SportImPuls 06 2007

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RUN & WALK

Diese Diskrepanz zwischen theoretischem Wissen um

Formulieren wie „Ich möchte gesund bleiben“ oder „Ich will

die Bedeutung körperlicher Aktivität und deren praktische

meine Selbstständigkeit erhalten“. Erreicht man das konkret

Umsetzung im Alltag erstaunt. Liegt der Grund dafür in

formulierte Ziel, so werden die dahinter liegenden Absichten

falschen Botschaften, die vermittelt werden? Viele einschlä-

von selbst miterfüllt.

gige Fachgesellschaften und Organisationen operieren immer noch mit dem verschwommenen und wenig griffigen Begriff der „Bewegung“ in ihren Gesundheitsberatungen. Wie zum

REICHEN 30 MINUTEN BEWEGUNG AM TAG ODER MUSS ES MEHR SPORT SEIN?

Beispiel mit der tausendmal gehörten Empfehlung von einer halben Stunde körperlicher Aktivität am Tag, womöglich auf-

Dasselbe gilt für die Frage, ob zur Erhaltung der eigenen

geteilt in alltagstaugliche Portionen von wenigen Minuten in

Gesundheit „Bewegung“ ausreicht oder doch „Sport“ nötig

Form von Gehen, Treppensteigen oder Radfahren. Vermögen

ist. Denn „Bewegung“ ist zwar gut und recht, aber offensicht-

diese Empfehlungen wirklich die alltäglichen Verlockungen

lich nicht konkret genug. Bewegung ist häufig ein Mittel zum

zur Inaktivität zu kompensieren oder enden sie nicht selten

Zweck, um sich zum Beispiel von A nach B zu verschieben. Ein

damit, dass viele auf dieses „Minimalprogramm“ fixiert wer-

effizienter Nutzen lässt sich aber nicht durch solche Formen

den und auch gar nicht mehr wahrnehmen, wenn es nicht

der Bewegung erzielen, sondern in erster Linie durch körper-

ganz erfüllt wird?

liche Aktivität. Erreichen wir unsere Ziele durch regelmäßiges Training von Kraft und Ausdauer, so brauchen wir uns keine

Klare Zielsetzung erleichtert die Motivation. Für die Beant-

Sorgen mehr um mangelnde „Bewegung“ zu machen. Dann

wortung der Frage nach dem Maß körperlicher Aktivität ist es

haben wir konkret etwas Gutes für unsere Gesundheit getan,

besonders wichtig, als Lohn für seine Bemühungen ein klares

und zwar messbar, spürbar und mit Nachhaltigkeit.

Ziel vor Augen zu haben. Es ist motivierend zu wissen, wofür man etwas tut. Was für den Leistungssportler eine Selbst-

Auch wenn gegen Gehen, Treppensteigen und Fahrradfah-

verständlichkeit ist und ihm über manch harte Trainingsein-

ren als Ersatz für Auto und Lift nichts einzuwenden ist, so

heit hinweghilft, sollte auch für den Normalbürger zur Regel

muss ganz klar betont werden, dass noch mehr „Bewegung“

werden. Das Ziel muss natürlich nicht die Teilnahme an den

im Sinne der Steigerung der Fitness und körperlichen Leis-

nächsten Olympischen Spielen oder ein neuer Weltrekord sein,

tungsfähigkeit den weit größeren gesundheitlichen Nutzen

sondern kann ein schlichte Idee sein. Zum Beispiel auch mit

nach sich zieht. Es gilt also, das Visier neu einzustellen. Nicht:

70 oder gar 80 Jahren noch ohne Atemnot vier Stockwerke

„Schon wenig bringt etwas“ sondern: „Mehr bringt viel mehr“!

die Treppen hochzusteigen oder in der Lage zu sein, zehn

Wir wissen: Der Mensch ist der geborene Dauerläufer.

bis 20 Kilometer zu laufen. Es soll ein konkretes, greifbares und überprüfbares Ziel sein und nicht ein unverbindliches

Webtipp www.sportmedx.ch

Dauerläufer mit entscheidenden Vorteilen Der Nachteil der Hominiden ist der hohe Energiebedarf für

zwar einen hohen Flüssigkeitsbedarf nach sich zieht, aber

den Dauerlauf, der im Vergleich zu Vierfüßlern rund 50 Pro-

eine gute Temperaturregulation ermöglicht. Die Familie der

zent höher liegt. Dafür war und ist der Mensch in der Lage,

Neandertaler soll unter anderem deswegen ausgestorben

die meisten Laufgeschwindigkeiten im aeroben Bereich

sein, weil sie der Fähigkeit zum Dauerlauf nicht mächtig war

zu leisten, was zum Bespiel für Pferde aber einem flotten

und sich deshalb im Kampf um einen Platz auf der Karte der

Trabtempo schon nicht mehr zutrifft. Im Laufe der Evolution

Evolution nicht durchsetzen konnte. Im Laufe von Millionen

wurden die entscheidenden Voraussetzungen geschaffen,

von Jahren spezialisierte die Evolution den Mensch zu einem

aus dem Menschen den geborenen Dauerläufer zu machen:

Dauerläufer, eine Entwicklung, deren Resultat wir heute

erstens die Deckung des hohen Energiebedarfs durch die

noch in unserer Erbinformation tragen – aber meist unge-

Optimierung der Fettverbrennung; zweitens durch die mus-

braucht verrotten lassen. Nicht nur unsere Lebensweise,

kuläre Stabilisierung von Rumpf und Becken in einer ruhigen

auch unsere Umwelt hat zum Phänomen Bewegungsman-

Mittellage, die es den Beinen möglich macht, sich nur auf

gel beigetragen: Die Zunahme des Straßenverkehrs, eine

das Vorwärtstrampeln zu konzentrieren; drittens durch die

dichtere städtische Bebauung und eine Abnahme von freien

Schaffung von langen kräftigen Muskeln und Sehnen, die

Naturflächen und Plätzen haben dazu geführt, dass Kinder

ihre Abstoßkraft optimal umsetzen können und einen Teil

kaum mehr die Möglichkeit haben, draußen zu spielen, was

der beim Aufprall des Fußes aufgenommenen Energie bei

deren Aktionsraum dramatisch zu bewegungsarmen Spiel-

Abstoß wieder freigeben können. Und viertens durch die

formen im Hausinneren zwingt.

Entwicklung einer sehr effizienten Kühlung der hohen Wärmeentwicklung beim Dauerlauf durch das Schwitzen, was

Dieser Artikel entstand in Kooperation mit FfL-Rossetto.

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