DIE ERNÄHRUNG VOLUME 45 | 01.2021

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Covid und das Zeitalter der Veränderung Warum wir den Wandel der Esskulturen mithilfe von Foodtrends auch nach der Pandemie besser verstehen können

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as Coronavirus verändert die Welt. Kurzfristig erleben wir das spätestens seit März 2020. Aber wird die Krise auch langfristig unser Leben verändern? Wie beeinflusst sie unser Ernährungssystem, unsere Lebensmittelproduktion und unsere Esskultur? Werden wochen-, ja monatelang zwangsweise neu erprobte Verhaltensweisen auch nach der Krise unser Konsumverhalten und unsere Lebensstile prägen? Werden Produzenten, die Lebensmittelindustrie, Handel und Gastronomie aus den im Zuge der Lockdowns gemachten Erfahrungen die richtigen Schlüsse ziehen, um in Zukunft resilienter aufgestellt zu sein, um auch der Klimakrise gewachsen zu sein, die durch das Coronavirus zwar etwas aus dem Fokus geraten, aber deshalb nicht abgesagt ist? Wer sich, wie ich, seit vielen Jahren intensiv mit dem Wandel der Esskultur beschäftigt, kommt um diese Fragen aktuell nicht herum. Die Covid-19- Pandemie hat in einer noch nie da gewesenen globalen Gleichzei-

Hanni Rützler

tigkeit nicht nur die Wirtschaft lahmgelegt, sondern sämtliche Systeme der Gesellschaft in die Knie gezwungen. Jedes Teilsystem verändert sich gerade, manche tiefgreifend und einige nur an der Oberfläche, aber jeder Bereich der Gesellschaft ist wechselwirksam mit den anderen verbunden. Der tiefgreifende Wandel, den die Gesellschaften durch Corona erleben, wirkt auch auf die Wirtschaft zurück. Denn mit der Verschiebung von Werten verändert sich auch die Wertschöpfung. Auf die Zeit der großen Unsicherheit folgt eine Zeit, in der plötzlich möglich wird, was vorher undenkbar war. Die Krise und ihre tiefen Verwerfungen eröffnen neue Möglichkeitsräume (vgl. Harry Gatterer 2020). Deshalb ist ein tiefes Verständnis von Foodtrends eine gute Basis, den aktuellen Wandel besser abzuschätzen und darauf rasch reagieren zu können. Was aber macht Foodtrends zu brauchbaren Instrumenten, den Wandel zu verstehen? Dafür ist es, zunächst wich-

tig zu wissen, dass sich mein Verständnis von Trends von positivistischen, statistisch begründeten Trend-Definitionen unterscheidet, wie sie in der Ökonomie und Marktforschung üblich sind, wo man unter einem Trend eine sich fortdauernd in die gleiche Richtung verändernde Entwicklung versteht, die sich quantitativ messen lässt. Mein Zugang dagegen lässt sich eher als hermeneutisch beschreiben: Mich interessiert nicht nur, ob und dass sich etwas so entwickelt, wie es sich entwickelt, sondern vor allem das Warum. Dieses Warum aber lässt sich nicht mit statistischen Methoden erheben: Es lässt sich nicht messen, sondern nur verstehen. Trendforschung besteht im Wesentlichen darin, „schwache Signale“, die am Beginn jeder Trendentwicklung stehen, erkennen und darin soziokulturelle Verschiebungen lesen zu können und sie in einen übergreifenden Kontext einzuordnen. Dabei gilt es, unterschiedliche Ebenen des Wandels im Blick zu haben. Für die Analyse des Wandels der Esskulturen bilden

volume 45 | 01. 2021  ERNÄHRUNG | Nutrition


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