Theatrium ausgabe01 2016

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WITTERUNG AUFNEHMEN. KREUZUNGEN SCHAFFEN. SPUREN HINTERLASSEN. Eine Wildwechsel Retrospektive von Felix Schölzel (FSJler im Thüringer Theaterverband)

Unter dem o.g. Motto und Anliegen kamen Theaterfans und Theaterschaffende vom 25. bis 30.09.2015 in Weimar zusammen, um gemeinsam das zweite „Wildwechsel-Festival“ zu erleben - ein Festival für das professionelle Kinder- und Jugendtheater im Osten Deutschlands. Für Artenvielfalt (Diversität) sorgte nicht nur die Zusammenkunft freier Theater und der Stadt- und Staatstheater, sondern auch die Vielfalt der vertretenen Bundesländer. Als Gastgeber (außerhalb des Wettbewerbs) präsentierten sich das Deutsche Nationaltheater und das stellwerk - junges theater weimar mit mehreren Stücken. Mit dem „Theater Nordhausen“ wurde der Freistaat Thüringen auch innerhalb des Wettbewerbs vertreten. Aus Berlin kamen das „Grips Theater“ das „Theater an der Parkaue“, die „Deutsche Oper“ und das „Theater Strahl“. Eine nicht ganz so lange Anreise hatten das „Theater Junge Generation Dresden“ und das „Theater der jungen Welt Leipzig“ aus Sachsen. Mit dem „Puppentheater der Stadt Magdeburg“ war auch Sachsen-Anhalt auf dem Wildwechsel vertreten. Für die acht Inszenierungen dieser Bühnen hatte eine Auswahljury, bestehend aus Thomas Irmer, Tim Sandweg und Otto A. Thoss, aus knapp 30 Bewerbern votiert. Beim „Wildwechsel-Festival“ 2015 drehte sich alles um das Thema Grenzen und deren Überwindung. Unter der Überschrift „ÜBER_GRENZEN“, interpretierten die ausgewählten Stücke

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persönliche und gesellschaftliche Grenzerfahrungen. Bei einen Diskurs über Grenzen, insbesondere über Ausgrenzung, gelangt man zwangsläufig auch zur aktuellen Flüchtlingssituation. An Stelle eines moralischen Statements entschieden sich die Veranstalter für die - wenn auch sehr kurzfristige - konkrete Arbeit mit einigen Flüchtlingskindern in Weimar, die der Theaterpädagoge des stellwerks Christian Schröter vorsichtig und pointiert in die Eröffnung des Festivals integrierte. Dennoch behält die Chefdramaturgin des Deutschen Nationaltheaters Beate Seidel natürlich Recht.: „Kunst kann reale Grenzen nicht einreißen, verschieben oder gar außer Kraft setzen.“ Dementsprechend wurden im Rahmen des Festivals eher persönliche Grenzerfahrungen thematisiert und auf seinen Gesprächsforen und an dessen Rande viel über Grenzen diskutiert. Doch vielleicht ist der Umbruch in den Köpfen ein nötiger erster Schritt wahrscheinlich vorerst wichtiger als das Einreißen von physischen Mauern. Theater und besonders Kinder- und Jugendtheater hat das Potential zu diesem Gedankensprung einen Teil beizutragen. In der Auftaktinszenierung ging es um die Grenzen, an die Christopher auf Grund seines Handicaps stößt. Christopher ist ein 15jähriger autistisch veranlagter Junge der die Hauptrolle in dem Stück „SUPERGUTE TAGE oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone“ einnimmt. Im Laufe der Geschichte schafft Christopher nicht nur einmal den Sprung über die

Grenzen seiner eigenartigen Zwänge und bietet uns ganz nebenbei einen nachvollziehbaren Einblick in eine völlig andere Sicht der Dinge. Der Ausflug in den Kosmos von Christopher Boone ist ein präzises, schnelles und witziges Stück Theater, welches völlig zu Recht den Preis der Fachjury und der Kinder- und Jugendjury mit nach Berlin nahm. Bei der Auswahl der Kinder- und Jugendjury musste sich die Inszenierung des „Grips Theater“ den ersten Platz mit dem „Theater Strahl“ teilen. Denn deren Inszenierung „Am Ende ist man immer nur wer anderes - eine Suche zum Thema Sexualität“ überzeugte die Kinder- und Jugendjury in gleicher Weise. Der Inszenierung gelang es auf sehr humorvolle Art und Weise Barrieren im Denken über das Thema Sex aufzudecken, zu thematisieren und einzureißen. Die authentische Mischung aus Recherchematerial, O-Tönen von Jugendlichen, eigenen Erfahrungen und herrlichen Parodien auf gängige Klischees bot einen angenehmen Kontrast zur verkrampften Aufklärung eines Sexualkundeunterrichts. Und auch das Publikum der 20+ hatte hörbare Freude an der Aufführung. Der Sonderpreis für „Wolkenbilder“ des TJG Dresden sorgte dafür, dass die Hauptstädtler die Festivalpreise nicht im Alleingang abräumten. Die Inszenierung bot eine einfache, doch ergreifende Geschichte über Freundschaft und Veränderung, dargestellt mit liebevoll gefertigten Puppen und einem ästhetischen, maßvollen Einsatz technischer Hilfsmittel. Gerade für die jüngsten Zuschauer war diese Darbietung ein Festival-Höhepunkt.


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