SISSY sechsundzwanzig — Magazin für den nicht-heterosexuellen Film

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VORAN, VORAN! VON PAU L SCH U L Z

Christian Weber hat mit seiner Dissertation „Gus van Sant – Looking for a place like home“ die bislang umfangreichste Betrachtung des Werks des erfolgreichsten Regisseurs des New Queer Cinema vorgelegt. Das Buch ist ein 400 Seiten langer, hoch intelligenter, brillant geschriebener Fanbrief an den Meister.

s Es ist nicht einfach, so über Kino zu schreiben, dass man dabei die Bilder nicht anhält. Die sezierende Perspektive von Kritik und Filmwissenschaft setzt voraus, dass man sich dem lebendigsten und fließendsten aller künstlerischen Medien so nähert, als wäre es bewegungslos, als ließe sich die ständige Unruhe, die bewegte Bilder gezwungenermaßen in sich tragen, in den kristallisierten Strukturen des geschriebenen Wortes auch nur ansatzweise festhalten. Wenn man Texte findet, die das schaffen, die das ständige „Voran, voran!“ des Kinos beschreiben und analysieren können, ohne dass einem der Spaß am Transportiertwerden, der für das Publikum der Hauptgrund ist, sich Filme anzusehen, verloren geht, hat man einen großen Autor entdeckt. Christian Weber ist so einer. Die Liebe zu seinem Sujet, dem Werk von Gus van Sant, tropft in glasklaren Perlen von jeder Seite seines Buches. Es ist eine Freude, das zu lesen. Da kennt sich einer so gut aus, dass er das, was er betrachtet, soweit auf Abstand halten kann, dass ein ruhiges, genaues Drehen und Wenden möglich wird, ohne dass ihm der Betrachtungsgegenstand entgleiten würde, weil er nicht still hält. Allerdings eignet sich van Sant, so hat man nach der Lektüre verstanden, dafür auch so gut wie kaum jemand sonst, weil sein „cinema of loneliness“ selbst eins ist, das lieber beobachtet als mitzumischen. Umso erstaunlicher ist es, dass Webers Arbeit weltweit die erste wirklich umfangreiche zu einem der größten gegenwärtigen Autorenfilmer des amerikanischen Kinos ist. Dabei schließt es, so erklärt Weber gleich in der Einleitung, an die großen Formen des USKinos an: Western und Roadmovie. Van Sants erste vier Filme, „Mala Noche“, „Drugstore Cowboy“, „My Own Private Idaho“ und „Even Cowgirls Get the Blues“, denen Weber jeweils zwischen 15 und 30 Seiten widmet und die er unter der Überschrift „We Can’t Go Home Again“ zusammenfasst, sind nicht nur genaue Studien queerer Außenseiter und nehmen so 24     SISSY 26

das Western-Motiv auf, sie sind auch Filme ständiger Bewegung in trotzdem sehr ruhigen, teils fast erstarrten Traumbildern. (Die Weber gesammelt hat und zeigt: „Looking for a place like Home“ ist mit seinem umfangreichen Bildteil mit vielen, seltenen Fotos, auch eine Fundgrube für andere Fans). Mit eben diesen Bildern war van Sant in der ersten Welle des New Queer Cinema so erfolgreich, dass Hollywoods Sirenen nicht lange auf sich warten ließen. Weber beschreibt in „Hollywood Homes“, dem zweiten Teil des Buches, wie van Sant in „To Die For“, „Good Will Hunting“ und „Finding Forrester“ seine jungen Wilden mit Lehrerfiguren konfrontiert, die ihnen helfen zu erkennen, wer sie wirklich sind. Und dass er sich dafür von der formalen Radikalität seiner frühen Werke verabschiedet, aber unter dem Deckmantel konventioneller Hollywood-Ästhetik doch weiter Geschichten über Heimatlose erzählt, die zwar ständig in Bewegung sind, aber nie an ihr Ziel kommen. Es gibt auch in diesen Filmen nur die Hoffnung, dass ein Zuhause, wie in der Anti-„Wizard of Oz“-Sequenz in „My Own private Idaho“, irgendwann vom Himmel fällt, dabei aber dieses Mal nicht kaputt geht. Das einzige, was er dabei übersieht, ist, dass van Sant die meisten seiner Protagonisten und Protagonistinnen schon auf Grund ihres Alters nirgendwo ankommen lassen kann, will er nicht im Morast jugendlicher Hollywood-Romanzen untergehen. Jugend, von der van Sant in seinen ersten zehn Filmen nicht weniger fasziniert ist als Larry Clark oder Gregg Araki, ist keine Zeit der Ankunft. Auch hier gilt „Voran! Voran!“ Weg von den Lehrern, hin zum eigenen Selbst. Van Sants „Psycho“-Remake liest Weber als das Von-innen-nach-außen-Kehren des queeren Subtextes des Originals. Was man gut machen kann und er gut macht. Allerdings ist der Film auf einer weiteren formalen Ebene natürlich auch eine direkte Begegnung mit einem von van Sants eigenen Lehrern und belegt dabei nach Meinung der allermeisten Kritiker eben auch, dass van Sant dem Ausgangsmaterial nicht gewachsen ist, weil er formal versucht, Hitchcocks Idiosynkrasien in genau baugleichen, aber jetzt farbigen Bildern mit seinen eigenen zu kreuzen, was nicht gelingen kann. Dafür widmet sich van Sant in seiner nächsten Schaffensphase, die Weber „No Direction Home“ überschreibt – vielleicht auch durch das misslungene Experiment der „Psycho“-Adaption, formell wieder radikalisiert – in der „Triologie des Todes“ („Gerry“, „Elephant“, „Last Days“) Entfremdungs­erfahrungen und lässt seine Außenseiter zum ersten Mal irgendwo ankommen: an ihrem eigenen Ende. Auf der Straße, auf der van-Sant-Muse Matt Damon am Ende von „Good Will Hunting“ fährt, „to

