger Kulturarbeit ist.

Robert Sawallich, Intendant 1934 bis 1944

Cover des Spielzeithefts des Rheinischen Städtebund­ theaters, 3. Jahrgang, Heft 3, 1928

ten Jahren auf vielen Ebenen zu kämpfen hatte.

Hinter den für heutige Ohren manchmal etwas schwerfälligen Vokabeln von ›Bildung‹, ›Erziehung‹ oder ›Erbauung‹ verbergen sich Konzepte von Teilhabe, Informiertheit und Beteiligung, die auch im politischen Diskurs des 21. Jahrhunderts ein Echo finden. Ähnlich verhält es sich mit dem regionalen Profil: Selbstbewusst definierte das Städtebundtheater seine Position neben den rheinischen Großstädten und ihren profilierten Theater- und Kulturlandschaften als Träger kultureller Identität und Garant von Teilhabe auch in jenen Regionen, die nicht immer schon im Zentrum der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aktivitäten standen. Mit einem künstlerisch-literarischen Profil, das gezielt ein breites Kulturverständnis anzusprechen suchte, profilierte sich das Städtebundtheater als ein wichtiger Träger des kulturellen und sozialen Zusammenhalts. Dazu gehört auch eine robuste Selbsteinschätzung und ein Verständnis für das Publikum, für das der Theaterbesuch eben nicht wie selbstverständlich zum Repertoire kultureller Lebensführung gehörte.

reich zu bewerten ist. Angesichts des Scheiterns der demokratischen Strukturen 1933 könnte man versucht sein, die Frage zu verneinen, und tatsächlich spielte das Städtebundtheater in der NSZeit keine rühmliche Rolle. Weitet man den Blick aber auf die Jahre der Bonner Republik, dann wird deutlich, wie sehr Theater gerade auch für die Region, die dann das Bundesland NordrheinWestfalen bildete, Institutionen der sozialen und kulturellen Integration waren. (Man denke nur an die Entstehung der Ruhrfestspiele.) Das Städte­ bundtheater hatte sich schon früh diesem Ziel verschrieben. Dass die Gegenwart des 21. Jahrhunderts deutlich macht, dass Fragen der Teilhabe und der regionalen und sozialen Inklusion wieder von ganz neuer Aktualität sind, unterstreicht die Bedeutung dieser Aufgabe für eine nachhaltige Demokratisierung.

Man kann im Rückblick nicht der Frage ausweichen, ob dieser Ansatz denn insgesamt als erfolg-

33

THEATERGESCHICHTE

VON DER GRÜNDUNG 1925 BIS ZUM THEATERNEUBAU 1958

DR. ANNEKATRIN SCHALLER (*1971 in Karl-Marx-Stadt, jetzt Chemnitz) ist Archivarin und Historikerin im Stadtarchiv Neuss mit dem Schwerpunkt Historische Bildungsarbeit und Bildarchiv.

34

T

heateraufführungen konnte man in Neuss lange Zeit nur in Form von Auftritten von Wanderbühnen oder Gastspielen aus benachbarten Städten erleben. Ein erster Versuch, für den Niederrhein ein gemeinsames Theater zu schaffen, war die 1911 gegründete Rheinische Verbandsbühne, 1913 zur RheinischWestfälischen Verbandsbühne erweitert. Die Initiative zur Gründung der Verbandsbühne war vom Vorsitzenden des Rheinischen Städtebundes, dem Viersener Bürgermeister Peter Stern, ausgegangen. Auch Neuss beteiligte sich an dem Unternehmen, der Erste Beigeordnete der Stadt, Josef Klein, war von 1912 bis 1918 dessen Zweiter Vorsitzender. Die Bühne gastierte in den Räumen der Bürgergesellschaft an der Niederstraße. Zwar musste die Rheinisch-Westfälische Verbandsbühne 1918 ihre Tätigkeit einstellen, aber sie konnte als Blaupause für die Gründung von 1925 dienen und der Städte­bund sollte für sie namensgebend werden.

Nachdem es 1920 bis 1922 mit der Rheinischen Landesbühne mit Sitz in Düren einen weiteren Versuch gegeben hatte, ein professionelles Theater für Städte und Gemeinden im Rheinland ohne eigenes Ensemble zu etablieren, in den sich Neuss ebenfalls aktiv einbrachte – Josef Klein war hier sogar Erster Vorsitzender –, sollte es dann 1925 einen erneuten Anlauf zur Gründung eines solchen Theaters geben, dem schließlich ein langfristiger Erfolg beschieden war. Die Stadt Neuss war einer von mehreren Akteuren, die das Projekt gemeinschaftlich aus der Taufe hoben, und wurde überdies Heimatort dieses Rheinischen Städte­bundtheaters.

Das Jahr 1925 stand für Neuss unter besonderem Vorzeichen: Als Folge des Ersten Weltkriegs befand sich die Stadt am linken Niederrhein mit ihren rund 45.000 Einwohner:innen seit Dezember 1918 unter belgischer Besatzung. 1925 nahm man ein für die Stadtgeschichte bedeutendes historisches Ereignis, die Belagerung durch Karl den Kühnen 1474/75, zum Anlass, mit groß angelegten Feierlichkeiten zum 450-jährigen Jubiläum städtisches Selbstbewusstsein und Unabhängigkeitsstreben zu demonstrieren. Bestandteil der Feiern war ein eigens geschaffenes Theaterstück über die Belagerung. Für dessen Aufführung durch Laiendarsteller:innen aus der ganzen Stadtgesellschaft wurde das Zeughaus am Markt ertüchtigt. Die bestandene Bewährungsprobe des Zeughauses als Theatersaal war sicher einer der Gründe, die Neuss als Standort für das neu zu gründende Theater ins Gespräch brachten. Die Initiative zur Gründung des Rheinischen Städte-

bundtheaters ging wohl hauptsächlich von Theodor Hüpgens, Landessekretär und späterer Generalsekretär des Bühnenvolksbundes, einer der beiden großen Theaterbesuchsorganisationen der damaligen Zeit, aus. Richard Jost (1898–1930), Direktionsstellvertreter des Berliner Künstlertheaters des Bühnenvolksbunds, wirkte maßgeblich an der praktischen Umsetzung mit und wurde dann auch erster Intendant der neu geschaffenen Bühne. Nach vielen Verhandlungen mit rheinischen Städten und Gemeinden und der Zusage eines Zuschusses durch den preußischen Staat stand Anfang August 1925 die Entscheidung zur Gründung des Rheinischen Städtebundtheaters mit Sitz in Neuss fest. Die Gründungsversammlung fand am 17. August 1925 statt. Rechtsform war eine GmbH, beteiligt waren zunächst neben Neuss die Städte Kleve, Kohlscheid, Stolberg, der Landkreis Solingen sowie der Bühnenvolksbund und der Verband der deutschen Volksbühnenverbände mit Unterstützung der Preußischen Landesbühne. In der darauffolgenden Zeit folgten weitere Städte am Niederrhein, wie Emmerich,

Neuss, Zeughaus am Markt, seit 1925 Heimat des Rheinischen Städte­ bundtheaters, Ende der 1920er Jahre

35

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

Fritz Kranz (1897–1984)

Hanns König (1892–1956)

Programmzettel zu »Agnes Bernauer«, der ersten Aufführung des Rheinischen Städtebundtheaters am 4. Oktober 1925

Wesel und Goch, aber auch des Ruhrgebiets, wie Gladbeck, Buer, Wanne-Eickel und Recklinghausen. Richard Jost wurde zum Intendanten ernannt, der Erste Beigeordnete der Stadt Neuss, Dr. Fritz von Hansemann, wurde zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats gewählt.

Richard Jost blieb nur sehr wenig Zeit, den für Oktober versprochenen Beginn des Theaterbetriebs in die Wege zu leiten. Als ersten Schauspieler gewann er Walter Oehmichen, später Mitgründer der Augsburger Puppenkiste. Oehmichen hatte seine Ausbildung an der dem Schauspielhaus Düsseldorf angeschlossenen Schauspielschule von Louise Dumont absolviert, von wo auch in den folgenden Jahren immer wieder Darsteller:innen auf die andere Rheinseite wechselten.

Im Bühnenjahrbuch 1926 erscheinen für Neuss insgesamt elf Schauspieler und sieben Schauspielerinnen. Das erste Ensemble war, soweit es sich ermitteln ließ, überwiegend sehr jung, mindestens acht Mitglieder kamen aus Berlin – man kann vermuten, Absolvent:innen der Schauspielschule von Max Reinhardt. Die meisten verließen Neuss nach der ersten Saison wieder. Es herrschte auch in den folgenden Jahren eine hohe Fluktuation im Ensemble, das immer nur mit Saisonverträgen verpflichtet wurde.

36

Am Sonntag, dem 4. Oktober 1925, startete dann das Rheinische Städtebundtheater mit seiner allerersten Aufführung. Jost hatte Friedrich Hebbels »Agnes Bernauer« ausgewählt. Der Kritiker der Neußer Zeitung fand einiges daran zu bemängeln, unter anderem gelang es in seinen Augen »nur spärlich«, die Rollen »mit Blut und Leben zu erfüllen«, er gab jedoch wohlwollend der Hoffnung Ausdruck, »daß der Darstellung leichtere Aufgaben besser gelingen werden«.

Eine enge Verbindung des Städtebundtheaters bestand in den ersten Jahren zu Neusser Künstler:innen, insbesondere zur Gruppe Der weiße Reiter um Karl Gabriel Pfeill. So gelangte etwa das Stück »Columbus« des Anfang der 1920er Jahre in Neuss lebenden Schriftstellers Franz Johannes Weinrich 1926 auf die Bühne des Zeughauses.

Der Neusser Künstler Will Hall gehörte in der Anfangszeit dem Künstlerischen Beirat an und gestaltete Bühnenbilder.

Von Oktober 1925 bis Juni 1926 inszenierte das Theater bemerkenswerte 21 Stücke, allein in Neuss fanden 61 Aufführungen statt, zehn davon als Freilichtaufführungen. Neben Richard Jost übernahmen Wolf Neumeister und Walter Oehmichen Regie. Hinzu kamen 1926 als Gast-

Heinrich Voigt (1895-1968)

Ensemblemitglieder am Bus vor einer Gastspielreise, 1928

regisseure Walter Kordt und Alexander Kardan, bekannt unter anderem durch seine Mitwirkung am Animationsfilm-Klassiker »Die Abenteuer des Prinzen Achmed« von Lotte Reiniger. Die Zahl der Abstecherorte wuchs von 15 im Jahr 1925 auf über fünfzig bis 1928. Seit der zweiten Spielzeit standen dem Ensemble für seine Fahrten ein Bus und ein Lkw zum Transport der Dekorationen zur Verfügung.

Seit der zweiten Spielzeit erschienen auch regelmäßig Programmhefte. Im ersten Heft formulierte Richard Jost seine programmatischen Ziele: »Volksbildung« und »Volkserziehung«. Das Theater sollte sich »an alle Kreise der Bevölkerung« wenden, die »breite Masse« wollte er für das Theater gewinnen. Dem Publikum wurde eine große Bandbreite an Stücken geboten: Neben Klassikern – Shakespeare, Goethe, Schiller – wurden in den ersten drei Spielzeiten unter anderem mehrere Stücke von Gerhart Hauptmann und verschiedene Lustspiele aufgeführt. Auch aktuelle zeitgenössische Stücke wie »Apostelspiel« des katholischen Dichters Max Mell und »Der Kreidekreis« von Klabund waren in Neuss kurz nach ihrer Uraufführung bereits zu sehen.

Der Besuch des Neusser Publikums allerdings ließ zu wünschen übrig, wie der Verwaltungsbericht

der Stadt Neuss kritisch anmerkte. Es gelang Jost jedoch, das Theater auf künstlerisch und wirtschaftlich stabile Füße zu stellen. Als er 1928 an das Theater der Stadt Koblenz wechselte, übergab er seinem Nachfolger Fritz Kranz (1897–1984) ein gut bestelltes Haus. Mit Kranz als neuem Intendanten ging das Theater in seine vierte Spielzeit 1928/29. Kranz kam vom Stadttheater Bonn nach Neuss. Auch er hatte die Düsseldorfer Schauspielschule besucht und mit ihm kamen 1928 vier Absolvent:innen von dort ans Rheinische Landestheater, eine von ihnen war Dora Diamant, in der Literaturgeschichte bekannt geworden als Franz Kafkas »letzte Liebe«. Kranz setzte inhaltlich das Programm seines Vorgängers fort: Mit »Vereinfachung und Gegenwartsnähe« wollte er »der Kunst wieder eine breite Grundlage im Volk erwerben«.

Der volksbild­nerische Kontext der Theatergründung prägte somit weiterhin die Neusser Bühne.

Nach zwei Spielzeiten verließ Kranz Neuss bereits wieder, er ging 1930 ans Theater Mönchengladbach-Rheydt. Ihm folgte bis 1933 Hanns König (1892–1956), der zuvor Oberspielleiter in Mönchengladbach gewesen war. König entstammte einer bayerischen Schauspielerfamilie, war Darsteller am Wiener Burgtheater gewesen und kam nach Neuss ebenfalls vom Theater Mönchengladbach-Rheydt. Wie seine beiden Vorgänger

37

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

Robert Sawallich, um 1930

Szenenfoto aus »Endlose Straße« unter der Regie von Robert Sawallich, 1934

stand er beim Städtebundtheater neben seiner Intendanten- und Regietätigkeit auch als Darsteller auf der Bühne.

Unter Königs Intendanz wurde auch am Städtebundtheater die allgemeine Wirtschaftskrise spürbar. Einige Abstecherorte schränkten die Anzahl der gebuchten Aufführungen ein, der preußische Staat kürzte seinen Zuschuss. Die Gesellschafterstädte des Städtebundtheaters erklärten 1930 den Erhalt des Theaters auf drei Jahre verbindlich zu. Die wirtschaftliche Krise spitzte sich in den folgenden Jahren jedoch wie überall erheblich zu. Das von Idealismus getragene Ensemble nahm zwar Kürzungen bei den Gagen in Kauf, doch bei aller Sparsamkeit endete die Saison 1932/33 mit einem Defizit von 10.000 Reichsmark. Die Stadt Neuss bewilligte im April 1933 den erforderlichen Zuschuss, der Fortbestand des Theaters stand 1933 aber durchaus zur Disposition. Die nationalsozialistische Machtübernahme und der Beginn der Hitler-Diktatur im Januar 1933 stellte die Theaterarbeit auch politisch unter ganz neue Vorzeichen. Der Geist der neuen Zeit spiegelte sich unmittelbar auch am Städtebundtheater wider: Noch vor Beendigung ihres Vertrags erhielten zwei jüdische Ensemblemitglieder die vorzeitige Kündigung: Boris Schirmann und Margot Laßner. Eugen Eggerath, seit 1925 Theatermeister in Neuss, wurde wegen seiner Zugehörigkeit zur KPD verhaftet und ins KZ Börgermoor gebracht, seine Frau Mathilde, Gewandmeisterin, wurde ebenfalls verhaftet. Auch mit der Auswahl der Stücke rückte sich das Theater ideologisch in die Nähe der neuen Machthaber: Walter Erich Schäfers »vaterländisches« Schauspiel »Der 18. Oktober« über den Freiheitskampf gegen

38

Napoleon stand schon in der Saison 1932/33 auf dem Spielplan – am 9. April 1933 fand für die Mitglieder von NSDAP, SA, SS und Stahlhelm eine erneute Aufführung statt. Diese wurde enthusiastisch gefeiert, passe sie doch »ganz in unsere Zeit der nationalen Erhebung und Volkwerdung«, wie die Neußer Zeitung kommentierte.

Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung schlug die große Stunde für Robert Sawallich (1899–1959). Als ganz junger Mann Weltkriegsteilnehmer hatte er in französischer Kriegsgefangenschaft Theater gespielt, was auf ihn wohl einen nachhaltigen Eindruck ausübte. Nach Neuss kam Sawallich 1920 zunächst als städtischer Verwaltungsanwärter. Beim Städtebundtheater war er fast von Beginn an dabei, Richard Jost übertrug ihm die Redaktion des Programmhefts und die Kommunikation mit den Abstecherorten. Seit 1928 war Sawallich in Nebenrollen auf der Bühne zu sehen und 1929 übertrug ihm der Intendant erstmals eine Ko-Regiearbeit. Sawallich wurde Dramaturg und eine unentbehrliche Institution am Theater. Als Hanns König 1933 an das Stadttheater Gießen wechselte, übernahm zunächst Heinrich (genannt Hans) Voigt (1895–1968), vom Stadttheater Dessau kommend, die Intendanz. Doch schon nach einer Spielzeit verließ er Neuss wieder, um die Leitung des Stadttheaters Oberhausen anzutreten. Nach dem Weggang von Voigt, unter dem er bereits stellvertretender Intendant war, führten Sawallich seine nationalsozialistischen Überzeugungen und guten Kontakte dann im Juni 1934 an die wohl schon lange ersehnte Spitze des Theaters. Sawallich hatte sich bereits unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtübernahme als Befürworter des

neuen Regimes exponiert. 1933 wurde er Leiter des Kampfbunds für deutsche Kultur Neuss und Fachberater für Theaterwesen im Gau Düsseldorf.

1934 machte ihn die Partei zum Kreiskulturwart, im selben Jahr wurde er zum Ratsherren ernannt und gehörte damit dem gleichgeschalteten Ratsgremium der Stadt an.

Als neuer Intendant versicherte Sawallich dem Publikum, er werde »wieder wirkliches deutsches Theater« bringen. Das Theater hatte sich den neuen ideologischen Vorzeichen da schon längst angepasst. Sawallich forcierte die nationalsozialistische Ausrichtung noch einmal erheblich: Seine Intendanz startete er mit Sigmund Graffs »Endlose Straße« und es gelang ihm, Graff, inzwischen Referent im Reichspropagandaministerium, persönlich zur Premiere einzuladen. Auch »Opferstunde« von Hellmuth Unger, ein Wegbereiter der NS-Euthanasie-Morde, gelangte in Sawallichs erster Saison auf die Neusser Bühne. Ungeachtet dessen waren Sawallichs Liebe zum und sein Engagement für das Theater zweifelsohne groß.

Vor allem seinem beharrlichen persönlichen Einsatz und starkem Durchsetzungsvermögen hatte das Theater es 1937/38 zu verdanken, dass es aus seiner bis dahin größten Krise gerettet werden konnte. Die wirtschaftliche Lage des Städtebundtheaters war prekär geblieben. Viele der Mitgesellschafter schieden aus der GmbH aus, so dass ihr 1936 neben der Stadt Neuss, die den Löwenanteil übernahm, nur noch der Kreis Düsseldorf-Mettmann und der Kreis Moers angehörten. Zwar erhielt das Theater einen Reichszuschuss, dennoch überlegte man seit 1936 in Neuss, das Theater loszuwerden. Nachdem Oberbürgermeister Gelberg die Kündigung aller Theatermitarbeitenden zu Ende August 1937 ausgesprochen hatte, setzte Sawallich alle Hebel in Bewegung, um das Theater in Neuss zu halten. Er besaß ausgezeichnete Kontakte in höchste NSDAP-Kreise (1937 kam es in Düsseldorf sogar zu einem persönlichen Gespräch mit Hitler) und fuhr nach Berlin, um dort beim Chef der Reichstheaterkammer im Reichspropagandaministerium vorzusprechen. Nach einem Gespräch, das er einige Zeit später mit Goebbels persönlich in Köln führte, konnte er schließlich verkünden, dass der Propagandaminister ihm höchstselbst den Verbleib des Theaters in Neuss versprochen habe.

In den folgenden Monaten wurden Verhandlungen über eine neue Rechtsform des Städtebundtheaters geführt, die in den Händen des Landeshauptmanns der Rheinprovinz lagen. Im Ergebnis wurde am 24. September 1938 der Verein Rheinisches Landestheater Neuss e. V. gegründet. Or-

Operettenaufführungen 1940 Seite aus dem Fotoalbum der Sängerin Annemarie Loehmke

dentliche Mitglieder des Vereins wurden Gemeinden und Kreise der Regierungsbezirke Aachen, Düsseldorf und Köln, die das Theater bespielte.

Sie zahlten ab sofort einen festen Jahresbetrag, hinzu kamen feste Mitgliedsbeiträge der Stadt Neuss und der Rheinprovinz, die darüber hinaus zusätzliche Zuschüsse gewährten – Neuss in Höhe von stattlichen 30.000 Reichsmark (10.000 Reichsmark davon waren mit der Zurverfügungstellung des Zeughauses abgegolten). Hinzu kam weiterhin ein Reichszuschuss.

Die wirtschaftlichen Sorgen des Theaters waren damit vom Tisch und in den folgenden Jahren expandierte es erheblich. Sawallich erwies sich als hervorragender Organisator. Er schuf einen zweiten, kleineren Schauspielkörper für die kleineren Abstecherorte. Deren Anzahl erhöhte sich von 35 Spielorten im Jahr 1937 auf 120 im Jahr 1938 – das Ensemble gastierte nun nicht mehr nur am Niederrhein, sondern in Städten und Gemeinden in den Gauen Düsseldorf, Köln-Aachen, Essen und in Westfalen. Der Intendant übernahm überdies 1939 zusätzlich die Direktion der Freilichtbühne Düsseldorf, ab 1941 auch die Freilichtbühne Dinslaken. Mit dem Kriegsbeginn am 1. September 1939 kamen weitere Aufgaben auf das Theater zu: Das Rheinische Landestheater wurde »Front­ theater«, parallel zur Arbeit in der Heimat. Vier Schauspielkörper und ein 1940 völlig neu geschaffener musikalischer Spielkörper für Operetten waren nun mit insgesamt zehn Fahrzeugen unterwegs und gaben fast täglich zwei

39

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

Festhalle in Solingen-Ohligs und Eintrittskarte für »Scampolo« vom 8. Januar 1946

Briefkopf mit Logo des Rheinischen Landestheaters, 1949

Vorstellungen. Das Theater kam in der Spielzeit 1939/40 auf 1.331 Vorstellungen, davon 942 Wehrmachtsvorstellungen in Deutschland und 158 im besetzten Belgien und Frankreich. Dort waren es dann 1940/41 sogar 506 Vorstellungen. Den Spielplan dominierte nun die leichte Unterhaltung, Lustspiele und Operetten, sowohl für die Wehrmachtsbetreuung als auch daheim.

1943 kam noch eine weitere Abteilung zum Rheinischen Landestheater hinzu: das Rheinische Landestheater Arnheim. Von seinem Sitz im niederländischen Arnheim aus bespielte es mit ca. achtzig Personen – Ensemble, Chor, Ballett, Orchester und Technik – die gesamten Niederlande, was zuvor von Neuss aus hatte organisiert werden müssen. Als im September 1944 die als »Schlacht von Arnheim« in die Geschichte eingegangenen Kampfhandlungen begannen, kehrte das Theater nach Neuss zurück. Doch auch hier war an Theateraufführungen nicht mehr zu

40

denken: Zum 31. August waren auf Befehl Goebbels’ alle deutschen Theater geschlossen worden und die Beschäftigten wurden zu kriegswichtigen Tätigkeiten herangezogen, auch Sawallich erhielt eine Einberufung zur Wehrmacht.

Nach Kriegsende 1945 gestaltete sich die Wiederaufnahme des Theaterbetriebs für die meisten deutschen Bühnen sehr schwierig. Kaum eine konnte in einem richtigen Theatergebäude spielen, die meisten mussten auf Hilfsbühnen ausweichen. Auch das Rheinische Landestheater hatte bei einem verheerenden Luftangriff am 23. September 1944 seine Spielstätte, das Zeughaus am Markt, verloren. Als der Vorstand am 5. September 1945 den Beschluss fasste, den Spielbetrieb wieder aufzunehmen, war an eine Rückkehr nach Neuss also zunächst nicht zu denken. So war es ein großer Glücksfall, dass die Stadt Solingen dem Theater seine unzerstörte Festhalle im Stadtteil Ohligs als Spielort anbot und sich zur baulichen Unterhaltung und Vorbereitung der Aufführungen sowie einem Garantiebetrag pro Vorstellung verpflichtete. Noch während die Festhalle Ohligs für die Zwecke des Theaters ertüchtigt wurde – kein einfaches Unterfangen angesichts der damaligen großen Probleme bei der Beschaffung von Baumaterialien –, fanden bereits erste Proben statt

Das Rheinische Landestheater an der Drususallee vor dem Neubau, erste Hälfte der 1950er Jahre

Die beiden Intendanten Roland Müller-Stein und Erich Brandt, 1949

und am 8. Dezember 1945 gab das Rheinische Landestheater in Solingen mit Goethes »Stella« seine erste Vorstellung nach dem Krieg. Am 1. Februar 1946 fand dann das Debüt in der Ohligser Festhalle statt mit der Komödie »Scampolo« von Dario Niccodemi. Personell hatte sich das Theater ganz neu aufstellen müssen. Erster Intendant nach dem Krieg wurde Erich Thormann (1899– 1989), der aber schon 1946 ans Stadttheater Bonn ging. Die früheren engen Beziehungen des Rheinischen Landestheaters zum Theater Mönchengladbach-Rheydt bestanden nach wie vor, denn von dort kam der nächste Intendant. Es war Erich Brandt (geb. 1898), der in Mönchengladbach seit 1942 mit einer Unterbrechung durch den Krieg als Regisseur tätig gewesen war, zuletzt unter der Intendanz von Fritz Kranz, der dort in dieser Funktion 1945 wieder eingesetzt worden war.

Nach der ersten, von Dezember bis Juni reichenden Spielzeit 1945/46 konnte das Theater auf zehn Inszenierungen mit insgesamt stolzen 147 Aufführungen zurückblicken, von denen achtzig in Solingen und Ohligs und 67 an Abstecherorten stattgefunden hatten. Es waren vor allem unterhaltende Komödien und eher leichtere Kost, die man dem Publikum in diesen schweren Zeiten servierte. Unter der Intendanz von Erich Brandt

wurde der Spielplan dann in den nächsten beiden Jahren erheblich ausgeweitet: In der Saison 1947/48 verzeichnet die Statistik zwanzig Stücke mit insgesamt 349 Aufführungen, davon 207 Abstecherfahrten. Insofern befand sich das Rheinische Landestheater auf einem guten Weg, bis es durch die Währungsreform im Sommer 1948 wie die meisten Theater in eine tiefe Krise gestürzt wurde. Aus der Umstellung der alten Reichsmark (RM) auf die Deutsche Mark (DM) am 20. Juni 1948 ergab sich zunächst eine allgemeine Knappheit an Bargeld. Das Theater besaß keine Rücklagen, sondern lebte von den regelmäßigen Einnahmen.

Hinzu kam, dass die Menschen ihr weniges neues Geld jetzt für andere Dinge als für Theaterbesuche ausgaben und die Besucher:innenzahlen einbrachen. Das Personal des Rheinischen Landestheaters bildete in dieser Notlage ein Kollektiv, das jedem ein Existenzminimum von hundert DM garantierte und darüber hinaus die Einnahmen nach einem Punktesystem auf die Mitglieder verteilte. Dies reichte jedoch kaum zum Überleben, sodass die Stadt Solingen dem Theater 5.000 DM zur Verfügung stellte »zur Verhütung des sonst unabwendbaren Zusammenbruchs und zur Abwehr primitivster Nahrungsnot«, so die Begründung. Eine Organisations- und Wirtschaftlichkeitsprüfung stellte fest, dass das Thea-

41

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

Logo des Rheinischen Landestheaters, 1950er Jahre

Philipp Vogel, Intendant 1950 bis 1967

ter quasi konkursreif und nur durch die Zuschüsse der Landesregierung überlebensfähig war. Die Krise machte auch strukturelle Probleme sichtbar: Die Zahl der Mitglieder im Trägerverein war rückläufig, es gab zu viele Inszenierungen und zu viel Personal, der angestammte Spielbezirk wurde nur unzureichend bespielt, unter anderem weil es dort Aufführungen konkurrierender Theater gab. Als ein entscheidender Nachteil stellte sich die Lage des Stammsitzes in Solingen-Ohligs heraus, weil von dort aus die Entfernungen zu den Abstecherorten, insbesondere die Bespielung des linken Niederrheins, zu groß waren.

Man begann, über eine Rückverlagerung des Theaters nach Neuss nachzudenken. Das Kultusministerium trat in nicht ganz einfache Gespräche mit den Beteiligten ein. So galt es, Vorbehalte einiger Verantwortlicher in Neuss zu überwinden, 1949 hatte die Stadt sogar die Mitgliedschaft im Trägerverein gekündigt. Und es war eine Theaterinstitution einzubeziehen, die in Neuss nach Kriegsende neu geschaffen worden war: das Schauspielhaus Neuss, ein von Intendant Roland Müller-Stein privat geführtes Theater. Müller-Stein war 1939 als Regisseur zum Rheinischen Landestheater gekommen und hatte sich nach Kriegsende zunächst darum bemüht, als Intendant des Rheinischen Landestheaters eingesetzt zu werden. Nachdem die zuständigen Stellen das abgelehnt hatten, gründete er sein eigenes Theater, das er unter erheblichen Anstrengungen im ehemaligen Saal der Gaststätte Drusushof an der Drususallee einrichtete. Infolge der Währungsreform befand sich das Schauspielhaus Neuss seit Sommer 1948 in einer ähnlich prekären Lage wie das Rheinische Landestheater. Nach zähen Verhandlungen, bei denen wie in den Jahren zuvor

42

(und danach) der frühere Neusser Oberbürgermeister Henrichs, in den 1950/60er Jahren als Vorsitzender des Trägervereins, eine das Theater sehr fördernde Rolle spielte, einigte man sich darauf, dass das Schauspielhaus Neuss aufgelöst werden und Müller-Stein dem Rheinischen Landestheater seinen Theatersaal an der Drususallee überlassen sollte. Müller-Stein würde als stellvertretender Intendant übernommen, ebenso einige seiner Darsteller:innen. Daraufhin fasste der Vorstand am 14. September 1949 den einstimmigen Beschluss, das Rheinische Landestheater wieder nach Neuss zurückzuverlegen.

