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er Hl. Christophorus, der zuvor Reprobus genannt wurde und auszog, um seinen Herrn zu finden, übte eine nachhaltige Faszination auf die abendländische Gedankenwelt aus und fand über die Jahrhunderte seinen Niederschlag in zahlreichen Erzählungen ebenso wie in der Bildenden Kunst. Obwohl von der Kirche aufgrund ihrer mythenhaften, heidnischen Züge immer mit Skepsis betrachtet, hat die Christophorus-Legende die Zeiten überdauert. In seinem aktuellen Comic nimmt uns Markus Färber nun mit in die mythische Welt des Reprobus und lässt uns mit seiner Interpretation der Legende an dessen sagenumwobener Suche teilhaben.
Die Legende vom Hl. Christophorus ist, wie eigentlich alle Legenden des katholischen Heiligenkanons, eine „Off-Bibel-Produktion<. Sie tauchte zunächst in einer östlichen Variante auf, in der von einem hundsköpfigen, menschenfressenden Ungeheuer die Rede ist, einem Heiden ohne Sprache, Verstand und Ehre, der schlieSSlich durch Teilhabe am göttlichen Wort (Logos) der Sprache mächtig wird und so als Missionar agieren kann. Diese Version des Heiligen mit dem Kopf eines Hundes hat ihren Ursprung in der Figur des sogenannten Kynokephalen. Dieses Fabelwesen, das bereits in der Literatur und Kunst der Antike vorkommt und dann vor allem im Mittelalter groSSes Interesse weckte, gehörte zu einem monströsen Wundervolk, das man sich als Erdrandbewohner - vor allem in Indien oder Afrika - also an der Peripherie der bekannten Welt vorstellte. Erst später wanderte die ChristophorusLegende gen Westen, wo sie - im Vergleich zur östlichen Überlieferung etwas abgemildert - beispielweise Eingang in die Legenda Aurea des Jacobus de Voragine aus dem .Jahrhundert fand. Auch dort wird von der legendären Gestalt des Reprobus - lat. „der Verworfene<, „der Schlechte< - berichtet, einem Hünen von der Statur eines Riesen, gekennzeichnet von unglaublicher Grobheit und Hässlichkeit. Reprobus will nur dem mächtigsten aller Herrscher der Welt dienen und macht sich auf, diesen zu finden. Der gröSSte Kaiser jedoch, in dessen Gefolge er zunächst tritt, fürchtet
sich vor dem Teufel. So zieht der Riese weiter, um dem Teufel seine Dienste anzubieten, doch dieser schreckt seinerseits vor einem einfachen Wegkreuz zurück und offenbart seinem Diener damit die ganze Macht Christi. Ihm will Reprobus nun dienen und lässt sich von einem Eremiten im Glauben unterweisen. Dieser gibt dem zum Beten und Fasten unfähigen Hünen den Rat, seine groSSe Kraft dazu einzusetzen, Reisende über einen Fluss zu tragen und eines Tages kommt Christus in Gestalt eines Kindes an dessen Ufer. Der Riese hebt den Knaben auf seine Schultern und überquert mit ihm - gestützt auf seinen Wanderstab - das Wasser. Auf der anderen Seite angekommen, stöhnt Reprobus, er habe das Gefühl gehabt, die ganze Welt auf seinen Schultern zu tragen, woraufhin ihm der Passagier seine wahre Identität offenbart. Er spricht, Reprobus habe nicht nur die Welt, sondern sogar ihren Schöpfer getragen und gibt dem nun durch das Wasser des Flusses getauften Riesen den Namen "Christophorus< - der "Christusträger<. Zur Bekräftigung seiner Worte befielt er dem Verwandelten, seinen Stab in den Boden zu stecken und am kommenden Morgen ist daraus ein Baum erwachsen, der blüht und Früchte trägt. Durch die Taufe erhält Reprobus nicht nur ein schöneres, menschliches Antlitz, sondern auch die Gabe der Sprache, wird zu einem leidenschaftlichen Missionar und stirbt am Ende den obligatorischen Märtyrertod. Soweit die heute geläufige Überlieferung der Legende. Christophorus avancierte im Mittelalter zu einem der volkstümlichsten Heiligen, um den sich eine Vielzahl von recht heidnisch anmutenden Sagen rankte - was nicht überrascht, vergegenwärtigt man sich noch einmal seine Wurzeln in der Mythenwelt der Wundervölker am Rande der Welt, die die Vorstellungskraft der Menschen weitaus mehr beflügelte, als viele Geschichten von anderen, vorbildlichen Heiligen. Die wachsende Verehrung des sonderbaren Patrons und seine allzu stark heidnisch gefärbte Geschichte, vor allem aber die überhandnehmende Anbetung der oft monumentalen Christophorus-Darstellungen, die gemalt bzw. aufgestellt durch die geöffneten Kirchenportale und sogar an den AuSSenwänden von Gotteshäusern,
