F/I/T - Forschung, Innovation, Technologie 2/2010

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Interessenvermittlung und Sport Korporatismus in der Sportpolitik? oder: Staatlich bezahlte Autonomie des Sports?

Text Florian Hepp & Michael Groll Fotos shutterstock, loewentreu

Schlüsselbegriffe: Korporatismus und Pluralismus Ein Schwerpunkt im noch jungen Feld sportpolitischer Forschung ist das Zusammenspiel der in der Sportpolitik beteiligten Akteure, insbesondere der Charakter der Beteiligung gesellschaftlicher Akteure am sportpolitischen Prozess. Während hierbei jedoch Governance- und Netzwerkansätze zurzeit hoch im Kurs stehen, ist dem Korporatismus bislang nicht viel Aufmerksamkeit zuteil geworden. Dabei sind Korporatismus und Pluralismus Schlüsselbegriffe im Themenfeld der Interessenvermittlung durch Verbände (Kevenhörster 2008) und somit auch und gerade im Sportsystem von wichtiger Bedeutung. Während der Pluralismus die partizipativen und konkurrierenden Aspekte der Vermittlung betont und in erster Linie die Forderungen der Akteure an das politische System unterstreicht, stehen beim Korporatismus die politischen Steuerungsprozesse und die Ordnungsaspekte des Staates im Mittelpunkt.

Korporatismus bezeichnet ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis von Staat und Interessengruppen, das im Idealfall durch Aushandlungsmechanismen geprägt ist. In der sportpolitischen Forschung ist das Zusammenspiel der in der Sportpolitik beteiligten Akteure ein bedeutendes Thema. Der Staat hat ein Interesse am Sport, da dieser allein durch seinen autotelischen Wert zur Befriedigung der Bevölkerung und damit auch zum Gemeinwohl beiträgt. Weiter hat er ein besonderes Interesse an der Förderung des Hochleistungssports, da er dadurch innenpolitische und außenpolitische Interessen miteinander verknüpfen kann. Der Sport wiederum ist auf die Finanzspritzen des Staats hingewiesen. Korporatismus in der Sportpolitik? Der vorliegende Beitrag erörtert diese Frage.

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Korporatismus bezeichnet eine Form der politischen Konzertierung, die Mitte der 70er Jahre entstanden ist und als Lösung für die durch das Pluralismusparadigma nicht mehr hinreichend erklärbaren Gesellschaftsphänomene in Wirtschaft und Politik gelten sollte. Im Pluralismus geht es um „staatliches Handeln als Resultat des politischen Wettbewerbs und Drucks von Interessengruppen auf die Regierung“ (Schubert & Klein 2007). Auch im Korporatismus-Konzept geht es um das Verhältnis von Staat und Interessengruppen, respektive um die Funktion der beiden im politischen Entscheidungsfindungsprozess. Konzertierung meint in diesem Sinne den „Versuch zu einer gemeinsamen und allgemein akzeptierten Abstimmung in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu kommen“ (Braun 1989). Während der Einfluss der Interessengruppen im Pluralismus hauptsächlich durch die „pressure politics“ (Lobbyismus) geprägt ist, also von einer einseitigen Einflussnahme der Interessengruppen auf den Staat, sind diese im Korporatismus „inkorporiert“ in den politischen Entscheidungsfindungsprozess. Im Idealtypus des Korporatismus sind die Interessengruppen aktiv an der Formulierung und Ausführung von Politik betei­ligt. Der Staat nimmt nicht nur Rücksicht auf die Interessen der Ver-

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bände, sondern handelt mit ihnen zusammen ein von beiden Seiten erwünschtes Ergebnis aus. Czada (1994) beschreibt die hinter dem Korporatismus steckende Idee in Abgrenzung an pluralistische Politikentwicklung, als die „Verwirklichung übergeordneter Ziele“, realisiert durch die „Förderung kooperativer Orientierungen und gemeinschaftlichen Handelns“. In einem pluralistischen Modell hat der Staat keinen direkten Einfluss auf die – darin autonomen – Verbände, im korporatistischen Modell hingegen nimmt er sowohl direkt als auch indirekt Einfluss. Direkt, „in Form von Verbandsgründungen, Zwangs- und Quasizwangsmitgliedschaften und anderen Organisationshilfen“ (Voelzkow 2003). Indirekt durch die „logic of influence“, die dafür sorgt, dass Verbände sich in ihren Entscheidungen nicht nur nach den Interessen ihrer Mitglieder richten können, sondern sich auch an die Interessen des Staates anpassen müssen. Zum ersten Mal ist der Korporatismus in Deutschland bei der Konzertierten Aktion (1967-1976) in Erscheinung getreten. Hier waren neben dem Staat Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter beteiligt. Zur damaligen Zeit steckte die deutsche Wirtschaft in der ersten Rezession seit dem “Wirtschaftswunder“, also wurden die Ankurbelung der Wirtschaft und die Investitionsförderung zu den zentralen Prämissen der Wirtschafts- und Einkommenspolitik erklärt (vgl. Abromeit 1993). Nach anfänglich guten Erfolgen hat sich dieses makrokorporatistische Arrangement jedoch relativ schnell wieder zerschlagen. Mesokorporatismus und der DOSB Anfang der neunziger Jahre kam eine neue Variante des Korporatismus in Mode – der Mesokorporatismus. Seitdem spielt nicht mehr das politische oder wirtschaftliche Ausmaß der Verbändebeteiligung die entscheidende Rolle, sondern fast jede institutionelle Einbindung von Verbänden in die Formulierung und Implementierung von Politik wird nun als (meso-) korporatistisch bezeichnet. Die Idee dabei ist die „Selbstregulierung partikularer Gruppeninteressen ohne unmittelbare Staatsintervention“ (Voelzkow 2003). Die Verbände sollen durch die übernommenen Aufgaben in ihrem Sektor als „gemeinwohlorientierte Steuerungsinstanzen fungieren“ (vgl. ebd.).

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