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Bei Verpackungen braucht es den Blick aufs Ganze
Bei Verpackungen braucht Blick aufs es den Ganze
Wa s ma cht eine Lebensmittelverpa ckung nachha ltig? Wo ma cht es Sinn, überhaupt auf Verpa ckung zu verzichten? Und welche technologischen Innova tionen bringt die Zukunf t? Von der Recyclingf ähigk eit bis zur Ökobila nz: Für eine nachha ltige Lebensmittelverpa ckung müssen viele Fak toren mitgedacht werden. Experte Ma nf red Ta cker von der Fachhochschule FH Camp us Wien im Interview.
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Die Ernährung: Herr Dr. Tacker, Lebensmittelverpackungen sollen einfach anwendbar sein, das Produkt schützen und so geringe Umweltauswirkungen wie möglich verursachen. Welche Aspekte sollten in die Gestaltung einer Verpackung einfließen?
Manfred Tacker: Bei Lebensmittelverpackungen steht der Produktschutz an oberster Stelle. Das ist auch aus ökologischer Sicht wichtig – denn verdirbt ein Lebensmittel vorzeitig, hat das unter Umständen mehr negative Auswirkungen auf die Umwelt als die Verpackung selbst. Eine Verpackung muss so gestaltet sein, dass sie die gesamten Logistikprozesse gut übersteht: vom Abfüller bis hin zu den Endverbrauchern. Von der mechanischen Stabilität über die gegebenenfalls notwendige thermische Isolierung bis hin zur Modularität muss da vieles mitgedacht werden.
Die Verpackung übernimmt darüber hinaus noch weitere Funktionen – etwa die Information der Konsumenten.
Tacker: Das stimmt, die Verpackung ist auch Informationsträger für die gesetzlich vorgeschriebene Kennzeichnung des Inhalts. Und nicht zuletzt muss die Hülle so gestaltet sein, dass sich die Verbraucher angesprochen fühlen. Die Verpackung ist ja eigentlich das wichtigste Marketinginstrument für den Lebensmittelhersteller. In letzter Zeit spielt außerdem das Thema Nachhaltigkeit eine immer wichtigere Rolle: Die Verpackung sollte ihre Funktionen mit möglichst wenig negativen Umweltaspekten erfüllen und kreislauffähig sein.
Welche Herausforderungen sehen Sie in diesem Zusammenhang?
Tacker: Beim Thema Lebensmittelverpackung ist es entscheidend, den Blick aufs Ganze zu haben. Es macht keinen Sinn, nur die Recyclingfähigkeit zu verbessern, ohne dabei auf andere Faktoren zu achten. Manchmal wird an einem Schräubchen gedreht und dabei ein anderer Wert verschlechtert. Letztlich geht es immer darum, eine möglichst optimale Gesamtlösung zu erzielen.
Wie lässt sich die Ökobilanz einer Verpackung berechnen?
Tacker: Die Ökobilanz ist eine standardisierte Vorgangsweise mit festgelegten Parametern zur Berechnung aller Umweltauswirkungen eines Produkts. Sie untersucht den gesamten Lebenszyklus der Verpackung, alle relevanten
Umweltauswirkungen werden gesamtheitlich betrachtet. Das beginnt bei der Gewinnung der Rohstoffe für die Herstellung und endet bei der Frage, ob die Verpackung recycelt werden kann oder thermisch verwertet wird. Die Parameter für die Ökobilanz sind international in ISO-Standards festgelegt und in Österreich in einer eigenen Norm umgesetzt.
Was ist für die Nachhaltigkeitsbewertung einer Verpackung noch wichtig?
Tacker: Neben der Ökobilanz gehören auch die Bewertung der Kreislauffähigkeit sowie indirekten Umweltauswirkungen dazu. Zu den indirekten Umweltauswirkungen zählt beispielsweise der Lebensmittelabfall – auch Food Waste genannt. Ein Bei spiel: Bei einer Senftube lässt es sich nicht vermeiden, dass am Ende ein Teil des Produkts in der Tube zurück bleibt. Bei manchen Verpackungen macht das 10 Prozent und mehr aus. Dieser Rest sollte entsprechend redu ziert werden.