Spitälern und Häusern weithin sichtbar waren - man glaubte, dass deren Anblick allein eine plötzliche Heilung herbeirufen könne - wurde in der Kirche mit Argwohn beäugt. Am Ende deklarierte sie den populären, märchenhaften Anteil der Legende selbst als "unwahr<. Spätestens die Bilderstürme der Reformationszeit - vor allem in den Kirchen des Ostens - führten dazu, dass ein groSSer Teil der bildnerischen Tradition vernichtet wurde. Die variierenden Formen der Darstellung, die in der Verschiedenartigkeit der Legende begründet liegen, bargen eben auch eine unterschiedlich harsche Reaktion der um Kontrolle bemühten Kirche. So sind kaum noch Beispiele der östlichen Christophorus-Rezeption erhalten, in der Abbildungen des Heiligen mit Hundskopf (Kynokephale) üblich waren. Die wenigen verbleibenden Ikonen dieses Typus zogen wohl auch in späteren Zeiten noch den Unmut kirchlicher Kreise auf sich, sodass der skandalöse Kopf des Heiligen des Öfteren einfach übermalt wurde. Dahingegen finden sich durchaus noch bildnerische Zeugnisse nach westlicher Tradition, die den Heiligen ausschlieSSlich als vorbildlichen Christusträger zeigen. Beispielhaft seien an dieser Stelle die Statuen im Dom von Regensburg und Köln oder die überlieferten Gemälde von Giovanni Bellini, Dieric Bouts, Hieronymus Bosch und Peter Paul Rubens genannt. Auch Markus Färber setzt sich in seiner Erzählung mit den unterschiedlichen Überlieferungen der Christophorus-Legende und deren bildnerischer Tradition auseinander. Er übernimmt sie zwar in ihren Grundzügen, denkt sie jedoch weiter und fügt ihr seine eigene Dimension hinzu. Im Comic stellt der Fluss eine Grenze zwischen zwei Welten dar. Die eine Welt ist die der Mythen und Legenden, in der ein beinahe paradiesisch anmutender Zustand der Ursprünglichkeit herrscht und die langsam zu verschwinden droht. Die andere, reale (?) Welt ist die der Erkenntnis, in der sich Reprobus nach seiner Transformation vom Tier zum Menschen wiederfindet. Ähnlich der Geschichte vom Sündenfall, in dem Eva vom Baum der Erkenntnis gegessen hat und damit den Zustand der Unschuld für immer verliert, scheint ein Zurück nicht möglich. Die Iden-
titätskrise, die die neue Fähigkeit zur Reflexion und der gleichzeitige Verlust seiner alten Persönlichkeit bei Reprobus auslöst, ist nur eines der wiederkehrenden Themen, mit dem sich die Erzählung beschäftigt. Vermeintlich kleine Details, die man zum Teil erst bei der zweiten oder dritten Lektüre entdeckt, eröffnen weitere Themenkomplexe. Dazu zählt beispielsweise der Stab des Reprobus. Zunächst wächst, nach seiner Transformation zum Christophorus, ein Baum aus dem vorher kahlen Stock, im Epilog jedoch ist er wieder, wie zu Anfang, ohne jede Spur von Leben. Die Vanitas-Symbolik scheint vielmehr auf das Verschwinden der alten Welt und die Vergänglichkeit im Allgemeinen zu zielen. Der Zahn, den der Protagonist in einer der Zwischensequenzen beim Jagen verliert und den er dann an seinen Stab bindet, ist ebenfalls ein solches Beispiel. Auch nach der Verwandlung fehlt ihm der Zahn, die Lücke zeigt symbolhaft die Verbindung zu seinem alten Ich, verweist aber auch geschickt auf die Verwobenheit der unterschiedlichen Erzählebenen. Im späteren Verlauf, wenn Reprobus mit Christus auf den Schultern den Fluss durchquert, reiSSt der Zahn vom Stab ab und verschwindet in den reiSSenden Fluten. Im Moment der Verwandlung also vom Reprobus zum Christophorus, verliert sich die alte Verbindung. Und doch ist der Zahn, die Verbindung zur anderen Welt, nicht gänzlich verloren. Auf dem Vorsatzpapier des Comics entdeckt ihn der aufmerksame Beobachter, vom Wasser ans Ufer gespült, wieder. Solche Verweise durchziehen das gesamte Buch und machen es zu einem echten Leseerlebnis. Markus Färber hat eine Version des ChristophorusMythos entworfen, die mit ihren Anspielungen und Verweisen neue, interessante Fragen aufwirft. Dabei macht er es seinen Lesern nicht leicht. Er gibt keine eindeutige Richtung vor, was wie zu interpretieren, was zu denken und zu glauben ist. So bleiben am Ende mehr Fragen als Antworten - und gerade deshalb passt sein Reprobus vielleicht so gut in die heutige Zeit! Cordula Patzig Kunstwissenschaftlerin Und Italianistin M.a.