KURIER

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VERANSTALTUNGEN

Kurier | Hochschulzeitung der Deutschen Sporthochschule Köln | 05-2013

„Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen?!“ 5. Kölner Abend der Sportwissenschaft zum Thema „Sport und Politik“

Seit jeher nutzen Sportlerinnen und Sportler internationale Großer- Vergabe in der Kritik eignisse als Bühne, um auf Menschenrechtsverletzungen oder po- An der Frage, warum ein Land, das die Menschenrechte missachtet, litische Missstände hinzuweisen. Bekannt und berühmt geworden dennoch den Zuschlag für Olympische Spiele bekommt, entbrannist ein Ereignis durch ein Foto, das bei einer Siegerehrung bei den te eine lebhafte Diskussion, auch unter Beteiligung des Publikums. Olympischen Spielen 1968 in Mexiko entstand: Zwei afroamerikani- Univ.-Prof. Dr. Volker Schürmann vom Institut für Pädagogik und sche Sprinter recken ihre behandschuhten Fäuste in die Höhe – und Philosophie kritisierte hier insbesondere das IOC, dem es weniger um demonstrieren damit gegen die Rassendiskriminierung in den USA. den Sport, sondern vorwiegend um ökonomische Interessen gehe. Ein neueres Beispiel: Bei der Leichtathletik-WM 2013 in Moskau fiel Auch in Bezug auf die Menschenrechte nahm er das IOC in die Pflicht eine schwedische Hochspringerin auf, die sich ihre Fingernägel in und forderte: „Es ist eine Grenze erreicht. Die zentrale Grundlage des den Regenbogenfarben lackiert hatte, welche ein Symbol der Les- Sports ist betroffen. Denn der Ausdruck der Menschenrechtstradition ben- und Schwulenbewegung sind. Dieses Zusammenspiel von Sport war seit jeher Kerngedanke des Olympischen Sports und dieser Erfülund Politik war Thema beim 5. Kölner Abend der Sportwissenschaft. lung sollte auch in Zukunft nachgegangen werden.“ Dieselbe RichAktueller Aufhänger: die bevorstehenden Olympischen Winterspiele tung schlug Univ.-Prof. Dr. Jürgen Mittag, Leiter des Instituts für Euim russischen Sotschi vom 7. bis 23. Februar 2014. Daher lautete ropäische Sportentwicklung und Freizeitforschung, ein, indem er eine der Titel der von Wolf-Dieter Poschmann moderierten Veranstal- Reform des IOC forderte und die Legitimationsgrundlage des IOC in tung: „Sotschi 2014 – Sport und Politik. Nichts hören, nichts sehen, Frage stellte: „Kann sich ein undemokratisches Organ innerhalb des nichts sagen?!“. Während die eigentlichen Hauptdarsteller – nämlich die Sportlerinnen und Sportler – seit langer Zeit auf Sotschi 2014 fokussiert sind, beschäftigen sich Medien und Öffentlichkeit momentan verstärkt mit den gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, die in Russland herrschen. Anstoß zur Kritik gibt vor allem das „Gesetz gegen Propaganda von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen gegenüber Minderjährigen“. Regelmäßig entbrennen Der Moderator Wolf-Dieter Poschmann und die Teilnehmer der Diskusionsrunde v.l.n.r. Hochrein,Schürmann,Breuer und Mittag. im Vorfeld sportlicher Großevents hitzige Diskussionen über die Komitees für demokratische Rechte einsetzen?“ „SportgroßereignisPolitik des Gastgeberlandes. Poschmann: „Doch diesmal ist es se werden von den Gastgeberländern traditionell dafür genutzt, sich ein ganzer Strauß von Bedenken, der zwischenzeitlich sogar die selbst zu inszenieren. Somit wird auch die Vergabe solcher Events imIdee eines Boykotts ins Gespräch gebracht hat.“ Axel Hochrein, mer mehr zu einem zentralen Thema der Sportpolitik“, fügte Mittag Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes, betonte die erklärend hinzu. Die sportlichen Großereignisse der nächsten Jahre, deutliche Tendenz zur Homophobie in Russland. Seiner Meinung z.B. die Fußball-WM 2022 in Katar, finden verstärkt in Ländern mit nach verstoße das Ausrichterland damit sowohl gegen die Men- autoritären Staatsformen und hoher Korruptionsanfälligkeit statt, schenrechte als auch gegen das Regelwerk des Internationalen die allerdings gleichzeitig als sogenannte „emerging countries“ über Olympischen Komitees (IOC), das Diskriminierung verbietet: „In ein hohes Wirtschaftswachstum verfügen. Hierzu zählen vor allem Russland darf dagegen vollkommen ungestraft Gewalt gegen Ho- die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika). mosexuelle ausgeübt werden. Da ist es mir unverständlich, warum „Im Gegensatz zu den dominanten ökonomischen Kriterien mit hoein Land, trotz solcher Politik, überhaupt noch Mitglied des Euro- hem Wirtschaftswachstum spielen humanitäre, menschenrechtliche oder demokratische Überlegungen bei den Entscheidungen oftmals parates sein darf.“

