Sieben-Regional Mai 2011

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Geschichte Aktuell 9

Verlorene Orte – Gebrochene Biografien Ausstellung: Fotografien aus Tschernobyl

Fast in Vergessenheit geraten wäre wohl ein welthistorisches Ereignis, hätte es nicht den 26. April 2011 als dessen 25. Jahrestag gegeben – und wäre nicht am 11. März 2011 die furchtbare dreifache Katastrophe in Japan passiert: mit Erdbeben, Tsunami und als deren Folge dem vierfachen Super-Gau im Atomkraftwerk Fukushima. So aber kochte alles wieder hoch, was vor 25 Jahren die Welt nach dem SuperGau in Tschernobyl in Angst und Schrecken versetzte: die radioaktive Verseuchung ganzer Landstriche und das unermessliche Leid der Menschen, die darin gewohnt hatten. Ja – gewohnt hatten, denn mittlerweile ist die gesamte Gegend um Tschernobyl weiträumig entvölkert, die Menschen wurden in weit entfernte Landstriche zwangs-umgesiedelt, vertrieben aus ihrer Heimat. Viele von ihnen starben an den Folgen der radioaktiven Strahlung, viele leiden auch heute noch an deren Folgen, auch Kinder, die erst danach zur Welt kamen. Ganze Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht, geblieben sind Geisterstädte, die in ihrer Verlassenheit an Pompeji erinnern. Der Fotograf Rüdiger Lubricht ist seit 2003 insgesamt 17 Mal sowohl in die Ukraine als auch nach Weißrussland in die verstrahlten Gebiete gereist. In seiner Ausstellung „Verlorene Orte - Gebrochene Biografien“ zeigt er die Wirklichkeit vor Ort: die verstrahlten Lebensräume in der Sperr- und Todeszone; die Rückkehrer, die trotz der Strahlengefahr in die Zone zurückkamen, um dort ihren Lebensabend zu beschließen; die Liquidatoren, die damals stolz darauf waren, für ihr Land und ihre Mitmenschen zu arbeiten und dafür mit bunten Orden geschmückt wurden. Dass sie dafür einen hohen Preis zahlen mussten, erfuhren sie erst später am eigenen Leib... Zirka 800.000 von ihnen riskierten ihr Leben, um die außer Kontrolle geratene Kernschmelze zu besiegen, den Reaktorbrand zu löschen und die Folgen der Katastrophe zu begrenzen. Viele von ihnen starben an den Strahlungsfolgen, die noch lebenden Liquidatoren kämpfen mit schweren gesundheitlichen Folgen. Ihrem Einsatz ist es zu verdanken, dass Westeuropa von starker radioaktiver Verstrahlung verschont blieb. Ihrem Andenken ist die Ausstellung gewidmet. Danach befragt, welches seine eindringlichsten Erlebnisse waren, antwortet Rüdiger Lubricht: „Natürlich sind es die ersten Reisen gewesen, besonders die Situation in der Geisterstadt Pripjat, dem

„Pompeji“ der Neuzeit. In Pompeji ist ein längerer Aufenthalt möglich, in Pripjat wegen der Strahlung jedoch nicht… Aber auch die Freundlichkeit und Gastfreundschaft der Alten. In ganz besonderer Weise war ich betroffen von den Schicksalen der Liquidatoren. Unfassbare Geschichten, die bei uns in Europa gehört werden müssen. Es ist kaum auszuhalten, wenn sie erzählen…“. „Wenn wir Tschernobyl vergessen, erhöhen wir das Risiko weiterer solcher Technologie- und Umweltkatastrophen in der Zukunft… Mehr als sieben Millionen Mitmenschen können sich den Luxus des Vergessens nicht erlauben. Sie leiden noch immer. Das Vermächtnis von Tschernobyl wird uns und unsere Nachkommen begleiten – und zwar für viele kommende Generationen.“ Kofi Annan, Generalsekretär der Vereinten Nationen, New York 2000 Willy-Brandt-Haus Stresemannstr. 28 10963 Berlin (Kreuzberg) Bis 29.05.2011; Di bis So 12 bis 18 Uhr Eintritt frei, Ausweis erforderlich Tel. 030-259 93 787 www.freundeskreis-wbh.de

Der Fotograf Rüdiger (rechts) Lubricht und eines seiner Werke (unten)

Zur Erinnerung: Das nächste Atomkraftwerk liegt in nur zirka 25 km Luftlinie von Alfeld entfernt – Grohnde an der Weser. Bei einem Super-Gau ist die Flächen deckende Evakuierung der Bevölkerung in der Zone zwischen zehn und 25 km rund um Grohnde kaum zu bewerkstelligen… (AZ vom 05.04.2011) Dieser Bericht ist den Mitbürgern in

Alfeld und Umgebung gewidmet, die sich seit Jahren tatkräftig dafür einsetzen, das Leid der Tschernobyl– Kinder zu lindern und ihnen Erholungssaufenthalte in Alfeld und Umgebung ermöglichen. Sowie den Menschen in Japan, die infolge des Super-Gaus in Fukushima ihr Leben und ihre Heimat verloren haben.

Peter Dörrie


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