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Oregon geizt nicht mit landschaftlichen Reizen – dafür aber mit medizinischen Leistungen.

1995 erstellte eine Kommission eine hierarchische Liste mit den ethischen Prioritäten, welche für die Zuteilung der Gesundheitsressourcen Geltung haben. Damit für den Bereich der Pflegedienste die vorzuziehenden Bevölkerungsgruppen bestimmt werden konnten, berücksichtigte die Kommission hauptsächlich das Kriterium «Schwere der Krankheit», auch wenn ebenso häufig das Alter zum Tragen kam. Um die «Schwere der Krankheit» gewichten zu können, wurde ein Verzeichnis von neun Pflegekategorien erstellt, die sich von der Prävention bis hin zu Notfällen erstrecken. Aus dieser Liste bestimmte die Kommission fünf klinische Prioritäten sowie fünf politische und administrative Prioritäten.1 Grossbritannien: Kluft zwischen Theorie und Praxis

In Grossbritannien gibt es paradoxerweise keinen der Gerichtsbarkeit unterworfenen Anspruch auf Gesundheitsdienstleistungen, weder im konstitutionellen noch im institutionellen Bereich. Dennoch besteht eine vollständige Versorgung, die seit 1948 für die gesamte Bevölkerung «kostenlos» zugänglich ist. Allerdings beinhaltet die vollständige Deckung nicht automatisch für jedermann das Recht, auf sämtliche Pflegeleistungen zugreifen zu können, die er als notwendig erachtet. Sie hängt von den Prioritäten ab, die im Rahmen der eingeräumten Ressourcen festgelegt werden. Die ständigen Ausgabenkürzungen und die Steigerung der Pflegenachfrage bewirken, dass es im Gesundheitssystem von Grossbritannien de facto eine nicht geplante, implizite Rationierung gibt. Die Berufsverbände arbeiteten zahlreiche guidelines aus, von denen eine grosse Anzahl vom National Institute for Clinical Excellence (NICE) empfohlen wird. Das NICE ist ein ständiges Beratungsorgan, das mit der Aufgabe betraut ist, die neuen medizinischen Technologien und die neuen Medikamente vor dem Einkauf und der Verwendung auszuwerten. Auch wenn das NHS theoretisch keine Lücke aufweiset, verhalten sich die Dinge in der Praxis ganz anders. Es wurden zahlreiche Kritiken laut, insbesondere gegen die Anwen-

dung eines Kriteriums des maximalen Alters, das wissenschaftlich nicht begründet ist und einzig darauf hinausläuft, betagten Personen Behandlungen vorzuenthalten. Die Planung ist sich dieser Diskriminierung bewusst und bestrebt, sie aufzuheben. Wahrhafte Lücken stellen die Wartefristen dar. Auch wenn eine notwendige Behandlung theoretisch übernommen wird, schwächen die sehr langen Wartefristen dieses Prinzip ab. Eines der Hauptziele der NHS ist es, diese Fristen zu verkürzen (die Patientencharta hat eine maximale Frist von 18 Monaten festgesetzt).2 Im Allgemeinen laufen die Diskussionen gegenwärtig vermehrt auf eine verbesserte Ressourcenverwaltung hinaus und gehen bedeutend weniger in Richtung explizite Rationierung. In der Schweiz muss jeder harte Schnitt im Leistungskatalog, wie er in diesen Ländern gemacht wurde, nachhaltig vermieden werden. Um dies zu erreichen, muss die Rationalisierung des Gesundheitssystems beschleunigt und die Verantwortlichkeit jedes Einzelnen gesteigert werden. MAUD HILAIRE SCHENKER

François Blais, Département de science politique, Université Laval et Dalie Giroux, Département de science politique, Université d’Ottawa, Les expériences de rationnement dans l’offre des services de santé: difficultés pratiques et théoriques, Note de recherche, Juin 2003. 2 Gabrielle Steffen, Institut de droit de la santé de l’Université de Neuchâtel, Droit aux soins et rationnement, Staempfli Editions SA Berne, 2002. 1

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