kaum eine Rolle“, begründete Mittag die Tatsache, dass Athletinnen und Athleten ihre Unzufriedenheit immer wieder mit Protestaktionen zum Ausdruck bringen. Auf die Frage einer Zuhörerin, warum denn gerade Länder mit undemokratischen Strukturen oder humanitären Schwierigkeiten den Zuschlag für Großevents erhalten, antwortete Mittag: „Die Dynamik der sogenannten BRICS-Staaten ist im wirtschaftlichen Bereich stärker als im politischen, infolgedessen weisen die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen eine ganze Reihe von Defiziten auf. Die Veranstalter und Unternehmen können hier aber weitaus höhere Gewinne erzielen als etwa in den gefestigten Demokratien des Westens, deren Märkte weitgehend gesättigt seien.“ Mündige Athletinnen und Athleten Auch auf die Rolle der Athletinnen und Athleten auf sportpolitischer Bühne kamen die Diskussionsteilnehmer zu sprechen. Während Prof. Schürmann die Nachhaltigkeit der Protestaktionen von SportlerInnen anzweifelte, äußerte sich Christian Breuer, Athletensprecher des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), zuversichtlicher: Proteste während der Olympischen Spiele in Sotschi könnten als Türöffner für politische Veränderungen wirken. „Ob ein mündiger Athlet allerdings Stellung beziehen will oder nicht, ist diesem selbst überlassen. Wir erwarten aber, dass sich die Sportlerinnen und Sportler im Vorfeld ausreichend über die schwierige Thematik informieren und sich auch über mögliche Konsequenzen im Klaren sind“, sagte der Olympia-Teilnehmer im Eisschnelllauf. In erster Linie reisten die Athletinnen und Athleten aber nach Russland, um ihrem Sport nachzugehen. „Der Sport muss oftmals für Themen herhalten, die im Grund andere gesellschaftliche Bereiche, zum Beispiel Wirtschaft, Medien und Politik, regeln müssten“, monierte Breuer. Einig waren sich die Podiumsgäste, dass die Vergabekriterien von Sportgroßevents überdacht werden sollten, vor allem wenn – wie in Sotschi – offensichtliche Verstöße gegen die Olympische Charta vorliegen. Denn in der steht: „Jede Form von Diskriminierung eines Landes oder einer Person aufgrund von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Gründen ist mit der Zugehörigkeit zur Olympischen Bewegung unvereinbar.“ Jn

„Menschen sind unterschiedlich“

Fotos: Deutsche Sporthochschule(2), Fotolia (2)

Interessante Vorträge, vielseitiger Erfahrungsaustausch und innovative Ideen bei der Veranstaltung „Inklusion in Schulen, organisiert vom SpAZ der Deutschen Sporthochschule Köln „Die UN-Behindertenrechtskonvention ist nicht nur für Menschen mit Behinderungen wichtig, sondern eine Konvention gegen Benachteiligungen jeglicher Art.“ Professor Dr. Kersten Reich vom Institut für Vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften der Universität zu Köln machte zu Beginn seines Vortrages deutlich, dass von der gesetzlichen Verankerung der Inklusion in der Bundesrepublik nicht nur Menschen mit Behinderung betroffen sind, sondern beispielsweise auch sozioökonomisch Benachteiligte, ethnokulturelle Minderheiten und – wenn auch weniger offensichtlich – Benachteiligte aufgrund des Geschlechtes oder der sexuellen Orientierung. Weil aber „Inklusion in Schulen“ zurzeit in der Ausbildung der Lehrkräfte noch wenig verankert ist, organisierte das Sportlehrer/innen-AusbildungsZentrum (SpAZ) der Deutschen Sporthochschule eine Veranstaltung mit