Die Saison der Rückkehr nach Neuss 1949/50 war eine des Übergangs. Die Abonnementvorstellungen in Ohligs waren noch zu geben, für Schauspieler:innen und Mitarbeiter:innen mussten in Neuss Wohnungen gefunden werden und so pendelte man zwischen Solingen und Neuss. Dort, an seinem wiedergewonnenen alten Stammsitz, gab das Rheinische Landestheater schon am 10. Oktober 1949 mit »Othello« seine erste Vorstellung nach dem Krieg. Die wirtschaftliche Situation des Theaters gestaltete sich jedoch nach wie vor problematisch und vor diesem Hintergrund gab es 1949/50 eine intensive Grundsatzdebatte über die Zukunft der Wanderbühnen im Rheinland. Die Landespolitik drängte auf eine Neuordnung: In Siegburg war nach dem Krieg das Westdeutsche Landestheater gegründet worden, aber zwei rheinische Wandertheater, die um Landeszuschüsse konkurrierten, sah man als nicht existenzfähig an, eine auskömmliche Erhöhung der Zuschüsse für beide lehnte das Land ab.

Letztendlich fiel die Entscheidung für eine Vereinigung der beiden Bühnen zum 1. Juli 1950 und die Sitzstadt Neuss. Erich Brandt wurde nicht als Intendant übernommen, sondern der bisherige Intendant in Siegburg, Philipp Vogel (1905–67), löste ihn ab. Vogel sollte das Rheinische Landestheater in den ersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublik bis zu seinem frühen Tod 1967 ganz entscheidend prägen und machte aus ihm ein in Neuss, in der Region und darüber hinaus beliebtes Haus mit einer soliden wirtschaftlichen Basis und hohem künstlerischen Ansehen. Vogel startete 1950 mit 43 Beschäftigten – die Zahl war wie geplant reduziert worden – und 11.542 Theaterbesucher:innen in Neuss. Er plante pro Spielzeit zehn bis zwölf Stücke in einer bewährten Mischung aus modernen Stücken und Klassikern, so standen in seinem ersten Jahr als Intendant in Neuss »Don Carlos« (Schiller), »Der eingebildete Kranke« (Molière), »Schmutzige Hände« (Sartre), »Agamemnons Tod« und »Elektra« (Hauptmann), »Donna Diana« (Moreto), »Hasenklein kann nichts

Nach dem Neubau 1958: Saal

Nach dem Neubau 1958: das Theatergebäude mit angrenzendem Drusushof

dafür« (Mons), »Katharina Knie« (Zuckmayer) und »Nibelungen« (Hebbel) auf dem Spielplan. Die allmählich steigenden Besucher:innenzahlen gaben seiner Linie recht: 1951 waren es am Heimatstandort Neuss rund 13.000, 1952 13.200, 1953/54 17.000 und 1954/55 19.500.

Der instand gesetzte Saal des Drusushof konnte indes mit der Entwicklung des Theaters nicht Schritt halten, er hatte nur einen den Umständen der Nachkriegszeit geschuldeten provisorischen Charakter haben können. Die Stadt Neuss investierte zwar neben den Zuschüssen für den Betrieb fortlaufend erhebliche Summen, um das in Teilen baufällige Haus für den Theaterbetrieb zu verbessern, aber dies alles blieb Stückwerk und erfüllte immer weniger die notwendigsten Bedürfnisse des Theaters. 1954 kaufte die Stadt schließlich den bis dahin nur gemieteten Saal sowie das Grundstück und errichtete für 815.000 DM einen fast vollständigen Neubau. Dessen Dringlichkeit wurde offensichtlich, als das Gebäude 1957 baupolizeilich geschlossen und der Theaterbetrieb an Ausweichstätten – Notburgahaus, Apollokino und Aula des Quirinusgymnasiums – fortgesetzt werden musste. Die Bedeutung, die die Stadt dem Theater damals beimaß, lässt sich auch daran ab-

lesen, dass sie den Theaterbau dem der Stadthalle vorzog, was nicht ohne Diskussionen blieb. Nach einer schwierigen Planungs- und Bauphase konnte am 31. Oktober 1958 das neue Theatergebäude feierlich eingeweiht werden, sogar Radio und Fernsehen waren dabei. Noch am selben Tag erlebte die gegenüber der vorherigen wesentlich vergrößerte Bühne ihre allererste Aufführung mit Goethes »Iphigenie auf Tauris«. Im neuen Saal mit Empore konnten 394 Besucher:innen auf blau bezogenen Stühlen Platz nehmen, die zusammen mit den roten Läufern in den Gängen einen farbenfrohen Eindruck machten. Neu hinzugekommen waren eine Nebenbühne und ein Raum für die Maskenbildnerei; die Bühnentechnik erhielt ein modernes Stellwerk mit 36 Hebeln und zehn Kulissenzügen.

Zwar setzte sich der 1958 gewählte Name »Kammerspielhaus« nicht durch, aber das Haus an der Drususallee blieb mehr als vier Jahrzehnte Heimat des Rheinischen Landestheaters, bis es im Jahr 2000 ins neue Schauspielhaus an den heutigen Standort im ehemaligen Horten-Kaufhaus an der Oberstraße zog.

43

AUGENBLICKE SPIELZEITEN 1958/59–1974/75

1958/59 »JOHANNA IN DEN ZELTEN« von Otto Brües

1959/60 »DIE ZWILLINGE VON VENEDIG« von Carlo Goldoni

44

1965 »DER LÜGNER« von Pierre Corneille

1965 »FRAU WARRENS GEWERBE« von George Bernard Shaw Jutta Schäfer, Raidar Müller-Elmau

45

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

1962 »DONNA DIANA« von Moreto Maria Schünemann, Joachim Giesen

1966 »FAUST – DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL« von Johann Wolfgang von Goethe Manfred Dornseiff, Werner Sindermann

46

1964 »DER ARME BITOS« von Jean Anouilh Matthias Breuer, Marie Schünemann, Werner Sindemann, Dieter Naumann, Raidar Müller-Elmau

1972/73 »DER METEOR« von Friedrich Dürrenmatt Bühnenbildentwurf von Frank-Ulrich Schmidt

47

ES IST NOCH KEIN ABSTECHER VOM HIMMEL GEFALLEN DAS RHEINISCHE UNTERWEGS

DIRK GONDESEN (*1955 in Neuss) war ab 1987 zunächst als Betriebsdirektor und von 1989 bis 2020 als Verwaltungsdirektor am Rheinischen Landestheater beschäftigt.

48

N

ein, so hatte sie sich das nicht vorgestellt. Es war kurz vor neun Uhr morgens.

Vor anderthalb Stunden war sie mit mir an diesem herbstgrauen Morgen in Neuss losgefahren. Nun warteten wir in einem Flur des schmucklosen Verwaltungsgebäudes der niederrheinischen Kleinstadt darauf, dass sich die Tür zum Büro des Veranstaltungsreferats öffnete und wir ein erstes Verkaufsgespräch führen würden.

Im Februar war sie zur Intendantin ab Beginn der kommenden Spielzeit gewählt worden. Natürlich war ihr bewusst, dass das Rheinische Landestheater Neuss nicht nur Stadttheater für die schöne Sitzstadt ist, sondern dass Gastspiele bzw. Abstecher, wie man sie an Landesbühnen üblicherweise nannte, ein unverzichtbarer Baustein im Aufgabenportfolio des Rheinischen Landestheaters sind – wie es schon durch den Namen angezeigt wird. Auch bei der Aufstellung des Spielplans hat-

Karte der Mitglieds- und Spielorte des Rheinischen Landestheaters, um 1975

te sie den Spagat zwischen den künstlerischen Ambitionen, dem Stadttheaterangebot für Neuss und der Abstimmung mit den Landestheatern gewagt. Sie hatte mit dem Team letztendlich 15 Monate vor dem Beginn ihrer Intendanz ihren ersten Spielplan aufgestellt. Das alles war schwierig genug und für Theaterleute, die vorher nicht an Landestheatern gearbeitet haben, unvorstellbar früh. Aber dass sie als Vertreterin unterwegs sein würde, damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Es war der erste Termin heute, vier weitere würden noch folgen. Und dann noch weitere 25 in den nächsten zwei Wochen. Hinzu würde die Teilnahme auf der herbstlichen Verkaufsveranstaltung der Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen (INTHEGA) sowie die gemeinsame Spielplanpräsentation der vier Landestheater in Nordrhein-Westfalen kommen. Die INTHEGA hatte sich seit den achtziger

49

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

etablierte dann eine Verkaufsveranstaltung, die gemeinsame Spielplanpräsentation, die gleichfalls im Herbst stattfindet und sich primär an die Veranstalter:innen in NRW wendet. Der Einrichtung und der damit einhergehenden engen Zusammenarbeit der Landestheater, die maßgeblich vom Rheinischen Landestheater initiiert und entwickelt wurde, sollte später eine große Bedeutung in den oft existenziellen Diskussionen mit dem Land zukommen.

Der Fahrer Josef Bebber in einem Bus des Rheinischen Landestheaters, um 2010

50

Jahren zu einer immer wichtiger werdenden Größe auf dem Gastspielmarkt entwickelt. Es ist eine Organisation, in der Städte und Gemeinden ohne eigenes Ensemble, die ihr Theaterangebot mit Gastspielen bestreiten, ihre Interessen bündeln. Es wurde dann sehr bald eine herbstliche Verkaufsveranstaltung/Messe etabliert, auf der Anbieter:innen und Veranstalter:innen ins Gespräch kommen und erste Termine für die kommende Spielzeit festgezurrt werden. Anfänglich richtete sich das Interesse in der Hauptsache auf die Angebote der Tourneetheater, die bundesweit agieren. Die Landesbühnen/-theater hatten es schwer, sich in diesem Umfeld zu behaupten, weil ihre Angebote tendenziell regional begrenzt waren. Im Laufe der Zeit stießen dann freie Theater, Kabarettanbieter:innen, Konzertagenturen, Künstler:innenmanagements und später auch Stadttheater hinzu. Eine weitere Veränderung ergab sich später dadurch, dass einzelne Mitglieder der INTHEGA, deren Kulturverantwortliche zuvor oft selbst am Theater kreativ tätig waren, nun auch in ihrer Stadt Theaterangebote schaffen und vermarkten wollten. Neben der reinen Verkaufsveranstaltung entwickelten sich die Veranstaltungen der INTHEGA auch zu einer wichtigen kulturpolitischen Diskussionsveranstaltung.

Die vier Landestheater waren gut beraten, in den neunziger Jahren die Zusammenarbeit zu verstärken und sich einen gemeinsamen Marktauftritt zu verschaffen. Hierzu wurde ein gemeinsam getragenes Büro mit dem Namen Die Landestheater NRW gegründet, zunächst mit Sitz in Düsseldorf, nun ansässig im Theatergebäude des Rheinischen Landestheaters in Neuss. Das Büro

Neben diesen Verkaufsaktivitäten bemühten sich die Betriebsdirektion und die Dramaturgie des Theaters ebenso wie das gemeinsame Büro der Landestheater, mittels verschiedenster Marketingmaßnahmen einen möglichst großen Teil der über einhundert potenziellen Spielorte zu kontaktieren und von unserem Spielplanangebot zu überzeugen. Langsam wurde der Intendantin bewusst, welche Anstrengungen nötig sein würden, um die Zielmarke von einhundert Gastspielen in der kommenden Spielzeit zu erreichen. Jede Vorstellung musste einzeln verkauft werden, feste Abnahmevereinbarungen gab es nicht, auch nicht mit den Mitgliedsstädten im Trägerverein des Theaters. Und man bewegte sich auf einen umkämpften Markt, auf dem neben den Landestheatern aus Nordrhein-Westfalen auch die Landesbühnen der anderen Bundesländer, freie Theater, verstärkt auch Stadttheater und natürlich die Tourneetheater mit ihren oft populäreren Angeboten um die Gunst der örtlichen Kulturverantwortlichen warben. Die Tür öffnete sich, bei einer Tasse Kaffee stellte die designierte Intendantin sich mit ihren künstlerischen Intentionen und den Spielplan vor. Eine Stunde später ging es weiter zum nächsten potenziellen Abstecherort. Und immerhin: Dieser erste Termin hatte die Buchung eines Gastspiels zur Folge, das dann ein Jahr später über die Bühne gehen sollte. Am Ende gelang es tatsächlich, die Zielmarke von einhundert verkauften Vorstellungen zu erreichen, mit Vorstellungen zum Beispiel in Dormagen, Grevenbroich, Meerbusch, Radevormwald, Geldern, Kleve, Wesel, Bocholt, Solingen, Leverkusen, Lüdenscheid, Gütersloh, Minden, aber auch in Erding, Itzehoe, Neu-Isenburg und Ettelbrück (Luxemburg). Nun, die Herausforderungen des Gastspielbetriebs sollten sich fortsetzen: Im nächsten Schritt galt es, die Terminwünsche der Gastspielorte mit einem attraktiven Terminplan für die Heimatbühne in Neuss zusammenzubringen. Die Theaterdisponenz benötigte dafür frühzeitig die Besetzungen der Produktionen, zumindest aber Angaben darüber, welche Produktionen parallel gezeigt werden können. Die Abstecherorte forderten gleichfalls für die eigene Werbung sehr frühzeitig

Plakat- und Bildmaterial, am besten Szenenfotos oder wenigstens Fotos der mitwirkenden Schauspieler:innen. Eine Schwierigkeit, da die Proben für die Produktion ja erst in sechs Monaten oder mehr beginnen würden. Dann galt es, vor dem Produktionsbeginn die Planungen für das Bühnenbild auf die höchst unterschiedlichen Bühnenverhältnisse in den jeweiligen Abstecherorten und die Transportkapazitäten anzupassen, ein neuerlicher Spagat für die designierte Intendantin im Spannungsfeld des künstlerisch Gewollten und des praktisch Umsetzbaren.

15 Monate nach dem Verkaufsgespräch stand dann das Gastspiel in der niederrheinischen Klein­stadt auf dem Programm. Die Technik war bereits seit mittags mit Theater-Lkw unterwegs und hatte mit dem Aufbau und dem Einleuchten der Dekoration begonnen. Disponent und Busfahrer hatten sich angesichts der winterlichen Verkehrsverhältnisse in der Langfristplanung auf eine Ensembleabfahrt um 17 Uhr verständigt, damit der Bus auf jeden Fall rechtzeitig eine Stunde vor Vorstellungsbeginn vor Ort sein würde, um eine ausreichende Vorbereitungszeit für die Abendregie, Maske, Requisite und Kostüm zu gewährleisten. Nicht zum ersten Mal hatte sich nach der Premiere der Produktion herausgestellt, dass eine Stunde Vorbereitungszeit für die Maske nicht ausreichend ist. So musste die Abfahrtszeit kurzfristig eine halbe Stunde vorverlegt werden, was aber Einfluss auf die am Vormittag für die nächsten Produktionen zur Verfügung stehende Probenzeit hatte und zu entsprechenden Diskussionen mit dem Regisseur führte. Nachdem vor Ort die letzten Feinjustierungen im Bühnenaufbau und Beleuchtung von der Abend­regie vorgenommen und letztendlich nach unerquicklichen Diskussionen auch die Garderoben auf eine nicht gesundheitsgefährdende Temperatur gebracht waren, konnte die Vorstellung pünktlich um 19.30 Uhr beginnen. Der Saal war (leider nur) zur Hälfte gefüllt. Das anwesende Publikum spendete am Ende begeistert Applaus für »herausragende Ensembleleistung und anspruchsvolle Interpretation des Klassikers«, wie die örtliche Presse in ihrer Kritik urteilte. Die Kulturverantwortliche zeigte sich mit der Aufführung gleichfalls zufrieden, wenngleich sie vermerkte, dass ein Teil des üblichen Publikums leider nicht erschienen sei.

Bei Komödien oder Aufführungen von Tourneetheatern mit ›Fernsehstars‹ sei der Publikumszuspruch größer. Um 22.30 Uhr konnte der Bus die Heimreise nach Neuss antreten und um 24 Uhr endete der Abstecher auf dem Wendehammer hinter dem Landestheater in Neuss. Die Technik traf mit dem Lkw eine Stunde später in Neuss ein.

Am nächsten Morgen begannen um zehn Uhr die Proben für die nächsten Produktionen.

Ein anstrengendes Geschäft für alle Beteiligten.

Das Land fördert die Wahrnehmung dieser wichtigen Aufgabe, Theaterkultur in Städte ohne eigenes Ensemble zu bringen, mit einem erheblichen Finanzierungsanteil am Etat des Theaters und sichert somit gemeinsam mit der Stadt Neuss und den Träger:innen des Theaters die Existenz des Rheinischen Landestheaters, hoffentlich nicht nur für die nächsten einhundert Jahre.

Spielplanpräsentation der Landestheater für die Spielzeit 2026/27, 2025

WAS SIND LANDESTHEATER? Der Name ist Programm: Theater für das Land – vornehmlich für Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, die über kein eigenes Ensemble verfügen. Für die Erfüllung dieser Aufgabe übernimmt das Land Nordrhein-Westfalen bei den vier Landestheatern im Land – neben dem Rheinischen Landestheater Neuss sind dies das Landestheater Detmold, das Westfälische Landestheater in Castrop-Rauxel und die Burghofbühne-Landestheater im Kreis Wesel – einen besonders hohen Anteil an der Finanzierung. Die Theater in Detmold und Neuss übernehmen gleichzeitig die Funktion des Stadttheaters in ihren Sitzstädten.

Im Gegensatz zu den Tourneetheatern reisen die Landestheater am Tag der Aufführung an und ab.

Dafür wird dann der Terminus »Abstecher« benutzt.

51

49 JAHRE AUF ABSTECHER UNTERWEGS FÜR DAS RHEINISCHE LANDESTHEATER EIN INTERVIEW MIT JOSEF BEBBER, GEFÜHRT VON MOMO GIESEN

A

ls Landestheater hat das Rheinische nicht nur die Aufgabe, die Stadt Neuss, sondern auch die Städte und Gemeinden im gesamten Bundesland zu bespielen, und ist im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen unterwegs.

Der gesamte Spielplan des Rheinischen steht den Kommunen in NRW und darüber hinaus zur Verfügung. Jährlich finden über dreihundert Vorstellungen außerhalb auf ›Abstecher‹ statt, und mehr als achtzig Kommunen in NRW werden bespielt.

Josef ›Jupp‹ Bebber war von 1966 bis 2015 für das Rheinische Landestheater tätig und hat das Ensemble als Fahrer zu den verschiedensten Gastspielorten gebracht. In 49 Jahren ist Josef Bebber fast 1.200.000 km mit insgesamt drei Bussen gefahren.

Im Interview mit dem Rheinischen erzählt er, was er in all den Jahren Spannendes auf Gastspielreisen erlebt hat.

52

Wie viele Kilometer sind Sie insgesamt gefahren?

Im Schnitt hatte ein Bus nach 13 Jahren so seine 400.000 Kilometer geschafft, der zweite, den ich mir selbst aussuchen durfte, hat mit etwa 600.000 km sogar bis zum Schluss gehalten, am Ende waren es dann fast 1.200.000 km – also 30 Mal um den Globus.

Das sind sehr viele Kilometer! In Zeiten ohne Internet und Google Maps – wie haben Sie die Fahrten geplant? Sind Sie mit einer Karte oder einem Atlas gefahren?

Ich habe keinen Atlas gebraucht. Es wurde immer gesagt: »Jupp, du bist ein wandelnder Atlas.« Einen Atlas – das brauchten wir wirklich nicht. Da gab es noch kein Handy, und wenn ich irgendwo in einen Ort gekommen bin – wir waren ja meistens öfter da –, dann habe ich mir immer ein Eckhaus gemerkt. Und wenn ich nicht mehr weiterwusste, bin ich zu einer Tankstelle gefahren. Dort war immer ein großer Stadtplan. Wenn ich zum Fragen reinkam, haben sie auch direkt den Bus gesehen. Dann sind sie rübergekommen und sagten: »Da musst du rechts, links

durchfahren.« Darüber hinaus hatten wir auf den Fahrten eine Garderobiere dabei. Sie saß immer vorne rechts und hat gesagt: »Jupp, du musst so und so fahren.« Und wo sie einmal war, da konnte ich noch Monate nachher langfahren. Sie war immer dabei, sie wusste genau, wo was war – und das klappte dann auch.

Haben Sie den Bus allein gefahren oder gab es noch eine weitere Person?

Den Bus hat nie jemand anderes gefahren – mit einer Ausnahme. Aus privaten Gründen war es mir in 49 Jahren nur an einem einzigen Tag nicht möglich, eine Tour zu fahren. Glücklicherweise konnte ein Ersatzfahrer organisiert werden – und ausgerechnet auf dieser einen Tour gab es Probleme mit dem Bus. Ich wurde in England angerufen, um technische Hilfestellung zu geben. Nach Rücksprache mit unserem damaligen Verwaltungsdirektor Dirk Gondesen kümmerte er sich um das Problem.

Ich habe den Bus jedoch nicht nur gefahren, er war eher mein zweites Zuhause. Es gab keine Tour, wo er nicht frisch gewaschen parat stand, um das Ensemble zu chauffieren. Durch meine ursprüngliche Ausbildung war es mir möglich und erlaubt, diverse Reparaturen und Wartungen selbst durchzuführen, um für den nächsten Abstecher wieder mobil zu sein. Dass dies etliche zusätzliche Stunden in Anspruch genommen hat, versteht sich von selbst.

Wie konnten Sie diese Fahrten planen und den Überblick behalten? Heutzutage erhält man immer aktuell Staumeldungen, Informationen zu Baustellen oder Unfallmeldungen über alle möglichen Kanäle. Man muss an so viel denken, um pünktlich da zu sein, damit Technik, Maske, Kostüme und Ensemble rechtzeitig alles Wichtige für die Vorstellungen vorbereiten können.

Ich bekam jeden Monat eine Liste – ich wusste also das ganze Jahr über, wann und wohin wir fahren mussten, und konnte mich danach richten und entsprechend vorbereiten. Ich bin insgesamt in 49 Jahren nur zweimal zu spät angekommen. Die jeweiligen Abfahrtszeiten in Neuss habe ich daher vorgegeben, manchmal mussten wir auch eine Stunde früher abfahren, um diese Hindernisse zu umgehen. Wenn alles geklappt hat und wir pünktlich angekommen sind, hatten wir auch immer noch Zeit, zusammen eine Tasse Kaffee zu trinken, bevor das Ensemble in die Vorbereitungen gegangen ist.

Wie haben Sie den Kontakt zu den Schauspieler:innen erlebt? Gab es besondere Begegnungen oder Erinnerungen, die Ihnen bis heute im Gedächtnis geblieben sind?

Der Kontakt mit den Schauspieler:innen war immer gut und freundschaftlich, sie haben sich mir gegenüber stets respektvoll und kollegial verhalten. So habe ich in den 49 Jahren viele von ihnen kommen und gehen sehen. Viele von ihnen hatten mehrjährige Verträge, mit diesen hat sich eine engere Beziehung aufgebaut und man kannte sich.

Natürlich gab es auch mal Diskussionen, die man sachlich ge-

Josef Bebber (*1949 in Dormagen) arbeitete 49 Jahre als Fahrer für das Rheinische Landestheater und brachte das Ensemble zu den verschiede­ nen Gastspielorten.

regelt hat, aber der Spaß und die Freude überwogen um Längen. Es war angenehm, mit den vielen Stargästen zu tun zu haben. Sie fügten sich schnell in die Gemeinschaft ein. Wir waren schließlich eine bunt zusammengewürfelte Truppe, die harmonieren musste. Oft hörte ich hinter mir im Bus sagen, sei es vom eigenen Ensemble oder Stargästen: »Jupp, wir fühlen uns bei dir wie in Abrahams Schoß.« Ein schöneres Lob gab es für mich nicht.

Ein halbes Jahrhundert Rheinisches Landestheater … – ich war immer hochzufrieden und hatte nette Vorgesetzte. Gerne erinnere ich mich an diese lange Zeit zurück.

53

AUGENBLICKE SPIELZEITEN 1975/76–1999/2000

1989 »TROMMELN IN DER NACHT« von Bertolt Brecht

54

1999/2000 »VIEL LÄRM UM NICHTS« von William Shakespeare

1984/85 »WEM GOTT EIN AMT GIBT« von Wilhelm Lichtenberg mit Willy Millowitsch

55

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

1988 »UNTERNEHMEN ARCHE NOAH« von Elke Heidenreich

56

1990 »CYRANO DE BERGERAC« von Edmond Rostand

1978 »DIE FRAU VOM MEER« von Henrik Ibsen mit Elisabeth Wiedemann

1998 »HERR DER FLIEGEN« von William Golding

1992 »DER BIBERPELZ« von Gerhart Hauptmann mit Maria Schünemann

57

DAS RHEINISCHE LANDESTHEATER IM AUSGEHENDEN 20. JAHRHUNDERT FÜNF INTENDANTEN AN DER DRUSUSALLEE UND DER WECHSEL ZUR OBERSTRAẞE UND INS GLOBE

DR. HERIBERT BRINKMANN (*1956 in Düsseldorf) arbeitet seit 1980 für die Neuß-Grevenbroicher Zeitung und hat als Kultur­redakteur das Rheinische Landestheater an der Drusuallee eine lange Zeit begleitet.

58

H

undert Jahre Rheinisches Landestheater: Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum und Chapeau! Das Neusser Theater hat sich seit seiner Gründung stetig weiterentwickelt, oft sprunghaft, und immer wieder neu erfunden. Als ich Mitte der 1970er Jahre von Düsseldorf ins Linksrheinische zog, hatte ich nur eine ungefähre Vorstellung vom Rheinischen Landestheater, eben als eine Art kommunales Tourneetheater mit prominenten Schauspieler:innen aus Film und Fernsehen in Gastrollen. Inklusive Willy Millowitsch. Das hat mich damals als noch junger Spund, frisch von der Uni entsprungen, nicht angezogen. Man kann zwar die Zeit nicht zurückdrehen und alles mit heutigen Augen überprüfen – aber man kann – dank der Aufzeichnung einer Übertragung im WDR – zum Beispiel das Molière-Stück »Der Bürger als Edelmann« mit Millowitsch in der Hauptrolle noch mal ansehen. Auch wenn die Inszenierung von 1980 in der Übertragung aus dem Rheinischen Landestheater heute arg angestaubt wirkt, kommt der Witz des Stückes doch wunderbar über die Rampe. Ich staune, was Millowitsch für ein guter Schauspieler war. Fast will ich ihm Abbitte leisten, ihn in meiner jugendlichen Hybris einfach in die Ecke Kölner Volkstheater gestellt zu haben.

Den Molière-Text hatte für Neuss der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger neu übersetzt. Der Suhrkamp-Autor und Herausgeber des »Kursbuch« war bekannt für seine Essays mit Sprachkritik. Man merkt der TV-Übertragung sofort den modernen Sprachduktus an. Und allein dem jungen Jürgen Strube, später Oberspielleiter unter dem Intendanten Mauer, in der Rolle des Professors zuzuschauen, macht einen Heidenspaß und lohnt einen Blick zurück ohne Zorn.

Schon der frühere Intendant Hermann Wetzke (1967–78) schrieb 1975 zum Jubiläum »50 Jahre Rheinisches Landestheater« über die »Schwierigkeiten, einen kurzen historischen Überblick zu schreiben«. Das war sozusagen die Halbzeit bis zum Jubiläum 2025. Umso schwieriger ist es, heute über das »alte« Landestheater zu schreiben, nicht allein, weil es so lange her ist, sondern weil sich die Zuschauer:innen, die Sehgewohnheiten und natürlich auch die Art, zu inszenieren und als Schauspieler:in zu agieren, verändert haben. Aber wenn ich im Leseraum des Stadtarchivs sitze und alte Spielpläne, Programmhefte und Zeitungsartikel durchstöbere, muss ich für mich einfach einräumen, dass auch früher bereits die Intendanten und ihre Dramaturgie stets ambitionierte Spielpläne aufgestellt haben, eine Mischung aus Klassikern und neuen Stücken. Wetzke beschrieb das

»Bürger als Edelmann« von Molière mit Willy Millowitsch, 1980

im Spielplanheft 1977/78 so: »Elitäre Ideologien sollten ebenso wenig von der Bühne proklamiert werden wie ein sogenanntes Volkstheater.« Sein Rheinisches Landestheater wollte er auf jeden Fall »mit bekannten Gästen noch attraktiver« machen. Anscheinend hatte er Erfolg damit: Er brachte Shakespeares »King Lear« auf die Bühne. Er übersetzte und inszenierte die französische Vaudeville-Komödie »L’homme blasé« als »Der Mann, dem nichts mehr Freude macht« in deutscher Erstaufführung. »Michael Kramer« von Gerhart Hauptmann, »Unsere kleine Stadt« von Thornton Wilder, Molières »Der Menschenfeind« oder Brechts »Schwejk im Zweiten Weltkrieg« (mit Klaus Havenstein in der Hauptrolle) waren weitere bekannte Stücke. Im Spielplan wird aber auch für den Theater-Ring der Neusser Betriebe geworben. Das Abo bot zehn Aufführungen zu jeweils 2,25 Mark plus Arbeitgeberanteil.