Beim Thema Lebensmittelverpackung brauchen wir den Blick aufs Ganze. Es macht keinen Sinn, nur die Recyclingfähigkeit zu verbessern, ohne dabei auf andere Faktoren zu achten. Letztlich geht es immer darum, eine möglichst optimale Gesamtlösung zu erzielen.
Häufig wird im Zusammenhang mit Lebensmittelverpackungen vom ökologischen Fußabdruck und vom CO2-Footprint ge sprochen. Worin liegt der Unterschied?
Tacker: Beim CO2-Footprint wird darauf geschaut, wie viel klimawirksame Gase – wie Kohlenstoffdioxid, Methan oder Lachgas – während des gesamten Lebenszyklus eines Produkts ausgestoßen werden. Der ökologische Fußabdruck ist im Vergleich dazu umfassender: Er ist eine wesentliche Kennzahl für die gesamten Um weltauswirkungen der Verpackung. Neben dem CO2-Ausstoß sind das beispielsweise auch der Verbrauch von Wasser, fossilen Rohstoffen oder Landfläche. In der EU wurden diese Parameter mit dem Product Environmental Footprint (PEF) für Produk te und Dienstleistungen vereinheitlicht.
Mit der Circular Packaging Design Guideline haben Sie einen Leitfaden für die Gestaltung recyclinggerechter Verpackungen geschaffen. Darin unterscheiden Sie zwischen „Design for Recycling“ und „Design from Recycling“. Was ist unter diesen Begriffen zu verstehen?
Tacker: „Design for Recycling“ bedeutet: Die Verpackung soll so konstruiert sein, dass sie alle Sammel-, Sortier- und Recyclingprozesse möglichst gut erfüllt. Sie muss also eine klare Zuordnung zu einem Materialstrom ermöglichen. Zum Beispiel funktioniert das bei PET-Flaschen mittels eines Scanners sehr gut. Unter „Design from Recycling“ wird verstan den, dass Verpackungen aus recyceltem Material hergestellt werden und dieses so wieder in den Kreislauf gebracht werden kann. Das wird bereits bei recycelten Aluoder Weißblechdosen umgesetzt.
Das EU-Kreislaufwirtschaftspaket definiert konkrete Recyclingziele. Besonders ambitioniert sind die Vorgaben für Kunststoff: Bis 2030 müssen alle Kunst-
stoffverpackungen europaweit recyclingfähig sein. Lässt sich das erreichen?
Tacker: Gerade Lebensmittelhersteller müssen sehr viele Vorgaben erfüllen, die sich nicht immer miteinander decken. Zum einen eben die Kriterien des EU-Kreislauf wirtschaftspakets, dann aber auch „Design for Recycling“-Vorgaben von Handelsun ternehmen. Dazu kommen unterschiedliche Vorschriften in einzelnen Ländern. Ist eine Verpackung in Österreich recyclingfähig, bedeutet das nicht automatisch, dass diese auch in Polen, Ungarn oder Deutschland wiederverwertet werden kann. Lebensmit telhersteller brauchen daher ein sehr großes Wissen, um eine optimale, nachhaltige Ver packungsgestaltung umzusetzen.
Sie engagieren sich im Rahmen der Circular Packaging Initiative von ECR Austria, einer Plattform der Konsumgüterbranche. Welche Aktivitäten sind geplant, um mit Handel und Industrie nachhaltige Kriterien für Verpackungen zu entwickeln?
Tacker: ECR steht für Efficient Consumer Response. Innerhalb dieser Plattform gibt es drei Arbeitsgruppen, die sich mit Circular Design beschäftigen. Das Ziel ist, einen ECR-Standard mit einheitlichen Bewertungsmethoden zu schaffen. Dabei werden die Bewertungskriterien für nach haltige Verpackung ebenso unter die Lupe genommen wie der Informationsfluss in nerhalb der Wertschöpfungskette. Denn erst wenn alle – Lebensmittelhersteller, Handel und Verpackungshersteller – vom Gleichen reden, ist das Wissen auf jeder Stufe optimal vorhanden.