Vorträgen und Workshops zu dieser Thematik. „Wir tun uns in Deutschland schwer mit Inklusion. Andere Staaten wie beispielsweise Australien, Kanada oder die skandinavischen Länder sind da schon viel weiter“, konstatierte Reich und übte Kritik am deutschen Schulsystem. „Die Förderschule ist eine Sackgasse, die die Schülerinnen und Schüler unterfordert und unterschätzt. 80 Prozent von ihnen bleiben ohne Abschluss.“ Durch inklusive Schulen und den damit verbundenen Regelschulbesuch erhielten die Benachteiligten bessere Chancen auf dem Berufsmarkt und für ihre eigene persönliche Entwicklung. Inklusiver Unterricht liegt nach derzeitigen Standards vor, wenn mindestens 60 Prozent des Unterrichts in einer Schule für alle gemeinsam erfolgt, der andere Teil kann für Therapie- oder spezielle Fördermaßnahmen in kleineren Gruppen genutzt werden.

Wie aber lässt sich das Recht auf Teilhabe an Schulen realisieren und insbesondere im (Sport-)Unterricht konkret umsetzen? Hier zeigte Reich zwei wichtige theoretische Ansatzpunkte auf. Dadurch dass die Sonderpädagogikstudierenden exkludiert von allen anderen ausgebildet werden, entsteht bereits in der Lehramtsausbildung eine Gliedrigkeit, die man aufgeben müsse. In anderen Ländern sei Sonderpädagogik Teil jeder Lehrerausbildung und die Grundlagenausbildung habe sogar einen größeren Anteil als die fachlichen Komponenten. Im Schulalltag selbst sei es von großer Wichtigkeit, verschiedene Zugänge zum Lernen und auch mehrere Ergebnisse der Lernleistung – nicht nur Klausuren – zu ermöglichen. Individuelle Standortbestimmungen eines jeden Einzelnen, daraus abgeleitete Kompetenzen

und Lernziele sowie handlungsbezogenes Feedback sind Schlüsselkomponenten für gute Lernvoraussetzungen. Reich warnte ausdrücklich: „Alle gleich machen zu wollen, funktioniert nicht. Menschen sind grundsätzlich unterschiedlich – in Eigenschaften, Voraussetzungen und Persönlichkeit.“ Das zu erkennen müsse im Fokus stehen und bedeute, dass die Systeme den Schülerinnen und Schülern individuelle Wahlmöglichkeiten bieten müssen. Konkrete Lösungsansätze erarbeiteten die Teilnehmenden in theoretischen und praktischen Workshops, in denen sie sich mit verschiedenen Aspekten der Thematik aktiv auseinandersetzten. So wurden beispielsweise mit Dr. Thomas Abel vom Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft und der Lehramtsausbilderin Vera Tamm diffe-

rente Bewertungskriterien für die Leistungsbewertung beleuchtet und diese an exemplarischen Fallbeispielen angewendet. In einem anderen Workshop verdeutlichten die Schulleiterin und die Schulpsychologin der Brennpunktschule „Die Brücke“ in Neuss Möglichkeiten einer inklusiven Schulentwicklung und führten die Tagungsteilnehmer in die Arbeit mit dem international anerkannten Index für Inklusion ein. In den Praxiseinheiten, geleitet von Sportlehrkräften mit Erfahrungen in inklusivem Unterricht, wurden an verschiedenen Beispielen Möglichkeiten eines inklusiven Sportunterrichts in verschiedenen Facetten beleuchtet. „Die Heterogenität der Teilnehmenden ermöglichte einen breiten Austausch. Hier konnten sowohl Ängste und Bedenken diskutiert, als auch innovative Ideen eingebracht werden“, resümierte der Organisator der Veranstaltung, Sebastian Ruin. Mh


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