Auf Wetzke folgte 1978 der Schauspieler, Regisseur und Komponist Professor Karl »Charly« Wesseler (1929–2010), ein »Alleskönner«, wie ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrem Nachruf würdigte. Er blieb bis 1983 und prägte das Landestheater stark mit seinen eigenen Inszenierungen.

Wesseler brachte auch den Raben als Wappentier und Signet des Theaters in Umlauf. In seiner ersten Spielzeit 1978/79 standen »Nebeneinander« von Georg Kaiser, »Die Frau am Meer« von Ibsen oder »Bürger Schippel« von Carl Sternheim auf dem Spielplan. Es folgten Erst- und Uraufführun-

59

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

gen, einige mit bekannten Gästen (Karin Anselm, Eddy Arendt, Heinz Drache, Günter Lamprecht, Willy Millowitsch, Brigitte Mira, Christian Quadflieg, Ellen Schwiers, Elisabeth Wiedemann und andere) auf der Neusser Bühne: Am 28. Mai 1979 hatte »Wohin du willst, Liebling« deutsche Erstaufführung. Das Stück von Douglas Watkinson inszenierte Werner Sindermann (1928–80), langjähriger, populärer Schauspieler des Ensembles.

Es folgte am 5. September 1979 eine Uraufführung: Das Musical »Die deutschen Kleinstädter« nach Kotzebue zur Musik von Gerhard Jussenhoven hatte Wesseler selbst geschrieben und auch inszeniert. Weitere Erstaufführungen waren »Frankenstein« von Richard Brinsley Peake, »Judiths Ehe« von Peter Nansen und »Morgen« von Joseph Conrad. Aber auch Kleist, »Prinz Friedrich von Homburg«, wurde gespielt. Und so lobte der junge Burkhard Mauer 1982 in Theater heute das Rheinische Landestheater für das »originellste Repertoire der Republik«. Im August 1983 folgte Wesseler einem Ruf nach Münster, wo er als Generalintendant mit den Städtischen Bühnen ein Vierspartenhaus übernahm.

Auf Wesseler folgte 1983 Dramaturg, Schauspieler und Autor Gert Otmar Leutner (1919–95) als Intendant, der bis zum Ende der Spielzeit 1987 blieb.

Im ersten Spielplan versprach er, den »Besucherstamm zu erhalten und neue Freunde zu gewinnen«. Sein »allgemein ansprechender Spielplan« sollte gleichermaßen »gehaltvolles wie unterhaltsames Theater«, aber keinen Platz »für allzu Seichtes oder Verstaubtes« bieten. Leutner hatte in Neuss keinen leichten Stand. Nach Wesselers Weggang nach Münster brachen die Abozahlen und die Gastspiele in den Abstecherorten ein.

Einiges scheint hausgemacht gewesen zu sein.

Heinz Feld schrieb in einem Artikel in der Westdeutschen Zeitung (21. Juni 1986) von einem »Pannen-Kabinett an der Drususallee«, von zu vielen teuren Gästen und Leerlauf beim Ensemble. Zuschauer:innen stürmten wütend aus dem Theater. Die Spielpläne würden kritisiert, sinkendes Interesse habe zu roten Zahlen geführt, schreibt auch Ludger Baten in der Neuß-Grevenbroicher Zeitung (19. September 1986). In dieser Situation flatterte eine besondere Bewerbung ins Rathaus: Der Neusser Serdar Somuncu, heute ein bundesweit bekannter Kabarettist, bewarb sich mit fertigem Spielplan und Konzept um die Intendanz – er war gerade mal 18 Jahre alt (WZ, 8. Mai 1986).

Rheinisches Landestheater an der Drususallee, 1970/80er Jahre

60

Zum Ende der Intendanz von Leutner komme ich selbst ins Spiel, 13 Jahre lang habe ich von 1987 an das Rheinische Landestheater als Kulturredak-

teur der Neuß-Grevenbroicher Zeitung begleiten dürfen – ein Rückblick ins letzte Jahrhundert!

Und damit beginnen meine eigenen Erinnerungen ans alte Haus an der Drususallee. Hatte das alte Städtebundtheater von 1925 noch das Zeughaus am Markt als Spielstätte genutzt und danach provisorisch im Saal des Drusushof gespielt, so schenkte die Stadt Neuss, Sitzstadt des Vielstädtetheaters, ihm zum 30. Bestehen am selben Ort eine eigene Spielstätte. 1958 wurde sie eröffnet.

Inzwischen ist das Theater dort längst abgerissen, an seiner Stelle wurde ein Ärztehaus errichtet.

Doch unvergessen bleibt die »heimelige« Atmosphäre des alten Hauses an der Drususallee. Natürlich war es nach 40 Jahren etwas in die Jahre gekommen, was Sitze, Lüftung und Technik anbetraf. Auf der anderen Seite waren die Zuschauer:innen näher dran, hatte eine intime Beziehung zum Geschehen auf der Bühne. Im viel zu kleinen Foyer drängelte sich an den Premierenabenden das Publikum. Wenn es nicht regnete, waren die Raucher:innen froh, nach draußen in die frische Luft entwischen zu können. Wer in den Pausen etwas trinken wollte oder einen Snack brauchte, musste Schlange stehen an einem Kiosk. Wie bei einem Kasperletheater wurde der Vorhang vor dem Ausschank zur Seite gezogen und zwei Damen aus dem Kreis der Garderobieren bedienten die geduldig wartenden Theaterbesucher:innen.

Eingebrannt hat sich auch das Erlebnis, wie Anni Brandt-Elsweier, die Neusser SPD-Bundestagsabgeordnete und damals Kulturausschussvorsitzende, im Foyer auf einen Stuhl stieg und die Premierenzuschauer:innen begrüßte. Oder wenn mir Johann Maria Schlögel, der 1961 den Theaterkeller an der Olympiastraße gegründet hatte, aus der Reihe hinter mir einen Kommentar zum Bühnengeschehen zuraunte. Der Klassiker war aber die Frage an mich: »Na, was lesen wir denn morgen in der Zeitung?« Meine Antwort war vielleicht etwas schroff und immer unbefriedigend: »Morgen nichts. Der Redaktionsschluss war schon.« So war mir nichts zu entlocken. Ich muss auch gestehen, dass ich gerne erst einmal eine Nacht über das Erlebte schlief. Und mancher spontane Aufreger entspannte sich nach einer geruhsamen Nacht.

Jetzt mit Abstand von 25 Jahren über das Rheinische Landestheater zu schreiben, zeigt dagegen durchaus Erinnerungslücken, anderes wird umso deutlicher. Wie etwa die Erinnerung an die großartige Schauspielerin Maria Schünemann, Jahrgang 1931, und verheiratet mit dem Schauspieler Werner Sindermann. Sie gehörte 42 Jahre zum Ensemble des Landestheaters, spiel-

te in über zweihundert Rollen, darunter natürlich in ihrer Paraderolle als »Mutter Courage«.

Oder Sigrid CoenenUlrich, Grande Dame des Theaters, kommt einem wieder in den Sinn. Über vierzig Jahre war sie in Kostümfundus und -schneiderei des Rheinischen Landestheaters tätig, deren Leitung sie 1979 von ihrem Vater Adolf Ulrich übernommen hatte. Und wenn ich jetzt zurückschaue, ist auch ein wenig Nostalgie im Spiel.

Für mich kann ich feststellen, dass ich in diesen Jahren mit den Stücken gewachsen bin, auch – oder gerade? – wenn die Inszenierungen nicht so gelungen erschienen oder die Schauspieler:innen mich nicht voll überzeugten.

»Mutter Courage und ihre Kinder« von Bertolt Brecht mit Maria Schünemann in der Titelrolle, 1986

Meine Landestheater-Jahre begannen in der Schlussphase der Intendanz von Gert Omar Leutner. Er stand noch für einen Spielbetrieb mit prominenten Schauspieler:innen – das Landestheater hatte seit den späten 1960er Jahren mit den privaten Tourneetheatern um Spielmöglichkeiten »auf dem Lande« konkurriert. Doch mit dem neuen Intendanten Egmont Elschner (1947–2023), bis dahin Intendant der Burghofbühne Dinslaken, wurde alles anders. Als er 1987 in Neuss anfing, setzte er wieder ganz auf ein eigenes Ensemble.

Er war ein Vollbluttheater- und Kulturmensch, umtriebig und ehrgeizig. Er war alles: Intendant, Regisseur und Schauspieler. Mit den Inszenierungen in diesen Jahren hatte ich öfters meine Probleme – und Elschner seine Probleme mit mir.

Kritik an den Aufführungen konterte er mit der Bemerkung: »Der Brinkmann mag mich nicht.« In einem privaten Brief, keinem Leserbrief, bezeichnete er mich als »Schreibmaschinenterroristen«. Kaum zu glauben, dass ich so radikal gewesen sein sollte. Verhaftet wurde ich aber nicht.

Beim 75-jährigen Jubiläum des Rheinischen Landestheaters im Jahr 2000 haben wir uns dann versöhnt. Der »Mann mit dem roten Schal« gab mir wieder die Hand. Das war dann schon im Foyer des neuen Theaters an der Oberstraße.

Elschner blieb bis 1992. Sein anderes Konzept des Ensembletheaters war in Neuss nicht unumstritten – nicht bei mir, sondern bei vielen Neusser:innen, die ihre bekannten Gastschauspieler:innen vermissten. Während seiner Intendanz gründete sich deshalb 1988 der Verein der Freun-

61

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

»Das Liebeskonzil« von Oskar Panizza, 1993

»Ein Sommernachtstraum« von William Shakespeare, Spielzeit 1992/93

»Lulu« von Frank Wedekind, 1991

de und Förderer des Rheinischen Landestheaters Neuss, der Elschners Konzept aktiv unterstützen wollte. Eine wichtige Figur dabei war dabei Gründungsmitglied Christian »Hannes« Rulfs (1945– 2019). Viele Jahre vertrat er die SPD-Fraktion im Kulturausschuss der Stadt. Seine Positionen hat er immer mit Leidenschaft vertreten. Auch mit mir scheute er in den Pausen oder bei Premierenfeiern keine Diskussion. Aber wir kamen, glaube ich, klar miteinander.

Aber dann kam ein anderes hundertjähriges Jubiläum ins Spiel. Der Neusser Bauverein wurde 1991 hundert Jahre alt. Sein langjähriger Vorsitzender Klaus Harnischmacher (1941–2025), der Anfang Februar 2025 verstarb, wollte der Stadt ein besonderes Geschenk machen und nicht die übliche Feier mit Sekt veranstalten. Und das besondere Geschenk sollte ein »fliegender Bau« zum Theaterspielen sein: 1988 war in Rheda-Wiedenbrück eine Landesgartenschau. Ein Jahr zuvor hatte der Theatermacher Reinhard Schiele, der beim Schlosstheater Overhagen engagiert war, die Idee, einen Nachbau des Londoner Globe-Theatre von William Shakespeare als mobile Wanderbühne zu bauen. Aus Brandschutzgründen entstand eine festere Holz-Stahl-Konstruktion. Nach der Lan-

62

desgartenschau stand der Theaterbau leer. Er bot fünfhundert Zuschauer:innen auf drei Ebenen Platz und stand für 1,5 Millionen Mark zum Verkauf. Als Initiatoren des Globe Theaters in Neuss gelten Harnischmacher und Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, damals Kulturdezernent und Stadtdirektor in Personalunion. Grosse-Brockhoff besuchte dann in Bremen seinen Neusser Schulfreund Norbert Kentrup (1949–2023) – der 1984 die Theatergruppe Bremer Shakespeare Company gegründet hatte. Schnell kam man auf das Globe Theater zu sprechen. Vierter im Bunde war der Neusser Architekt und »Kulturmensch« Rudolf Küppers (1931–2020), ein wichtiger Katalysator. »Wir waren alle ein bisschen gaga«, beschrieb Klaus Harnischmacher die Vorgeschichte zum Globe. Aber es hat sich gelohnt. Stadt und Bauverein handelten den Kaufpreis auf 637.000 Mark herunter, mit einer Stimme Mehrheit stimmte der Stadtrat dem Kauf zu.

Norbert Kentrup, der in Neuss aufgewachsen war, bespielte mit seiner Bremer Shakespeare Company das Globe im ersten Jahr am neuen Standort an der Neusser Rennbahn. Nie vergessen werde ich, wie Klaus Harnischmacher mich im Vorfeld einlud, das Globe Theater zu besichti-

gen. In seinem alten Rover fuhren wir von der Redaktion an der Moselstraße zweieinhalb Stunden nach Rheda-Wiedenbrück. Wer das Globe Theater betritt, ist sofort begeistert. Die Zuschauer:innen können das Bühnengeschehen aus nächster Nähe erleben, kein Platz ist mehr als zehn Meter entfernt. Auch Carsten Ramm, bis 1992 Oberspielleiter am Rheinischen Landestheater, war am selben Tag vor Ort und total hin und weg. Doch Egmont Elschner erkannte »zu Hause« in Neuss schnell das Problem, künftig zwei Spielorte – oder mit der Studiobühne Wolberostraße sogar drei Spielorte – bespielen zu müssen.

Das brachte Burkhard Mauer (1941–2009) ins Spiel. Als Generalintendant der Städtischen Bühnen in Nürnberg hatte er sich ebenfalls bemüht, das Globe Theater nach Nürnberg zu holen. Doch er fand bei seiner Stadt und Politik zu wenig Rückhalt. »Wegen des Globe Theaters« wechselte er 1992 als Intendant ans Rheinische Landestheater, das er bis 2004 leitete. Diese Jahre bis zu meinem Weggang aus Neuss waren aus meiner Sicht ein Höhenflug für das Rheinische Landestheater. Es hat sich neu erfunden und bildet so sicherlich auch die Grundlage für die weitere Entwicklung bis heute. Ulrike Schanko, Mauers Dramaturgin, wurde seine Nachfolgerin, die erste Intendantin.

In Mauers Intendanz fiel auch der Umzug ins neue Haus. Im Februar 1999 schloss das 1962 eröffnete Kaufhaus Merkur und spätere Horten an der Oberstraße. Doch damals stand die Nachnutzung als Kreishaus und Landestheater bereits fest. Burkhard Mauer brachte sich intensiv in die Planung ein. Der Umbau des Warenhauses in ein Theater, ein Kino, eine Ladenpassage und einen Verwaltungsbau war bis dahin das größte Projekt des Neusser Bauvereins. Wieder war Klaus Harnischmacher im Spiel. Nach den Plänen des Neusser Architekten Oliver Ingenhoven wurde in 21-monatiger Bauzeit das frühere Kaufhaus vollständig skelettiert, Decken wurden neu zugeschnitten, neue Säulen gesetzt und in die neue Fassade große Fenster eingesetzt. Nach der Spielstätte an der Drususallee zum Dreißigjährigen war das »weiße Haus« an der Oberstraße wieder ein Geschenk der Stadt an das Theater, diesmal zum 75-jährigen Geburtstag. Der moderne Theatersaal bietet Platz für 443 Gäste. Im Foyer befindet sich das wohl größte Gemälde in der Stadt. Der große »Seerosenteich« ist drei Meter hoch und zwanzig Meter lang. Der international renommierte Berliner Künstler Salomé, damals einer der »Neuen Wilden«, hat es vor Ort geschaffen – auf Initiative von Burkhard Mauer.

Blick auf das Globe Theater, 2009

Mauer war ein großartiger Ideengeber und Anreger. Von ihm stammt auch die Idee zu den Zentauren im Foyer als Signet des Theaters. Unvergessen ist mir auch die Riesenaufregung in der Stadtgesellschaft, als Mauer das Stück »Das Liebeskonzil« von Oskar Panizza 1993 auf den Spielplan setzte. Im Vorfeld wetterte der damalige Oberpfarrer Msgr. Hans-Dieter Schelauske gegen die Aufführungen. Leserbriefe sorgten für weitere Spannungen. Die Inszenierung von Hansjörg Utzerath hatte dann am 18. September 1993 Premiere im Globe. Das groteske Drama aus dem Jahr 1894 ist eine antikatholische Satire. Das anfangs in Deutschland verbotene Stück wurde erst 1967 in Wien uraufgeführt. Beim Himmelskonzil wird eine Strafe für die sündigen Menschen beschlossen: Der Teufel soll den Menschen die Syphilis als Strafe bringen. Den Teufel spielte übrigens der wunderbare Rolf Kanies, den man Jahre später im Kino als General Hans Krebs zusammen mit Bruno Ganz als Hitler in dem Film »Der Untergang« (2004) wiedersehen konnte.

Der Rückblick ins 20. Jahrhundert zeigt, welch weite Reise das Rheinische Landestheater in Neuss – und natürlich auch in den Abstecherorten – in dieser Zeit zurückgelegt hat. Es ist ein Weg ständiger Veränderung gewesen, immer eine Gratwanderung zwischen Plänen und ihrer Finanzierbarkeit, zwischen künstlerischem Anspruch und der Resonanz beim Publikum. 2001 habe ich die Neusser Redaktion verlassen und damit auch das Rheinische Landestheater. Seitdem habe ich es nur sporadisch begleitet. Das Rheinische Landestheater, von Ulrike Schanko bis Marie Johannsen, ist heute im 21. Jahrhundert angekommen. Es bietet großartiges zeitgenössisches Theater. Ich wünsche ihm eine ebenso großartige Zukunft und – wie im Märchen der Gebrüder Grimm – einen Goldesel.

63

NEUSSER IMPRESSIONEN DER 1990ER

LUTZ HÜBNER (*1964 in Heilbronn) ist freiberuflicher Dramatiker, Schauspieler und Regisseur und arbeitete von 1990 bis 1996 am Rheinischen Landestheater in Neuss als Schauspieler und Regisseur.

64

1

W

ie lange ein Lebensabschnitt her ist, merkt man erst, wenn man sich gedanklich durch alle Dekaden fräst, die zwischen dem Jetzt und dem Damals liegen: Anfang der 1990er in Neuss, das ist das halbe Leben, und wenn man dann noch mit einem eher schwachen Gedächtnis gesegnet (oder geschlagen) ist, dann haben alle Erinnerungen an Bilder und Episoden jener Zeit etwas leicht Verschwommenes, milde Verunklärtes … etwas Impressionistisches und das hat in der Malerei den Effekt, dass man eine Stimmung evozieren kann, welche durch Detailtreue und Fotorealismus nicht entstehen könnte. Wir sprechen über die Zeit 1990 bis 1993, die Ära Egmont Elschner (zumindest ein Teil davon) als Intendant des Rheinischen Landestheaters in der Drususallee und der Beginn der Intendanz von Burkhard Mauer. Ich kam 1990 für mein Anfängerengagement nach Neuss. Landestheater galten an den Schauspielschulen als Knochenmühlen und das war nicht nur negativ gemeint. Da könne man viel spielen, viel lernen, Rollen bekommen, die man an größeren Häusern vielleicht nie bekäme, und wenn man es vergeigt, habe man sich mangels überregionaler Aufmerksamkeit zumindest nicht vor der gesamten Theaterszene blamiert.

2

Was man an der Schauspielschule nicht wusste (oder wissen wollte) war, dass man dort Teil einer Familie wurde, mit aller Geborgenheit und allem Schrecken, den Sippen gemeinhin anrichten, die ständig aufeinander hocken – nebeneinander hocken trifft es besser: nämlich im Theaterbus, in dem man sehr viele Stunden seines Lebens verbringt und zwangsläufig Zeuge aller Lebensund Überlebensstrategien wird, die übermüdete Theater­schaffende bei langen nächtlichen Busfahrten entwickeln. Das war die eigentliche Bewährungsprobe, das Stahlbad für den ungefestigten Charakter des Eleven, der eigentlich (wie alle Anfänger:innen) am Burgtheater die Theaterkunst revolutionieren wollte und nun in einem Bus saß. (Man darf nicht vergessen: Wir reden über eine Zeit ohne Smartphone und Internet und die Erde war wüst und leer.) Die Grand Old Lady des Ensembles neigte zu länglichen Monologen, was von einem ebenfalls bejahrten Kollegen regelmäßig mit dem Satz kommentiert wurde: »So hat das bei unserer Katze auch angefangen.« Die Technik spielte Karten, die Schauspielkolleg:innen lasen oder plauderten miteinander und man erfuhr

zuweilen mehr über sie, als man wirklich wissen wollte. Wer quasselnd zu lange im Gang herumstand, wurde vom Fahrer angeblafft, Wiederholungstäter mit ruckartigen Bremsungen auf ihr Vergehen hingewiesen. Der Fahrer hieß Bebber (den vollständigen Namen kannte niemand) und er war eine Respektsperson. Böse Zungen nannten ihn den einzigen Profi am Theater. Wer es sich mit ihm versaute (wie ich zu Beginn), brauchte lange, um wieder in Gnade aufgenommen zu werden. Worüber im Bus gesprochen wurde, habe ich vergessen, es gibt keine konkreten Situationen, an die ich mich erinnere. Nur diese Impression: Man starrt im gedimmten Licht des Busses übermüdet auf die nächtliche Autobahn, um sich herum das Gemurmel und die Lebensgeräusche der anderen, man fühlt sich geborgen und fragt sich dennoch bang, ob das jetzt immer so weitergeht, ob dies nun das Leben am Theater ist: Jahrzehnte diese Abstecher zu machen, im Bus zu sitzen und irgendwann den Platz des alten Kollegen einzunehmen, der das mit der Katze sagt, vielleicht sogar den Satz zu übernehmen, weil es dann bestimmt eine Kollegin geben wird, die ebenfalls zu ausufernden Monologen neigen wird und das ist dann die kleine Welt, in der man von der großen Welt erzählt und vielleicht ist das okay oder man wird es okay finden und vielleicht will man gar nicht an die Häuser, an die manche der Kommiliton:innen gegangen sind und die wenig oder nichts spielen oder von der Regie fertiggemacht werden und ständig darum kämpfen müssen, irgendwie vorzukommen, während man selbst froh wäre, mal eine Weile nicht vorzukommen und eigentlich ist doch alles gut so und was man bis Ende der Spielzeit noch spielen wird, ist doch eigentlich auch okay und dann hält der Bus und mit etwas Glück ist es früh genug, dass der Imbiss noch offen hat und man ein halbes Grillhähnchen mit Radieschen-Salat essen kann und das Leben ist mehr als okay.

3

Theater wurde zwischen den Busfahrten natürlich auch gespielt, das sollte nicht unerwähnt bleiben, und was das betrifft, trete ich sicher niemandem zu nahe, wenn ich sage, dass wir im Großen und Ganzen keinen entscheidenden Beitrag zur deutschen Theatergeschichte geliefert haben. Wir waren manchmal sogar richtig schlecht, unterprobt, komplett auf dem Holzweg, terrorisiert von unerfahrenen, ausgebrannten, ratlosen, theorieverliebten Regisseur:innen … Immer mal wieder ein Sturz in den Abgrund, hilflos Kolleg:innen ausgeliefert, die keinen Bock mehr hatten, übermüdet waren oder zu blöd, fehlbe-

65

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

setzt, begriffsstutzig oder einfach unbegabt. Insofern also völlig normaler Theateralltag. Vieles war gut, nicht sehr gut, aber okay, anderes halberlöst oder gut gemeint. Es gab aber auch Produktionen, die eigenwillig waren, kostbar auf eine unerwartete Weise, oft Produktionen im Studio der Wolberostraße (das für mich immer noch einer der schönsten Theaterorte ist). Verhoben haben wir uns meist an den Produktionen der Klassiker, der dramatischen Flaggschiffe, da wurde oft zu viel gewollt und das merkte man den Produktionen dann auch schmerzhaft an. Es gab zum Beispiel eine Inszenierung eines Goethe-Stoffes (die Diskretion verbietet, den Titel zu nennen), die mit Kunstrasen, wallenden Kleidern und großem Herzensjammer, untermalt von Chopin-Gedudel, krachend scheiterte. Außer bei einem Abstecher, bei dem das Publikum die Darbietung von Beginn an als Parodie missverstand und einen unterhaltsamen Abend mit viel Gelächter hatte.

Wirklich gut waren die Inszenierungen, bei denen die Regie und das Ensemble etwas anpackten, das ihnen wirklich am Herzen lag, zum Beispiel in Volker Ludwigs »Ab heute heißt du Sara«.

Für Egmont Elschner war die Bekämpfung des Antisemitismus schon immer ein Herzensthema, die Inszenierung war ehrlich, direkt und auf den Punkt. Nicht zuletzt wegen der Hauptdarstellerin Sarah Nemitz, die dafür den Darstellerinnen-Preis der NRW-Theatertage erhielt. Volker Ludwig besuchte mit Inge Deutschkron eine Vorstellung und die beiden waren begeistert.

4

In diesen letzten Sätzen sind schon ein paar Namen gefallen, die für meinen Weg als Autor von Bedeutung sein sollten. Ich war am Rheinischen Landestheater engagiert worden als möglicher Bühnenpartner von Sarah Nemitz und diese Idee fanden wir beide so gut, dass die Partnerschaft bis heute auf vielen Ebenen fortbesteht. Besonders in der Wolberostraße konnten wir uns austoben, unsere erste gemeinsame Theaterarbeit war »Mercedes« von Thomas Brasch. Ich konnte dort dann auch selbst inszenieren, zunächst den Monolog »Kindereien« (Raymond Cousse) und dann »Bitterer Honig« (Shelagh Delaney), ich lernte Saxofonspielen und schrieb für Sarah und mich »Gretchen 89ff.«, weil wir uns damit etwas dazuverdienen wollten. Mit diesem Stück standen wir nie zusammen auf der Bühne, weil wir dann doch zu wenig Zeit für ein Seitenprojekt hatten. Sarah spielte zwei Jahre viel und groß, ich nutzte währenddessen das Rheinische Landestheater als Labor für meine Projekte und Ideen.

Nach dem Intendantenwechsel geschah, was

66

oft bei solchen Gelegenheiten passiert: Die vorigen Stars werden nur noch selten besetzt, dafür kommen neue Gesichter oder vertraute, welche das neue Team nun prominenter auf der Bühne haben wollte. Sarah spielte weniger, ich spielte mehr und dann beschlossen wir, unsere Zelte abzubrechen und nach Berlin zu gehen. Damit ist der Pool beschrieben, aus dem heraus unsere gemeinsame Arbeit als Autor:innenteam begann.

1994 trat ich durch Vermittlung von Volkmar Kampmann (vormals Chefdramaturg in Neuss) ein Engagement in Magdeburg an, pendelte aber nach Berlin (weil man damals mit dem ICE noch problemlos schwarzfahren konnte). Sarah drehte und war freiberuflich unterwegs. Ich schrieb für Sarah »Tränen der Heimat«, einen Monolog, in den meine dramaturgischen Erfahrungen mit dem Monolog »Kindereien« einflossen, dessen Verleger Malte Hartmann ich das Stück schickte, mit Hinweis auf meine Neusser Produktion, die er gesehen hatte. Volker Ludwig und Inge Deutschkorn sahen sich unser Stück an, weil sie Sarah in Neuss kennengelernt hatten. Daraus ergab sich, dass mein erstes Stück (das Manuskript von Gretchen 89ff. war bei einem Umzug verloren gegangen und tauchte erst 1997 wieder auf) beim Verleger der »Kindereien« genommen wurde (wir sind bis heute bei diesem Verlag). Volker Ludwig fragte nach der Vorstellung, ob ich für das Grips Theater schreiben wolle, daraus entstand »Das Herz eines Boxers« und von da an war ich Autor, wenig später dann im Team mit Sarah, die bei allen Stücken Co-Autorin ist. Man kann also durchaus behaupten, dass alle Bausteine für meine/unsere Karriere ihren Ursprung in Neuss haben. Das Rheinische Landestheater war das Sprungbrett, wenn man das so nennen will, und das bedarf einer allgemeingültigeren Betrachtung, die über die anekdotische Evidenz unserer Laufbahn hinausgeht.

5

Was ist es, das man an einem Landestheater lernt? Oder speziell in der Zeit lernte, über die ich schreibe? Man muss bedenken, dass man im analogen Zeitalter von dem, was woanders gespielt wurde, nur über wenige Kanäle erfuhr, beispielsweise über Kommiliton:innen, die von Vorstellungen berichteten, manchmal fuhr man dorthin, um etwas zu sehen, man las die Theaterzeitschriften, die man sich in der Dramaturgie auslieh, fuhr nach Köln und Düsseldorf und kam neidisch (oder erleichtert) wieder zurück. Ansonsten war man auf einer Insel namens Rheinisches Landestheater – ohne tägliche Theaterinformation durch Webseiten oder Social Media.

Die Parameter des Berufsalltags waren Proben,

Vorstellungen und die Kneipen, in die man ging, um mit den Technikern Billard zu spielen und beiläufig zu fragen, was sie denn nun wirklich von dem hielten, was man da gerade so spielte.

