Am liebsten hätten sie veganes Theater. Frank Castorf - Peter Laudenbach. Interviews 1996–2017

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Hauptsache, man darf nicht »Neger« sagen …

Glauben Sie, dass das politisch korrekt gesäuberte Bild der kulturellen Öffentlichkeit, in der bestimmte Ressentiments nicht mehr ausgestellt, sondern nur noch didaktisch und moralisierend entsorgt werden sollen, mit dem Anwachsen des realen Rassismus korrespondiert? Die Bilder werden immer adretter und die Wirklichkeit wird immer hässlicher? Ja, klar – Hauptsache, man darf nicht »Neger« sagen, dann ist die Welt in Berlin-Mitte in Ordnung, auch im Theater. Ich erinnere mich an einen Film von Peter Zadek, der mich sehr erzogen hat, »Der Pott« von Sean O’Casey: Ärzte greifen mit ihren infizierten Fingern in Wunden. Das war ein Kunstwerk, das sich den gängigen Kategorien entzog, damals ein gigantischer Skandal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. So was war besonders, wie die Volksbühne in ihren Anfängen, mit Marthaler, mit Schlingensief. Das hatte eine Lebendigkeit, jetzt hat im Theater überall so eine Seriosität gesiegt, verbunden mit einem ungeheuren Schuss Opportunismus und einem Verlust an Vitalität. Klingt melancholisch. Ich bin nicht melancholisch, aber die Zeiten ändern sich halt. Sie sind seit 21 Jahren Intendant der Volksbühne. Sind Sie gekränkt, weil Klaus Wowereit [2001–2014 Regierender Bürgermeister und Kultursenator Berlins] Ihren Vertrag nicht noch mal um zwei Jahre verlängert hat, oder sind Sie erleichtert, dass Ihre Intendanz in zweieinhalb Jahren endet? In zweieinhalb Jahren? Stimmt, Sie haben recht. Naja, der Klaus und ich kennen uns so lange und wie oft in langen Beziehungen weiß man am anderen dann vielleicht nicht mehr das zu schätzen, was man schätzen sollte. Der Gewöhnungsprozess führt zu einer gewissen Form von Gleichgültigkeit. Vielleicht merkt man erst, was man hatte, wenn etwas zu Ende ist. Vielleicht sind der Klaus und der André … … André Schmitz, der Kulturstaatssekretär, der in den 1990er Jahren Ihr Geschäftsführer an der Volksbühne war … 95


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