Leseprobe Technopolis von Katja Schwaller (Hrsg.)

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K atj a S c h wa l l e r ( H r s g . ) Technopolis


Mit Unterstützung von Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung.

Der Seismo Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einer Förderprämie für die Jahre 2019–2020 unterstützt.

Die Beiträge folgender Autor*innen wurden übersetzt von Katja Schwaller: Richard Walker, Rebecca Solnit, Erin McElroy, Adriana Camarena, Ofelia Bello, Chris Herring, Rachel Brahinsky, Lori A. Flores, Kathleen Coll, Sarah Schulman, Maria Noel Fernandez

© Berlin, Hamburg, Zürich, San Francisco 2019 Assoziation A, Gneisenaustraße 2a, 10961 Berlin Seismo Verlag, Zähringerstrasse 26, 8001 Zürich & Katja Schwaller www.assoziation-a.de, berlin@assoziation-a.de, hamburg@assoziation-a.de www.seismoverlag.ch, buch@seismoverlag.ch Gestaltung: Andreas Homann Druck: CPI ISBN 978-3-86241-471-0 [Deutschland, Österreich] ISBN 978-3-03777-206-5 [Schweiz]


Katja Schwaller (Hrsg.)

Urbane Kämpfe

Technopolis in der San Francisco Bay Area Aus dem Englischen übersetzt von Katja Schwaller


Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Zuckerberg General

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Tech-City: Jenseits des Silicon-Valley-Mythos Richard Walker

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Von Urban Renewal bis Gentrification – Eine kleine Verdrängungsgeschichte Rebecca Solnit

53

Das Anti-Eviction Mapping Project (AEMP): Stadtkarten und Storytelling gegen die Verdrängung Ein Gespräch mit Erin McElroy

71

Take This Hammer, Carry it to the Chief of Police Adriana Camarena

86

Zucktown? Im Hinterhof von Silicon Valley Ein Gespräch mit East-Palo-Alto-Aktivistin und Stadtforscherin Ofelia Bello

95

Willkommen in Twitterlandia – Gamifizierung, digitale Arbeit und ein urbaner «Dotcom-Korridor» Katja Schwaller

110

Evicting the Evicted: Zur Kriminalisierung von Obdachlosigkeit 130 Ein Gespräch mit dem Soziologen Chris Herring Ist Oakland das neue Brooklyn? Städtische Umwälzungsprozesse in der East Bay Rachel Brahinsky

148


Zwischen Artwashing, Whitewashing und kultureller Identität: Murales in der Mission Lori A. Flores

158

Sanctuary City in der High-Tech-Metropole? Ein Gespräch mit Kathleen Coll

175

Gentrifizierte Vorstellungswelten Sarah Schulman

186

Is There Room for Direct Action Divas? Gay Shame

198

Silicon Valley Rising Ein Gespräch mit Maria Noel Fernandez (geführt vom Logic Magazine)

199

Zürich Europ Allé Googl é Romy Rüegger

206

Berlin Rage Against The Suchmachine Stefan Niedriglöhner

211

Glossar Zu den Autor*innen Danke

226 228 231


Ăœbersichtskarte der San Francisco Bay Area mit HauptverbindungsstraĂ&#x;en.

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Einleitung: Zuckerberg General Katja Schwaller

«Zuckerberg General Hospital» steht auf einem der ersten Schilder, das Besucher*innen begrüßt, die vom Süden her auf dem Highway 101 in San Francisco einfahren. Willkommen in einer Stadt, in der sogar das öffentliche städtische Spital den Namen eines notorischen Start-upGründers und Multimilliardärs trägt. «Sie befinden sich hier in einer Fantasiewelt reicher weißer Mittezwanziger», könnte die Stimme der Reiseleiterin eines einfahrenden Reisebusses verkünden, «hier regieren Engel und Einhörner!» Gemeint sind «Angel-Investor*innen», die gigantische Mengen Risikokapital in Start-ups stecken, bis diese zu sogenannten unicorns (Einhörner) heranwachsen, nämlich Start-ups mit einer Marktbewertung von über einer Milliarde Dollar. Tatsächlich sind solcherart Wesenheiten mit Uber, Airbnb, Dropbox, Palantir und Pinterest, die sich unter den höchstbewerteten Einhörnern der Welt tummeln, in der San Francisco Bay Area besonders häufig anzutreffen (> Tech City). Anders als im Märchen, ist aber kein Happy End in Sicht: In ihrer kapitalistischen Reinkarnation scheinen diese Fabelwesen wenig kompatibel, um mit den anderen Stadtbewohner*innen, die schon länger an den Ufern der Bay hausen, zu koexistieren. Letztere verlassen die Region aufgrund explodierender Mietpreise in solchen Massen, dass sogar die U-Haul-Trucks, die klassischen Umzugswagen der Amerikaner*innen, zu einer Mangelware geworden sind, die sich entsprechend gewinnträchtig vermieten lässt.1 Bei einem Wirtschaftsboom wie dem «Tech-Boom 2.0» (im Anschluss an den «Dotcom-Boom» der späten 1990er Jahre) geht es eben längst nicht nur um die Produkte der eigentlichen Boom-Industrie – in diesem Fall technologische Innovationen aus dem Silicon Valley –, sondern es lässt sich fast alles zu Gold machen, was der Unterbringung, Einkleidung

