REPORTAGEN NR. 9

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BRIEFE AUS ALEPPO

20. Dezember 2012 Hi. Rossi und ich sind um 9 Uhr mit Mahmoud verabredet, der uns durch die Stadt nach Saef Al Daura fahren will. Es geht zu Abu Yassin, dem Deutsch-Syrer, der mich an eine seiner Einheiten vermitteln will, die vorne an der Front kämpfen. Es ist ein Tag wie jeder andere: kalt, diesig, und es nieselt vor sich hin. Auf der Fahrt passieren wir von der FSA kontrollierte Strassensperren. Kämpfer der FSA erkennt man immer an den Waffen, gleiche Uniformen gibt es natürlich nicht. Von Peter weiss ich, dass sich viele Einheiten über Sponsoren finanzieren. Dafür werden dann möglichst viele Berichte gesammelt und Youtube-Videos hochgeladen, die den Namen der Gruppe bewerben und erfolgreiche Kämpfe zeigen. Islamistische Kampfeinheiten unter der FSA, wie zum Beispiel die Al Nusra, haben viele gute Sponsoren von radikalen Gruppen aus dem Ausland und sind bemüht, eine soziale Rolle innerhalb der verarmten Bevölkerung zu übernehmen. Wir treffen Abu Yassin, er sieht müde aus. Er fragt uns, ob wir wirklich zur Front wollen, und ist nicht begeistert von unserer Antwort. Wir trinken Tee, während er einen Wagen herfunkt. In Syrien sind 2012 mindestens 17 Journalisten und 44 Blogger gestorben. Die Zahlen stammen von der Organisation «Reporter ohne Grenzen», die in ihrer Jahresbilanz Folgendes schreibt: «Syrien, Somalia, Pakistan, Mexiko und Brasilien waren in diesem Jahr die gefährlichsten Länder für Journalisten. Die Gewalt, mit der das Regime von Bashar al-Asad gegen Aufständische vorgeht, traf Journalisten und Blogger als Zeugen der Bluttaten schwer. Doch auch bewaffnete Oppositionelle, die ebenfalls kaum Kritik dulden, griffen Journalisten an und diffamierten sie als Spione. Die Polarisierung der Medien, Propaganda und Manipulation, die extreme Gewalt und technische Hürden machen unabhängigen Journalismus in Syrien fast unmöglich.» Es ist jetzt etwa 12 Uhr, und vor der kleinen, zum Wohnzimmer umfunktionierten Garage, in der wir sitzen, hält ein an allen Ecken zusammengeflickter Wagen. Der Fahrer ist etwa Mitte 20, wir steigen ein und fahren los. Je länger wir fahren, desto chaotischer wird es draussen; mehr Müll, mehr Schutt, mehr Waffen. Wir sind jetzt an einem letzten Checkpoint kurz vor der Frontlinie. Alle müssen halten und ihr Anliegen erklären. Manche haben Zettel dabei, die Stempel tragen. Auch eine Familie kommt aus der zerbombten Stadt, die ihr letztes Hab und Gut auf ihrem Bulli verladen hat. Auf dem Dach ein paar bunte Matratzen, die im Regen schon ganz nass sind. Ein kleines Mädchen hält einen dreckigen Hüp1all. 25

Mindestens 17 Journalisten und 44 Blogger sind umgekommen.


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