Man hörte den älteren Kolleg:innen zu, die einen unter die Fittiche nahmen, lernte durch ihre Geschichten, die sie, wie alle Theaterschaffenden, gern und immer wieder gern erzählten. Es gab die Teilnahme an sonntäglichen Matineen, zu denen man mit leichtem moralischen Druck (und der Aussicht auf ein gutes Mittagessen) von Egmont Elschner gebeten wurde. Oder der Förderverein, der zu dieser Theaterfamilie ebenso gehört und ein wichtiger Feedbackgeber und Gesprächspartner war. Man hatte mit dem lokalen Kulturjournalisten zu tun (von dem ich mir sicher bin, dass er das Vorbild für Horst Schlämmer war), dessen Geschmack man irgendwann so gut kannte, dass man manche Kritik locker für ihn hätte schreiben können. Dazu gehörte noch der Kontakt mit der Alten Post, wo Sarah und ich Schauspielkurse gaben und last not least interessante freie Künstler:innen (Detlef Ritz), Musiker:innen (der wunderbare Hennes Holz) aus der Stadt … Das Theater war ein wichtiger Player des kulturellen Lebens.

Auch wenn natürlich allen klar war, dass es viele Neusser Kulturinteressierte gab, die lieber die Angebote der umliegenden Großstädte wahrnahmen – das taten wir schließlich auch regelmäßig.

Das Rheinische Landestheater war Teil eines kulturellen und kreativen Netzwerks, dessen Protagonist:innen man kannte und mit denen man arbeiten konnte, deren Möglichkeiten man auslotete und deren Potenzial man versuchte, so optimal wie möglich zu nutzen. Insofern ist die Metapher vom Sprungbrett nicht ganz zutreffend: Es gab kein Sprungbrett, von dem man sich nur mit großer Kraft abstoßen musste. Die Aufgabe war vielmehr, sich mit allen vorhandenen Materialien ein Sprungbrett zu bauen, das funktioniert, und damit die nötige Absprungenergie ermöglicht.

6

Nun fehlt noch ein Element, das bisher nur in Andeutungen vorkam, aber ganz entscheidend dafür ist, was an einem Landestheater gelernt werden kann – die Abstecherorte mit ihrem jeweils spezifischen Publikum und den Eigenheiten der örtlichen Bühnen. Dass eine Tragödie Goethes unbeabsichtigt zu einem Komödienkracher werden kann, wurde bereits erwähnt und beschreibt, was in gewissem Ausmaß für jede Vorstellung gilt, die auf Reisen geht: Man spielt quasi nur Premieren.

Was an dem einen Abend ein rauschender Erfolg war, sorgt am nächsten Abend für einen Exodus des Publikums, sicher geglaubte Lacher bleiben

aus, dafür wird an Stellen gelacht, deren Komik einem bislang verborgen war. Die Gewissheiten, die man nach der Premiere an Stadttheatern hat, gelten hier nicht (oder nur in wesentlich geringerem Maße) und weil die Qualität einer Vorstellung auch von der Mitarbeit des Publikums abhängt (die richtige Stille im richtigen Moment, die Zugewandtheit, die das Ensemble auf der Bühne anspornt …), kann das eine Inszenierung besser machen und ein Zusammenspiel ermöglichen, das in einer unterprobten Premiere noch nicht möglich war. Es kann aber auch sein, dass das ›Riding the Waves‹ einer brillanten Vorstellung in manchen Mehrzweckhallen nicht funktioniert und zum Planschen in flachen Gewässern verkümmert. Routinen entstehen in solch einem ständigen Wechsel der Rahmenbedingungen nicht – dafür aber Improvisationsgabe und ein dickes Fell. Doch manchmal genügt eine verhauene Vorstellung und danach dauert es lange, bis man wieder auf Flughöhe ist. Eine kleines Studiostück für Jugendliche, in dem Sarah und ich besetzt waren, wurde in eine Halle mit ca. vierhundert Jugendlichen in Klassenverbänden verkauft: vierhundert erlebnisorientierte Jugendliche, für die Theater definitiv nicht zu der ›Action‹ gehörte, die sie sich erhofften. Es war milde formuliert ein Massaker, denn es gab, wir erinnern uns, keine Handys, mit denen sie die Zeit bis zum Ende der Vorstellung hätten totschlagen können. Also waren wir dran. Vierhundert gegen zwei. (Lehrer:innen gehen bei solchen Vorstellungen gern einen Kaffee trinken, um mal Ruhe von den Blagen zu haben.) Erschwerend kam hinzu, dass es eine der Produktionen der Kategorie halberlöst war, wir konnten uns also nicht einmal damit trösten, dass wir für ein hehres Ziel litten. Rheinisches Landestheater bedeutete auch die Erkenntnis, dass es Situationen gibt, in denen man nicht gewinnen kann. Aber ohne das Zocker-Gen kann man am Landestheater nicht gedeihen, neues Spiel neues Glück: Ein Stück, das bei Horst Schlämmer durchgefallen war, konnte in der Troisdorfer Presse Jubel auslösen, man konnte mit jedem Stück bei den Abstechern auf- oder absteigen, konnte viele unterschiedliche Reaktionen hervorrufen, spielte manchmal vor dem halben Bühnenbild, weil das vollständige nicht auf die kleine Bühne passte, man konnte jedes Stück auf jeder Grundfläche spielen und lernte nebenher einen Großteil der Bausünden der 1970er Jahre kennen, Brutalismus-Monster, in denen man sich den Weg von der Garderobe zur Bühne gut merken musste, um nicht aus Versehen im Restaurant der riesigen Halle zu landen. An anderen Bühnen kam man von der linken zur rechten Seitenbühne nur außen um das Haus, in der bangen Hoffnung, dass

67

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

die Tür von außen zu öffnen war. Man wusste, wo der Hausmeister immer angeschickert war oder wo immer kleine Aufmerksamkeiten auf den Garderobentischen lagen, an welchen Orten der Kulturdezernent gern noch ein paar Worte sagte, und man wusste natürlich, wie weit ein Imbiss vom jeweiligen Spielort entfernt war.

7

Landestheater bedeutet, fahrendes Volk zu sein, auch wenn es das Stammhaus an der Drusus­ allee gab. Das muss man und sollte man genießen und wertschätzen, denn mit einer Truppe über Land zu reisen, ist eine der Wurzeln des Theaters. Das Theater kommt aus den Dionysien der griechischen Polis und war neben der Ehrung der Götter die Selbstvergewisserung einer Stadtgesellschaft, auch das ist in der DNA jedes Theaterabends. Aber es gab auch immer das fahrende Theater, den Jahrmarkt, die Gaukler, die in der Stadt sind und das Einerlei des Alltags für einen Moment vergessen lassen. Die Talente entstehen auf dem Land und werden in der Stadt verbraucht (Brecht) … Molière, der über Land zog und dort sein Handwerk lernte, bevor er bei Hofe reüssierte … fahrende Truppen waren es, die in Deutschland zuerst Shakespeare spielten und damit einen entscheidenden Impuls für die Entstehung einer deutschen Dramatik gaben. Aber da es eine deutsche Eigenart ist, eine Kunstgattung nur dann für seriös zu halten, wenn sie auch akademisiert werden kann, wurde gegen das Theater immer auch polemisiert (wenn es nicht die universitäre Seneca-Rezeption war). Das höfisch finanzierte, stehende Theater in Abgrenzung vom fahrenden Hanswurst, gegen den Professor Gottsched polemisierte und mit dem immer auch das fahrende Theater gemeint war – da wurden Antagonismen aufgebaut, die in der Praxis (und damit für alle Theaterschaffenden) bedeutungslos und kontraproduktiv sind. Ohne das Theater in der Fläche, ohne fahrende Theater, Privattheater und freie Truppen wäre auch heute noch das System der Stadt- und Staatstheater – bildlich gesprochen – irgendwann von der Wasserversorgung abgeschnitten. (Gottscheds Drama »Der sterbende Cato« gilt in der Literatur übrigens als eines der misslungensten Dramen der Theaterliteratur.)

8

Theater wird eine Rolle in einer Gesellschaft spielen, solange Schauspieler:innen irgendwo ankommen, die Bühne inspizieren, um zu prüfen, was auf diesen Brettern möglich ist, und sich dann stärken, um am Abend die Leute »zu kriegen«,

68

denn darum geht es: die Leute, die kommen, in den Bann zu schlagen, mitzureißen, damit sie wiederkommen, damit man weiterspielen kann, und wenn man in einer renommierten Theaterzeitschrift gelobt wurde und mit Stehkragen ins Bett geht, hilft das nichts in Posemuckel, wenn sie dort das Dargebotene langweilig finden und lieber nach Hause gehen. Im Fußball sagt man: Die Wahrheit ist auf dem Platz, und dieser Satz gilt auf jeden Fall auch im Landestheater. Es lehrt Demut und Realitätssinn und das ist für kreative Berufe nicht die schlechteste Lehre. Es lehrt, dass es im Theater einen Ruf gibt, den man sich erwerben (oder sich versauen) kann, aber nie Gewissheiten.

Deshalb entwickelt man ein feines Sensorium dafür, wie das Publikum – oder in diesem Fall die Publika – auf die eigene Bühnenkunst reagieren, was man ihnen zumuten kann, wo einen die eigene Eitelkeit oder Überambition auf einen Holzweg geführt haben und wann man selbst im routinierten Rampenservice gelandet ist. Man spielt, spielt zu viel, bis an die Grenzen der Erschöpfung und manchmal darüber hinaus, aber so entsteht Handwerk: durch Wiederholung und Fehlerkorrektur. Man erntet zuweilen erstaunte Blicke, wenn man im Zusammenhang mit künstlerischer Arbeit von Handwerk spricht oder davon, dass etwas ›funktionieren‹ muss. Aber anders geht es nicht, denn nur durch die Sicherheit des eigenen Handwerks kann sich künstlerische Freiheit entfalten. Das ist eine Knochenmühle, doch es ist vor allem die Chance, alles zu lernen, was das Theater ausmacht, was ein guter Text ist, eine gute Inszenierung, ein gutes Zusammenspiel mit den Kolleg:innen, was die eigene Rolle als öffentliche Person ausmacht, wenn man Mitglied eines Ensembles ist, wie wichtig Zeitmanagement ist, wenn die Arbeitszeit negativ bestimmt ist und man quasi immer in Charge ist. Und dann muss man auch wissen, wann man gehen muss. Die letzte Spielzeit, welche die erste von Burkhard Mauer war, hatte interessante und mutige Produktionen. Es war ein Neuanfang, weil das Theater nur durch Neuanfänge lebendig bleibt. Es gab »Macbeth« in einer Fassung für drei Spielende im Globe Theater am Hafen. Oder »Soliman« (Ludwig Fels) in der Regie von Jürgen Strube, womit wir zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen waren. Aber auch für Sarah und mich war es Zeit für einen Neuanfang, wir hatten unser Rüstzeug und Neugier auf neue Erfahrungen. Aber es blieben Kontakte zu den Neusser:innen und bei abendlichen Runden mit Kolleg:innen kommt es immer wieder vor, dass man feststellt, mit ehemaligen Neusser:innen am Tisch zu sitzen, und das ist immer wieder ein Moment für Anekdoten, Klatsch, Geläster und ein schönes Gefühl der Vertrautheit.

Fahrzeuge des Rheinischen Landestheaters der 1930er Jahre bis 2010

69

AUGENBLICKE SPIELZEITEN 2000/01–2025/26

2003 »DIE MÖWE« von Anton Tschechow

70

2004 »WARTEN AUF GODOT« von Samuel Beckett

2004 »EIN KÄFIG VOLLER NARREN« von Jean Poiret

2006 »JEDERMANN« von Hugo von Hofmannsthal

71

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

2008 »VERBRECHEN UND LEIDENSCHAFT« von Thomas Middleton / William Rowley

72

2011 »LOLA« von P. Märthesheimer / P. Fröhlich nach dem Drehbuch von Rainer Werner Fassbinder

2018 »HERZ DER FINSTERNIS« von Joseph Conrad

2020 »STREICHHOLZSCHACHTELTHEATER« von Michael Frayn

73

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

2018 »BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER« von Max Frisch Peter Waros, Johanna Freyja Iacono-Sembritzki, Hergard Engert, Stefan Schleue, Richard Lingscheidt

74

2018/19 »EUROPA VERTEIDIGEN« von Konstantin Küspert Anna Lisa Grebe, Katharina Dalichau, Rainer Scharenberg, Juliane Pempelfort

75

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

2019/20 »SHOCKHEADED PETER« von Phelim McDermott und Julian Crouch

76

2023/24 »LA GRAND DAME« von Olivier Garofalo Revue mit Live-Musik Fenna Benetz, Nelly Politt, Antonia Schirmeister, Silke Buchholz

77

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

78

2024/25 »HILDENSAGA« von Ferdinand Schmalz Annalisa Hohl, Stefan Schleue

2025/26 »DIE PRINZIPALIN« von John von Düffel Hergard Engert, Stefan Schleue, Simon Rußig

79

DAS RHEINISCHE LANDESTHEATER IM NEUEN SCHAUSPIELHAUS AN DER OBERSTRAẞE

HELGA BITTNER-MIES (*1955 in Schüttorf) arbeitet bis 2017 als Redakteurin für die Neuß-Grevenbroicher Zeitung und begleitet das Rheinische an der Oberstraße als Kulturredakteurin.

80

Horten-Kaufhaus an der Oberstraße, 1999

H

undert Jahre Rheinisches Landestheater, hundert ereignisreiche, spannende, vielleicht nicht immer spektakuläre, aber jedenfalls nie langweilige Jahre. Mehr als zwanzig davon habe ich miterlebt und beruflich mit Block und Stift begleitet. Wobei ich, gerade erst aus Berlin zurückgekehrt ins Rheinland, einen ungeahnten Startvorteil hatte: Als »die Neue« in Neuss traf ich auf ein Haus, das auch noch ziemlich neu war – erst Ende 2000 war die Spielstätte an der Oberstraße am Rande der Innenstadt eröffnet worden. Dass dort, wo zuvor Horten ein Kaufhaus unterhalten hatte, schließlich die Kultur einziehen konnte, war auch und vor allem der Beharrlichkeit des damaligen Intendanten Burkhard Mauer zu verdanken. Er war der erste Chef des Rheinischen Landestheaters, den ich kennengelernt habe, fünf weitere sollten folgen.

Mauer war 1992 von den Städtischen Bühnen Nürnberg nach Neuss gekommen, auch weil er gehört hatte, dass hier im Rheinland ein Globe Theater seine Heimstatt hat. Drei Jahre wollte er eigentlich nur bleiben. Dass es dann zwölf geworden sind – daran war auch der damalige Kul-

turdezernent Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff nicht unschuldig. Mauer war instinktsicher in der Ensemblepflege, konnte dank seiner langjährigen Erfahrungen in Nürnberg und am Theater Bremen (unter Kurt Hübner) bekannte Regiegrößen wie Hansjörg Utzerath nach Neuss holen. Er war beim NRW-Theatertreffen dabei und einer der Sprecher der Ständigen Konferenz der Intendanten in NRW. Für die beiden letzten Jahre seiner Amtszeit als Intendant hatte er noch einen Traum: Er wollte ein Puppentheater im Foyer seines Hauses etablieren. Das ging mit der Inszenierung von Jürgen Strubes Stück »Der versunkene Rheinhold« recht vielversprechend los, endete aber schon bald wieder mit der »Monsterfalle« von Tobias Wartenberg.

In einer Zeit, in der überall in der Region Ensembles wie Zuschauer:innen um den Erhalt »ihres« Theaters bangen mussten, kann der Umbau des Horten-Kaufhauses in das neue Schauspielhaus auch ein Vierteljahrhundert später noch als Glücksfall bezeichnet werden. Neben dem Rheinischen Landestheater fanden hier auch das Büro der Landestheater, das Programmkino Hitch und

81

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

Umbau Horten-Kaufhaus an der Oberstraße, um 1999

82

die Kreisverwaltung Platz. Der Theatersaal des Schauspielhauses mit seinen stark ansteigenden Sitzreihen ist ein Juwel, bietet eine gute, uneingeschränkte Sicht auf die Bühne, bequeme Sessel und genügend Beinfreiheit. Im Untergeschoss befindet sich eine Studiobühne, die oft für kleinere und zeitgenössische Stücke sowie für das Kinder- und Jugendtheater genutzt wird. Dort findet auch alljährlich das zentrale Vorsprechen deutschsprachiger Schauspielschulen statt. Das weitläufige Foyer mit beeindruckender Öffnung zur Stadt wird seit dem Einzug des Rheinischen Landestheaters oft für vielfältige, auch externe Veranstaltungen genutzt. Mauer hat das Theater durchgesetzt, gegen die wirtschaftlichen Interessen des Bauvereins, dem das Haus gehörte. Er selbst hätte das neue Theater gleichwohl lieber auf der gegenüberliegenden Straßenseite und damit näher zur Innenstadt gesehen.

dass die Schauspieler:innen dort zusammenhocken und alles »zerreden«. Was stimmen mag oder auch nicht, denkbar ist es auf jeden Fall. Fakt ist: Das Rheinische Landestheater hat bis heute keine Kantine, Schauspieler:innen und Verwaltungsangestellte müssen sich anderswo versorgen.

Beim Umbau vom Konsum- zum Musentempel wurde an alle und alles gedacht. An die Bühne (allerdings ohne Drehscheibe) und an die Zuschauer:innen. Nur an eines nicht: an eine Kantine. Der Intendant, so will es die Legende, habe bewusst auf derlei Räume verzichtet, weil er nicht wollte,

In Neuss übernahm Ulrike Schanko, seit 1993 Chefdramaturgin unter Mauer und Leiterin des Kinder- und Jugendtheaters, die sich als Oberspielleiterin Sylvia Richter erkor. Schanko führte manche Neuerung ein, aber sie musste 2007 auch eine der größten Krisen des Rheinischen

Mit dem Ende der Ära Mauer 2004 war auch das Ende der »Männerzeit« in der Intendanz des Rheinischen Landestheaters gekommen: Seither wird das Haus, von einer kurzen Unterbrechung abgesehen, von Frauen geführt. Zwar hatte sich auch Oberspielleiter Sewan Latchinian um die Nachfolge beworben, konnte sich aber nicht durchsetzen. Er wechselte nach Senftenberg und machte dort gleich in seiner ersten Spielzeit aus der Bühne das »Theater des Jahres«. Aber das nur nebenbei.

Landestheaters meistern: Weil die Stadt die Mittel kürzen wollte, stand das Haus vor dem Aus. Doch die Bühne und ihre Freund:innen stemmten sich gegen die Sparpläne. Sie organisierten Protestzüge durch die Stadt, sammelten Unterschriften bei den Neusser:innen. Und setzten ein »Weltrekordtheater« an: 24 Stunden lang spielte mindestens ein:e Schauspieler:in des Rheinischen Landestheaters in den Kulissen von »Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit«, die kurzerhand ins »Café Pumpe« umgewandelt worden waren. Bühnendarsteller:innen aus ganz NRW, teilweise aus der ganzen Bundesrepublik, beteiligten sich oder schickten Solidaritätsadressen. Die Politik hatte schließlich ein Einsehen, die drohende Schließung konnte abgewendet werden.

Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit installierte Ulrike Schanko das deutschsprachige Vorsprechen der Schauspielschulen am Rheinischen Landestheater, das bis heute alljährlich stattfindet. Sie förderte in ihrer Zeit den Austausch mit dem Theater Mönchengladbach/Krefeld und entwickelte neue Formate für die Tage und Zeiten, in denen das Neusser Haus nicht bespielt wurde: Kneipentheater oder Hörbühne sind da in Erinnerung, ebenso Lesungen à la »Mein Lieblingsbuch«, Matineen zu ausgewählten Themen oder »Erzähl mir was« für Kinder.

In ihren Spielplänen gab Schanko Klassikern ebenso Raum wie zeitgenössischen Autor:innen.

Shakespeares »Hamlet« fällt einem dazu auf der einen Seite ein, auch Schillers »Der Parasit oder Die Kunst, sein Glück zu machen« oder Büchners »Leonce und Lena«. Unvergessen auf der anderen Seite »In der fernsten Ferne« von Zinnie Harris, »Kanari« von Klaus Pohl oder »Wie dem Herrn Mockinpott das Leiden ausgetrieben wird« von Peter Weiss. Mit »Tierasyl Blomberg« von Andreas Staudinger (für Kinder) und »Konfetti!« von Ingrid Lausund gab es spannende Crossover-Inszenierungen, »Ein Käfig voller Narren« von Jean Poiret brachte ein flottes Musical mit ernsten Tönen auf die Bühne – und dazu einen Wechsel in der Regie bei laufender Produktion.

Café Pumpe, 2007

Mitarbeiter:innen des Rheinischen Landestheaters bei der Protestaktion gegen geplante Kürzungen im Kulturbereich, 2007

Bei Schanko erhielten nicht nur junge, sondern auch altgediente Ensemblemitglieder die Möglichkeit, sich auszuzeichnen. Martin Herrmann etwa zog es erst nach 13 Jahren am Rheinischen Landestheater zu neuen Ufern, in seinem Fall zum Theater Heilbronn. Aber auch in andere Richtungen konnte – und kann – die Neusser Bühne als Sprungbrett dienen: Alexander Wipprecht, um nur ein Beispiel zu nennen, der 2004 in »Purpurstaub« von Sean O’Casey zu sehen war, tauchte

83

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

seitdem regelmäßig in verschiedenen TV-Rollen und -Formaten auf. Seit 2018 gehört er zum Team der »ZDF Heute-Show«.

Als 2009 Bettina Jahnke – bis dahin Oberspielleiterin am Staatstheater Cottbus und gebürtig aus Wismar – zur Nachfolgerin von Ulrike Schanko bestimmt wurde, war das mehr als ein Wechsel an der Spitze des Hauses. Erstmals wurde die Intendantin ausdrücklich auch als »regieführend« vorgestellt. Gleich ihre erste eigene Inszenierung »Wie im Himmel« (nach einem Film von Kay Pollak) wurde begeistert gefeiert, auch das Kindertheaterstück »Alle Kühe fliegen hoch« kam sehr gut an. Aber beide gerieten doch ein wenig in den Schatten des dritten Stückes, »Die Verwirrungen des Zöglings Törleß« von Robert Musil, das mit ebenso drastischen wie mutigen Bildern auf die Bühne gebracht wurde. 2010 wurde die Inszenierung gleich zweimal eingeladen – zum NRW-Theatertreffen in Düsseldorf und zum Kinder- und Jugendtheatertreffen NRW Westwind in Dortmund – und bekam zwei Auszeichnungen.

Matthias Brüggenolte, der damals den Beineberg spielte, machte nach seinem Engagement am Rheinischen Landestheater übrigens eine TVKarriere und ging zur Spielzeit 2011: Er spielte danach unter anderem in »Alles, was zählt« den Justus Theodor Albrecht.

Bettina Jahnke besaß als Intendantin »die Kunstfertigkeit, alle mit ihrem großen Elan und Engagement zu überzeugen, dass sie Theater machen will«. Das hat Dr. Bertold Reinartz, der damalige Vorsitzende des Trägervereins, einmal über sie gesagt. Sie war und ist eine Theatermacherin mit Leib und Seele, hat jeweils ein Motto über die Spielzeiten geschrieben – wie »Träumen!«, »Lieben!«, »Glauben!«, »Kämpfen!« oder »#Weisheit«.

Sie stellte sich unter dem Motto »Die Intendantin lädt ein« den Fragen der Zuschauer:innen und führte Podiumsgespräche ein (»Ich habe einen Traum«, »Das Leben ein Kampf«, »Welche Bedeutung hat religiöse Praxis heute?«). Und auch bei der Einrichtung des Theatercafés Diva war sie die treibende Kraft.

Blick auf die Große Bühne, die Kleine Bühne und den Blauen Salon, 2024/25

84

Auffällig auch: Bettina Jahnke hatte einen Hang zu Filmstoffen auf der Theaterbühne, weil sie »richtige Geschichten erzählen« wollte. Mit »Lola« von 2011 hat sie sich denn auch einen Regietraum erfüllt. Aber auch »Cabaret« nach dem Buch von Christopher Isherwood und »Gegen die Wand« von Fatih Akin zeigten: Filme waren für sie der bessere Theaterstoff. Trotzdem setzten auch andere ihrer Inszenierungen Zeichen, ihr »Sommernachtstraum« oder »Das Wintermärchen«

»Wie im Himmel« von Kay Pollak, 2009

von Shakespeare etwa, vor allem aber Jahnkes großartiger »Hiob« von Joseph Roth, mit dem sie auch zum NRW-Theatertreffen eingeladen wurde. Ästhetik und Wirkung lagen ihr mehr am Herzen als ein wirtschaftlicher Erfolg, obwohl sie den auch hatte. Nur ihre Boulevardkomödien wie »Cash – und ewig rauschen die Gelder« kamen nicht so gut an – das konnte ihre Quasi-Nachfolgerin Caroline Stolz besser. Ihr »Streichholzschachteltheater« von Michael Frayn ist noch in bester Erinnerung.

Doch zuvor war noch die – kurze – Zeit des Reinar Ortmann gekommen: Um schon an ihrer neuen Wirkungsstätte, dem Hans-Otto-Theater in Potsdam, arbeiten zu können, hatte Bettina Jahnke die Intendanz für ein Jahr an ihren Chefdramaturgen übergeben (was nebenbei dem noch relativ »frischen« Trägervereinsvorsitzenden Cornel Hüsch etwas Luft verschaffte für die Suche nach einer Nachfolgerin). Ortmann wollte seine Arbeit nicht als Interimslösung sehen, vielmehr eigene Akzente setzen, mit betont politischem Anspruch, hatte etwa seine erste Spielzeit mit »Welt vermessen« überschrieben. Meist waren es eher sperrige, unbequeme Stücke, die er auf die Bühne brachte, wie »Mamma Medea« von Tom Lanoye gleich zum Auftakt oder »Herz der

Finsternis« nach Joseph Conrad. Doch das Publikum ging seinen Weg mit, am Ende verabschiedete er sich mit dem sicheren Gefühl, eine starke Spielzeit »abgeliefert« zu haben.

Danach also übernahm Caroline Stolz (Schauspieldirektorin am Theater Trier), die Hüsch und seine Findungskommission überzeugt hatte mit ihrer »ansteckenden Fröhlichkeit und zupackenden Art«. Zugespitzt war sie das Kontrastprogramm zu ihrem Vorgänger, ihr erster Spielplan setzte vor allem auf Popularität. Wobei sie keinen einfachen Start hatte in Neuss. Corona sorgte für ein geschlossenes Haus, das Ensemble jedoch blieb. Alexander May, von Beginn an als Chefdramaturg dabei, rückte zu ihrem Stellvertreter auf, zeigte sich vielfach auf Terminen in der Stadt und brachte sich in Diskussionen ein, verließ aber das Haus schon nach wenigen Monaten wieder, aus »persönlichen Gründen«. Und dann passierte auch noch, was sich kein Intendant wünscht für sein Haus: Stolz sagte »aus künstlerischen Gründen« (konkreter wurde das nie kommuniziert) die Premiere des Stückes »Schade, dass sie eine Hure war« von John Ford in Abstimmung mit Regisseurin Kathrin Mädler kurz vor der Premiere ab, übernahm selbst, zusammen mit ihrer Chefdramaturgin Eva Veiders, die Inszenierung, um sie

85

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

»Die Verwirrungen des Zöglings Törleß« von Robert Musil, 2009

»Gegen die Wand« von Fatih Akin, Spielzeit 2011

mit vier Tagen Verspätung doch noch auf die Bühne bringen zu können. Und das ausgerechnet in der Corona-Zeit.

Caroline Stolz hat einen Hausautor (OIivier Garofallo) installiert, sie hat neben bekannten auch unbekannte Regisseur:innen eingeladen, die gleichwohl reüssieren konnten, wie etwa Susi Weber für die »Weihnachtsgeschichte« von Charles Dickens und Ekat Cordes für »Der zerbrochne Krug«. Das von Jahnke eingeführte Spielzeitmotto hat sie beibehalten, es aber – im Gegensatz zu Jahnke – ausformuliert, was für die letzte Spielzeit von Caroline Stolz dann zu der Frage führte: »Welche Rolle spielst du?«. Ihr »König Lear« von Shakespeare, ihre Abschiedsinszenierung, ist unvergessen.

Marie Johannsen folgte ihr; seit 2024 hat sie als jüngste Intendantin an einer deutschen Bühne die Geschäfte an der Oberstraße übernommen.

Sie hat das untere Foyer geöffnet, ein Angebot an die Stadtgesellschaft, es als »dritten Ort« auch außerhalb der Vorstellungen zu nutzen. Gleich in ihrer ersten Spielzeit sah sich Johannsen veranlasst, »Mord im Schützenverein« abzusagen. Ansonsten war ihr Auftakt vielversprechend, wobei sie sich anders als ihre Vorgängerinnen nicht

86

mehr als regieführende Intendantin sieht. Das Inszenieren überlässt sie vorwiegend ihrem Stellvertreter Dirk Schirdewahn, so auch bei der Uraufführung von »Die Prinzipalin«, dem Stück, das von John von Düffel im Auftrag des Rheinischen Landestheaters eigens für das Theaterjubiläum 2025 geschrieben wurde.