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1

Mitchelle Robertson: So many people are leaving the Bay Area, a U-Haul shortage is jacking up prices, San Francisco Chronicle, 15. Februar 2018. www.sfgate.com/expensive-san-francisco/article/U-Haul-San-Francisco-Bay-Area-prices-shortage-12617855.php

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Wie das öffentliche Spital, so die Stadt.

Foto: Katja Schwaller

und Verpflegung der Argonaut*innen dient. Das war auch 1849 nicht anders, als das heutige San Francisco aus dem Treiben rund um den Goldrausch emporschoss, wo einst die Ohlone Indians lebten. Einer der einträglichsten Wirtschaftszweige und direkte Folge dieser Landnahme ist dabei die Boden- und Immobilienspekulation. Bereits 1885 riet William Randoph Hearst, der hier später zum größten Medienmagnaten des 20. Jahrhunderts und Kriegstreiber erster Sorte aufsteigen sollte, seinem Vater George, das in den lokalen Goldminen gemachte Vermögen in Immobilien anzulegen: «Der Grundherr sitzt ruhig auf seinen väterlichen Äckern und übersieht die Situation mit größter Gelassenheit, im Wissen darum, dass jedes menschliche Atom, das zu der sich abmühenden Masse hinzugefügt wird, eine weitere Ziffer auf seinem Bankkonto bedeutet.»2 Heute gehören die Miet- und Immobilienpreise San Franciscos zu den teuersten der Welt. Hier lässt sich alles vermieten, was im Entferntesten an einen Schlafplatz erinnert: ein Zelt im Garten oder auf einer Dachterrasse, eine Art Schlafkiste im WG-Wohnzimmer, ein Viertel eines 2

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Zitiert in Gray Brechin: Imperial San Francisco. Urban Power, Earthly Ruin, Berkeley 2006, S. 68.


Protest gegen den drohenden Rauswurf langjähriger Mieter*innen in der Mission.

Foto: Marko Muir

Zimmers, das mit fremden Menschen geteilt wird, Stockbetten in Massenschlägen für über 1.000 Dollar pro Stück, kleinste Mikro-Wohnungen, Wohnmobile, eine Couch ….3 Wo ein Markt ist, ist auch ein Weg, scheinen sich viele Vermieter*innen zu sagen, die zu immer fieseren Tricks greifen, um langjährige Mieter*innen loszuwerden, um danach das Doppelte, Dreifache oder auch Zehnfache zu verlangen (> AEMP). Sogar die Verdrängung alteingesessener Bewohner*innen kann also zu einer Goldgrube werden, wie sich unter anderem auch an den astronomisch hohen Mietkosten für U-Haul-Trucks ablesen lässt. Und so sind Trauben von Menschen, die die Stadt verlassen, und Umzugswagen als Mangelware durchaus ein treffendes Symbol für die strahlenden Boom-Towns des globalen Techno-Kapitalismus – auch wenn man dabei vielleicht zuerst an eine von allen guten Geistern verlassene Kleinstadt im Mittleren Westen, und damit an Globalisierungsverlierer, denken würde. 3

Vgl. z. B. Lamar Anderson: Backyard Tent Renting for $899/Month Sums Up Everything That’s Wrong with the Bay Area, SFCurbed, 25. Juni 2015, https://sf.curbed.com/2015/6/25/9946408/ backyard-tent-renting-for-899-month-sums-up-everything-thats-wrong; Jack Moore: San Francisco Real Estate is so Absurd that a Guy is Paying $400 to Live in a Box Inside a Living Room, GQ, 30. März 2016. www.gq.com/story/san-francisco-box-apartment?verso=true

