RollingPin_245

Page 37

WHAT THE

DUCK Foto: Bertie Ditch / Alamy Stock Photo

D

ie Fleischindustrie hat bekanntlich schon bessere Zeiten erlebt. Zwar macht die Schlacht- und Fleischverarbeitungsbranche weiterhin den größten Umsatzanteil der deutschen Lebensmittelindustrie aus, doch mehrere Studien belegen, dass der Fleischkonsum in den vergangenen Jahren tendenziell zurückgeht. Laut der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) beispielsweise verzehrten die Deutschen im Jahr 2018 um 2,3 Prozent weniger Fleisch als im Jahr 2008. Das waren zwar immer noch saftige 60,15 Kilogramm pro Jahr und damit doppelt so viel, wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung vorschreibt. Doch wie es scheint, ist – zumindest aus marktwirtschaftlicher Perspektive – ein gewisser Sättigungsgrad erreicht. Kein Wunder: Greta Thunberg hat selbst dem exzentrischsten Bonvivant die Fleischscham eingeimpft, und die ewig gleichen Horrorbilder gequälter Tiere lassen selbst die hartgesottensten Fleischtiger zu Flexitariern werden. Umso erstaunlicher ist es, dass es sich mit dem Geflügel anders, ja geradezu konträr verhält. Hühner, Puten, Enten oder Tauben – alle verleihen sie der Fleischindustrie ganz unverhofft Flügel. Zahlen belegen das: Allein im Jahr 2018

www.rollingpin.com » Ausgabe 245

stieg der Verzehr von Geflügelfleisch auf satte 13,19 Kilogramm pro Kopf, wie die BLE berichtet. Zum Vergleich: 1998 waren es gerade einmal 9,13 Kilogramm. „Wir gehen davon aus“, sagte vor Kurzem der Präsident der Deutschen Geflügelwirtschaft, „dass dieser Trend eines steigenden Geflügelkonsums anhalten wird.“ Die mannigfaltigen Vorteile von Hühnchen und Co liegen auf der Hand: fettarm, in der Produktion um ein Vielfaches klimafreundlicher als beispielsweise Rind- oder Lammfleisch und vor allem für den AußerHaus-Verzehr am unverfänglichsten: Denn anders als bei Schweine- oder Rindfleisch spielen beim Geflügel religiöse Gründe keine entscheidende Rolle. All die genannten Vorteile erwecken den Eindruck, als profitiere Geflügelfleisch wie nur wenige Lebensmittel vom unaufhaltsam um sich greifenden Moralisierungwahn des Konsumierens. Nur: Was genau bedeutet das für die so vielversprechende Geflügelindustrie? Hat nun endlich die Stunde der kleinen Bio-Produzenten geschlagen? Oder bedeutet dieser zukunftsträchtige Hype lediglich, dass die Großkonzerne ihre Hochzüchtungsmaßnahmen und Fließbandschlachtungen erst recht hochfahren werden? Und

710 Millionen Geflügeltiere wurden 2018 in Deutschland geschlachtet 65 Prozent des Geflügelfleischs landen im Großverbraucherund Gastrobereich 13,19 Kilogramm Geflügel isst jeder Deutsche durchschnittlich im Jahr. 1998 waren es noch 9,13 Kilogramm 50 Millionen Küken werden in Deutschland jährlich an ihrem ersten Lebenstag geschreddert

35 Tage brauchen hochgezüchtete Masthybrid­ hühner, bis sie mit 2,1 Kilogramm schlachtreif sind 95.000 Puten werden pro Tag in Deutschland geschlachtet

037


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.