Paracontact 2 2018 d

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FOKUS

da hat sie richtig Purzelbäume geschlagen im Wasser. Die Erfahrung der Schwerelosig­ keit war grossartig und sie liebte schon als ganz kleines Kind Bewegung über alles. Sara: Wir haben das Kinderturnen der Roll­ stuhl-Clubs Olten und Bern besucht, da mit sie ihren Bewegungsdrang ausleben konnte. Mit der Zeit reichte ihr das nicht mehr. Sie wollte sich auspowern. Als sie 10-jährig war, sind wir nach Nottwil gefah­ ren. Paul Odermatt hatte einen Rennroll­ stuhl bereitgemacht für sie. Licia hat auf der Bahn ein paar Runden gedreht, war total begeistert und wollte nichts anderes mehr. Sie hatte zwar in Bern Basketball und Hockey gespielt, schwamm gerne, aber der Rennrollstuhl war ihr Ding, da gab es gar keine Fragen mehr. Wie hat sich das entwickelt? Sara: Wir sind alle zwei Wochen nach Nott­ wil gefahren, dann wollte sie jede Woche ge­hen, dann kamen Samstagstrainings da zu. Aber sie ist so aufgeblüht, dass wir das auf uns nahmen. Interessanterweise wurde sie auch schulisch plötzlich viel besser. Ihr ganzes Wesen veränderte sich, sie spürte den Erfolg, war motiviert, ihr Selbstbewusst­ sein wurde sehr viel grösser. Sie wusste, dass sie anders war als die anderen, aber jetzt hatte sie etwas gefunden, wo sie richtig gut war und vorwärtskam. Das hat ihrem Leben plötzlich einen ganz anderen Wert gegeben. Ich glaube, wenn wir ihr den Sport jetzt wegnehmen würden, würde eine Welt zusammenbrechen für sie.

Paolo: Im Sinn von «Was die Grossen kön­ nen, kann ich auch». Der Sport ist ein rie­ siger Teil dessen, was Licia heute ist. Sara: Wichtig ist, dass sie sich jedes Mal aufs Training freut. Wenn mal eins ausfällt, «planget» sie aufs nächste. Sie hat grosse Freude daran, das war für uns auch immer der ausschlaggebende Punkt, sie darin zu unterstützen.

«Was die Grossen können, kann ich auch.» Wie kriegten und kriegen Sie das zeitlich hin? Sara: Ich arbeite nicht. Hätte ich gearbeitet, hätte Licia sich nicht so dem Sport wid­ men können. Für uns ist es ein Glücksfall, dass sie den Sport gefunden hat. Wenn ein Kind etwas wirklich will, schafft es Dinge, die man kaum glauben kann. Das Training

wurde dann sehr intensiv, bis 10 Stunden pro Woche. Neben der Schule reichte die Zeit nicht mehr, dauernd nach Nottwil zu fahren, und bei uns gab es keine Trainings­ möglichkeiten. Also trainierte ich sie zu Hause auf der Rolle mit Stoppuhr und Trainingsplan von Paul Odermatt, ihrem Trainer. Das brauchte sehr viel Engagement, war aber nur eine Übergangslösung. Ich finde es nicht gut, wenn Eltern auch Trai­ ner ihrer Kinder sind. War es eine einfache Entscheidung, Licia an der Sport Akademie in Nottwil einzuschreiben? Sara: Die Frage kam auf, was sie nach der Schule machen würde. Eine Sportlehre wäre sehr schwierig zu finden gewesen. Hätte sie eine normale Lehre gemacht, hätte sie den Sport nur noch hobbymässig betreiben können. Ob sie nach der Lehre noch den Mut und Biss gehabt hätte, wieder einzu­ steigen, weiss man nicht. Darum haben wir uns für die Sport Akademie Nottwil ent­

Paolo: Die Tatsache, dass viele Eltern mit noch jüngeren Kindern von noch weiter weg nach Nottwil kommen, zeigt auf, dass diese Trainings eine gute Sache sind. Sara: Es gibt verschiedene positive Aspek­ ­te. Sie sitzt nicht nur rum, sondern tut etwas und regt gleichzeitig ihren Kreislauf an. Sie ist nicht mehr «einzig», da sind andere, die dasselbe machen wie sie. Sie kann sich austauschen, ist «normal» und muss sich nicht rechtfertigen. Die Trainingslager ha ben dann die Familienlager abgelöst. Da hat sie viel Selbstständigkeit gewonnen. Oft kam sie zurück und sagte: «Das mache ich jetzt allein.» Sie hatte bei anderen gese­ hen, dass diese es auch schaffen. 46

Licias Kinderrollstuhl, der auch schon mal mit einem Spielzeug verwechselt wurde Paracontact I Sommer 2018


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