REGJO 02/2012

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44 Arbeit und Leben

RegJo

»Arbeit ist ja Teil des Lebens« Jürgen Wegge ist Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der TU Dresden. In REGJO spricht er über sinnvolle Beschäftigung, manchen Vorteil mittelständischer Unternehmen und die richtige Dosis Arbeit.

Text: Tobias Prüwer  Fotografie: Pressestelle TU Dresden

Wie lässt sich gute Arbeit bemessen? Sie ist definiert in den Normen DIN EN ISO 10075, DIN EN ISO 6385 2004 und dem Arbeitsschutzgesetz. Dort sind eine Reihe relevanter Kriterien aufgeführt. Es geht insbesondere um ganzheitliche Arbeitstätigkeiten, die sinnvoll sind und Lebensfreude geben: Etwa die Rückmeldung durch die Arbeitstätigkeit oder Handlungsspielräume, sowohl in der zeitlichen Dimension als auch mit Blick auf die Arbeitsinhalte. Ist es besser, keine Arbeit zu haben als eine, die nicht den Normen entspricht? Insbesondere die Arbeitslosigkeit ist intensiv untersucht worden. Personen, die ihre Arbeit verlieren, sind in der Regel kränker als Arbeitende. Das liegt daran, dass Arbeit eine Vielzahl von Funktionen hat, nicht nur der Grundsicherung materieller Bedürfnisse dient. Sie gibt auch eine Zeitstrukturierung und Lebenssinn. Ein Beispiel, das ich in Vorlesungen gern gebe: 35 Prozent der Ehen werden bei der Arbeit gestiftet. Man darf also die sozialen Kontakte im beruflichen Umfeld nicht unterschätzen. Eine Ausnahme: Bad Jobs. Wenn Sie in einem Job mit wenig Handlungsspielraum und Arbeitsplatzsicherheit beschäftigt sind, mit schlecht gestalteter Beschäftigung und kurz-zyklischen, undurchschaubaren Tätigkeiten, steht es für Ihre Gesundheit besser, wenn Sie arbeitslos sind. Ist es für Arbeitslose wichtig, sich eine sinnvolle Beschäftigung, sei es als Ehrenamt oder Hobby, zu suchen? Mein Vorgänger am Dresdner Lehrstuhl, Prof. Peter Richter, hat nachgewiesen, dass ein Ehrenamt für sie positive Auswirkungen hat. Allerdings bleiben diese nicht lange bestehen, die ehrenamtliche Tätigkeit ist also kein langfristiger Ersatz für Arbeit. Die Wirtschaft in Mitteldeutschland ist eher kleinteilig organisiert. Welche Handlungsmöglichkeiten haben die Geschäftsführer angesichts von Fachkräftemangel und demografischem Wandel? Die klein- und mittelständischen Unternehmen, kurz: KMUs, verfügen hoffentlich über genauso kompetente Geschäftsführer wie die großen Unternehmen. Wir hatten kürzlich auf einem Treffen des Deutschen Demografie Netzwerks (DDN) eine interessante Diskussion mit Vertretern der Agentur für Arbeit. Sie meinten, dass die Ratschläge an Unternehmer, die das Netzwerk hinsichtlich der Attraktivität der Arbeitsplätze anbietet – wie Familienfreundlichkeit oder Entlohnungsfragen – für die KMU nicht so recht umsetzbar sind. Das seien Ratschläge an Großunternehmen, um den KMUs wertvolle Fachkräfte wegzuschnappen. Grundsätzlich denke ich, die Regeln guter, demografiegerechter Arbeitsgestaltung und Personalpolitik gelten für alle. Die Prinzipien der altersgerechten Führung, Teilzeitmöglichkeit usw. sollten alle beachten. Zwar kann bei Kleinunternehmen nicht immer so strategisch gedacht werden,

aber sie binden ihre Leute gewöhnlich besser an sich. Wir haben in einer repräsentativen Umfrage der deutschen Erwerbsbevölkerung von 2011 z.B. festgestellt, dass die erlebte Altersdiskriminierung in Großbetrieben höher ist. Weil die Kleinunternehmen familiäreren Charakter haben? Ja. Man könnte eigentlich annehmen, die Großen hätten viel mehr Optionen, könnten mehr in Ergonomie investieren, Leute versetzen und andere Arbeitsbedingungen schaffen, wofür den kleineren die Kapazitäten fehlen. Aber überraschenderweise ist die erlebte Altersdiskriminierung in den KMUs geringer. Das Miteinander der Generationen ist besser umgesetzt, was für den Vorteil der KMUs spricht. Das kann an der größeren Notwendigkeit bei KMUs liegen, jeden individuell entsprechend seiner Stärken und Schwächen ins Unternehmen einzubauen, was das Erleben von Wertschätzung fördert. Das wird ja hinsichtlich des Facharbeitermangels wichtiger. Ja, man kann feststellen: Je älter die Menschen werden, umso größer wird die Varianz in der Leistungsfähigkeit und Gesundheit. Daher muss man eine individualisierte oder altersgerechte Führung haben. Wie äußert sich Altersdiskriminierung? Das ist nicht nur das Nichteinstellen von Älteren, sondern findet auch im Job statt. Es geht um die Beförderung, um die Zulassung für Weiterbildung etc. Die Leute fühlen sich etwa nicht wertgeschätzt, wenn sie durch eine solche Nichtzulassung vermittelt bekommen, es lohne sich nicht mehr, in die Älteren noch zu investieren. Sie haben herausgefunden, dass heterogene Teams besser funktionieren? Da muss man differenzieren. Die Forschung hat aber gezeigt, dass es auf das jeweilige Merkmal ankommt. Bei der Intelligenz zum Beispiel ist Heterogenität nicht gut: Die besten Teams sind diejenigen mit lauter intelligenten Leuten. Beim Geschlecht ist es anders: Bei den allermeisten Aufgaben und in den allermeisten Kontexten ist eine Mischung von Männern und Frauen gut. Wenn im Team zum Beispiel mehr als 70 Prozent Frauen sind, das hat eine Studie bei einer großen Landesverwaltung ergeben, machen sich die Frauen gegenseitig krank. Mit Blick auf die Gesundheit ist es also nicht dienlich, homogen weibliche Teams zu haben. Dann hat Schlecker aber auch alles falsch gemacht ... [lacht] Kann schon sein. Wir haben in der Studie mit über 5.000 Personen über Jahre hinweg beobachten können, dass in diesen Teams die Gesundheitsbeschwerden der Frauen größer waren. Die


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