COR - The Local Magazine #3 (DE)

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DREI

sehr kleinen Publikum vorbehalten, da sind oft mehr Menschen auf der Bühne als davor. Daher wollte ich unbedingt einmal dorthin, wo sehr viele Leute sind, und habe dieses Stück zur Eröffnung des Brixner Altstadtfestes aufgeführt. Ich bin der Meinung, dass viele Menschen gar nicht wissen, was ihnen entgeht. Musik ist auch Gewohnheitssache, wenn man mit etwas aufwächst, dann hört man das ganz anders, als wenn es ganz neu ist. Da sind wir leider sehr einseitig geprägt über das Radio.

Manuela Kerer Die Komponistin Manuela Kerer wurde 1980 in Brixen geboren. Sie studierte Violine und Komposition am Tiroler Landeskonservatorium und parallel dazu Rechtswissenschaften und Psychologie an der Universität Innsbruck. Beide Studien schloss sie mit einer Promotion ab. Kerer legt bei ihren Kompositionen zeitgenössischer Musik Wert auf das Ausloten und Verschieben von Grenzen des musikalischen Ausdrucks und den Einsatz teils ungewöhnlicher Instrumente. Ein weiterer Schwerpunkt sind musiktheatralische Werke und Opern. Aktuellstes Opernprojekt ist „TOTEIS“ mit Uraufführung der kammerorchestralen Fassung im September 2020 in Wien und Uraufführung der großen Orchesterversion in Bozen im März 2021. Sie komponiert unter anderem für Ensembles wie Kaleidoskop Berlin und Klangforum Wien. Manuela Kerer erhielt zahlreiche Preise, darunter das österreichische Staatsstipendium für Komposition und den Walther-vonder-Vogelweide-Preis. www.manuela-kerer.bz

T H E L O C A L M AG A Z I N E

Und wie klingt das italienische Strafgesetzbuch?
 Manuela Kerer: Da sind zum Teil ganz kuriose Gesetze enthalten, beispielsweise wenn es um sogenannte obszöne Gesten in der Öffentlichkeit oder um Bigamie geht. Die Bigamie hab ich ganz plakativ vertont: Das startet mit zwei Stimmen und dann kommen immer mehr dazu. Bei den obszönen Gesten müssen die Streicher an einer Stelle Ohrenstöpsel zwischen die Saiten stecken – in der neuen Musik geht es auch um die Präparierung und Erweiterung des Instruments, um einfach noch weiter über den Tellerrand hinauszuschauen. Wie viel an Ihrer Musik ist Südtirol und wie viel ist London oder New York, wo sie auch Zeit verbracht haben?
 Manuela Kerer: Das eine sind die Wurzeln, die bei mir ebenso wie bei Hans in der echten Volksmusik liegen, nicht in der volkstümlichen, das wird ja heute leider oft verwechselt. Und spätestens in der Schule kommt dann die Kunstmusik dazu – von Johann Sebastian Bach über Ludwig van Beethoven bis Alban Berg, um auch einen zeitgenössischen Komponisten zu nennen. All diese Musiker haben ebenfalls Zitate aus der Volksmusik verwendet, weil diese zu ihren Wurzeln gehörte. Aber natürlich prägen einen genauso Reisen, andere Musikkulturen und fremde Instrumente. Wichtig sind ebenso ideelle Einflüsse, in dem Sinne, dass Musik auch immer politisch ist und sein muss und immer auch ein Spiegel der Gesellschaft ist.

Sie haben nicht nur Violine und Komposition studiert, sondern auch Psychologie und Rechtswissenschaften – und in beiden Fächern sogar promoviert. Woher kommen diese breit gefächerten Interessen?
 Manuela Kerer: Ich glaube, dass im Grunde jeder Mensch breit gefächerte Interessen hat, so wie auch ich. Am Anfang dachte ich, ich mache einfach den ersten Studienabschnitt und weiter komme ich eh nicht, weil es zeitlich gar nicht möglich ist, weil ich einfach zu viel anderes mache. Diese Leichtigkeit hat mir sicher geholfen, gerade durch das schwere Jurastudium zu kommen. Zudem finde ich, dass Psychologie und die Rechtswissenschaften sehr gut mit dem Komponieren zusammenpassen und meine Kompositionen sehr bereichern. Frau Kerer, Herr Jocher, ein besonderer Moment Ihrer musikalischen Karriere war …?
 Manuela Kerer: Einer dieser Momente hängt ebenfalls mit Brixen zusammen. Bei der ersten Ausgabe des Wasser-LichtFestivals 2017 habe ich auf der Halbinsel beim Zusammenfluss von Eisack und Rienz für mehrere Konzerte fünf Flügel aufgestellt. Die Konzerte fanden zu Sonnenaufgang um fünf Uhr früh statt. Man hatte uns gewarnt, dass da wohl kaum jemand kommen würde. Aber gleich beim ersten Konzert waren 800 Zuschauer da. Das war auch wegen des besonderen Ortes und der Morgenstimmung in der Natur für mich ein besonderes Ereignis. Hans Jocher: Musik hat mein ganzes Leben stark geprägt, da gab es viele besondere Momente. Ich war in vielen Ländern unterwegs und habe Musiker aus der ganzen Welt kennengelernt. Oder sie sind zu uns gekommen – ganz besonders erinnere ich mich an die Begegnungen mit Musikern aus Japan und daran, wie sie die Zither spielen. Welche Projekte beschäftigen Sie beide aktuell?
 Manuela Kerer: Vor allem die Oper „TOTEIS“, da geht es um die Geschichte der Viktoria Savs, die als Mann verkleidet in den Ersten Weltkrieg gezogen ist, von den Nazis als sogenanntes Heldenmädel verherrlicht wurde und schließlich 1979 vereinsamt in Salzburg gestorben ist. Eine Figur, welche die Nähe zu NS-Größen gesucht hat und sich auch später nie von ihrer damaligen Rolle distanziert hat.
 Hans Jocher: Auch ich bin noch längst nicht im musikalischen Ruhestand. Ich bin noch immer in den verschiedenen Hotels der Umgebung unterwegs, viele Stammgäste fragen gleich, wenn sie ankommen, ob der Hans wieder spielt.


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