see about a girl“, geht er im Gegen-Western „Gerry“ beim Kampf gegen das eigene Selbst in der Unendlichkeit der Wüste verloren. „Elephant“ macht aus den gesellschaftlich oft ausgelieferten und sich deswegen aus eben jener Gesellschaft zurückziehenden Figuren in van Sants Filmen zum ersten Mal Täter, die mit Gewalt versuchen, ihre Lage zu verändern. Der „No Direction Home“-Abschnitt ist der beste der sehr guten Abschnitten in Webers Buch, weil es dem Autor hier am vollständigsten gelingt, jeden Aspekt der Filme, aber auch van Sants Arbeitsweise selbst, in zeitgeschichtliche Kontexten zu verankern, ohne dabei ihre zutiefst persönlichen Grundlagen aus den Augen zu verlieren. Dass das Finden eines zumindest emotionalen, lebendigen Zuhauses für seine Außenseiter van Sant nach 20 Jahren im Geschäft dann doch gelingen kann, beschreibt Weber im letzten Abschnitt des Buchs. In „We Can Go Home Again“ illustriert er, dass der Regisseur in „Milk“, „Restless“ und „Promised Land“ nicht nur seine Topoi Heimatlosigkeit und Einsamkeit sicher landet, sondern das in relativ herkömmlichen erzählerischen Strukturen tut: Biopic, Education sentimentale und einem Drama über die Beziehung zwischen der amerikanischen Muttererde und denen, die sie bearbeiten. Wie Weber es hier schafft, Themen wie van Sants Familien­ bild, seinen Umgang mit Queerness und dem teilweisen Sichtbarwerden von sowas wie realpolitischem Bewusstsein zu schildern und gleichzeitig, ohne dabei selbst zu werten, darzustellen, dass van Sant immer dann am Interessantesten ist, wenn er sich selbst von der Leine lässt, was er in diesen drei Filmen nicht tut, ist selbst großes, filmwissenschaftliches Kino. Van Sant ist mit seinem, wie Weber schreibt, „ruhelosen Kino“ natürlich auch noch nicht am Ende. Sein in Cannes gerade von einigen Kritikern heftig ausgebuhter „The Sea of Trees“, ein Selbstmorddrama mit Starbesetzung, kommt wohl im Herbst in die deutschen Kinos. Dann gilt es festzustellen, auf welcher Straße sich der Regisseur gerade Richtung Zukunft bewegt. Bis dahin sei Christian Webers Buch empfohlen. Es zu lesen und sich dabei parallel (noch einmal) in van Sants Gesamtwerk voran zu bewegen, dürfte eines der größeren Vergnügen des Kinosommers 2015 sein. s GUS VAN SANT – LOOKING FOR A PLACE LIKE HOME

von Christian Weber broschiert, 448 Seiten, 528 Fotos

Erschienen bei Bertz und Fischer, 3 www.bertz-fischer.de


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