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Bleibt Geiz geil?

Wa s prägt Trends im Lebensmittelha ndel, wo spielen Gef ühle mit und wa nn liegen Wunsch und Wirklichkeit weit auseina nder? Schaut ma n sich die la ngf ristigen Kaufm otive a n, liegen die Antworten auf der Ha nd.

Mica ela Scha ntl

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Die RollAMA-Marktdaten geben Auskunft darüber, was die Haushaltsführer einkaufen, aber nicht, aus welchen Gründen sie bestimmte Produkte auswählen. Das ist jedoch eine Frage, die für die Marktforschung im Allgemeinen und die AMA-Marktforschung im Besonderen von großer Relevanz ist. Die an der RollAMA teilnehmenden Haushalte werden daher zusätzlich zu den Fragen was, wieviel, wann und wo auch zu den Motiven befragt, die ihrem Einkaufsund Konsumverhalten zugrunde liegen.

Motive prägen Trends prägen Motive

Die Marktforschung bezeichnet Motive als konkrete Beweggründe, die Konsumen ten zu bestimmten Handlungen verleiten. Motive entstehen überwiegend unbewusst, besonders wenn es sich um habituelle Kau fentscheidungen wie bei Lebensmitteln des täglichen Bedarfs handelt. Außerdem wer den Motive stark von allgemeinen Trends und Themen beeinflusst. Diese wirken sich wiederum auf das gesellschaftliche, res pektive das mediale Umfeld aus und somit auch auf die nähere Umgebung, sprich auf Familie und Freundeskreis. Einen weiteren Einfluss auf die Kaufmotive hat das Angebot im Lebensmittelhandel selbst. Der Mensch begehrt, was er sieht. Neue Produkte, Aktionen und Schwerpunkte erzeugen neue Kaufmotive. Meist ist es so, dass das Angebot aus der Nachfrage oder den Wünschen der Verbraucher entsteht. Das zunehmend größere Angebot bewirkt jedoch – neben den Verhaltensanpassun gen – auch eine Änderung der persönlichen Einstellungen zum Einkaufen. Dabei driften von Konsumenten genannte Motive und tatsächliches Verhalten oft auseinander. Besonders deutlich ist diese Kluft bei Frage stellungen, die sozial erwünschte Antworten begünstigen.

Weniger Zeit, weniger einkaufen, we

niger kochen Um das Jahr 2000 begannen Produzenten und Lebensmitteleinzelhandel mit der starken Ausweitung ihrer Sorti mente im Bereich Frische-Convenience und der Vergrößerung des Angebots von halt baren Alternativen (z. B. ESL-Milch). Groß war die Nachfrage nach Produkten, welche den Zeitaufwand beim Einkauf, bei der Zubereitung und beim Konsum verringern, die aber dennoch frisch sein sollten. Während laut einer RollAMA-Motivanalyse aus dem Jahr 1994 noch knapp

vierzig Prozent der Befragten angaben, sich viel Zeit fürs Kochen zu nehmen, war es 2013 schon weniger als ein Drittel. Gleichzeitig wird in der selben Studie von siebzig Prozent der Umfrageteilnehmer das Kochen als liebstes Hobby bezeich net. Kochen macht also Freude, darf aber nicht viel Zeit in Anspruch nehmen.

Wahrnehmung und Wirklichkeit

Besonders widersprüchlich sind Wahrnehmung und Wirklichkeit in puncto Preis und Wert von Lebensmitteln. Ende 2000 erschütterte die BSE-Krise das Konsumentenvertrauen in die heimische Fleischqualität. Knapp danach folgte der Skandal rund um Antibiotika in der Schweinemast. In einer Motivanalyse von 2001 gaben prompt neunzig Prozent der Befragten an, zukünftig mehr für geprüfte Fleischqualität ausgeben zu wollen. Auch Produzenten und Handel versprachen ein Ende der Preisschlacht rund ums Fleisch. So schnell die Skandale vergessen waren, so schnell waren es auch die Versprechen. Der Slogan „Geiz ist geil“ eines großen Elektrohändlers wurde zum Leitspruch der Nation und stieß auch im Lebensmittelhandel auf breite Zustimmung. So gewährten Billa und Spar anlässlich ihrer 50. Geburtstage im Jahr 2003 und 2004 Preisrabatte von bis zu fünfzig Prozent – auch bei Fleisch. Damals wie heute ist der Preis eines der bestimmenden Argumente im Wettkampf um Marktanteile. Die Aktionspolitik hat sich seit damals verändert, transparenter ist sie nicht geworden. Tiefpreise, Mengenrabatte, Rabattsammler, Gutscheinhefte, Treuebons etc. – einkaufen kann ganz schön kompliziert sein. Vielen ist das egal, Hauptsache sie haben als „smarte Shopper“ gespart und können mit dem Gefühl nach Hause gehen, wieder besonders tolle Schnäppchen gemacht zu haben. Die „Geiz ist geil“-Mentalität zieht sich dabei durch alle Altersgruppen und Einkommensschichten. Auch diejenigen, die beim Fleischhauer Bio-Steaks kaufen, fahren anschließend beim Diskonter vorbei, um die Erdäpfel zum Aktionspreis für den Grillabend am Wochenende zu ergattern.

Regionaler Einkauf ist Gefühlssa

che Der Preis ist ein wichtiger, aber ganz sicher nicht der einzige Grund für oder gegen eine Kaufentscheidung. Der „hybride Konsument“ lässt sich von zahlreichen Argumenten ansprechen. Unter den Top-Motiven bei der Wahl von Lebensmitteln des täglichen Bedarfs sind dabei immer Frische und österreichische Herkunft. Dementsprechend lange und erfolgreich hält sich der Trend zur Hervorhebung der Regionalität. Dieser kam vor etwa zehn Jahren auf. Regionalität ist heute eines der erfolgreichsten Konzepte zur Förderung des Absatzes von heimischen Lebensmitteln. Wobei der regionale Einkauf vor allem Gefühlssache ist und im Sinne der Nachhaltigkeit immer mehr zum guten Ton verantwortungsbewusster Verbraucher gehört. Einer Befragung vom August 2019 zufolge schätzen sich rund sechzig Prozent als eher regionale Käufer ein. Dem Rest der Österreicher unterstellen die „selbsternannten Regionalen“ ein weniger vorbildliches Verhalten. Und auf die Frage, ob regionale Lebensmittel eher zu billig oder zu teuer verkauft werden, meint nur jeder Dritte, dass der Preis regionaler Produkte unter ihrem tatsächlichen Wert liegt. Regional einzukaufen ist also wichtig. Billig einzukaufen ist jedoch meistens wichtiger. Das wird sich wohl auch in Zukunft nicht ändern und so manch einer spart lieber für ein neues Smartphone oder eine Reise auf die Malediven. Solange es beim Lebensmitteleinkauf vor allem darum geht, wieviel man nicht ausgibt, wird Geiz geil bleiben.

Mag. Micaela Schantl Produktmanagerin Blumen und Zierpflanzen; Leiterin Marktforschung, Agrarmarkt Austria Marketing GmbH, Wien

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