DIE ERNÄHRUNG VOLUME 40 | 05 2016

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AN DER BLUNZN WIRD DIE WELT GESUNDEN Superfood IM LEBENSMITTELMARKETING IST DER BEGRIFF „SUPERFOOD“ HEUTE ALLGEGENWÄRTIG. REIN WISSENSCHAFTLICH BETRACHTET IST DA ALLERDINGS NICHT VIEL DRAN. MARTIN KUGLER

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© NPLS

or einigen Jahren war der Begriff „Superfood“ weithin unbekannt, heute ist hingegen allerorts zu hören und zu lesen, dass beispielsweise chinesische Goji-Beeren, mexikanische Chia-Samen oder südamerikanische Acai-Beeren großartige positive Wirkungen auf die Gesundheit hätten. Entsprechend „in“ und teuer sind diese Produkte, der Absatz wächst jährlich um zweistellige Prozentwerte. Seriösen Wissenschaftlern kommt der Begriff „Superfood“ freilich nicht über die Lippen: Das Wort ist nämlich ein reiner Marketingbegriff. Wie der US-Autor David Sax für sein Buch „Tastemakers“ (354 S., 21,90 Euro, Residenz-Verlag) recherchiert hat, breitete er sich ausgehend von einem Artikel des Ernährungsjournalisten Aaron Moss ab dem Jahr 1998 aus. Umgehend stürzten sich findige Unternehmer und Marketing­ strategen darauf und bauten um ihn herum eine Vieles versprechende und geheimnisvolle Aura auf (z.B. die Website www.SuperFoodsRx.com). Darin mischen sich zwei Komponenten: auf der einen Seite Erwartungen, die Konsumenten von als „gesund“ geltenden Inhaltsstoffen wie etwa Antioxidantien, Flavonoiden, Omega-6-Fettsäuren oder Polyphenolen haben; und auf der anderen Seite angeblich altes Wissen von Azteken, Chinesen oder Indios. Viele Menschen, die sich von Ernährungsempfehlungen und Diäten geplagt

fühlen, nahmen die Botschaft bereitwillig auf: Hier gibt es Lebensmittel, die man nicht meiden muss! Ja, im Gegenteil: Je mehr man davon verzehrt, umso gesünder ist es! In zwei Dingen sind sich alle Wissenschaftler völlig einig: Erstens sind die gängigen „Superfoods“ nicht schädlich – der Boom richtet also zumindest keinen gesundheitlichen Schaden an. Und zweitens würden altbekannte heimische Lebensmittel wie Leinsamen, Heidelbeeren oder Sanddorn ebenso große Mengen der betreffenden Inhaltsstoffe enthalten wie Chia, Goji und Co. Einen schönen Überblick dazu bietet das kürzlich erschienene Büchlein „Schwarzbuch Superfoods“ (87 S., 9,95 Euro, Leopold-Stocker-Verlag). Weitgehend einig sind sich Forscher aber auch noch in einem dritten Punkt: Die behaupteten Wirkungen gegen Alterung, Krebs, Diabetes usw. sind kaum durch wissenschaftliche Studien belegt. Bis ein hieb- und stichfester Beweis vorliegt, darf in der EU daher auch nicht mit gesundheitsbezogenen Versprechungen („health claims“) geworben werden; ein derartiger Beweis ist bisher bei kaum einem Inhaltsstoff gelungen.

Zukunft“ gestoßen seien: und zwar auf Kristalle in der Milch von pazifischen Küchenschaben (!), die eine perfekte Nährstoffzusammensetzung aufweisen würden. Im Originalartikel, auf den die Meldungen beruhen, kommt das Wort „Superfood“ gar nicht vor. Der Artikel behandelt wissenschaftliche Probleme bei Laboranalysen der Protein- und Kohlenhydrat-Kristalle (IUCrJ, Juli 2016, S. 282). Die langsam durchsickernde Einsicht, dass auch traditionelle heimische Lebensmittel das Potenzial zu einem „Superfood“ haben, führte kürzlich zu einer zweiten bemerkenswerten Blüte: In Großbritannien wurde landauf landab „Black Pudding“ als „neues Superfood“ angepriesen – und zwar wegen des hohen Eisen- und Zinkgehalts sowie der Freiheit von Kohlenhydraten (zumindest in der puristischen Variante, wie es hieß). Auf österreichisch übersetzt w ­ ürde das bedeuten: An der Blunzn wird die Welt ­gesunden. DI Martin Kugler Chefredakteur Universum Magazin, Wien

Das alles ändert allerdings nichts am Glanz des Begriffs „Superfood“, wie zwei Medungen beweisen, die im heurigen Sommer durch das Internet rauschten: Das hieß es zum Beispiel, dass indische Forscher auf das „Superfood der volume 40 | 05. 2016  ERNÄHRUNG | NUTRITION


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