Was sonst noch geschah: Über die Jahrzehnte hat sich das Rheinische Landestheater vom reinen Sprechtheater hin zum Sprech- und Singtheater entwickelt. Neben Klassikern und zeitgenössischen Stücken fielen in den Spielplänen nach »Ein Käfig voller Narren« im Jahr 2004 vor allem ab 2009 immer wieder Produktionen auf, in denen neben dem Schauspiel der Gesang eine wichtige Rolle spielte: »Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt« (2010), »Rio Reiser« (2017), »La Grande Dame« (2024) über Marlene Dietrich oder »Die Zauberflöte« (2025) nach Mozart.

Was weiterhin geschehen wird: Den hundert Jahren Rheinisches Landestheater werden gewiss viele, viele weitere folgen. Mögen sie mindestens so erfolgreich, unterhaltsam und bereichernd sein, wie ich es in mehr als hundert Premieren in den letzten beiden Jahrzehnten erleben durfte.

»Hiob« von Joseph Roth, Spielzeit 2012/13

»Die Biene im Kopf« von Roland Schimmelpfennig, Spielzeit 2022/23

87

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

88

Blick auf das Rheinische Landestheater an der Oberstraße, 2018

89

KORKEN­KNALLEN FÜR DIE KNOCHENBÜHNE DAS RHEINISCHE LANDESTHEATER MUSSTE IMMER WIEDER UMS ÜBERLEBEN KÄMPFEN UND FEIERT SEINEN HUNDERTSTEN GEBURTSTAG IN EINER ZEIT DER NEUORIENTIERUNG

STEFAN KEIM (*1967 in Hagen) arbeitet als freier Kulturjournalist, Autor und Kabarettist, vor allem für die Hörfunkprogramme des WDR, verfasst Theaterstücke und Kurzgeschichten und ist als Moderator tätig.

90

24

Stunden Theater ohne Pause. Nach einer regulären Vorstellung wurde die Bühne des Rheinischen Landestheaters Neuss zum »Café Pumpe«. Zwei Schauspieler blieben als Kellner und Dauergast in diesem Improvisationsmarathon ständig auf der Bühne. Das Ensemble wechselte sich ab, viele Kolleg:innen von anderen Theatern und aus der freien Szene kamen und spielten mit. Im April 2007 war wieder einmal Überlebenskampf angesagt. Die Mittel für das Landestheater sollten gekürzt werden, so entstand die Idee, mit einem Weltrekordversuch Widerstand zu leisten. Es hat geklappt, 18 Jahre später kann das Rheinische Landestheater seinen hundertsten Geburtstag feiern. Und steht gerade vor neuen Finanzierungsproblemen. Landesbühne, Knochenbühne – der alte Spruch unter Theaterleuten findet hier immer neue Berechtigung.

Die »Knochenbühne« bezieht sich auf die besondere Struktur eines Landestheaters. Es wird zur Hälfte vom Land NRW finanziert und ist deshalb verpflichtet, über die eigene Stadt hinaus zu spielen. Die Hälfte der Aufführungen soll als Gastspiele in anderen Kommunen stattfinden, die keine eigenen Ensembles haben. Das bedeutet ständiges Reisen, viel Logistik, Bühnenbilder, die am gleichen Tag auf- und wieder abgebaut werden können. Die Schauspieler:innen müssen sich immer wieder mit neuen räumlichen Gegebenheiten beschäftigen und flexibel sein. Die Technik findet in den Stadthallen und Aulen nicht immer eine Ausstattung auf dem aktuellen Stand. Klar, in einer oft jahrzehntelangen Zusammenarbeit gibt es Erfahrungswerte, man wird nicht ständig überrascht. Dennoch ist es eine große Herausforderung, unter diesen Bedingungen die künstlerische Qualität zu sichern. Regisseur:innen, die einen Rundvorhang faltenfrei aufhängen wollen, oder Ausstatter:innen, die ihre künstlerische Freiheit gefährdet sehen, wenn mal ein paar Elemente weggelassen oder verschoben werden müssen, haben an einer Landesbühne nichts verloren.

Gleichzeitig hat das Rheinische Landestheater zu Hause in Neuss seit Dezember 2000 eine grandiose Spielstätte, von der zum Beispiel die Kolleg:innen in Castrop-Rauxel und Dinslaken – zwei der

anderen Landesbühnen in NRW – nur träumen können. Der elegant geschwungene Bau an der Oberstraße mit seinen Panoramafenstern vermittelt Metropolen-Vibes. Das riesige Foyer auf zwei Ebenen bietet eine Menge Möglichkeiten, und der Theatersaal hat mit 443 Plätzen eine perfekte Größe und richtig bequeme Sitze, von denen das Düsseldorfer Schauspielhaus nebenan nur träumen kann. Im Keller gibt es eine Kellerbühne für kleinere, intimere Stücke. Die Knochenbühne hat auch glamouröse Seiten, das Potenzial ist ­gewaltig.

Diese beiden Perspektiven prägen das Haus seit seiner Gründung im Jahr 1925. Neuss war nach dem Ruhrkampf noch von belgischen Soldaten besetzt, die zogen erst ein Jahr später ab. Aber die Stadt wuchs seit Jahrzehnten, Wirtschaft und Handel blühten. Und dieses ökonomische Selbstbewusstsein sollte sich auch im kulturellen Leben spiegeln. Viele aufstrebende Städte hatten kommunale Bühnen gegründet, das bildet bis heute die Grundlage für die international einmalige deutsche Stadttheaterlandschaft.

Doch der bestimmenden Schicht, den Kaufleuten, war klar, dass man ein komplettes Angebot an Schauspiel und Musiktheater nicht komplett aus eigenen Mitteln stemmen konnte. Das war in vielen anderen Städten ähnlich, in Neuss setzte man von Beginn an auf eine intensive Zusammenarbeit. Es entstand das Rheinische Städtebundtheater, zu dem die Stadt Neuss und der Bühnenvolksbund jeweils 5.000 Mark beisteuerten. Der Bühnenvolksbund (BVB) war von 1919 bis 1933 eine von zwei großen Besucherorganisationen und hatte bis zu 220.000 Mitglieder. Sein Ziel war die »Theaterpflege im christlich-deutschen Volksgeist«, nach der Machtergreifung wurde der BVB ein Opfer der Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten. Die Traditionslinie wurde ab 1951 vom Bund der Theatergemeinden fortgesetzt.

Es war also von Anfang an eine Ko-Finanzierung gleicher Partner, die professionelles Theater in Neuss ermöglichte. Von Anfang an waren einige Gemeinden vertraglich eingebunden, die durch die neue Bühne mit bespielt wurden. Genauer

91

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

gesagt waren es Buer, Kleve, Emmerich, Gladbeck, Kohlscheid, Stolberg, die Kunstgemeinde Lüdenscheid und der Landkreis Solingen. Viele dieser Spielorte bedient das Rheinische Landestheater heute noch. Richard Jost, der zuvor unter anderem stellvertretender Leiter des Bayerischen Landestheaters in München war, wurde Gründungsintendant und produzierte Schauspielaufführungen in einer Mixtur aus Klassikern und Gegenwartsstücken. Von Anfang an spielte auch das Unterhaltungstheater eine große Rolle. »Der Hexer« von Edgar Wallace – heute ist vor allem die Verfilmung aus den sechziger Jahren bekannt, ursprünglich war es ein Theaterstück – war in London ein Blockbuster. In Deutschland war das nicht anders, und auch in Neuss verwirrte Gentlemangangster Arthur Milton in mehreren Maskierungen Scotland Yard und konkurrierende Ganoven. Auch Opernaufführungen gab es in Neuss, die vom Theater Mönchengladbach kamen. Das Zeughaus, in dem bis 1944 gespielt wurde, bot somit eine Mischung aus Eigenproduktionen und Gastspielen.

1938 bekam die Bühne ihren neuen Namen und wurde als Rheinisches Landestheater neu gegründet. Hintergrund war, dass einige der Gründungsgemeinden als Gesellschafter ausscheiden wollten. Zu dieser Zeit waren Operetten ein bedeutendes Standbein des Spielplans. Am Ende des Zweiten Weltkriegs spielte das Ensemble Theater an der Front, in den besetzten Gebieten von Belgien und Frankreich. Das Zeughaus wurde bei Bombenangriffen schwer beschädigt und nach dem Zweiten Weltkrieg restauriert. Es wird bis heute als Konzerthaus genutzt.

Für das Rheinische Landestheater bedeutete das zunächst einmal einige Jahre außerhalb von Neuss. Die enge Partnerschaft mit Solingen ermöglichte es, dass in Solingen-Ohligs geprobt und gespielt werden konnte. Bis ein Tanzsaal in der ehemaligen Gaststätte Drusushof an der Drususallee dem Ensemble eine neue Heimat in Neuss gab. Der wiederum wurde 1957 von der Baupolizei für einsturzgefährdet erklärt, es durften keine weiteren Aufführungen stattfinden. Die Stadt hatte allerdings schon zwei Jahre zuvor einen Neubau versprochen, der nach einer kurzen

92

Zeit der Wanderschaft zwischen verschiedenen Spielstätten eingeweiht werden konnte – ebenfalls in der Drususallee.

Seit 1950 gab es nun auch Intendanten, die ein bisschen länger in Neuss blieben als nur einige Jahre. Philipp Vogel war es, der den Neubau 1958 beziehen konnte. Seine Nachfolger Hermann Wetzke und Karl Wesseler holten dann viele bekannte Stars der damaligen Zeit nach Neuss.

Heinz Drache und Brigitte Mira, Willy Millowitsch und Günter Lamprecht, Christian Quadflieg und Wolfgang Völz waren im Rheinischen Landestheater zu sehen, es wurden sogar Aufführungen im Fernsehen übertragen. All das sorgte für ein wachsendes Ansehen der Bühne. Doch ebenso wichtig war aus heutiger Sicht, dass immer größere Aufmerksamkeit auf das Theater für Kinder und Jugendliche gerichtet wurde. Das ist heute ein zentrales Element im Spielplan.

In den achtziger Jahren geriet das Landestheater in Schwierigkeiten. Die Besuchszahlen sanken, der Kreis der Freunde und Förderer wurde gegründet. Aber 1989 musste die Stadt die angehäuften Schulden der Bühne übernehmen, um einen Bankrott zu vermeiden. Der neue Verwaltungschef Dirk Gondesen führte das Theater in finanziell ruhigere Fahrwasser und wurde bald zum gleichberechtigten Partner der Intendanz in der Leitung.

Aufritt Burkhard Mauer. Zwölf Jahre war er Intendant in Neuss – von 1992 bis 2004 – und hat das Rheinische Landestheater in seiner heutigen Form geprägt. Mauer war zuvor in Bremen Dramaturg bei Kurt Hübner, dem legendären Intendanten, der viele prägende Regisseure seiner Zeit entdeckt hat: Peter Zadek, Peter Stein, Rainer Werner Fassbinder und Hans Neuenfels. Letzterer inszenierte 1974 seinen legendären »Troubadour« am Theater in Nürnberg, initiiert von Burkhard Mauer, der direkt vor Neuss Intendant in Nürnberg war. Ein aufgeschlossener, neugieriger, bestens vernetzter Theatermacher kam da nach Neuss. Er hatte keinesfalls den Auftrag, nach den finanziellen Turbulenzen kurz zuvor Gefälligkeitstheater zu machen. Aber Mauer hatte ebenso einen Blick für das Machbare. Ein Landestheater

funktioniert nur, wenn der Gastspielbetrieb funktioniert, wenn die Partner die angebotenen Aufführungen auch einkaufen.

Ein weiterer wichtiger Schritt war der Aufbau des Globe Theaters. Die Stadt und die Neusser Gemeinnütziger Bauverein AG hatten den Nachbau gekauft, der nach der Landesgartenschau in Rheda-­Wiedenbrück 1988 zwei Jahre lang nutzlos herumstand. Auf der Galopprennbahn wurde das Globe zum Ort des jährlichen Shakespeare-­ Festivals. Und damit stand für das Rheinische Landestheater fest, dass jedes Jahr ein Shakespeare-Stück neu inszeniert werden musste. Zum Teil wurde es im Haus und auf Abstechern gespielt, zum Teil im Globe. Kein Problem für Burkhard Mauer, einen bekennenden ShakespeareVerehrer. Manche Schauspieler:innen waren zwar über die etwas eigenen Arbeitsbedingungen im Globe Theater nicht direkt erfreut. Aber auf der Bühne gaben sie alles. So kamen viele Aufführungen zustande, in denen die Holz-Stahl-Konstruktion unter Pappeln ins Wackeln geriet, weil das Publikum vor Freude ausrastete.

Der hartnäckige Burkhard Mauer hat sich auch große Verdienste um den zu Beginn dieses Artikels bereits beschriebenen Neubau erworben, in dem das Rheinische Landestheater heute spielt. Über das Theater hinaus gibt es hier ein Programmkino und Räume für den Rhein-Kreis sowie das gemeinsame Büro der vier NRW-Landestheater, das in den neunziger Jahren gegründet wurde. Spätestens 2002 lernte fast ganz Theater-NRW das großartige neue Haus kennen, als das NRW-Theatertreffen nicht nur zu einer fulminanten Leistungsschau, sondern auch zu einer großen und herzlichen Party wurde. Wozu auch das beeindruckende Engagement des Ensembles beigetragen hat. Seit 2004 findet im laut Architektenkammer NRW »vorbildlichen Bau des Landes« auch jedes Jahr das Vorsprechen aller deutschsprachigen Schauspielschulen statt. Das hat allerdings schon Mauers Nachfolgerin Ulrike Schanko an Land gezogen. Sie war seit Beginn seiner Intendanz als Dramaturgin und später als Chefdramaturgin tätig, da lief vieles Hand in Hand.

Neben den großen Aufführungen gab es in der Zeit von Mauer und Schanko auch viele kleine-

re Projekte, die überregional Aufmerksamkeit erregten. Zum Beispiel eine lockere Reihe mit Erstaufführungen kanadischer Dramatiker:innen, einem Land, das bis heute nur selten im Fokus der Theateröffentlichkeit steht, jedoch viele Entdeckungen zu bieten hat. Ein Beispiel war die tiefschwarze Komödie »Freudige Erwartung« von Morris Panych. Darin geht es um eine alte Dame, die scheinbar im Sterben liegt, und ihren Neffen, der erben möchte. Aber sie lebt einfach weiter, er spielt oft mit dem Gedanken, sie umzubringen, schafft es nicht, die beiden nähern sich an, der Zyniker taut auf. Sewan Latchinian hat hier grandios Regie geführt. Sechs Jahre war er Oberspielleiter in Neuss, bevor er als Intendant die Neue Bühne Senftenberg mit einem radikal zeitgenössischen Theater zu einem bundesweit beachteten Theater machte. Ein Beispiel für viele, die von Neuss aus große Karrieren starteten. Lutz Hübner ist heute einer der meistgespielten deutschen Theaterautoren und war von 1990 bis 1993 Schauspieler am Landestheater.

Nachdem das Rheinische Landestheater 2007 wieder einmal eine heftige Finanzkrise – mit dem Weltrekordtheaterversuch – überstanden hatte, kam erneut eine prägende Intendantin. Schon deshalb, weil Bettina Jahnke die erste Chefin in Neuss war, die selbst Regie führte. Von 2009 bis 2018 lenkte sie das Rheinische Landestheater, selbstbewusst und mit klaren Vorstellungen.

Als Regisseurin steht Bettina Jahnke für klassisches Erzähltheater, sie glaubte an die Macht des Wortes gerade in einer Zeit, in der die Bilderflut in den Medien und auch auf der Bühne immer stärker wurde. Bestes Beispiel für ihre eigenen Inszenierungen ist Koen Tachelets Fassung von Joseph Roths »Hiob«. Bettina Jahnke brachte den Roman nah am Geist des Textes auf die Bühne, eine Regisseurin, die sich und ihre Einfälle nie in den Vordergrund spielt, sondern mit den Schauspieler:innen der Geschichte dient. Solche Aufführungen lösen meistens keine Jubelstürme bei Kritiker:innen aus, weil es sich durchgesetzt hat, dass die meisten lieber über ästhetische Überbauten als über Geschichten und Inhalte debattieren. Doch das Publikum liebt diese Form des Theaters: Das Rheinische Landestheater musste Zusatzvorstellungen ansetzen.

93

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

Parallel ließ Bettina Jahnke aber auch andere Handschriften zu, wenn sie in ihren Augen Sinn ergaben. Mir ist vor allem eine Aufführung im Gedächtnis geblieben, die gleich zu Beginn ihrer Intendanz Premiere hatte, »Die Verwirrungen des Zöglings Törless« in der Regie von Marc Lunghuß.

Damals war Robert Musils Roman Abiturstoff, mithin Pflichtprogramm für viele Schüler:innen.

Am Rheinischen Landestheater wurde aus dem sperrigen Text packendes Theater.

Alles ist Pose. Törless schraubt die Stimme in künstliche Höhen, trägt einen Lorbeerkranz im Stile eines klassischen Dichters, stellt sich auf Stühlen aus wie sein eigenes Denkmal. »O Captain, mein Captain«, sagt er oft, ein Mitglied im Club der toten Dichter, das schwere Herz angefüllt mit stürmend-drängender Poesie. Robert Musils Roman erzählt, wie gefährlich die Zeit der Pubertät ist. Und die vier jungen Schauspieler lassen sich aufopferungsvoll darauf ein, mit krassen Bildern, hemmungslos körperlichem Spiel und der Bereitschaft, sich ganz tief in Angstabgründe zu stürzen. Es dauert, bis Basini, das Opfer, auftritt.

Dann steht er allein im Frauenkleid auf der Bühne und keucht einen Text des amerikanischen Autors Bret Easton Ellis ins Mikrofon. Einen Text, der sexuelle Erniedrigung in deutlichen Worten beschreibt und die Lust des Opfers herausschält, eine sadomasochistische Gratwanderung zwischen Leid und Genuss. Es ist harter Stoff, den das Rheinische Landestheater Neuss seinem Publikum vorsetzt, niemals spekulativ oder reißerisch, genau am Thema. Wilde Gefühle suchen nach Ausdrucksformen, die Jugendlichen sind brodelnde Vulkane.

Als es Bettina Jahnke kurz vor Ende ihres Vertrags als Intendantin nach Potsdam zog, übernahm ihr Chefdramaturg Reinar Ortmann für ein Jahr die Interimsintendanz. Dann folgte mit Komödienspezialistin Caroline Stolz nicht nur eine neue Chefin, sondern eine Krise, die ausnahmsweise einmal nicht mit Finanzen zu tun hatte. Die Corona-­Pandemie leerte alle Theater, brachte den Kulturbetrieb zum Erliegen und manche stellten sich grundsätzlich die Frage, ob es überhaupt so weitergehen könne wie vorher. Mit dem Liederabend »Out of time – die mit Abstand besten

94

Songs« versuchte sich das Rheinische Landestheater mit selbstironischem Titel und viel Nostalgieflair wieder ins Geschehen zurückzuspielen.

Schon in der Zeit von Bettina Jahnke waren musikalische Produktionen immer wichtiger geworden, um ein größeres Publikum anzuziehen. Nur waren es nicht mehr Operetten wie früher, sondern Musicals und Songabende. Wobei es häufig gelang, über das geschickte Zusammenstellen bekannter Hits hinauszugehen und sich kritisch und inhaltlich mit Phänomenen der Popkultur auseinanderzusetzen. Der Rio-Reiser-Abend »Wann, wenn nicht jetzt?« ist dafür ein sehr gutes Beispiel. »Ich schaff’s einfach nicht, zuzusehen, wie alles den Berg runtergeht«, lautet eine Zeile aus dem Titelsong.

Das klingt nach einem Satz, der zwar nicht die ganze Geschichte des Theaters begleiten könnte, der aber immer wieder sehr laut zu hören ist. So auch jetzt, im Sommer des hundertjährigen Bestehens. Wieder einmal droht dem Rheinischen Landestheater die Zahlungsunfähigkeit. Stadt und Theaterleitung haben einen gemeinsamen Brief an die Landesregierung geschrieben, die Bühne nicht mit den Tariferhöhungen alleine zu lassen.

Denn die würden erst den künstlerischen Etat auffressen, also die frei verfügbaren Mittel, um Regie, Bühnenbilder, Aufführungsrechte und so weiterzubezahlen. Und eine radikale Erhöhung der Eintrittspreise wäre schwierig und stünde dem Auftrag eines Landestheaters entgegen. Der besteht schließlich gerade darin, Kultur bezahlbar in die Fläche zu bringen.

Die neue Intendantin Marie Johannsen hat in ihrer ersten Spielzeit die Auslastungszahlen erhöht. Und hat, obwohl ihr die – zu Hause wie auf Gastspielreisen – am besten verkaufte Premiere weggebrochen ist, viele Sympathien erobert.

Gerade weil sie auf die Absage der Uraufführung von »Mord im Schützenverein« offen und ehrlich reagiert hat, ohne Mauern und Herumdrucksen, geradezu beispielhaft, wie man als Leitungskraft mit Fehlern umgehen sollte.

Marie Johannsen hat ebenfalls erkannt, was die Zukunftsperspektive eines Theaters ist: nämlich ein Ort für Treffen und Begegnungen zu sein,

über das Geschehen auf der Bühne hinaus. In jedem Neubau, bei jeder Renovierung eines Theatergebäudes werden diese Elemente gerade besonders betont. Auch, weil sonst die Ausgaben angesichts der Finanzlage fast allerorts wohl politisch nicht durchsetzbar wären. Oft bewegen sich die Stadttheatertanker eher langsam in Richtung Öffnung, Neuss ist dabei schon einige Schritte vorausgegangen – auch weil die zwei riesigen Foyers Möglichkeiten bieten, die es an vielen anderen Orten so nicht gibt.

Montag bis Freitag ist das Rheinische Landestheater nun ab 13.30 Uhr geöffnet – und auch manchmal an Wochenenden. Es gibt einen Knitting Club, die Gaming-Gemeinschaft Spielonauten, Kleinkunst, Diskussionen – oder einfach die Möglichkeit, sich zwischendurch beim Einkaufen einmal hinzusetzen, auf die Toilette zu gehen und einen Kaffee zu bekommen. »Mir ist es wichtig«, sagt die neue Intendantin, »dass hier ein konsumfreier Ort entsteht. Wir dürfen kein Elfenbeinturm sein, da treffen bürgerliche Theaterfans auf Menschen, denen es nicht so gut geht.« Neuss ist eine Stadt der sozialen Gegensätze geworden und hat in den vergangenen Jahren viele Geflüchtete aufgenommen. Alle sollen nun das Theater als ihr Zuhause begreifen.

Bei der Einrichtung hat spontan die Neusser Sparkasse geholfen. »Das sieht ja nicht nach einem Mega-Umbau aus«, sagt Marie Johannsen. »Aber so ein Eimer Farbe kostet schon was, auch der Werkstatttisch und die Lampen, die wir neu eingebaut haben – da kommt schon ein Sümmchen zusammen.« Und wo bleibt das Theater? »Das ist unser Theaterbegriff«, erklärt die neue Intendantin. »In jedem Live-Ereignis kann man Theater ausmachen.«

schen Stück, von der musikalischen Unterhaltung bis zum Kinder- und Jugendtheater. Aber das Ensemble ist immer weiter geschrumpft. Und da sich manche Schauspieler:innen inzwischen einbilden, dass die Menschenrechte auch für sie gelten, müssen demnächst schärfere Arbeitsbestimmungen eingehalten werden. Das bedeutet für ein Theater, das zur Hälfte auf Tournee spielt, einen besonderen Planungsaufwand. Wer um 16 Uhr im Bus sitzt, kann nicht mehr bis 14 Uhr proben und abends noch eine Vorstellung spielen.

Da kommen einige interne Herausforderungen auf das Landestheater zu.

Es ist weiterhin vieles möglich. Doch dann folgt jeweils ein dickes ABER. Ein Weg in die Zukunft führt über immer intensiveres Zusammenarbeiten. In der Stadt und bei den Partner:innen außerhalb. Über das Ausdenken neuer Projekte auf Augenhöhe. Viele Theater erzählen, dass sie das längst tun. Aber wenn es darum geht, Ressourcen zu teilen, andere Gruppen ins Haus zu lassen ohne ein eigenes kuratierendes Mitspracherecht, wirklich mal loszulassen, sich auch einmal bespielen zu lassen, ist die Offenheit manchmal am Ende. Marie Johannsen könnte mit ihrem Theaterverständnis ein Glücksfall für das Rheinische Landestheater werden. Denn die Veränderungen, die viele Theater in den nächsten Jahren erleben werden, könnten grundsätzliche werden.

Da braucht es Menschen, die den Entwicklungen nicht nur hinterherlaufen, sondern sie aufnehmen und mitprägen. Und zwar nicht nur in der Leitung, sondern in allen Gewerken und natürlich im Ensemble. An seinem hundertsten Geburtstag steht das Rheinische Landestheater somit mitten in einem Neuanfang. Der Blick auf seine Geschichte zeigt: Das war es immer wieder.

Und bisher hat es auch immer wieder geklappt.

Wo steht also das Rheinische Landestheater Neuss hundert Jahre nach seiner Gründung? Das Potenzial ist weiterhin groß, die Spielstätte ideal, wenn auch die Technik nach 25 Jahren einige dringende Investitionen nötig hat. Es gibt einen über Jahrzehnte gewachsenen Kreis an Partnern, die allerdings zum großen Teil ebenfalls finanzielle Schwierigkeiten haben. Der Spielplan ist vielfältig: vom Klassiker bis zum zeitgenössi-

95

»HORST, DU MACHST DAS SCHON« EIN GRUẞWORT

D

as Landestheater in Neuss – ich habe lange überlegt: Was könnte man da alles schreiben und was alles sagen? Ich habe mir dann zum Schluss gedacht: Ich fang einfach da an, wie alles begann. Natürlich vergesse ich nie, wie Herr Julius von Bukowski – er hatte nichts mit dem Landestheater zu tun – der Erste war, der mich damals beim ersten Kochbuch vor 25 Jahren anrief und sagte: »Herr Lichter, ich würde Sie gerne für eine Signierstunde buchen.« Da habe ich gesagt: »Ne, also das mach ich nicht.

Das ist ja albern. Stellen Sie sich vor, ich sitz da mit Kochbüchern und es kommt keiner.« Das war mir zu peinlich. Da hatte er irgendwann die Idee: »Dann gehen wir doch einfach in die Stadthalle in Langenfeld auf die Bühne. Dann können Sie da ein bisschen was erzählen, kochen und wenn sie Lust haben, danach Bücher unterschreiben, falls jemand kommt.« Auch da musste ich erst überredet werden, weil ich immer noch der festen Überzeugung war, es wird hier keiner kommen.

Diesen Abend in Langenfeld vergesse ich nie. Ich hatte einen Riesenspaß! Es war ein ausverkauftes Haus, mit fünfhundert Gästen. Ich habe auf der Bühne Geschichten erzählt, die ich im Restaurant erlebt habe, ein bisschen gekocht und danach Hunderte von Büchern unterschrieben.

Keine zwei Wochen später rief mich ein verdammt netter junger Mann mit Vollbart vom Landestheater Neuss an. Den Namen weiß ich leider

96

HORST LICHTER (*1962 in Rommerskirchen, früher NettesheimButzheim) ist (Fernseh-)Koch, Buchautor, Mode­ rator und Entertainer und seit 2013 Moderator der Show »Bares für Rares«. 2004 war er selbst auf der Bühne des Rheinischen zu sehen.

nicht mehr. Er sagte: »Hör mal zu, Horst, ich würde dich gerne hier auf der Bühne in Neuss haben.

Im Landestheater.« Ich fragte nur rotzfrech: »Du, gar kein Thema. Als was?« Ich dachte, es geht um ein Theaterstück und ich sollte eine Rolle übernehmen. Er meinte nur: »Du als du. Du bist du und du gehst auf die Bühne und erzählst einfach drauf los.« Ich wusste nicht, ob ich das kann. Wir haben uns getroffen und ich habe mir das Landestheater in Neuss angeschaut. Eine riesige, wunderschöne Bühne, ich war tief beeindruckt, wie viel Publikum da reinpasst! Was für ein ehrenwertes Haus!

Auch tief beeindruckt hat mich das ganze Engagement der Mitarbeiter:innen. Egal, ob es Tontechniker:innen oder Bühnenbauer:innen waren.

Alle die, die im Hintergrund arbeiteten, all die fleißige Hände, die man sonst nie sieht, waren wahnsinnig nett, höflich und freundlich zu mir.

Nach meinem Besuch habe ich beschlossen, dass wir es machen. Ich habe einen 7,5-Tonner-Lkw gemietet und drei meiner Kumpels gefragt, ob sie mir helfen. Morgens um acht Uhr ging es an das Bühnenbild, welches wir selbst aufgebaut haben.

Es wurden ganz verrückte Sachen aus der Oldiethek auf die Bühne gestellt. Ich wollte aber nicht nur auf der Bühne stehen und meine Geschichte erzählen. Ich hatte noch eine Idee: Was wäre, wenn all die Menschen danach im Foyer auch noch Essen von mir bekommen? Meine Idee war,

von Tisch zu Tisch zu gehen, wie in der Oldiethek damals. Jeden mit Handschlag begrüßen, um mit den Menschen zu sprechen und um zu hören, ob es ihnen gefallen hat, was ich zwei Stunden auf der Bühne erzählt habe. Das war so ein riesiger Erfolg, dass wir das einige Jahre in Folge gemacht haben, und zwar zweimal im Jahr, je zwei Tage im Landestheater in Neuss. Der Beginn meiner tatsächlichen Bühnenkarriere.

