Theater Bonn | Spielzeitheft 2013|14

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Buddeberg: Und abgegriffen. Zboralski: Eigentlich geht es ja darum, so etwas wie ein analoges Facebook zu gestalten, oder? Dass man sich von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzt, ohne irgendeinen digitalen oder medialen Filter. Echte gemeinsame Zeit. Und ein Theater verfügt über Raum. Biel: Nicht unbedingt über viel Zeit … [Lacht, zündet sich eine Zigarette an.] Zboralski: Man muss ja erst mal Platz schaffen. Da liegt ja eigentlich das Geheimnis. Und dann ist es nicht der Rentner, sondern eher das Etablieren eines Labors: Die Tür aufmachen jenseits von einem Abspielbetrieb, Räume öffnen, Platz schaffen für einen Diskurs. Das wäre ja dann der Kollektivgedanke, zu sagen, wir schieben so einen Diskurs an, in einem geselli­ gen Kontext über Dasein oder die Frage, wie gestaltet sich Gesellschaft jetzt und was interes­ siert mich, oder was interessiert uns. Woher kommen wir? Die berühmte Bohrung in der Geschichte. Bramkamp: Unbedingt. Dafür haben wir Formate erfunden, wie zum Beispiel den Salon maudit oder FrühStücke, eine Reihe, bei der man sich morgens in den Kammerspielen trifft, oder Late Nights in der Werkstatt … [ Joerg Zboralski zündet sich eine Zigarette an.] Bramkamp: … und dann stellen wir das ganze Ensemble bei einem szenischen Rundgang in den Kammerspielen vor. Basierend auf 1913, dem Roman von Floran Illies, werden Kafka, Hitler, Thomas Mann, Stalin und Freud die Kammerspiele bevölkern. So entsteht ein Kaleidoskop, ein Zeitgefühl, eine Geister­ beschwörung. Biel: … und der Betrachtungspunkt für die Vergangenheitsforschung ist wieder das Heute. Im Endeffekt das, was aus dem eigenen Kopf kommt … Bramkamp: Aber das Wunderbare an Theater ist doch, dass es nicht ausschließlich nur aus einem Kopf kommt, oder? Biel: Ja, absolut, das ist ja so großartig an langfristiger Ensemblearbeit. Wenn man

viel unterwegs ist und überall mal eine Inszenierung macht, dann verbringt man 3/4 der Probenzeit damit, sich überhaupt kennenzulernen. Bramkamp: Ihr habt ja das Ensemble zusam­ mengestellt. Gibt's bestimmte Kriterien an Schauspieler, die ihr dabei angelegt habt? Buddeberg: Wir hatten wenig Zeit mit den Kollegen, die wir ausgesucht haben, und wir wollten viel mit ihnen verbringen. [Lachen] Wir lernen uns ja erst in den nächsten Jahren wirklich kennen. Biel: Jenseits von Schauspielkategorien, jenseits von »der kann sprechen oder nicht« oder »kann 20 Brüche die Minute spielen« interessiert mich ein denkendes Gegenüber. Buddeberg: Ich finde es besonders spannend, weil es ein Neuanfang ist. Bramkamp: Genau, ein Neuanfang. Um Hesse zu zitieren … Buddeberg: Danach musst du fünf Minuten schweigen. Zboralski [gleichzeitig mit Bramkamp]: »Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.« Das ist genauso wie: »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«. Buddeberg: Nee, »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« ist besser. [Durcheinanderreden] Zboralski: Der Spruch ist schlimmer, muss ich zugeben. Buddeberg: Das ist immerhin Proust. Biel: … und steht auf jeder Postkarte … Bramkamp: Ich finde, ihr habt eine arrogante Haltung der Weltliteratur gegenüber. [Durcheinanderreden, Lachen.] Bramkamp: Und worauf freut ihr euch in Bonn? Buddeberg: Auf den Rhein. Zboralski: Auf den halven Hahn. Biel: Ich freu mich am meisten aufs Ensemble. Tatsächlich. Buddeberg: Tatsächlich eigentlich aufs Theater.

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