Schnüss 2017/06

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23.05.2017

12:01 Uhr

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Theater

schwellenden Gitarrenklängen des sphärischen »The Mighty Rio Grande« der texanischen Postrock-Band This Will Destroy You, das als betörende Filmmusik bestens erprobt ist, beginnt die Holzkonstruktion auf der Bühne zu rotieren. Der Kasten entpuppt sich als ausgetüftelte schiefe Ebene mit verstrebtem Untergeschoss. Oben und unten stehen in der geheimnisvollen Welt jenseits des Todes offen und öffnen bald weite Perspektiven auf Gut und Böse in Nangijala. Denn das Paradies namens Kirschtal ist bedroht, und das Böse wütet schon im benachbarten Heckenrosental. Hier entfaltet denn auch das »Star Wars«-Thema der Inszenierung seine ganze Schlagkraft. Die mittelalterliche Szenerie, die durch Olle Hellboms Verfilmung aus dem Jahr 1977 die Rezeption der Brüder Löwenherz nachhaltig prägte, gerät auf der schiefen Ebene merklich ins Rutschen. Wie in George Lucas’ Star Wars bekommen gute und böse Ritter fantastisch-technoide Kostüme übergestülpt. Der finstere Diktator Tengil und seine Schergen rücken laserschwertschwingend wieder näher ins Hier und Jetzt, verlieren aber nichts von ihrer komischen Schrägheit, die so gar nicht zu ihrer blutrünstigen Schreckensherrschaft im Heckenrosental passen will.

Verlockend wunderbar ASTRID LINDGRENS »BRÜDER LÖWENHERZ« IM JUNGEN THEATER

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s war einmal...« – so beginnen nicht nur Märchen. Auch der Kino-Mythos Star Wars lockt in eine ferne Vergangenheit. Georg Lucas verlegte seine Ritterränkespiele einfach in den Weltraum und rüstete den uralten Kampf Gut gegen Böse fantastisch-technoid anmutend aus. In der neuen Produktion des Jungen Theater taucht das bei Jung und Alt beliebte Star Wars plötzlich bei Astrid Lindgrens düsterem Die Brüder Löwenherz auf. Ein gewagtes Experiment, das seltsam anmutet und doch überzeugt. Konstanze Kappensteins Inszenierung von Lindgrens Geschichte um Tod und Trauer führt das »Star Wars«-Motiv ganz verspielt und unscheinbar ein. Von seinem älteren Bruder Jonathan aufgemuntert, wirkt der todkranke Krümel ganz fidel, wenn er mit seinem imaginierten Laserschwert fechtet. Für Augenblicke verfliegt die düstere Aussicht auf das Sterben ausgerechnet im kindlich nachgespielten Kampf um Leben und Tod. Komik und Tragik könnten kaum enger zusammenrücken. Doch Spiel und Leichtigkeit tri-

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umphieren in diesen Augenblicken über die düsteren Schraffuren einer Geschichte, deren fantastischer Trost stets in Verzweiflung zu kippen droht.

Melancholisch-wunderbare Bühnenmagie Das Bühnenbild von Jule Dohrn-van Rossum lässt viel Freiraum für die traumhafte Geschichte um Jonathan Löwen und seinen todkranken Bruder Krümel. Krümels Krankenbett ist als Alkoven in eine Holzkonstruktion eingelassen. Ihr Geheimnis gibt die einfache Kinderzimmerbühne erst preis, wenn nichts so kommt, wie es sollte. Ein Feuer bricht aus. Krümel bleibt alleine zurück, als Jonathan stirbt, um seinen Bruder zu retten. Der Erfinder des verwunschenen Jenseits namens Nangijala ist nun selbst als Erster dort. Und Jonathan folgt ihm bald. Mit dem Wechsel der Handlung nach Nangijala entfaltet auch die Inszenierung ihre melancholisch-wundersame Magie. Zu den langsam an-

Die Inszenierung nutzt die Doppelbödigkeit der Bösewichte zu allerlei Schabernack, der immer im richtigen Moment Pathos und Melancholie des Stoffs gleichermaßen in der Schwebe hält. So bleibt denn auch der Fokus stets auf die großartigen Schauspieler und allen voran natürlich auf die beiden Protagonisten gerichtet. Unterstützt vom wunderbaren Ensemble der Erwachsenen, überzeugen Ricardo Rausch und Aurel Bender als Jonathan und Karl auf ganzer Länge. Sie toben so ausgelassen, wie sie sich in emotionale Tiefen von Furcht und Trauer stürzen. Todesangst sitzt ihnen ebenso wie der Schalk im Nacken. Die Brüder Löwenherz entwickelt sich so zu einer neuerlichen Sternstunde des Jungen Theaters – berührend, tiefschürfend und unterhaltsam zugleich. Astrid Lindgrens wohl unverwüstliches »Die Brüder Löwenherz« bekommt aber in Konstanze Kappensteins Inszenierung nicht einfach einen neuen Anstrich, sondern bewahrt gleichermaßen das Rätsel der Geschichte um Tod und – ja, was eigentlich? Auferstehung? Wiedergeburt? Spuk? Mit seinen glühenden Augen erscheint der geheimisvolle Drache Katla den Jungen wie eine Illusion. Doch der Preis für die Überwindung des Schreckens ist der Tod – und die Geschichte von der nächsten Welt namens Nangijala liegt auf der Hand. Wohin die Brüder Löwenherz aber springen? Wer kann es sagen? Die Bühne dreht sich, das Gitarrenmotiv ertönt. Aber Antworten müssen die Zuschauer selbst aus dieser stoffreichen und starken Inszenierung ableiten. Und das ist verlockend wunderbar. [ C H R I S TO P H P I E R S C H K E ]

Die nächsten Aufführungen: 10. bis 12. sowie 30. Juni 2017, Uhrzeiten siehe Veranstaltungskalender. Infos und Karten: (0228) 46 36 72 www.jt-bonn.de

SCHNÜSS · 06 | 2017

FOTO: JTB/ARTIST PHOTOGRAPY

Auferstehung? Wiedergeburt? Spuk?


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