Das Landestheater war mit ein Grund, auf die Bühnen dieser Welt zu gehen. Sie haben mir unendlich geholfen, mich unterstützt und mir den Glauben an meine Person gegeben. Bevor der Bühnenvorhang aufging, standen sie hinter mir beim Bühnenaufgang und haben mir gut zugeredet: »Horst, du machst das schon. Das wird gut!

Komm, das kriegst du geregelt.« Und ob ich es geregelt bekommen habe! Am Ende war ich danach viele Jahre lang – sechzig Abende pro Jahr in Deutschland, Österreich und der Schweiz – auf Bühnen mit vielen weiteren Programmen unterwegs. Aber nie vergessen habe ich die Basis. Das war das Landestheater in Neuss. Es freut mich unglaublich, dass jetzt so ein tolles Jubiläum gefeiert werden kann, und wenn es zeitlich passt, komme ich gerne vorbei.

Ich kann nur eins sagen: Dankeschön an all die Menschen, die hier mit so viel Leidenschaft und Liebe arbeiten. Danke an dieses wirklich großartige Publikum, das damals von überall kam. Ich habe so unvergessliche Momente auf der Bühne erlebt, die mir so nach und nach immer wieder in Erinnerung kommen. Zum Beispiel habe ich meine Hochwassersammlung präsentiert. Die Menschen haben Tränen gelacht und dachten alle, ich hätte mir das ausgedacht. Aber nein, es war ja echt. Es brachte mal jemand einen Riesenkarton mit den unterschiedlichsten Flaschen in die Oldiethek. Angefangen von Schnapsfläschchen bis zur Zwei-Liter-Flasche, teilweise gefüllt mit Wasser oder leer. Das war eine Hochwassersammlung, die mir ein Gast geschenkt hat. Der

Horst Lichter mit Mitarbeiter:innen des Rheinischen Landestheaters: Oben (v. l. n. r.): Birgitt Drawer, Horst Lichter, Chris Ingmann, Willi Piel Unten (v. l. n. r.): Claudia Kurras, Alwin Stevens, 2004

Gast sagte damals: »Herr Lichter, ich geh jetzt ins Altersheim. Meine Hochwassersammlung möchte ich Ihnen schenken. Bei jedem Hochwasser bin ich zum Rhein gegangen und hab dann in einer Flasche passend zum Hochwasser ein bisschen Wasser mitgenommen, Datum drauf geschrieben und weggestellt.« Ich habe ihn dann gefragt, warum ist in der einen oder anderen Flasche nichts drin? Da antwortete er nur: »Ja, da gab es halt kein Hochwasser.« Ich fand damals die Geschichte großartig, und noch viele weitere meiner verrückten und lustigen Erlebnisse, die ich mit oder in der Oldiethek erlebt habe, haben es damals auf die Bühne geschafft.

Dankeschön! Es war eine großartige Zeit und auf dass ihr noch viele Jahrzehnte großartige Zeiten, große Darsteller:innen, Neuentdeckungen und Stars da habt.

Euer Horst Lichter

97

EINBLICKE HINTER DEN KULISSEN 1925–2025

In der Requisitenkammer, 1981

98

Blick in die Werkstatt (vermutlich die Schreinerei) des Rheinischen Städtebundtheaters, um 1928

Ein Mitarbeiter des Rheinischen Städtebundtheaters fertigt eine Perücke an, um 1928

Blick in die Werkstatt (vermutlich Blick auf die Schmiede) des Rheinischen Städte­ bundtheaters am Zeughaus, um 1928

Mitarbeiter:innen im Innenhof des Rheinischen Städtebund­ theaters (v. v. n. h.): Sohn des Wirtes Pankstadt, Eugen Eggerath (techn. Einrichtung), ?, ?, Anni Schalenberg (Bürokraft),?, Karl Wallenfang (Beleuchtung), ?, nach 1928

Blick in den Fundus für Kulissen und Halle der Fahrzeuge des Rheinischen Städte­ bundtheaters, um 1928

99

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

Mitarbeiter:innen des Malsaals im Hinterhof des Theaters am Zeughaus, um 1928

Bühnenmitarbeiter beim Aufbau eines Bühnenbilds, um 1928

Bühnenmitarbeiter beim Aufbau eines Bühnenbilds, um 1928

Schauspieler:innen und technisches Personal auf dem Weg zu einer Gastspielreise vor dem Zeughaus (rechts), um 1928

100

Im Büro (v. l. n. r.): unbekannter Büromitarbeiter, Maria Stange (Sekretärin), Robert Sawallich (Dramaturg), um 1928

Mitarbeiter:innen des Rheinischen Städtebundtheaters im Intendantenbüro (sitzend v. l. n. r.): Mathilde Eggerath (Gewandmeisterin), Robert Sawallich (Dramaturg), Richard Jost (Intendant), ganz rechts: Eugen Eggerath (Bühnenmeister), um 1928

Mitarbeiter:innen des Rheinischen Städtebundtheaters vor der Landesbibliothek, um 1928

101

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

Bühnenmitarbeiter beim Verladen der Dekorationen am Theater an der Drususallee, 1960er Jahre

Blick auf das Technikpult und in die Maske des Rheinischen Landestheaters an der Drususallee, 1970/80er Jahre

102

Mitarbeiter:innen des Rheinischen Landestheaters in der Drususallee, 1981

103

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

Mitarbeiter:innen des Rheinischen Landestheaters an der Oberstraße, um 2010

104

Orte hinter den Kulissen des Rheinischen Landestheaters an der Oberstraße, 2024

105

DAS RHEINISCHE LANDESTHEATER IN SEINEM JUBILÄUMSJAHR

NATALIE URBIG (*1980 in Erkelenz) ist Kulturredakteurin bei der Neuß-Grevenbroicher Zeitung sowie Kultur- und Crossmedia-Redakteurin in Neuss. Sie begleitet das Rheinische an der Oberstraße als Kulturredakteurin.

106

E

s ist ein ganz besonderer Geburtstag, den das Neusser Rheinische Landestheater in diesem Jahr feiert – denn vor hundert Jahren, genauer gesagt am 17. August 1925, wurde es als Rheinisches Städtebundtheater mit Sitz in Neuss gegründet. 13 Jahre später sollte es den Namen Rheinisches Landestheater Neuss e. V. bekommen. Dass in einem Theaterjahrhundert so einiges passieren kann, ist wenig überraschend.

Immer wieder gehören auch Veränderungen dazu: So haben in den vergangenen Jahren wechselnde Intendant:innen und Schauspieler:innen die Bühnen nicht nur in Neuss, sondern in der umliegenden Region geprägt. Denn das Landestheater bringt seine Produktionen auch in die Städte, die kein eigenes Ensemble haben. Seinen Sitz in Neuss hat das Theater behalten; seit 1958 hat es eine feste Spielstätte. Zunächst war sie in der Drususallee, bis das Theater im Jahr 2000 in das Gebäude an der Oberstraße zog.

Genau dort findet nun die Hundert-Jahr-Feier statt. Es ist ein Jubiläum, das zum Rückblick verleitet. Nur allzu gerne möchte manch einer in Erinnerungen schwelgen und Anekdoten aus vergangenen Zeiten erzählen. Doch die Rückschau allein würde dem Theater nicht gerecht. Schließlich ist es mehr als seine Vergangenheit: Es ist ein lebendiger Ort, ein Ort, an dem Besucher:innen ein und aus gehen, wo Karrieren beginnen und neue Projekte wachsen. Warum also das Jubiläum nicht zum Anlass nehmen und den Blick auf die Gegenwart richten – auf ein Theater, in dem hundert Jahre nach seiner Gründung immer noch Beifallsstürme die Aufführungen beenden.

Und so ist Cornel Hüsch, Vorsitzender des Trägervereins, mit den Besucher:innenzahlen im Jubiläumsjahr mehr als zufrieden. Im Kulturausschuss der Stadt Neuss stellte er die Bilanz der ersten Saison vor. »Wir haben eine Auslastung von 80 Prozent«, sagte er. Außerdem sei der Abo­ verkauf um zehn Prozent gestiegen. Und auch ansonsten stehen die Zeichen auf Wachstum: »Wir spielen so viel wie noch nie«, meinte er. 250 Aufführungen in Neuss wurden in der Statistik verzeichnet und hundert Gastspiele. Denn nach wie vor erfüllt das Rheinische Landestheater seinen Bildungsauftrag und bringt seine Produktionen zu erschwinglichen Preisen auch in andere Kommunen der Region. Einige Kilometer legt das Ensemble dafür im Monat zurück. Die wechselnden Orte bringen neue Gegebenheiten mit sich – Bühnengröße und Akustik können sich unterscheiden. All das wird auch schon bei der Gestaltung des Bühnenbilds mitgedacht. Von Anfang an wird es so geplant, dass es mitreisen kann. Immerhin gilt das Rheinische Landestheater als das

größte reisende Schauspieltheater in NordrheinWestfalen.

Es geht aber nicht nur raus in die Region: Innerhalb der eigenen Stadtgrenzen sucht es ebenfalls den Kontakt zur Neusser Bevölkerung. Es richtet ein Schützenbiwak aus, beteiligt sich an Festen, lässt Schützenball, die Matinee der Heimatfreunde am Kappessonntag und die Internationalen Tanzwochen bei sich stattfinden und kooperiert mit Schulen und Kitas. Ganz neu ist das Projekt Theater trifft Kirche, das weitere Kreise der Neusser Stadtgesellschaft miteinander verbinden soll.

Den Auftakt im Jubiläumsjahr machte die Inszenierung von Tennessee Williams’ »Die Glasmenagerie«. Die Themen wie zerbrochene Sehnsüchte und gescheiterte Biografien griff Pfarrerin Nadine Appelfeller in ihrer Predigt auf – dabei legte sie der Handlung Stück für Stück eine biblische Lesart an die Seite. Vorher waren die Mitglieder der Gemeinde der Einladung des Landestheaters gefolgt und hatten sich die Inszenierung der Glasmenagerie angesehen.

Das Jubiläumsjahr des Rheinischen Landestheaters ist zugleich ein Jahr, das unter den Einflüssen einer neuen Intendanz steht. Schon vor ihrem Start in ihre erste Spielzeit in der Saison 2024/25 machte Marie Johannsen mit ihren 33 Jahren als jüngste Bühnenintendantin Deutschlands Schlagzeilen. Mit dabei hatte sie einige Ideen und verdeutlichte, dass sich das Theater immer neu erfinden muss, um zeitgemäß zu bleiben. »Es ist nicht mehr selbstverständlich, gemeinsam ins Theater zu gehen«, sagte Johannsen in einem Interview mit der Neuß-Grevenbroicher Zeitung.

Tatsächlich war das vor hundert Jahren noch anders. Inzwischen hat sich die Bedeutung des Ortes gewandelt. Technische und gesellschaftliche Entwicklungen haben dazu geführt, dass das Theater eine andere Bedeutung bekommen hat.

Heute konkurriert es mit Streaming-Angeboten, sozialen Medien und den prall gefüllten Terminkalendern vieler Menschen. Doch die Grundidee des Theaters ist immer noch aktuell: Denn das Bedürfnis nach einem Ort des Zusammentreffens, der Begegnungen und der Geschichten, die inspirieren, neue Perspektiven aufzeigen und nicht zuletzt unterhalten, ist geblieben. Für Johannsen und ihr Team ist klar: Um das zu erreichen, muss der Spielplan stimmen. Darauf möchte die Intendantin vor allen Dingen die Stücke setzen, die sie selbst gerne sehen möchte. Der klassische Kanon habe für sie dabei durchaus seine Berechtigung und soll ebenso berücksichtigt werden wie zeitgenössische Stücke, die ein vielfältiges Publikum ansprechen. Und die Zusammenstellung ist ge-

107

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

Mittelpunkt gerückt. Einen echten Hit lieferte die Neuinterpretation von »Die Zauberflöte« von Nils Strunk und Lukas Schrenk nach Wolfgang Amadeus Mozart und Emanuel Schikaneder. Schon vor hundert Jahren war die Oper beliebt, nun wurde sie zu einer kurzweiligen Gaudi im Zauberkastenformat, die die Besucher:innen immer wieder staunen und mitfiebern ließ.

Festwoche im September 2025 zum Jubiläum des Rheinischen Landes­theaters

Momo Giesen im Gespräch mit Hanna Eggerath im Rahmen der Festwoche

glückt: Alle Premieren waren ausverkauft, teils waren schon Wochen im Voraus keine Karten mehr erhältlich.

Wie aber sieht nun ein solcher Spielplan aus? Eröffnet wurde die Saison – typisch Rheinisch – mit der »Hildensaga«. Die Geschichte um übernatürliche Kräfte und einen gigantischen Schatz wird schon seit Jahrhunderten erzählt und sollte nicht zuletzt den Schriftsteller von J. R. R. Tolkien (»Der Herr der Ringe«) inspirieren. Für das Rheinische Landestheater hat der Autor Ferdinand Schmalz das Rhein-Abenteuer von der Heldensage zur Hildensaga umgedeutet und dabei die beiden Damen des Epos, Brünhild und Kriemhild, in den

108

An das junge Publikum richteten sich nicht nur die Kindervorstellungen, sondern auch das Weihnachtsmärchen, das im vergangenen Jahr »Die Schöne und das Biest« war. Besonders stolz war das Theater, sich die Uraufführungsrechte von »Sonne und Beton« nach einem autobiografischen Roman des Podcasters und Comedians Felix Lobrecht gesichert zu haben. Auch außerhalb der Schulvorstellungen waren viele Jugendliche, die für gewöhnlich als schwer erreichbare Zielgruppe gelten, in den Publikumsreihen zu finden.

Wer von ihnen schon den Film gesehen oder gar das Buch gelesen hat, konnte sich nun selbst überzeugen, welche Stärken eine Theaterproduktion hat. Zum einen ist da die Unmittelbarkeit des Gesehenen: Teils saßen die Schauspieler:innen in den Publikumsreihen, gaben von dort aus ihre Kommentare und ließen die jungen Besucher:innen so zu Klassenkamerad:innen in einer unruhigen Schulstunde werden. Theater, so wird schnell klar, macht die Emotionen noch greifbarer.

Besonders erfolgreich waren auch die Klassiker »Die Glasmenagerie« oder »Romeo und Julia«.

Doch auch Spontanität und künstlerische Differenzen gehören in einen Theaterbetrieb: Die angekündigte Premiere »Mord im Schützenverein« wurde verschoben und kurzerhand durch das launige Stück »Kirmes forever«, einen einstündigen Liederabend mit Lokalkolorit, der zumindest in Neuss gut funktioniert, ersetzt.

Den Theaterbesuch zeitgemäß zu gestalten, bedeutet für das Leitungsteam des Rheinischen Landestheaters aber nicht nur, einen interessanten Spielplan zu erstellen. Man muss den Theaterbesuch neu denken, sagte Johannsen damals im NGZ-Interview. Das gelingt ihrer Meinung nach unter anderem über den Eventcharakter. Diesen herauszukitzeln und die Aufenthaltsqualität im Theater vor und nach der Aufführung zu steigern, ist eines ihrer Anliegen. »Wir haben Bock, den Theaterbegriff anders zu definieren«, sagte Marie Johannsen vor ihrer ersten Spielzeit. »Das Theater ist auch ein Begegnungsort und Impulsgeber, man kann dort zum Beispiel auch eine Konferenz oder eine Podiumsdiskussion organisieren«, ergänzte ihr Stellvertreter Dirk Schirdewahn.

Eine Idee: Das Theater soll sich den Menschen aus der Stadt öffnen. Was das nun konkret heißt, kann man aktuell beim Betreten der Eingangshalle erleben. Da sind Sessel und Sofas, ein großer Tisch mit mehreren Stühlen, Bausteine, ein Klavier, Teppiche, Pflanzen und andere Accessoires.

Nichts erinnert mehr an ein nüchternes Foyer, vielmehr entsteht der Eindruck, inmitten eines Wohnzimmers zu stehen. Die Optik kommt nicht von ungefähr: Konzipiert wurde sie von Nina Wronka. Sie arbeitet seit ihrem Diplom im Jahr 2000 selbstständig mit ihrem Büro für Innenarchitektur, assistiert bei Theaterproduktionen und arbeitetet als Bühnen- und Kostümbildnerin. Sie möchte damit Leichtigkeit in das Foyer bringen und die Menschen zum Verweilen einladen. Damit ist das Foyer zum ersten Mal in den hundert Jahren ein Ort geworden, in dem Besucher:innen auch außerhalb der Vorstellungen willkommen sind. Von montags bis freitags hat es von 13.30 Uhr bis 18 Uhr für alle geöffnet, die einen Platz brauchen. Seien es Schüler:innengruppen, die sich zum Hausaufgabenmachen treffen, Menschen, die einen Ort für ihre Mittagspause suchen – oder die einfach mal außerhalb der eigenen vier Wände ein Buch lesen wollen.

Entstanden ist ein sogenannter ›dritter Ort‹. Jenen Begriff hat der US-amerikanische Soziologe Ray Oldenburg in den achtziger Jahren geprägt.

Seine These: Kommunen müssen den Menschen einen Ort jenseits der Arbeit und ihres Zuhauses anbieten, an dem sie sich treffen können. Das würde nicht nur Begegnungen, sondern auch den Zusammenhalt fördern. Ein Thema, das für die Intendantin Marie Johannsen in Zeiten von ›Homeoffice‹ und ›digitaler Einsamkeit‹ aktueller denn je ist. Das offene Foyer soll somit genau das leisten. Damit es möglichst viele Menschen anspricht, gibt es weder Eintritt noch den Zwang dazu, etwas verzehren zu müssen. Zwar wird dort Tee und Kaffee für einen Euro angeboten, man kann sich seine Getränke und Snacks aber auch selbst mitbringen. »Wasser stellen wir kostenfrei zur Verfügung«, sagte Leonie Stäblein, die das offene Foyer leitet. Anders als in der Gastronomie, in der das Arbeiten am Laptop nicht immer gern gesehen wird, kann man im Foyer des Landestheaters sogar sein Arbeitsgerät problemlos aufklappen. »Wir haben ein kostenloses WLAN eingerichtet«, sagt Stäblein.

Vereine und andere Hobbygruppen sind ebenso willkommen: Der Neusser Strick- und Häkelclub nutzt die Fläche für ihre Treffen. Wer möchte, kann sich dort einfach anschließen. Auch die Spielonauten, eine Neusser Brettspielgruppe, lässt in dem Foyer regelmäßig die Würfel rollen.

Das offene Foyer kann jedoch nicht nur von den Menschen selbst bespielt werden, es setzt auch bewusst eigene Angebote: Jeden Sonntag um 15 Uhr wird zum Beispiel kostenlos für Kinder vorgelesen. Geschichten unter der Dorflinde heißt das Format. Beim Theaterspielplatz kommen sie mit Spieltechniken in Berührung, während sie im Kreativfundus basteln können. Im Sprach­ café für Frauen kommen Muttersprachlerinnen und Anfängerinnen zusammen, lernen gemeinsam die deutsche Sprache und tauschen sich aus.

Mit dem offenen Foyer möchte das Theater den Menschen der Stadt einerseits den Raum zurückgeben. Andererseits baut es Hemmschwellen ab, so die Idee von Johannsen und ihrem Team.

Die Menschen lernen, ins Theater zu gehen, und bauen Vorurteile, dass es sich dabei um einen unnahbar-hyperintellektuellen Raum handelt, der nur in Abendgarderobe besucht werden kann, ab.

Um einige weitere Besonderheiten des Rheinischen Landestheaters hundert Jahre nach seiner Gründung in den Fokus zu nehmen, lohnt es sich, noch einen Blick auf den Spielplan mit seinen kleineren Produktionen zu werfen. Da wäre etwa der multimediale Lyrikdialog »On the Road again«. Es ist weder eine Gedichtlesung mit Musik noch ein Theaterstück mit Gedichtanteil. Was aber hat es mit dem Titel auf sich? Nun, zunächst sollte ein Weg gefunden werden, wie Lyrik, ein Genre, das auch Abiturthema ist, auf dem Spielplan stehen kann. Gerade weil es bei jungen Schüler:innen wenig beliebt ist, sollte es sich auf der Bühne wiederfinden. Stefan Herfurth, der leitende Dramaturg, erklärte das Konzept damals so: »Die Regie hatte die Aufgabe bekommen, Gedichte, die als Abiturthema möglich sind, miteinander in Verbindung zu setzen. Hölderlin, Rilke und Bachmann wurden durch den Germanisten und Literaturkritiker Björn Hayer miteinander verbunden.« Doch nicht nur das Vorhaben, den Schüler:innen Lyrik näherzubringen, ist ­besonders.

Inszeniert wurde das Stück von Marlene Schliecher, die über das eigene Musizieren zum Musiktheater gekommen ist und durch eine Ausschreibung den Weg an das Rheinische Landestheater in Neuss fand. Denn die Regieposition wurde bewusst ausgeschrieben, um auch jungen Talenten eine Chance zu gehen. Häufig würden solche Jobs, so erzählte Herfurth damals, immer noch über ›Wer kennt wen‹ oder Zufälle vergeben. Aufgerufen waren also junge Regieteams, die bereits eine Profiarbeit vorweisen konnten, ihre Ideen einzureichen. »Wir haben sechzig Bewerbungen bekommen, fünf Teams haben wir zu einem anschließenden Zoom-Gespräch eingeladen«, erzählte Herfurth der Neuß-Grevenbroicher

109

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

»Romeo und Julia« von William Shakespeare, 2025

Zeitung. Schließlich fiel die Entscheidung für das Konzept von Marlene Schleicher, Zoe Leutnant (Ausstattung) und Paulina Kiss (Sounddesign/ Komposition). Nach dem Erfolg wurde für ein weiteres Stück mit dem Namen »Toxic #freeBritney« die Regie und Fassung ausgeschrieben. 180 Bewerbungen sind dafür eingegangen, die Premiere ist für das kommende Jahr geplant.

Und da bei einem Jubiläum auch immer in die Zukunft geblickt wird, lohnt es sich, generell die Nachwuchsförderung im Landestheater unter die Lupe zu nehmen. Nicht nur, dass Johannsen einen flach-hierarchischen Führungsstil pflegt, sie zeichnet sich auch dadurch aus, aufgeschlossen für Anregungen aus dem Team zu sein und dem Nachwuchs eine Chance zu geben. Die ausgeschriebenen Positionen sind dafür nur ein Beispiel. Ein anderes ist der kürzlich zu Ende gegangene Wettbewerb für junge Dramatiker:innen. Weil es nicht leicht ist, als Neuling einen Fuß in der Theaterszene zu fassen und sich einen Namen zu machen, hat das Theater alle Nachwuchsschreiber:innen aufgerufen, einen

110

szenischen Text einzuschicken. Aus zahlreichen Einsendungen wurde eine Auswahl getroffen, die im ersten Saisonheft veröffentlicht wurden. Die Leser:innen konnten daraus für ihren Favoriten abstimmen. Die Entscheidung ist schon gefallen: Lili Roesing hat für ihren Text »All my girls like to fight« die meisten Stimmen bekommen und erhielt so die Gelegenheit, in einer szenischen Lesung ihr Stück zu präsentieren. Überhaupt Theaternachwuchs: Das Rheinische Landestheater ist bei angehenden Schauspieler:innen nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern in ganz Deutschland bekannt. Es ist nämlich einer der Orte, an dem einmal im Jahr die zentralen Vorsprechen stattfinden. Schauspielstudierende aus dem deutschsprachigen Raum reisen dafür in die Quirinusstadt und präsentieren ihr Können auf der kleinen Bühne. Die Aufregung ist groß, geht es an jenem Tag um nicht weniger als ihre berufliche Zukunft. Im Publikum sitzen Intendant:innen, Dramaturg:innen und CastingAgenturen und machen sich Notizen an Setkarten. Für sie ist es eine Gelegenheit, auf einen

»Toxic – #freeBritney« von Jette Büshel, 2025

Schlag viele junge Talente kennenzulernen, ohne die einzelnen Schulen abfahren zu müssen. Und die Studierenden können sich gleich einem großen Publikum präsentieren. Schon manche Festanstellung im Ensemble hat bei einem der zentralen Vorsprechen begonnen. Veranstaltet wird es von der ZAV-Künstlervermittlung und dem Rheinischen Landestheater.

Zur Nachwuchsförderung gehört auch, die Schulen anzusprechen: nicht nur mit Schulveranstaltungen, bei denen es oft einen pädagogischen Theatervermittlungsteil gibt, sondern auch durch Workshops oder das mehrtägige Schultheaterfestival Your stage. Dabei zeigen die Theatergruppen von Schulen oder Jugendinstitutionen ihr Können und tauschen sich aus. Andere Angebote der Theatervermittlung laden Neusser:innen verschiedener Altersklassen zum Mitmachen ein.

Es gibt verschiedene Spielclubs, die an eigenen Produktionen arbeiten, und auch einen Theaterchor. Wer all das hört, bekommt einen Eindruck davon, dass der Theaterbetrieb nicht nur von Geschichten, sondern hauptsächlich von Menschen

bestimmt wird. Das Theater ist ein Manufakturbetrieb; neben den Schauspieler:innen im Ensemble gehören auch die Maskenbildner:innen, Kostümbildner:innen, Fahrer:innen, Techniker:innen und Bühnenbildner:innen dazu – um nur einige der Gewerke zu nennen. Entsprechend hoch sind die Personalkosten – und die werden im aktuellen Jubiläumsjahr zu einer Herausforderung. Das Land, das die Kosten des Landestheaters für gewöhnlich zu gleichen Teilen wie die Stadt trägt, hat angekündigt, sich 2025 nicht an der Tarifsteigerung der Personallöhne aller Landestheater und Orchester zu beteiligen. Wegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit haben nun Vertreter:innen der Stadt Neuss und des Landestheaters einen offenen Brandbrief an das zuständige Ministerium verfasst. Und auch wenn über der Finanzierung im Jubiläumsjahr ein Fragezeichen steht, wird das hundertjährige Bestehen gefeiert. Nach dem Theatergeburtstagsfest ist noch lange nicht Schluss: Es gibt eine Veranstaltung der Demokratie-Reihe, die sich im Laufe des Jahres weiter etablieren soll – den Anfang machte im April der Jurist Hendrik Cremer, nun wird Marina

111

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

»Der gestiefelte Kater« von Sergej Gößner, 2025

Weisband, ehemalige politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland, erwartet. Es gibt ein Theaterbingo und eine Ausstellung mit alten Aufnahmen aus dem Spielort an der Drususallee, ehe das Jubiläumsjahr in seine zweite Spielzeithälfte starten kann.

Mit der »Prinzipalin« wird die zweite Saison des Jubiläumsjahres eröffnet: Das Stück von John von Düffel ehrt nicht nur eine Theaterreformerin, sondern soll auch den hundertsten Geburtstag des Theaters würdigen. Im Mittelpunkt steht die Figur der Caroline Neuber, die in der Theaterszene als ›Neuberin‹ und Namensgeberin des Inthega-Preises bekannt ist. Doch wer war die Frau, die das damalige Theater auf den Kopf stellte? Im 18. Jahrhundert gründete sie eine Wandertheatertruppe und leitete diese als Prinzipalin. Dabei wendete sie sich von den damals weitverbreiteten Aufführungen ab, die einem platten und allzu albernen Kirmesspektakel glichen. Um dies zu verbildlichen, verbrannte sie in einem ihrer Stücke symbolisch die Figur des Hanswurst, die für sie für das alte Theater stand.

112

Ebenfalls im Zeichen des hundertjährigen Jubiläums steht das geplante Weihnachtsmärchen. »Wir haben geguckt, was vor hundert Jahren als Weihnachtsmärchen aufgeführt wurde«, so Johannsen zur Neuß-Grevenbroicher Zeitung.

Nach einer Recherche wurden sie schnell fündig: Gezeigt wurde damals die Geschichte des gestiefelten Katers. Ein Jahrhundert später wird Sergej Gössner nun eine neue Version für das Stück schreiben, Rüdiger Pape wird inszenieren. Die Premiere ist für den 2. November geplant. Und auch ansonsten weckt der Spielplan die Neugierde auf den Ausklang des Jubiläumsjahres: Komödien, Klassiker, Kinderstücke und ein rheinisches Karnevalsmusical stehen auf dem Programm.

Einiges hat sich in einem Theaterjahrhundert verändert, anderes wird bewahrt: All das bringt die Theaterleitung zu dem Wunsch, mit diesem Fest einen Grundstein für die nächsten hundert Jahre zu legen.

Blick in das Offene Foyer des Rheinischen Landestheaters an der Oberstraße, 2024

113

HUNDERT JAHRE RHEINISCHES LANDESTHEATER GEDANKEN ZUM THEATER

DR. BERTOLD MATHIAS REINARTZ (*1946 in Neuss) ist Jurist und Politiker, der 1984 in den Stadtrat und von 1987 bis 1998 zum letzten ehrenamtlichen Bürgermeister der Stadt Neuss gewählt wurde. Von 1997 bis 2017 war er ehrenamtlicher Vorsitzender des Vorstands des Rheinischen Landestheaters, seitdem ist er Ehrenvorsitzender des Trägervereins.

114

T

heater findet bekanntlich auf der Bühne statt – doch nicht nur. In Neuss war es seit 1955 mit dem wenig markanten Gebäude an der Drususallee verbunden. Mein erster Kontakt mit dem Theater war dort der Besuch von Heinrich Kleists Komödie »Der zerbrochne Krug«.

