Studentische Theaterkonferenz 2013 Onlinepublikation

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die niemand beherrscht, die kein Bewusstsein, kein bewusstes Subjekt sich aneignen oder bemeistern kann.“ 3 Symptomatologie sei „Bedeutung, die kein Theorem auszuschöpfen vermag“ 4. Mit diesem Verständnis eines Symptoms, das, wie Derrida es vorschlägt, die psychoanalytische und klinische Codierung des Begriffs und damit vor allem auch die systematische Heilung ausklammert, lassen sich Ra’ads metaphorische, poetische Geschichten eines sich über die Trennung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hinwegsetzenden, über hellseherische und telepathische Fähigkeiten verfügenden Erzählers als Auseinandersetzung mit den nicht theorisierbaren, nicht zu bewältigenden Anteilen von Katastrophen verstehen, als impliziten Bezug auf das Unsagbare: Die Erlebnisse eines stolzen arabischen Bürgers, über welche die Schlagzeile in den Zeitungen des Jahres 2024 heute schon ohne Zweifel feststeht; die einer Malerin, die Zeugin eines Rückzuges der von ihr bevorzugten Farbe wird, welche Zuflucht vor einer kommenden Katastrophe sucht; und nicht zuletzt die Berichte von Ra’ads eigenen Erfahrungen, die er als Medium zwischen den Künstlern der Zukunft und Vergangenheit sowie angesichts der Schrumpfung seiner Werke macht. Mit der Fokussierung von scheinbar nebensächlichen und persönlich gefärbten

Walid Ra‘ad

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Geschichten wird eine zentralisierte, allgemeingültige Betrachtungsweise unterwandert, wie sie auch durch die Institution Museum repräsentiert wird: Damit erscheint die Zusammenführung von Reflexionen über Geschichte, Kunstgeschichte und Institutionskritik, die Walid Ra’ad unternimmt, als konsequente Befragung westlicher Erzählmuster der „Sattelzeit“ Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts, deren Implementierung in Form der Museums-Großprojekte in den Golfstaaten vorgenommen wird. Auch an der Stelle, an der Ra’ad am stärksten die Erwartung einer allumfassenden Darstellung evoziert – auf der narrativen Ebene eines Faktenberichts in Bezug auf seine Recherchen über die Hintergründe des Artist Pension Trust und auf der bildlichen Ebene des zugehörigen Schaubilds –, wird die Annahme einer allgemeinen Übersicht als naiv demaskiert: Durch eingebaute Zweifelsmomente innerhalb der Narration, durch unerklärte Teile des Tableaus sowie durch die Verschiebungen und Ausschnitte, welche sich einem klaren Verweissystem verweigern. Die referierten „historical facts“, die nichtgenannten Elemente der bildlichen Ebene und Leerstellen werden damit jedoch nicht austauschbar. Sie erfüllen ihren Zweck nicht nur als Andeutung einer Unmöglichkeit oder als genereller Verweis auf Rahmenbedingungen, sondern beziehen


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