Viele Konsumenten sind angesichts der Berichterstattung über Plastikmüll verunsichert und fordern weniger Verpackung im Supermarkt. Welche Herausforderungen sind damit verbunden?
Tacker: Der Ansatz, auf Verpackung zu verzichten, ist grundsätzlich sinnvoll. Im Modell der Abfall-Hierarchie steht die Vermeidung an erster Stelle. Danach kommen erst die Wiederverwertung, das Recycling und dann die Kompostierung oder Ähnliches. In dieser Reihenfolge soll te bei Abfallproblemen vorgegangen werden. Durch den Verzicht auf Verpackung können aber auch ökonomische und ökologische Schäden angerichtet werden: zum Beispiel, wenn dadurch Lebensmittel bei längeren Transportwegen schneller verderben. Das gilt es abzuwägen.
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Zur Person —
Biographie Univ.-Doz. Mag. Dr. Manfred Tacker leitet seit 2014 den Fachbereich Verpackungs- und Res sourcenmanagement an der Fachhochschule Campus Wien. Zuvor war er unter anderem als Geschäftsführer des Österreichischen Forschungsinstituts für Chemie und Technik (OFI) sowie bei einem Technischen Büro für Technische Chemie tätig. Im Jahr 2019 begründete Tacker das Beratungsunternehmen Cir cular Analytics mit. Manfred Tacker hat Biochemie an der Universität Wien stu diert und am Institut für Theoretische Chemie an der TU Wien dissertiert.
© FH
Campus Wien/Schedl
Können Sie uns Beispiele aus der Praxis nennen?
Tacker: Käse aus der Frischetheke – der übrigens auch nicht ganz ohne Verpackung auskommt – schneidet meist schlechter ab als der vorverpackte. Dadurch, dass er bereits angeschnitten ist, hat er eine kürzere Haltbarkeit. Äpfel hingegen müssen nicht extra verpackt werden, hier liegt das Problem eher beim Branding. Bei Obst und Gemüse arbeiten daher immer mehr Unternehmen mit Laser-Branding und ähnlichem.
„Gerade Lebensmittelhersteller müssen sehr viele Vorgaben erfüllen, die sich nicht immer miteinander decken. Um eine optimale, nachhaltige Verpackungsgestaltung umzusetzen, brauchen sie sehr viel Wissen.“
Von der Lebensmittelverpackung aus Papier bis zum Biokunststoff-Sackerl: Was sind die erfolgversprechendsten Verpackungsinnovationen? Welche Best-Practice-Beispiele gibt es?
Tacker: Ein heimischer Nudelhersteller hat zum Beispiel Kunststoffverpackun gen durch Vollpapierlösungen ersetzt und spart dadurch Kunststoff ein. Die bereits erhältlichen rePET-Flaschen aus 100-Pro zent-Recyclingmaterial sind ein hervorragender Weg, den Kreislauf zu schließen. Ein weiteres österreichisches Unternehmen stellt aus Holzfasern Netze für Obst und Gemüse her. Das alles sind positive Ent wicklungen in Richtung einer nachhaltigeren Verpackung. Wichtig ist, Lösungen zu finden, die leicht und recycelbar sind.
Welche Vorteile bringen Innovationen – wie aktive Verpackungen oder Smart Packaging? Welches Potenzial sehen Sie für Entwicklungen in diesem Bereich?
Tacker: Aktive Verpackungen werden so gestaltet, dass sie mit dem Lebensmittel wechselwirken und damit die Mindesthaltbarkeit verlängern kön nen. Hier ist es nun wichtig zu schauen, dass diese aktiven Verpackungslösun gen auch recycelbar sind. Intelligente Verpackungen erleben gerade einen Boom. Sie können mithelfen, Lebens mittelabfälle zu reduzieren, aber auch die Konsumenten zu informieren Ak tuell wird daran gearbeitet, Verpackungen so zu kennzeichnen, dass sie einfacher sortiert und damit auch recycelt werden können. Es gibt bereits viele Initiativen, um dieses Smart Packaging marktreif zu bekommen.