Bis heute erinnere ich mich an den Satz: »Die Katze hat in die Perücke gejunkt.« Der tiefere Hintergrund dieser Komödie – die in heiteren Dialogen verpackte Kritik an der bürgerlichen Doppelmoral – blieb mir damals verborgen. Es sollte für lange Zeit mein erster und einziger Theaterbesuch bleiben. Später jedoch wuchs aus dieser Erinnerung die Einsicht, welch unverzichtbare Bedeutung das Theater gerade auch für junge Menschen hat.

Theater eröffnet Perspektiven. Es ermöglicht, andere Lebensentwürfe kennenzulernen – mit all den Konsequenzen, die diese für die Einzelnen und die Gesellschaft haben. Damit schenkt es Impulse für Reflexion, Empathie und Verständigung. Vielleicht war Oscar Wildes berühmter Satz ein wenig übertrieben: »Ich liebe es, Theater zu spielen. Es ist viel realistischer als das Leben.« Mit der Übernahme von Verantwortung für das Rheinische Landestheater habe ich Theater auch »backstage« kennengelernt. Da zeigt sich die andere Seite: Theater kostet Geld. Theater braucht Menschen, die diesen Beruf nicht nur mit Leidenschaft, sondern auch mit einem gewissen Maß an finanzieller Sicherheit ausüben können.

Leider entspricht die Realität diesem Ideal nicht immer.

Theater prägt Leben – das der Zuschauer:innen ebenso wie das der Menschen auf und hinter der Bühne. Ich hatte das Glück, drei Intendant:innen, einen Verwaltungsdirektor sowie zahlreiche

Neuer Theateranstrich mit Bürgermeister Bertold Rei­ nartz (Mitte) und Intendant Egmont Elschner (rechts) auf der Bühne im Theater an der Drususallee, 1987

Schauspieler:innen in den unterschiedlichsten Rollen kennenzulernen. Doch der Erfolg eines Theaters beruht nicht allein auf den Protagonist:innen. Er wird getragen von vielen engagierten Kräften: von der Theaterkasse über die Garderobe, die Beleuchtung, die Dramaturgie bis hin zur Werkstatt, die mit Kreativität und handwerklichem Können Bühnenbilder erschafft, die einem Landestheater gerecht werden.

Nicht ohne Ironie schrieb einst der Journalist Elbert Hubbard: »Sage niemals an der Theaterkasse, dass du nicht gut hörst, denn dann bekommst du einen Platz zugewiesen, wo du auch nichts siehst.« Eine amüsante Spitze – und doch ein Hinweis darauf, dass Theater nur mit seinem Publikum lebendig wird. Zuschauer:innen entscheiden mit über den Erfolg einer Aufführung.

Denn niemand spielt gern vor leeren Rängen.

Dabei darf das Publikum durchaus Teil des Geschehens werden – wie in jener Anekdote mit dem berühmten Schauspieler Fritz Kortner. In Shakespeares »Richard III.« rief er: »Ein Pferd!

Ein Pferd! Ein Königreich für ein Pferd!« Da meldete sich ein Zwischenruf aus dem Saal: »Tut’s nicht ein Esel auch?« – »Doch!«, konterte Kortner, »kommen Sie nur herauf!« Genau in solchen Momenten zeigt sich: Theater lebt im Dialog, in der Spannung, im Miteinander von Bühne und Zuschauerraum.

So beantwortet sich auch die »Jahrhundertfrage«, was eine Stadt ohne Theater, ohne Museum, ohne kulturelle Angebote wäre: Eine Stadt ohne diese Orte ist lediglich ein Einkaufszentrum – und das ist zu wenig für unser urbanes Zusammenleben.

115

ÜBERLEBEN DURCH VERÄNDERUNG IN RICHTUNG UTOPIE MARIE JOHANNSEN, CORNEL HÜSCH UND DAVID MICHALSKI IM GESPRÄCH

116

S

onntag, der 21. September 2025. Der letzte Tag der Festwoche am Rheinischen Landestheater Neuss zum einhundertjährigen Jubiläum ist angebrochen. Mit einer Woche voller Veranstaltungen im Rücken und in Vorfreude auf die Premiere des Zweipersonenstücks »Konstellationen« auf der Kleinen Bühne, gefolgt vom Festkonzert der Düsseldorf Düsterboys auf der Großen Bühne als Abschluss der Jubiläumsfeierlichkeiten treffen sich drei Menschen zu Kaffee und den Resten der Geburtstagstorte im Intendantinnenbüro: Marie Johannsen (Intendantin des Rheinischen Landestheaters), Cornel Hüsch (Vorsitzender des Trägervereins des Rheinischen Landestheaters) und David Michalski (Verwaltungsdirektor des Rheinischen Landestheaters). Die Party nach dem offiziellen Jubiläumsfestakt und der anschließenden Uraufführung von »Die Prinzipalin« ging bis zum frühherbstlichen Tagesanbruch, nun schenkt die Intendantin am späten Nachmittag Kaffee ein, der Verwaltungsdirektor bietet Haferdrink und Milch an.

JOHANNSEN: Ein schöner Festakt gestern! Und ein so passendes Motto: »Blick zurück nach vorn«. Das ist eigentlich ein superschönes Wortspiel. Gerade für ein Jahrhundert … Meine Oma ist hundert Jahre alt geworden und schaute so auch auf ein Jahrhundert zurück – ja, bevor sie gestorben ist. Das ist natürlich das, was wir dem Theater nicht wünschen. Nur leider Gottes haben Omas eine begrenzte Lebenserwartung, Theater hingegen nicht – die sind unsterblich. Das finde ich ja schon ganz schön toll.

Und trotzdem blicken meine Oma und dieses Theater wahrscheinlich auf eine sehr ähnliche Zeit zurück – also beispielsweise auf einen Krieg, auf eine Vor- und Nachkriegszeit. Vorkriegszeit, weil man es zu dem Zeitpunkt vielleicht noch nicht geahnt hat, die Zwanzigerjahre – ein Hoffnungsschimmer. Jetzt genau vor hundert Jahren.

Eine Zeit, in der wir jetzt eigentlich auch wieder sind und wo man sich diese Hoffnung wünscht auf Besserung, raus aus der Krise.

HÜSCH: Also mir hat vor allem die Überlegung bei dem »Blick zurück« klargemacht, dass das Theater, wenn es sich nicht verändert, keine Überlebenschance hat – sondern in den hundert Jahren in Neuss, aber auch anderswo, bewiesen hat, dass die stetige Änderung das Kontinuum ist. Also es gibt nichts, was erhaltenswert ist, was nicht auch verändert werden kann – und das macht mir das deutlich, dass das Theater, wenn man etwa an das Fronttheater denkt oder an die ersten Jahre oder später an ein starkes Unterhaltungstheater, ein Genretheater …, dass bei der

Festakt zum Jubiläum des Rheinischen Landetheaters vom 20. September 2025, (v. l. n. r.): Cornel Hüsch, Mona Neubauer, Marie Johannsen, Reiner Breuer, David Michalski

besten Geschichtsbetrachtung etwas fehlt, wenn man das, was man erreicht hat, nicht auch infrage stellen kann. Und das ist, finde ich, das Große an so einem Jubiläum: wenn man sich selbst und das Erreichte nicht nur feiert, sondern auch die Veränderung kultiviert.

MICHALSKI: (trinkt einen Schluck Kaffee) Mhh! JOHANNSEN: Ja, die Veränderung als Überlebensstrategie ist auch evolutionär bewiesen, und das finde ich einen sehr guten Punkt. Ich persönlich habe nur ein Hundertstel dazu beigetragen – also wirklich, wirklich wenig. Aber vielleicht ist das gerade ein ganz guter Punkt, dass wir mit dem, wie wir jetzt hier starten – oder bzw. gestartet sind – mit dem naiven Gedanken »Ah, wie könnte man das denn sonst noch machen?« diesen Begriff des Theaters oder die Definition von diesem uralten Begriff noch mal weiterdenken, neu denken, verändern. Vielleicht ist es eben nicht mehr nur das Genre, sondern es ist auch ein Gefühl. Es ist wirklich etwas, das von Menschen geprägt ist. Und da müssen wir gerade jetzt, denke ich, diesen Live-Moment immer wieder viel stärker ins Zentrum setzen.

117

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

Ende. Diese Erlebnisse, die ich gerade beschrieben habe, sind jederzeit reproduzierbar und für jede:n erlebbar. Und dieses Angebot zu machen – für Menschen, die Theater in dieser persönlichen Form vielleicht noch gar nicht kennen –, ist eine große Chance, die gerade das Rheinische Landestheater hat. Es hat nicht nur sein eigenes Spielzentrum in Neuss, sondern kann weit darüber hinauswirken. Und dieses Geschenk – das müssen wir erst noch auspacken! Das haben wir jetzt bekommen, die hundert Jahre, aber das eigentliche Geschenk, das liegt im Theater selbst.

Und daran mitzuarbeiten, dazu sind viele Menschen bereit, das habe ich in der Festwoche ganz deutlich gesehen. Er nimmt ein Stück Torte auf die Gabel.

Festwoche im September 2025 zum Jubiläum des Rheinischen Landes­theaters

HÜSCH: Also, ich würde gerne noch einmal auf diese Feierlichkeiten zurückkommen, die wirklich ein großartiges Festprogramm waren. Das waren viele Feiern, die alle das Gleiche gezeigt haben, nämlich eine feste Verwurzelung des Theaters in der Gesellschaft, eine klare Beziehung zur eigenen Geschichte – aber auch einen großen Drang nach vorne. Ich habe Menschen gesehen, die, ich sage es mal ganz pathetisch, die letzten fünfzig Jahre für das Rheinische Landestheater aufgeopfert haben und sich über die Maße, geradezu selbstausbeutend, für das Theater eingesetzt haben, vor und hinter dem Vorhang. Und ich habe gesehen, wie stolz diese Menschen darauf sind, was sie geschaffen haben, und wie viele ganz kleine persönliche Erinnerungen alle Besucher:innen hatten an ihre eigene erste Theateraufführung – vielleicht sogar als Schauspieler:in in einer Schauspieltruppe, ob in der Schule, im Studium oder einfach nur so. Und die Erfahrung, als Erwachsener Stücke anders zu verstehen als als Kind. Die Momente, in denen man in stillen Phasen Tränen in den Augen hat – und gar nicht genau weiß, ob das nun Freude oder eine andere Emotion ist – und am Ende, wenn das Licht wieder angeht, sich befreiend mit Applaus bedanken kann für das, was man gesehen hat. Das ist etwas, das die Zeit überdauert, das keine Frage der Gegenwart oder Vergangenheit ist, sondern geradezu die Existenzberechtigung des Theaters selbst.

Was ich damit sagen will: Das Theater ist nicht zu

118

MICHALSKI: Das Tolle ist auch, dass wir insgesamt in dieser Festwoche ein unglaublich breites und zahlreiches Publikum bei ganz unterschiedlichen Veranstaltungen hatten. Von den kleinen, thematisch sehr fokussierten Podiumsdiskussionen mit ganz besonderen Themen wie Architektur, Frauenbilder oder die Zukunft des Theaters bis hin zu unseren großen Veranstaltungen – dem Festakt und dem Theaterfest am 13. September – waren viele, viele Menschen da, viele, viele Hundert. Wir haben ganz wunderbare Rückmeldungen bekommen. Besonders gefreut hat mich auch, dass so viele Kooperationspartner aus der Stadt da waren. Unser Vermieter, Herr Poertzgen, hat sogar seinen Urlaub verschoben, um dieses Event nicht zu verpassen – das fand ich eine ganz tolle Wertschätzung für unser Haus. Und da könnte ich noch viele nennen: Josef Bebber, der fast fünfzig Jahre hier im Haus Fahrer gewesen ist, war anwesend. Auch Herr Reinertz, Herr Negele, Ulrike Schanko – sie alle sind gekommen, teilweise mit langen Anfahrtswegen über viele Hundert Kilometer.

HÜSCH: Ja und die, die nicht da waren, hatten einen guten Grund, weil sie selbst noch an anderen Theatern tätig sind.

MICHALSKI: Genau, weil der Termin eben schon für viele herausfordernd war – und gerade darum hat es mich so gefreut. Diese große Theaterfamilie, diese Geschichte, die Neuss mit so vielen Menschen verbindet, und die Bedeutung, die das Theater in der Stadt hat, sind wirklich bemerkenswert. Die Bertelsmann Stiftung hat neulich herausgefunden, dass zwar nur rund zwanzig Prozent der Stadtbevölkerung regelmäßig ins Theater gehen, doch der Zuspruch für Theater bei achtzig bis neunzig Prozent in einer Stadt liegt. Und ich bin mir ganz sicher, dass das in Neuss ganz ähn-

Impressionen vom Festakt

lich ist. Wir haben eine hohe Zahl an Bewerbungen auf unsere Ausbildungsstellen. Derzeit haben wir keine Position, die wir wegen Fachkräftemangels nicht besetzen könnten – das zeigt, wie gut unser Stand in der Stadt ist. Das spürt man auch im täglichen Miteinander. Und genau das ist, glaube ich, auch der Blick nach vorn: dass man gemeinsam mit diesen tollen Menschen, die zum Teil seit Jahrzehnten am Haus sind und teilweise noch nie einen anderen Arbeitgeber hatten, und mit den vielen in der Stadt, dem Publikum und den vielen Kooperationspartnern, weiter etwas Großartiges aufbaut. Das versuchen wir, jetzt weiter auszubauen und neu zu denken. Mit der Musikschule machen wir bereits viel, ebenso mit der Volkshochschule, mit Partnern aus der Wirtschaft, der Augustinus-Gruppe und vielen anderen. Und darauf freue ich mich – freuen wir uns – sehr.

JOHANNSEN: Was ihr beide gerade beschreibt, zeigt ja auch, dass sich Traditionskultur-Institutionen wie das Rheinische Landestheater bewegen: Hundert Jahre – alle kennen die Geschichten von der Drususallee, vom Umzug, man kennt noch diese kleinen Legenden von den Theaterfesten, bei denen, wenn man allen Erzählungen Glauben schenken möchte, in der ganzen Stadt, bis hin zum Quirinus-Münster, auf den Straßen getanzt wurde …

MICHALSKI: neigt den Kopf zur Seite Horst Lichter war es mindestens, ne?

JOHANNSEN: Genau – und wer hier alles entdeckt wurde! Bestimmt war auch mal Franz Kafka da und hat seine Freundin besucht – ganz bestimmt! Toll finde ich vor allem das, was ihr beide beschreibt: diese Möglichkeit der Entfaltung. Bei Kulturinstitutionen, die so traditionsreich sind, die auf ein so langes, gelebtes Leben zurückblicken können, heißt es nicht, dass irgendwann – wie bei meiner Oma – alles ein bisschen weniger oder müder wird. Ganz im Gegenteil: Man hat hundert Jahre Anlauf genommen, um die nächsten hundert noch größer, noch farbiger und noch kreativer gestalten zu können. Denn die Möglichkeiten werden immer vielfältiger und man merkt was in einem Jahr, in einer Spielzeit, was da schon möglich war – und zwar allein aus der Kraft, der intrinsischen Motivation und der eigenen Überzeugung heraus, dass das wichtig ist. Und das hat sich übertragen in die Stadt. Jetzt schon. Und ich freue mich umso mehr, wenn ich mir vorstelle, dass wir das jetzt die nächsten Jahre mit dieser inneren Stärke, die wir nach außen tragen, mit dieser Lebendigkeit und diesen Entfaltungen und diesen Veränderungen und diesem Mut auch weiter in die Stadt tragen können.

Das würde mich irrsinnig freuen – dafür den Anschub für ein noch längeres Leben zu geben.

MICHALSKI: … mit den Stars die es hier gab.

JOHANNSEN: Genau, Elvis war da! lacht

HÜSCH: Das finde ich völlig richtig – und auch sehr berührend: dass man körperlich selbst erfahren kann, dass man Kultur nicht allein macht.

119

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

gion sehr viele Anknüpfungspunkte haben, dass hier Kultur gemeinsam funktioniert. Schon fast hunderttausend Zuschauer:innen im Jahr zu erreichen, das ist eine Zahl, die für sich spricht.

Doch noch bedeutsamer finde ich, wie vielfältig die Orte sind, an denen das Rheinische Landestheater unterwegs ist – wie viele Menschen dort in ihren jeweiligen Lebenszusammenhängen erreicht werden und mit wie vielen Partnern wir arbeiten können. Es ist schön zu sehen, wie viel das persönliche Engagement, etwa der Intendantin oder des Verwaltungsdirektors, ausmacht, die Idee von einem Hineinwirken in die Stadtgesellschaft, das belebt und erlebbar ist. Das macht mich auch wiederum zufrieden, dass die Verwendung öffentlicher Gelder hier wirklich wieder in der Öffentlichkeit ankommt. Das ist keine Selbstbeschäftigung.

MICHALSKI: Das nun zu zeigen ist natürlich die große Herausforderung HÜSCH: Genau, Stichwort Herausforderung. Ein gutes Stichwort! Denn bei dem, was wir erreicht haben, können wir ja nicht stehen bleiben. Gibt’s eigentlich Sahne?

Bürgermeister Reiner Breuer auf der Großen Bühne beim Festakt

Man macht sie weder für sich allein, noch kann sie für sich allein stehen. Und es gibt dabei auch keine Bewertung oder Abstufung von Kultur. Es gibt Menschen, die sich beruflich mit Kultur beschäftigen, und solche, die das nicht tun. Es gibt Menschen, die Kultur konsumieren, und andere, die sie aktiv mitgestalten. Aber aus meiner Sicht gibt es da keine Abwertung oder Bewertung – das ist die Zusammenschau, die zählt. Kultur geht eben nur gemeinsam und ich habe das gute Gefühl, dass wir in Neuss und in der ganzen Re-

120

MICHALSKI: Genau – und dass wir diesen öffentlichen Auftrag haben, das wissen viele, aber nicht alle. Und genau das wird auch in Zukunft eines unserer wichtigsten Themen bleiben: über dieses breite Angebot, über direkte Ansprache, über Anknüpfungspunkte und das Offene Foyer zum Beispiel. Sei es der Strickclub, der hier stattfindet, der Brettspieleclub, das Sprachcafé für Frauen und viele andere Formate. Das sind Begegnungsorte, wo wir der Stadtbevölkerung, aber auch anderen Menschen über den Gastspielmarkt Angebote machen müssen, damit die Leute wissen, dass mit ihrem Geld hier etwas passiert und sie etwas dafür zurückbekommen. Das muss nicht allein über das Repertoire geschehen. Wir freuen uns natürlich, wenn auch eine Barriere abgebaut werden kann durch dieses Haus, diesen Namen. Dass man dann zu uns kommt und dieses Angebot auf vielfältige Art nutzt. Ich glaube, das ist der große Transformationsprozess, in den sich Theater heute begeben müssen – und in dem wir auch mittendrin sind: raus aus den ausschließlich besetzten Theatersälen, rein in die anderen Orte, an denen Theater auch stattfinden kann. Theater kann hinaus in die Stadt gehen – aber wir freuen uns natürlich genauso über alle, die zu uns kommen.

JOHANNSEN: Ja, und das wirkt auch weiter in den Köpfen der Menschen, ich finde das ganz

Impressionen vom Festakt

schön, wenn man vor der Vorstellung bei der Stückeinführung die Leute begrüßt und in der Pause guckt, wie die Menschen sich schon verändert haben, umso mehr dann am Ende des Stückes. Und das wirkt weiter und in die Stadt. Und ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, was Sie auch sagten, Herr Hüsch, dass die öffentlichen Gelder nicht nur – wie bei einer Steuererklärung – zurückerstattet werden, sondern auch in Erlebnisse und Inhalte verwandelt werden. Das ist der schönste Zaubertrick, den man machen kann. Insofern braucht es da auch wirklich Zaubertricks, denn wenn man sich so konsequent dem verschreiben möchte, dass man diese öffentlichen Gelder eben für kulturelle Teilhabe gerade für die Menschen beständig ermöglichen möchte, wo es eben keinen Zugang oder bisher noch keinen Zugang zu Kultur gab, wie zum Beispiel in den ländlichen Regionen, wo es uns besonders wichtig ist – gerade da eben immer wieder demokratisches Denken und demokratische Werte und Empathie zu vermitteln und in diesen Wertekompass der Menschen einzuimpfen, das ist das, was man beständig tun muss. Und das ist schwer. Ich glaub, ich hätte auch gern Sahne.

MICHALSKI: Das Ziel muss sein, dass in Zeiten von knappen Haushalten nicht die Theater diejenigen sind, die ständig ihre eigene Existenz legitimieren und danach schreien, dass sie wichtig sind, sondern es muss ein Selbstverständnis herausgebildet werden – von der Kommunalpolitikerin über den älteren Besucher, der sich im Of-

fenen Foyer aufhält, bis hin zur jungen Frau, die begeistert die »Zauberflöte« besucht. Es muss ein gemeinsames Selbstverständnis in der Stadt und auch im Land NRW weiter ausgebaut werden, dass die Theater unverzichtbar sind, weil sie Orte der Begegnung, des Austauschs und des Lernens sind. Idealerweise führt dieses Verständnis dazu, dass die Theater in Haushaltsdiskussionen nicht unter die Räder geraten – was aktuell jedoch leider passiert. Die Lage ist angespannt wie selten zuvor. Eine solche Zuschusskrise, unter anderem für den kulturellen Bereich, hat es in den letzten Jahrzehnten kaum gegeben, und gerade da finde ich eine Legitimierung über die Bevölkerung, die Kultur schließlich finanziert, besonders wichtig, sodass die Politik gezwungen ist, diesen Willen umzusetzen und Lösungen zu finden, wie eine Finanzierung für die Theater möglich sein kann.

HÜSCH: Ich möchte das noch einmal verbinden mit ganz objektiven Herausforderungen, die nicht nur das Rheinische Landestheater betreffen, sondern wohl die gesamte Kulturszene. Der demografische Wandel geht nicht an uns vorbei.

Ebenso hat sich das Konsumverhalten der Gesellschaft grundlegend geändert. Die Welt wird nicht mehr angeschaut, sondern gestreamt. Die Welt ist nicht mehr analog, sondern in vielen Fällen digital. Ohne digitale Schnittstelle kann ich an der Gesellschaft kaum noch teilhaben. Und auch die Bedeutung einer intellektuellen Auseinandersetzung mit Sachverhalten hat – ohne das jetzt bewerten zu wollen – in der Gesellschaft eher

121

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

derungen stehen wir also zusätzlich. Wir haben keine echte Herausforderung an Themen, denn die liegen auf der Hand, die liegen auf der Straße, sie liegen sogar direkt bei uns vorm Haus auf der Straße. Und denen sich anzunehmen ist wichtig, es ist notwendig und das braucht die notwendige Kraft und Zeit. Genau dafür steht das Rheinische Landestheater.

Alle trinken einen großen Schluck Kaffee.

Daniel Finkernagel, Moderator des Festakts

abgenommen als zugenommen. Das sind also Herausforderungen, die sich das Theater nicht selbst stellt, sondern vor die das Theater gestellt wird; sie sind nur zu beantworten mit erstens einem klaren gesellschaftlichen Commitment zum Theater: Wenn die gesellschaftstragenden Gruppen das Theater nicht tragen, wird es für diejenigen, die an den Grundfesten dieser Gesellschaft rütteln wollen, umso leichter. Zweitens brauchen wir Sicherheit für die Menschen, die im Theater arbeiten. Denn das ist entscheidend, dass diese Menschen nicht jeden Monat nachdenken müssen: »Werde ich nächsten Monat noch bezahlt werden können?« Und das dritte sind angemessene sächliche Rahmenbedingungen. Wir brauchen einen klaren Unterschied zwischen der problematischen Welt mit all ihren Herausforderungen und der Theaterwelt. Theater darf nicht der sozial oder baulich problematischste Raum sein. Sondern wir müssen für all diejenigen einen herausragenden Raum haben, die es vielleicht sonst nicht herausragend haben. Dazu brauchen wir auch eine sachliche Unterstützung für die Gebäude – denn auch das hat uns das Jubiläum noch einmal gezeigt, nach 25 Jahren in diesem Haus: Wer selbst schon ein Haus hatte oder Verantwortung für ein Haus trug, das stark frequentiert wurde, weiß, dass nach 25 Jahren auch die beste Bausubstanz jedenfalls einmal renoviert werden muss, damit sie nicht in zehn Jahren saniert werden muss. Und vor diesen Herausfor-

122

JOHANNSEN: Dem kann man eigentlich kaum noch etwas hinzufügen. Außer, dass das etwas von einer kleinen Utopie hat – und das finde ich schön. Wohin kann es noch gehen? Das Schönste wäre, wenn jedes Kind in Neuss, im Rhein-Kreis und in der ganzen Region die Möglichkeit hat, einen Theaterbesuch zu erleben – noch bevor es in der ersten Klasse ist. Das wäre wunderschön. Ich fände es großartig, wenn sich Gruppen irgendwann ganz selbstverständlich fragen würden: »Was machen wir heute? Kino oder Theater?« – also genauso alltäglich wie die Frage »Kaffee oder Tee?«. Ich fände es schön, wenn wir uns bei der Aufnahme von Themen keine Sorge machen müssten um die Finanzierung. Wie Sie gerade gesagt haben: Unsere Spielplangestaltung ist schon bei 2027/28 – so weit in der Zukunft sind wir bereits. Und wir hätten so viel zu erzählen, zu diskutieren – beispielsweise mit unserer DemokratieReihe – wir hätten so viel vor, aber sind da gerade so reglementiert, dass ich jetzt noch einmal eine Produktion für nächstes Jahr streichen musste.

Ich würde gerne mehr Schauspieler:innen, gerade jungen, und mehr Regie-Nachwuchskünstler:innen eine Plattform bieten, auf der sie sich ausprobieren können – ohne den Zwang, sich kommerziell anpassen oder erst einmal digital promoten zu müssen. Sondern ich möchte, dass die Kunst wieder da sein kann für die Menschen – nicht l’art pour l’art für ein Feuilleton, sondern für die Menschen selbst. Und ich wünschte, ich könnte noch mehr Arbeitsplätze schaffen – auch außerhalb der künstlerischen Abteilungen für noch so viel mehr Menschen und ich wünschte, wir könnten in allen Abteilungen so viele Ausbildungsplätze anbieten, denn die Anfragen sind da und es gibt so viele junge Menschen, die sich hier gerade treffen und …

MICHALSKI: … und sich wohlfühlen.

JOHANNSEN: Ja, genau sich wohlfühlen, weil sie in der Schule mit 14, 15 oder 16 anders sind oder als anders wahrgenommen werden und plötzlich hier aufblühen – das ist so schön zu beobachten, wenn sich unsere Schülerpraktikant:innen und

(v. l. n. r.) Daniel Finkernagel, Vera Hannah Schmidtke, Katrin Hauptmann, Johannes Bauer, Tim Richter, Nelly Politt

FSJler:innen zu einer Freund:innengruppe zusammenschließen und gemeinsam Dinge unternehmen und zum fünften Mal in die »Zauber­ flöte« gehen und die Songs mitsingen können.

MICHALSKI: Und ich würde das noch um die Arbeitsbedingungen im Haus ergänzen. Wenn wir aktuell über Zuschusskrisen sprechen, die sich auf die Tariferhöhungen beziehen. Aber das Theater steckt eigentlich – und das ist wissenschaftlich längst belegt und bekannt – in einer allgemeinen Zuschusskrise. Das heißt, wir reden von Gebäuden, Sie haben das erwähnt, die nicht optimal ausgestattet sind. Wir reden von Büros und Gehaltsstrukturen, die alles andere als optimal sind, und in denen die Kultur leider oft den Kürzeren zieht. Und da versuchen wir, dranzubleiben, uns kreative Lösungen auszudenken – und das können wir ja ganz gut –, um auch den Menschen, die hier arbeiten, ein guter Arbeitgeber zu sein. Denn dieses Haus soll nicht nur inhaltlich überzeugen, sondern auch in seinen Grundvoraussetzungen ein attraktiver Ort sein.

Wenn wir es schaffen, das auch neben all den anderen Inhalten zu implementieren, dann wäre ich sehr glücklich.

zweite Punkt ist die Stellung des Theaters in der Stadt. Es muss auch im gesellschaftlichen Selbstverständnis einen Mittelpunktcharakter haben, in dem die wichtigen Punkte der Gesellschaft verhandelt werden: Liebe, Glaube, Vertrauen, Partnerschaft, Streit, Gewalt, Versöhnung und noch so vieles mehr, was unsere Gesellschaft ausmacht. Und dass das Theater im wahrsten Sinne des Wortes das Schauspiel der Stadt ist! Und das Dritte ist für mich die Utopie der Haltung. Also ein Theater hat Haltung, es geht darum, dass wir auf unserem Selbstverständnis als inklusiv und integrativ, als eine politisch unabhängige und freie Einrichtung jeder:m die Möglichkeit geben, bei uns teilzunehmen. Das heißt aber nicht, dass wir beliebig sind. Das heißt nicht, dass alles bei uns gleichermaßen richtig ist, sondern dass es eine Haltung vermittelt. Und wir uns für eine Haltung verantworten und das Theater diese Haltung in der Gesellschaft auch deutlich machen kann.

Deswegen ist die Utopie für mich ein Gebäude, eine Stellung und eine Haltung.

JOHANNSEN + MICHALSKI: Toll!

Alle prosten sich auf Entfernung mit den Kaffeetassen zu.

