SZÖLLŐSI-NAGY-NEMES Collection / 5

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Rationalität, wie sie etwa der Konstruktivismus zum Maßstab erhob, „entdeckten sie den Weg zu einer neuen Kunstform, die dem unerhörten technischen Fortschritt der Epoche entsprach.“2 Wobei die geometrie-basierten Tendenzen in der Kunst Lateinamerikas trotz aller europäischen Einflüsse nicht als epigonaler Reflex, als Nachahmung der Später-Gekommenen, missverstanden werden darf. Zum einen bekräftigen die Beiträge aus Argentinien und Ecuador, Brasilien oder Venezuela die Internationalität der avantgardistischen Bewegung. Zum anderen ergab sich durch die Hinwendung zu linearer Exaktheit eine Rückkopplung zu den Kulturen der präkolumbischen Epoche, denn, so der brasilianische Kunstkritiker, Kurator und Kunsthistoriker Roberto Pontual (1939–1992): „Schon von alters her, lange bevor die Spanier und Portugiesen Amerika ,entdeckten’, war die Geometrie ein grundlegendes Ausdrucksmittel der indianischen Völker gewesen.“3 Als eine von zwei einflussreichen Gruppen konstituierte sich 1946 in Buenos Aires Madí, die ähnliche Prinzipien vertrat wie ihre ein Jahr zuvor gegründete Konkurrentin Asociación Arte Concreto-Invención (AACI), sich allerdings als weniger strikt verstand. Die Gruppe Madí lehnte es kategorisch ab, dass Kunst Gefühle wiedergibt, die gegenständliche und figürliche Wirklichkeit abbildet oder Inhalte transportiert. Dafür zeigte sie sich aufgeschlossen gegenüber Experimenten und vertraute auf die Totalität des Schöpferischen.4 Einer ihrer frühen Mitglieder war Martin Blaszko (1920–2011), in Berlin als Sohn einer jüdischen Familie geboren, die 1933 zunächst nach Polen, dann nach Frankreich und zuletzt, 1939, nach Argentinien emigrierte. In Danzig hatte er bei Jankel Adler studiert, in Paris Marc Chagall kennengelernt, jetzt, in Buenos Aires, machte er die Bekanntschaft von Carmelo Arden Quin und gehörte nun zu den Mitbegründern der AACI, später von Madí, einer Vereinigung, über deren Namen divergierende Erklärungen kursieren; häufig wird er als Akronym für „Movimento, Abstracción, Dimensión, Invención“ erklärt. Bald löste sich der junge Einwanderer wieder von dieser Gruppe, folgte seinem eigenen Programm und wurde einer der herausragenden modernistischen Bildhauer Argentiniens.5 46

In der Sammlung Suciu erinnert eine schwarz lackierte Stahlplastik von Martin Blaszko an die Verbindung des Künstlers zu Madí und stellt damit den historischen Bezug zu einer Gruppe her, die sich mehr und mehr zu einem Sammelbecken Gleichgesinnter entwickelt hat. Deutlich wird das an einem Ort, den Bill und Dorothy Masterson 2002 in Dallas/Texas etabliert haben: das Museum of Contemporary and MADI Art.6 Die Bestände dort veranschaulichen, dass die Intentionen von Madí auch für jüngere Künstler attraktiv geblieben sind und bis in das 21. Jahrhundert hineinwirken. Emilia Suciu hat die Bedeutung dieser Gruppe erkannt und hat ihr Rechnung getragen, indem sie bereits während ihrer aktiven Zeit als Galeristin etlichen Künstlern ein Forum bot, die sich in der Tradition von Madí sehen. Einige wie der 1956 in Neapel geborene Giancarlo Caporicci, der 13 Jahre ältere Ungar István Ézsiás oder der Palermitaner Piergiorgio Zangara, Jahrgang 1943, verweisen innerhalb des umfangreichen Panoramas konstruktiv-konkreter Kunst, das Suciu aufgebaut hat, auf Madí. Wie groß die Ausstrahlung der Ideen war, die hinter diesem Namen stehen, wird am Beispiel Michael Kidner (1917–2009) kenntlich. Der Künstler, der in seinen frühen Jahren beeinflusst war vom Abstrakten Expressionismus eines Jackson Pollock oder Willem de Kooning, wurde im Laufe seiner in viele Richtungen ausgreifenden Auseinandersetzung mit den ästhetischen Diskursen des 20. Jahrhunderts zu einem Pionier der Op Art. In der Sammlung Suciu ist er mehrfach präsent, darunter mit einer Arbeit, deren Titel man als Hommage an die einst in Buenos Aires formulierten Leitlinien lesen kann: „MADI Pentagon“ nannte Kidner dieses Werk. Emilia Suciu hat ihr Interesse an der Kunst Lateinamerikas allerdings nicht auf Madí beschränkt. Es finden sich in ihrem Werkbestand auch Arbeiten von Künstlern, die sich keiner Vereinigung oder programmatisch agierenden Gruppe angeschlossen haben. Zu ihnen zählt der Venezolaner Cesar Andrade, der eine spezifische Methode gefunden hat, um eine Relation zwischen Punkt und Linie herzustellen. Andrade fertigt Wandreliefs. Dabei arbeitet er mit Stahlstiften, die senkrecht auf einer Trägerfläche fixiert werden. Je nach


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