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Denn auch der Zustrom von Reichtum kann eine Stadt in die Knie zwingen. Besonders, wenn dieser aus einer Industrie stammt, die ganz auf die Zerschlagung von öffentlichen Einrichtungen und sozialstaatlichen Leistungen setzt (Disruption) und das «unternehmerische Subjekt» zum neuen Maßstab erhebt (The Innovator). Eine Industrie zudem, die astronomisch hohe Löhne und umfassende Serviceleistungen für hochqualifizierte Fachpersonen wie Programmierer*innen und Softwareentwickler*innen bietet, die mehrheitlich aus anderen Landesteilen oder Weltregionen zuziehen und überwiegend jung, männlich und weiß oder asiatisch sind. Eine Industrie, die aber gleichzeitig auf einem globalen Netzwerk von ausgelagerten Zulieferbetrieben, Fabriken und Bergbauminen sowie der miserabel bezahlten Arbeit Hunderttausender in den firmeneigenen Cafeterien, der Gebäudereinigung und anderen reproduktiven Tätigkeiten basiert. Diese Arbeiten werden oft von Migrant*innen oder Arbeitskräften im Globalen Süden ausgeführt, wobei hier Frauen sehr viel zahlreicher vertreten sind und ihre Jugendlichkeit unter den harten Arbeitsbedingungen zumeist nicht lange währt. Kurz, eine Industrie, die mit ihrem «Union Busting» (Plattmachen von Arbeiter*innen-Organisationen) und ihren hochprekarisierten Arbeitsmodellen – Stichwort Uber-Fahrer – maßgeblich zur Verschlechterung der Lebensbedingungen vieler Menschen außerhalb der privilegierten Tech-Headquarters beiträgt (> Silicon Valley Rising, Im Hinterhof, Tech City, Twitterlandia). San Francisco gehört deshalb nicht nur zu den teuersten Städten der Welt, sondern verzeichnet auch größere und schneller wachsende soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten als die meisten Orte in den USA. Konkurrenz gemacht wird ihr dabei fast ausschließlich von anderen Städten der Metropolregion Bay Area, wie etwa Oakland oder San Jose, die heimliche Hauptstadt des Silicon Valley. Denn der Boom der TechIndustrie hat längst eine regionale Dimension angenommen, genauso wie die dadurch mitverursachten städtischen Krisen: Wohnungsnot, Obdachlosigkeit, Kriminalisierung von Armut, Prekarität, Überlastung der öffentlichen Infrastruktur, Abwanderung von essentiellen Dienstleistern wie Lehrpersonen und Feuerwehrleute, die sich das Leben in der Hochpreisinsel Bay Area nicht mehr leisten können, Re-Segregation und Ex-Urbanisierung von Communities of Color, die zunehmend an den Stadtrand und in die Vororte abgedrängt werden und immer längere Pendelwege auf sich nehmen müssen … (> Murales in der Mission, Sanctuary City, Evicting the Evicted)

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Google-Bus-Blockade der Gruppe Heart of the City, 2014.

Foto: Marko Muir

Zum eigentlichen Symbol dieser Entwicklung sind die sogenannten «Google-Busse» geworden. Dabei handelt es sich um firmeneigene Shuttle-Busse, mit denen Tech-Unternehmen wie Facebook, Apple, Yahoo oder eben Google ihre Mitarbeitenden zwischen Stadt und Arbeitsort im rund 70 Kilometer entfernten Silicon Valley hin- und herchauffieren. Diese doppelstöckigen, luxuriösen Busse mit ihren getönten Fensterscheiben nutzen zwar die öffentlichen Bushaltestellen, nehmen aber nur hochbezahlte Programmierer*innen und Softwareentwickler*innen an Bord. Dies führt seit 2013 immer wieder zu Protestaktionen und Blockaden der riesigen Privatliner, die für die Etablierung eines immer perfideren Zweiklassensystems mitverantwortlich gemacht werden: Während die einen bequem im Ledersessel des mit Wifi ausgerüsteten Google-Busses sitzen, wird der öffentliche Verkehr durch die riesigen Flotten an privaten Shuttlebussen aktiv behindert und ausgeblutet. Wer die Wohnung an Besserverdienende verliert, muss in Zukunft zudem häufig lange Pendelwege in Kauf nehmen – aufgrund des schlechten ÖVs oft im eigenen Auto. Google-Bus-Stopps werden von der Immobilienindustrie schließlich auch dafür benutzt, um eine Nachbarschaft symbolisch aufzuwerten und für Tech-Angestellte attraktiv zu machen, 11


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