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circus knie

kennen und zu respektieren.» Chanel dürfe einmal alles machen, wovon sie träume, sagt Maycol. Géraldine muss ­lachen: «Hauptsache, sie bringt keinen Freund nach Hause, gell!» Ihr Erstgeborener, Ivan, hat sich bereits für den Zirkus entschieden. Er stand schon als Dreijähriger in der Manege und präsentierte gemeinsam mit seinem Nonno Fredy, 66, ein Pony. Mittlerweile führt er zusammen mit ­seinem Stiefpapa und dessen Brüdern eine Trampolin-Nummer auf. Und be­ grüsst das Publikum vor der Vorstellung im Namen der Familie Knie. «Ich freue mich jeden Abend auf die Vorstellung!» Und jeden Mittag auf seine Sorella. Seit Chanel auf der Welt ist, kann Ivan gar nicht genug schnell aus der Zirkusschule nach Hause rennen. Die beiden haben ein Ritual: Ivan nimmt sein iPhone aus der Hosentasche, dreht den Lautsprecher voll auf und lässt Shakiras Fussball-Hit «Waka Waka» laufen. Sofort beginnt Chanel im Takt mit den Windeln zu wackeln, bis sie hinplumpst. Und noch einmal! So ist sie beschäftigt, bis Mama ihren Lieblingsbrei angerührt hat: Zwieback mit Birne. «Sie hat zwar schon u

acht Zähne, aber dieser Brei ist noch immer das Grösste für sie.» Zum Dessert gibts ein paar Popcorn, ausnahms­weise! Vorsichtig schält Géral­ dine die braunen Hülsen des Maiskorns von der weissen Watte. Ivan kontrolliert, ob auch wirklich alle weg sind, nicht dass sich seine Schwester noch daran ver­ schluckt! «Er ist immer bestens infor­ miert, was für ein Baby gefährlich sein könnte, und ist sehr besorgt um Chanel», sagt Géraldine. Trotzdem erlebt die Familie, seit das Nesthäkchen mobil ist, täglich einen Schreckensmoment. Mal entdeckt Cha­ nel die Steckdosen, mal versteckt sie sich irgendwo oder räumt eine Schub­lade aus. «Bei Ivan brauchte ich keine einzige Kin­ dersicherung», sagt Géral­dine. «Chanel kommt mir vor wie ein Tintenfisch: Als hätte sie zehn Arme, mit denen sie immer irgendetwas anstellt.» Gerade drückt sie sich eine Hand an den Mund, schmatzt und wirft Luftküsschen in die Runde. Dann schnalzt Chanel wieder mit der Zunge. Sie will reiten! Maycol setzt sie auf das braune Schaukelpferd, das mag sie lieber als ihr rosarotes Rössli. Pink ist bei der Zirkusprinzessin sowieso nicht

«Das erste Wort meiner Tochter war Papa. Darauf bin ich natürlich sehr stolz!» Maycol Errani

Ganz der Papi Chanel verdankt ihrem Vater nicht nur die braunen Locken, sondern auch das südländische Temperament.

so angesagt. Sie besitzt zwar ein, zwei rosa Kleidchen, in ihrem Schrank dominieren jedoch die Farben Weiss und Beige. Und die Marke Chanel. «Das bot sich nach der Geburt natürlich als Geschenk an, wir wurden richtig über­ häuft», sagt Géraldine. Sogar ChanelBrillantohrringe besitzt die Kleine. Géraldine bewahrt sie sorgsam verpackt in einem Samtkästchen auf. Ihr jetzt schon Löchli zu stechen, kommt nicht infrage. Das wäre nur gefährlich, weil sie mit ihrem Ohrschmuck hängen bleiben könnte, findet auch Ivan. Bald beginnt die Vorstellung. Géral­ dine übergibt ihr Töchterchen in die Obhut eines Kindermädchens. «Aber ins Bett bringe ich sie immer selbst.» Cha­ nel hat den Zirkusrhythmus schon in Ma­ mis Bauch kennengelernt. Vor 23 Uhr schläft sie nie. Dafür morgens jeweils bis um elf. Ein Jahr lang hat das fast jede Nacht geklappt. Erst seit der letzten Impfung beim Kinderarzt ist die innere Uhr ins Stocken geraten. Die Kleine hat­ te eine Woche lang Fieber, wachte häu­ fig auf. «Géraldine stand jede Nacht ne­ ben ihrem Bettchen», erzählt Maycol. «Sie ist die geduldigste Mutter, die man

sich vorstellen kann. Ich wünsche mir noch mindestens zwei Kinder von ihr!» Die Familie lebt in einem Wohnwa­ gen mit allem Komfort, Bodenheizung, Veranda und drei Zimmern. Ihr Kinder­ zimmer teilt sich Chanel mit Ivan, wenn er nicht gerade zwei Wohnwagen weiter bei Nonno in den Ferien ist. Dass die gan­ ze Familie so nah beieinander lebt und gemeinsam durchs Land zieht, empfindet Géraldine als Vorteil. «Meine Erziehungs­ maxime: Kindern kann man gar nicht ge­ nug Nähe und Geborgenheit bieten.» Dennoch sei sie eine strenge Mutter. «Ich finde Manieren sehr wichtig. Und dass die Kinder zu schätzen wissen, was sie haben.» Letztes Jahr wünschte sich Ivan ein iPad, er kriegte es zwar, musste aber bis zu seinem Geburtstag warten. Es ist spät geworden. Als die Familie nach der Vorstellung zurück zum Wohn­ wagen kommt, klatscht Chanel wieder in die Hände. Sie weiss, was jetzt kommt: Mami wird mit ihr zu einem Lied von Shakira tanzen. Dann ab ins Bett! Chanel schnalzt noch ein paarmal verschlafen mit der Zunge, streckt die Hand nach ihrem weissen Plüsch-Einhorn aus. Dann fallen ihr die Augen zu. 


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