HÜSCH: Wenn ich nun noch eine Utopie beschreiben sollte, dann sähe sie wohl so aus – es sind drei Punkte, die sie für mich ausmachen: Der erste Punkt ist das Gebäude selbst: ein Haus, das den Mittelpunkt der Stadt bildet. Ein Ort, der einlädt und offen ist, der zum Diskurs anregt und ebenso Raum bietet für hervorragendes Schauspiel. Der

123

DURCHBLICK EIN JAHRHUNDERT IN SPIELPLANAUSZÜGEN 1925–2025

SPIELZEITEN 1925–1934/35

Friedrich Hebbel — »Agnes Bernauer« Moreto — »Donna Diana« E. A. Herrmann — »Der gestiefelte Kater« Bruno Frank — »Zwölftausend« Josef Wiessalla — »Die Front unter Tage« Friedrich Schiller — »Maria Stuart« Gotthold Ephraim Lessing — »Minna von Barnhelm« William Shakespeare — »Der Widerspenstigen Zähmung« Henrik Herse — »Volk am Oranje« Karl Bunje — »Familienanschluß«

SPIELZEITEN 1935/36–1944

Friedrich Schiller — »Kabale und Liebe« Svend Rindom — »Die heilsame Flucht« Jochen Huth — »Der goldene Kranz« Johannes Wiegand, Karl Lerbs — »Ein Mann in den besten Jahren« Eduard Künneke — »Der Vetter aus Dingsda« Franz Lehár — »Das Land des Lächelns« Heinrich von Kleist — »Der zerbrochne Krug« William Shakespeare — »Othello« Alfred Möller, Margarete Paulick — »Eine Stunde mit Alexa« Arno Vetterling — »Liebe in der Lerchengasse«

SPIELZEITEN 1946–1954/55

Friedrich Schiller — »Don Karlos« Molière — »Der eingebildete Kranke« Jean-Paul Sartre — »Die schmutzigen Hände« Friedrich Hebbel — »Die Nibelungen – Der Gehörnte Siegfried & Siegfrieds Tod« Carlo Goldoni — »Der Diener zweier Herren« Christian Dietrich Grabbe — »Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung« William Shakespeare — »Die lustigen Weiber von Windsor« Henrik Ibsen — »Gespenster« Georg Büchner — »Woyzeck« Carl Zuckmayer — »Der Hauptmann von Köpenick«

124

125

SPIELZEITEN 1955/56–1964/65 Arthur Miller — »Hexenjagd« Jean Anouilh — »Ball der Diebe« Friedrich Schiller — »Kabale und Liebe« Jean Giraudoux — »Undine« Pierre Corneille — »Der Prinz von Aragon« Heinrich von Kleist — »Amphitryon« William Shakespeare — »Ein Sommernachtstraum« Friedrich Dürrenmatt — »Die Physiker« Max Frisch — »Andorra« Maxim Gorki — »Wassa Schelesnowa«

SPIELZEITEN 1965/66–1974/75 Gotthold Ephraim Lessing — »Emilia Galotti« Henrik Ibsen — »Rosmersholm« William Shakespeare — »Das Wintermärchen« George Bernard Shaw — »Pygmalion« Rolf Hochhuth — »Soldaten« Alan Ayckbourn — »Halbe Wahrheiten« August Strindberg — »Fräulein Julie« Henrik Ibsen — »Ein Volksfeind« Jean Giraudoux — »Die Irre von Chaillot« Albert Camus — »Die Gerechten«

SPIELZEITEN 1975/76–1984/85 Agatha Christie — »Fuchsjagd« Gerhart Hauptmann — »Michael Kramer« Molière — »Der Menschenfeind« Bertolt Brecht — »Schweyk im Zweiten Weltkrieg« Carl Sternheim — »Bürger Schippel« Johann Wolfgang von Goethe — »Egmont« Karel Čapek — »Die Sache Makropulos« Rainer Werner Fassbinder — »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« August Strindberg — »Fräulein Julie« Simone de Beauvoir — »Eine gebrochene Frau«

SPIELZEITEN 1985/86–1994/95

Anton P. Tschechow — »Der Kirschgarten« Herbert Achternbusch — »Susn« Bertolt Brecht — »Mutter Courage und ihre Kinder« Friedrich Karl Waechter — »Die Bremer Stadtmusikanten« Volker Ludwig, Detlef Michel — »Ab heute heißt du Sara« Edward Albee — »Wer hat Angst vor Virginia Woolf?« Michael Frayn — »Der nackte Wahnsinn« Nikolai Gogol — »Der Revisor« Patrick Süskind — »Der Kontrabaß« Henry Purcell, William Shakespeare — »The Tempest / Der Sturm«

126

127

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

128

SPIELZEITEN 1995/96–2004/05

Sophokles — »König Ödipus« Paul Abraham — »Die Blume von Hawaii« Sue Townsend — »Das geheime Tagebuch des Adrian Mole« George Tabori — »Mein Kampf« Werner Schwab — »Die Präsidentinnen« Philip Pullman — »Der gestiefelte Kater« Tankred Dorst — »Fernando Krapp hat mir diesen Brief geschrieben« Anton Tschechow — »Die Möwe« Samuel Beckett — »Warten auf Godot« Curt Goetz — »Hokuspokus«

SPIELZEITEN 2005/06–2014/15

Karl Schönherr — »Der Weibsteufel« Jordi Galceran — »Die Grönholm-Methode« Simon Stephens — »Motortown« Wajdi Mouawad — »Verbrennungen« Jean-Paul Sartre — »Die schmutzigen Hände« Felicia Zeller — »Kaspar Häuser Meer« Fatih Akin — »Gegen die Wand« Joseph Roth/Fassung von Koen Tachelet — »Hiob« Marius von Mayenburg — »Perplex« Ewald Palmetshofer — »faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete«

SPIELZEITEN 2015/16–2024/25

Franz Kafka — »Der Prozess« Yasmina Reza — »Drei Mal Leben« Lion Feuchtwanger — »Die Jüdin von Toledo« Georges Feydeau — »Floh im Ohr« Nach dem Drehbuch von Marc Norman, Tom Stoppard, bearbeitet von Lee Hall, Deutsch von Corinna Brocher — »Shakespeare in Love« Nach dem Film von Charlie Chaplin — »Lichter der Großstadt« Ödön von Horváth unter der Mitarbeit von Lukas Kristl — »Glaube Liebe Hoffnung« Ferdinand Schmalz — »Hildensaga« Nils Strunk und Lukas Schrenk nach Wolfgang Amadeus Mozart und Emmanuel Schikaneder— »Die Zauberflöte« Nach dem Roman von Felix Lobrecht — »Sonne und Beton«

129

WIR SIND AUCH SCHON 37!

DIE FREUNDE UND FÖRDERER DES RHEINISCHEN LANDESTHEATERS NEUSS JOACHIM RULFS Joachim Rulfs (1948 in Celle) war als Gymnasial­ lehrer in Mönchengladbach tätig. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern des Kreises der Freunde und Förderer des Rheinischen Landestheaters Neuss e. V. und wirkte seit Beginn im Vorstand mit.

Seit 2012 ist er Vorsitzender des Vereins.

H

undert Jahre Rheinisches und wir sind auch schon 37 Jahre jung! So gesehen, hat der Kreis der Freunde und Förderer des Rheinischen Landestheaters Neuss e. V. das Rheinische bereits über mehr als ein Drittel der Wegstrecke seiner bisherigen Geschichte begleitet, durch Höhen und Tiefen, sechs Intendant:innenwechsel, einen Komplettumzug sowie einen 24-stündigen Theatermarathon miterlebt.

Gegründet wurde der Förderverein des Rheinischen Landestheaters im Oktober 1988, nachdem sich unter der Intendanz von Egmont Elschner in Anbetracht der damaligen finanziellen Situation die öffentliche Meinung unter Führung der Neusser Kulturpresse mit scharfen Angriffen gegen das Theater gewandt hatte. Die Kritik an den Finanzen verband sich zunehmend auch mit einer Kritik an der künstlerischen Konzeption des Teams Elschner, so dass der Bestand des Rheinischen Landestheaters ernsthaft in Gefahr zu geraten schien.

130

Um dem öffentlichen Reputationsverlust entgegenzuwirken und letztlich die Weiterexistenz des Theaters zu sichern, fanden sich im Oktober 1988 etwa 60 kulturinteressierte Neusser Bürger:innen im Foyer des alten Hauses an der Drususallee ein, um einen Verein zur Förderung der Interessen des Rheinischen Landestheaters und der Verteidigung seiner innovativen künstlerischen Konzeption zu gründen. Zu den Gründungsmitgliedern zählten unter anderem die spätere erste Vorsitzende Helga Peppekus, Jürgen Brandt, Annemarie Brand-Elsweier MdB, Maria Meuter, die Brüder Christian und Joachim Rulfs, Angelika Quiring-Perl sowie einige junge Mitglieder der Neusser CDU. Der sich aus diesen Anwesenden gewählte Vorstand gab sich eine gemeinnützige Satzung mit dem obersten Ziel, das Rheinische Landestheater Neuss ideell und nach Möglichkeit auch materiell zu unterstützen – zur Sicherung der Theaterkultur in der Stadt Neuss.

Diesen Satzungszielen ist der Verein, der sich von Beginn an Freunde und Förderer des Rheinischen Landestheaters nannte, über wechselnde Intendant:innen (Egmont Elschner folgten 1992 Burkhard Mauer, 2004 Ulrike Schanko, 2009 Bettina Jahnke, 2018 Rainar Ortmann, 2019 Caroline Stolz und schließlich 2024 Deutschlands jüngste Intendantin Marie Johannsen) und eine Domiziländerung (2000 von der Drususallee zur Oberstraße) treu geblieben. So fördert der Verein das Kinder- und Jugendtheater, sponsert Clownsvorstellungen in Kindergärten, Grundschulen und Seniorenheimen und ermöglicht finanzschwachen Kindern die Teilnahme an theaterpädagogischen Projekten. Der Förderverein richtet darüber hinaus das jedes Jahr anlässlich des Neusser Bürger-Schützenfestes stattfindende Schützenbiwak am Rheinischen Landestheater aus.

Feier zum 25-jährigen Bestehen der Freunde und Förderer des Rheinischen Landestheaters Neuss, 2013: (v. l. n. r.)

Joachim Rulfs, Helga Peppekus, Lutz Hübner und Intendantin Bettina Jahnke

Verleihung des Förderpreises 2012 an Linda Riebau mit (v. l. n. r.) Vorsitzendem Karlhans Pfleiderer (1992–2012), Joachim Rulfs und Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff

Außerdem unterstützen die Freunde und Förderer des Rheinischen Landestheaters Fortbildungsmaßnahmen für das Ensemble und bilden den finanziellen Boden für die den Teamgeist stärkenden Festivitäten zu Weihnachten und zum Spielzeitende. Als publikumswirksamer Höhepunkt vergibt der Verein seit 1990 alljährlich den mit 1.500 Euro dotierten Förderpreis für herausragende Leistungen eines Ensemblemitglieds.

Erster Preisträger war im Jahr 1990 Klaus von Mirbach. In diesem Jahr hat der Förderverein anlässlich des Jubiläums des Rheinischen als Geschenk an das Theater im Rahmen der Festwoche gleich drei Förderpreise vergeben: an die Schauspielerin Katrin Hauptmann und den Schauspieler Stefan Siebert sowie – als überfällige Würdigung der technischen Gewerke – an die Beleuchtungsmeisterin Katrin Handschuh.

So sind die Freunde und Förderer des Rheinischen Landestheaters seit vielen Jahren gut aufgestellt an der Seite des Theaters, und der Blick in die Zukunft könnte den Verein zuversichtlich stimmen, gäbe es nicht zwei am Horizont auftauchende Herausforderungen. Zum einen weht dem Theater mit zunehmender Schärfe der existenzbedrohende Wind der Landesregierung in Form unzumutbarer Mittelkürzungen ins Gesicht, sodass wir vermehrt statt kultureller Unterstützung elementare Basishilfe zu leisten haben – eine Tendenz, die wir wachsam beobachten müssen.

Dreifache Preisverleihung im Jubiläumsjahr: (v. l. n. r.) Frank Kurella, Geschäftsführer des Fördervereins, Stefan Siebert, Katrin Hauptmann, Vorsitzender Joachim Rulfs, Katrin Handschuh und Julia-Huda Nahas

Zum anderen gibt die Altersstruktur des Vorstands, der fast unverändert seit 14 Jahren im Amt ist, Anlass zu gewisser Sorge und zum Handeln.

Der Verein der Freunde und Förderer wird sich dringend verjüngen müssen, sonst wäre der in einem Jahr anstehende Abschied des Vorstands auch das Ende unseres kleinen, aber feinen Vereins. Mögen sich schnell jüngere tatkräftige Menschen finden, denen das Theater wie uns am Herzen liegt und die den Verein weit über den vierzigsten Geburtstag 2028 hinwegtragen! Noch ist es möglich, nachwachsende Förderer:innen einzuarbeiten in die Erfordernisse der Aufgabe – doch die Zeit drängt. Die Freunde und Förderer des Rheinischen Landestheaters stellen sich auch dieser Herausforderung, der hundertste Geburtstag des Rheinischen ist uns dabei Bestätigung und Ansporn zugleich.

131

BLICKWINKEL INTENDANT:INNEN

Postkarte von Ulrike Schanko

132

Postkarte von Bettina Jahnke

133

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

Postkarte von Reinar Ortmann

134

Postkarte von Caroline Stolz

135

BLICKWINKEL TRÄGERGEMEINDEN

D

as Rheinische Landestheater Neuss wird seit seiner Fusion mit dem Theater am Niederrhein im Jahr 1981 durch den Trägerverein rechtlich vertreten. Seine Aufgabe ist die Förderung der Theaterkultur in Städten und Gemeinden, die kein eigenes Theater betreiben.

Alle Gemeinden und Gemeindeverbände sowie sonstige öffentlich-rechtliche Körperschaften in Nordrhein-Westfalen können Mitglied werden.

Aktuelle Mitglieder sind: der Rhein-Kreis Neuss, Dormagen, Grevenbroich, Radevormwald, Rommerskirchen, Meerbusch, Emmerich, Geldern, Kleve, Heinsberg und die Stadt Neuss. Vorsitzender des Trägervereins ist der Neusser Rechtsanwalt Cornel Hüsch. Die Trägergemeinden haben dem Rheinischen Landestheater zum Jubiläum per Post Anekdoten, Erinnerungen und Glückwünsche zugesandt – jeweils verbunden mit einer Postkarte aus ihrem Ort.

136

Postkarte der Trägergemeinde Rhein-Kreis Neuss

Postkarte der Trägergemeinde Emmerich am Rhein

137

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

Postkarte der Trägergemeinde Kleve

138

Postkarte der Trägergemeinde Radevormwald

139

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

Postkarte der Trägergemeinde Rommerskirchen

140

Postkarte der Trägergemeinde Dormagen

141

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

Postkarte der Trägergemeinde Geldern

142

BLICKWINKEL BESUCHER:INNEN

Damals gab es noch Gastspiele. Markant in Erinnerung geblieben ist mir das Schauspiel »Die Troerinnen« mit einer bekannten Gastschauspielerin, ich glaube es war Karin Anselm. Es ist mit Sicherheit 30 bis 40 Jahre her.

Zum Schluss des Stückes beklagt sie, dass alle Männer ermordet wurden und auch männliche Babys die Stadtmauer heruntergeworfen wurden/ werden sollen.

Ich habe mich extrem zusammengerissen, um nicht loszuheulen – schließlich saßen mein Vater und ich in der ersten Reihe …

Der lang anhaltende Applaus hat mir Gelegenheit gegeben, mich zu fassen.

Ich war nicht die Einzige, der das Stück zu Herzen gegangen war. Im Foyer lagen mindestens zwei Frauen in den Armen ihrer Begleiter und weinten bitterlich. Und ich hatte mich zusammengerissen! (anonym)

Ich kam 1959 nach Neuss und habe kurz darauf ein Abo bestellt. Damals hat mich meine Tante mitgenommen. Das Abo lief über die Schulen.

Seither bin ich dabei geblieben, angefangen an der Drususallee, wo es noch ziemlich eng war, später dann an die Oberstraße gewechselt. Ich habe also so einige Höhen und Tiefen erlebt.

Außerdem bin ich auch Mitglied im Förderverein.

Soweit mein Beitrag.

Freundliche Grüße, Anni Dahlmann

Die allerbesten Vorstellungen habe ich jedoch im »alten« Theater gesehen: eine Live-Übertragung ins Fernsehen mit Willy Millowitsch, eine Komödie mit Klaus Havenstein, eine andere mit Hildegard Krekel. Neben den bezaubernden Bühnenbildern wurden eben auch amüsante Komödien gespielt. Und zwar meist solche, die unterhalten haben. Ein Besuch dort war auch fast immer eine Garantie für einen gelungenen, fröhlichen Abend.

Auch hatte das alte Theater einen unübertroffenen Flair und Charme, was man im neuen Theater leider vermisst. Es ist eben nicht zu leugnen, dass dieses Gebäude für einen gänzlich anderen Zweck mal erbaut wurde. (anonym)

Mit der Drususallee verbinde ich auch die netten Damen, die sich um die Garderobe und hervorragend um den Getränkeausschank gekümmert haben. Sie waren echt »auf Zack«!

Nach einer Dienstreise bin ich auf den letzten Drücker direkt vom Flughafen kommend in das Foyer gestürzt. Die Kollegin an der Garderobe hat mir Mantel und Koffer mit den Worten »zahlen Sie in der Pause« abgenommen. Der Saal wurde noch einmal geöffnet und kaum saß ich, ging der Vorhang auf.

Leider durften die Damen nicht mit in das neue Schauspielhaus umziehen. (anonym)

Seit ca. 1990 haben wir ein Premierenabo, ohne Unterbrechungen. Unser Lieblingsstück war »Die Blume von Hawai«. Das machte total gute Laune und wir haben es uns sechsmal angesehen!

Gerne erinnern wir uns auch an »Das Liebeskonzil«, das im Globe gespielt wurde. Das haben wir uns dreimal angesehen und ganz viele Eintrittskarten an unsere Mitarbeiter, Freunde und Verwandten verschenkt. (anonym)

Ich erinnere mich noch gut an das Theaterfest, welches jährlich auf der Drususallee stattfand. Es war eine »Theatermeile«, auf welcher ich jahrelang gern hoch- und runterflaniert bin. Nicht nur, dass dort unter anderem regelmäßig Kostüme versteigert wurden, nein, wir wurden im Theatersaal auch selbst aktiv. Mit einer bauchtanzenden Freundin und einem Fez- und Pluderhosen tragenden, auf einem Plumeau sitzenden und Märchen aus »1001 Nacht« vorlesenden Ehemann war ich verschleiert und arabisch bekleidet und (ebenfalls bauchtanzend) sehr fasziniert, dass wir es mit der entsprechenden Musik aus dem Off zu dritt geschafft hatten, Kinderaugen in dem gut besetzten Theatersaal zum Glänzen zu bringen. Kaffee, Kuchen, Grillbuden und frei agierende Schauspieler auf der Drususallee taten das Übrige für meine Begeisterung für das Neusser Theater. (anonym)

Auch wenn mir nicht jedes Stück gefällt und ich manchmal in der Pause gehe, so ist die Spielfreude des Ensembles immer deutlich zu spüren.

Persönlich wünsche ich mir kurzweilige Schauspiele und Komödien, wie zuletzt das Stück »Ewig Jung«, das mich begeistert hat.

Jedenfalls freue ich mich auf viele weitere tolle Aufführungen und Erlebnisse in »meinem« RLT und wünsche allen, die diesen wunderbaren Betrieb aufrechterhalten, alles Liebe und Gute. (anonym)

143

BLICKPUNKTE INTENDANT:INNEN 1925–2025

Intendant 1925–28 RICHARD JOST

Intendant 1928–30 FRITZ KRANZ

Intendant 1930–33 HANNS KÖNIG

Intendant 1933–34 HEINRICH VOIGT

Intendant 1934–44 ROBERT SAWALLICH

Intendant 1945–46 ERICH THORMANN

Intendant 1946–50 ERICH BRANDT

Intendant 1950–67 PHILIPP VOGEL

Intendant 1967–78 DR. HERMANN WETZKE

Intendant 1978–83 PROF. DR. KARL WESSELER

Intendant 1983–87 GERT OMAR LEUTNER

Intendant 1987–92 EGMONT ELSCHNER

144

Intendant 1992–2004 BURKHARD MAUER

Intendantin 2004–09 ULRIKE SCHANKO

Intendantin 2019–24 CAROLINE STOLZ

Intendantin seit 2024 MARIE JOHANNSEN

Intendantin 2009–18 BETTINA JAHNKE

Intendant 2018–19 REINAR ORTMANN

VORSITZENDE TRÄGERVEREIN 1938–48 DER OBERPRÄSIDENT DER (NORD-)RHEINPROVINZ 1948–51 JOSEPH BREUER 1951–66 WILHELM HENRICHS 1966–75 WALTER PAUL 1976–85 KLAUS-DIETER SALOMON 1985–92 HANS-HEINRICH GROSSE-BROCKHOFF 1992–96 BERNHARD WIMMER 1997–2016 DR. BERTOLD MATHIAS REINARTZ SEIT 2017 CORNEL HÜSCH

145

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

FÖRDER:INNEN DES LANDESTHEATERS NEUSS Gefördert vom

Ständige Förderer Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen Stadt Neuss

Trägerstädte und Gemeinden Dormagen Emmerich Geldern Grevenbroich Heinsberg Kleve Meerbusch Radevormwald Rhein-Kreis Neuss Rommerskirchen

Weitere Förderer Sparkasse Neuss Kultur macht Stark – Bündnisse für Bildung gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung Kreis der Freunde und Förderer des Rheinischen Landes­ theaters Neuss e. V.

146

KOOPERATIONSPARTNER:INNEN Bücherhaus am Münster Clemens Sels Museum Neuss Das Nelly Sachs Gymnasium Deutscher Bühnenverein Deutsche Kammerakademie Neuss am Rhein Dorint Hotel Neuss/Düsseldorf Erzbischöfliches Gymnasium Marienberg Gesamtschule Maria Montessori Meerbusch Gesamtschule Norf Grünes Herz Neuss e. V. Hitch – Kino in Neuss igll – Initiative gemeinsam leben und lernen e. V. Jugendzentrum der Reformationskirche Kreuzschule Kulturamt der Stadt Neuss Kulturforum Alte Post Kultursekretariat NRW Gütersloh K*Buff Verein für Kleinkunst und Subkultur Landesgartenschau Neuss 2026 Marie-Curie-Gymnasium Michael Poertzgen Weinhandel Musikschule der Stadt Neuss Neuß-Grevenbroicher Zeitung (Rheinische Post) NEUSS HILFT e. V. Spielonauten Stadtarchiv Neuss Stadtbibliothek Neuss St. Augustinus Gruppe Neuss the knitting club Universität der Künste Berlin vhs Neuss Westticket Wilhelm-von-Humboldt-Gesamtschule Grevenbroich yogimotion

147

← B L I C K Z U R Ü C K N AC H VO R N →

ABBILDUNGSNACHWEIS Cover Stadtarchiv Neuss; Marco Piecuch Rückseite Christine Tritschler; Stadtarchiv Neuss Grußworte MKWI Anja Tiwisina; Bundesregierung/Steffen Kugler; Simon Hegenberg; Reiner Breuer, Kerstin Schomburg Rückblick Stadtarchiv Neuss; C. Schumann; Christine Tritschler; Marc Lontzek; Hickmann; Georg Worecki; Simon Hegenberg; Rheinisches Landestheater Neuss Augenblicke. Spielzeit 1925/26–1957/58 Stadtarchiv Neuss Das Rheinische Städtebundtheater im Horizon der Weimarer Republik Hermann und Clärchen Baus; Theaterwissenschaftliche Sammlung Universität zu Köln; Theatermuseum Düsseldorf/ Dumont-Lindemann-Archiv; Stadtarchiv Neuss

Augenblicke. Spielzeit 2000/01–2025/26 Marc Lontzek; A. Gleichmann; Christine Tritschler; Stadtarchiv Neuss; Rheinisches Landestheater Neuss Das Rheinische Landestheater im neuen Schauspielhaus an der Oberstraße H. Bittner-Mies; Stadtarchiv Neuss; Andreas Woitschützke; Georg Worecki; Archiv im Rhein-Kreis Neuss; Marc Lontzek; Christine Tritschler Korkenknallen für die Knochenbühne Stefan Keim »Horst, du machst das schon« Rheinisches Landestheater Neuss Einblicke Stadtarchiv Neuss/Sammlung Eggerath; Stadtarchiv Neuss; Stadtarchiv Neuss/Wolfgang Maes; Rheinisches Landestheater Neuss; Marc Lontzek, Simon Hegenberg Das Rheinische Landestheater in seinem Jubiläumsjahr Natalie Urbig; Christine Tritschler; Simon Hegenberg

Von der Gründung 1925 bis zum Theaterneubau 1958 Stadtarchiv Neuss; Theatermuseum Düsseldorf/DumontLindemann-Archiv

Hundert Jahre Rheinisches Landestheater. Gedanken zum Theater CC BY-SA 4.0; Stadtarchiv Neuss/Maes

Augenblicke. Spielzeit 1958/59–1974/75 Stadtarchiv Neuss

Überleben durch Veränderung in Richtung Utopie Matthias Jung

Es ist noch kein Abstecher vom Himmel gefallen Simon Hegenburg; Stadtarchiv Neuss; Rheinisches Landestheater Neuss

Durchblick Rheinisches Landestheater Neuss; Theatermuseum Düsseldorf/Dumont-Lindemann-Archiv; Rheinisches Landestheater Neuss

49 Jahre auf Abstecher unterwegs für das Rheinische Landestheater Rheinisches Landestheater Neuss Augenblicke. Spielzeit 1975/76–1999/2000 Andreas Woitschützke; Stadtarchiv Neuss Das Rheinische Landestheater im ausgehenden 20. Jahrhundert Dr. Heribert Brinkmann; Marc Lontzek; Andreas Woitschützke, Stadtarchiv Neuss; Georg Worecki Neusser Impressionen der 1990er Jahre Lutz Hübner; Stadtarchiv Neuss

148

Blickwinkel. Intendant:innen Caroline Stolz; Ulrike Schanko; Reinar Ortmann; Bettina Jahnke; Stadtarchiv Neuss; Stadtarchiv Bonn; Stadtarchiv Oberhausen; Simon Hegenberg Wir sind auch schon 37!

Andreas Woitschützke; Lothar Berns

Alle Bildnachweise wurden nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert und aufgeführt. Sollten dennoch Nachweise fehlen oder Angaben nicht korrekt erfolgt sein, bitten wir um Benachrichtigung, damit eine Berichtigung vorgenommen werden kann.

WIR DANKEN … → … Dr. Jens Metzdorf und Dr. Annekatrin Schaller vom Stadtarchiv Neuss für die engagierte und wunderbare Zusammenarbeit → … den Freund:innen und Förderern des Rheinischen Landestheaters für die Unterstützung → … dem Verlag Theater der Zeit für die Umsetzung und die gute Zusammenarbeit → … unserer Grafikdesignerin Wiebke Jakobs von Pink Gorilla Design für die hochwertige Gestaltung der Publikation und für ihre unendliche Geduld → … unserem Trägervereinsvorsitzenden Cornel Hüsch für wichtige Impulse und seine überzeugte Liebe für die Kunst und das Theater → … allen ehemaligen und aktiven Mitarbeiter:innen für ihre Vorschläge, ihre Geschichten und dass sie mit uns dieses einmalige Jubiläumsfest gefeiert haben → … Christine Tritschler, Simon Hegenberg, Andreas Woitschützke, Georg Worecki und Mark Lontzek für die fotografische Begleitung unserer Arbeit → … allen Autor:innen dieses Buches, dank derer Beiträge das Buch so vielseitig und unterhaltsam geworden ist → … unseren Trägergemeinden, der Stadt Neuss, dem RheinKreis Neuss und dem Land Nordrhein-Westfalen für die vertrauensvolle Zusammenarbeit → … allen Mitarbeiter:innen des Rheinischen Landestheaters – ohne euch hätte es kein Jubiläum zu feiern gegeben! → … unserem Publikum! Auf die nächsten hundert Jahre!

149

IMPRESSUM » Blick zurück nach vorn.

Ein Jahrhundert Rheinisches Landestheater Neuss 1925–2025«

© Theater der Zeit, 2025

Texte und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich im UrheberrechtsGesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Medien.

Verlag Theater der Zeit Winsstraße 72 | 10405 Berlin | Germany www.tdz.de | info@tdz.de Herausgeberin: Das Rheinische Landestheater Neuss e. V. Spielzeit 2025/26 Intendantin: Marie Johannsen Verwaltungsdirektor: David Michalski Redaktion: Momo Giesen, Stefan Herfurth, Dr. Jens Metzdorf und Dr. Annekatrin Schaller Lektorat: Iris Weißenböck Designkonzept und Grafik: Wiebke Jakobs, Pink Gorilla Design Hamburg Druck: Druckhaus Sportflieger Berlin Type: Museo Slab von Jos Buivenga, Lucifer Sans by Daniel Brokstad Redaktionsschluss: 20. November 2025

Printed in Germany ISBN: 978-3-95749-584-6 (Paperback) ISBN: 978-3-95749-585-3 (ePDF)

150

2025 1925