Der Schneehase Nummer 39

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Jürg Marmet – der erste Schweizer auf dem Everest – ein SASler Oswald Oelz Wernetshausen

Am 23.  Mai 1956 standen Jürg Marmet und Ernst Schmied als erste Schweizer Seil­schaft und als zweite überhaupt auf 8848 m ü.M. und damit auf dem höchsten Punkt der Erde. Der SASler Marmet spielte bei dieser dritten Schweizer Expedition zum Everest eine entscheidende Rolle als Organisator und Sauerstoffspezialist und erreichte den Gipfel, trotz Höhenverbot des voruntersuchenden Arztes. Alle Schweizer Everestexpeditionen wurden durch die Schweizerische Stiftung für Alpine Forschung ermöglicht, welche er später präsidierte und prägte. Oswald Oelz, selber namhafter Höhenbergsteiger und Bezwinger der «Seven Summits», kennt einige Episoden der Everestbesteigung und aus dem Leben des im März 2013 verstorbenen Wissenschaftlers und Alpinpioniers. Am Nachmittag des 22. Mai 1956 stellten der «Zürcher» Jürg Marmet und der Stadtberner Ernst Schmied «unter dem Heulen des Gratwinds» auf 8400 Meter Höhe am Südwestgrat des Mount Everest ein winziges Zelt auf. Die beiden beschwerten das Zelt mit Steinen und befestigten es mit Mauerhaken, um nicht in den Abgrund gerissen zu werden. Völlig erschöpft krochen sie samt Schuhen und Kleidern in ihre Schlafsäcke. Dann schmolzen sie auf einem Campingbrenner Schnee und «stärkten sich mit Speis und Trank». Ihre Sauerstoffgeräte lieferten ihnen einen Liter Sauerstoff pro Minute, was unter diesen Umständen einigen Komfort verschaffte. Nach Mitternacht erwachte allerdings der bergseitig liegende Schmied keuchend und nach Atem ringend, die zunehmende Schneelast auf dem Zelt drohte ihn zu erdrücken. Der ruhig schlafende Marmet wurde geweckt, gab als Fachmann sofort eine kräftige Sauerstoffdusche und schaufelte dann im eisigen Sturm das Zelt mit einem Büchsendeckel frei. Dies dauerte bis gegen Morgen, inzwischen hatte eindringender Schnee Vorräte und Kocheinrichtung rettungslos begraben. Schmied und Marmet beschlossen, ohne Frühstück ihre einmalige Chance für die zweite Besteigung des Mount Everest wahrzunehmen. Später gefragt sagten sie: «Frühstücken werden wir im Leben noch manchmal, die 166

Jürg Marmet – der erste Schweizer auf dem Everest

Chance auf den Everest zu kommen, war uns ein Frühstück wert.» Trotzdem brauchten sie für ihre Aufstiegsvorbereitungen viereinhalb Stunden. Allein die Schuhe zu schnüren und die Steigeisen festzubinden, dauerte fast eine Stunde. Um halb neun Uhr standen sie im peitschenden Sturm vor ihrem zerrissenen Zelt. Da keiner den naheliegenden Gedanken an Abstieg und Flucht aussprach, kletterten sie durch ein 15 Meter langes Seil verbunden nach oben.

Am höchsten Punkt der Welt Grosse Hoffnung, auf den Gipfel zu kommen, hatten sie nicht, aber sie waren bereit, ihr Glück zu versuchen. Gegen elf Uhr erreichten sie den letzten Steilaufschwung vor dem Südgipfel, dem 100 Meter niedrigeren Vorgipfel. Hier wird der Grat sehr steil, der trügerische Bruchharst auf den bröckeligen Kalk­platten erforderte eine sorgfältige Steigeisentechnik. Heutzutage sind hier Fixseile gespannt wie am Matterhorn, die Kolonnen ziehen sich daran von Tritt zu Tritt hoch. Damals war das unbekanntes gefährliches Gelände wie heute noch die MatterhornNordwand. Der Aufstieg bis zum Südgipfel war zuvor erst zweimal, nämlich 1953 von Evans und Bourdillon und dann von Hillary und Tenzing bewältigt


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