The Red Bulletin INNOVATOR CH 2017 - #1

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Evolution, werden die ersten Roboter lernen, bei der leisesten Berührung im Strafraum umzufallen, mit verzweifelten LEDs den Schiedsrichter anzublinken und die Schmerzenslaute eines Todgeweihten auszustoßen: Elfmeter! Elfmeter!

NAO-TEAM HTWK

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In den kommenden Jahren sollen die ersten Spiele unter freiem Himmel ausgetragen werden. Bedeutet: Sonne, Wolken, Wind als zusätzliche Variablen, allein die Lichtreflexe sorgen dafür, dass du dein in tausenden Stunden entwickeltes Programm zur Erkennung des Balles kübeln kannst. Irgendwann wird es elf gegen elf gehen. Und irgendwann wird sich der Ball nicht nur rollend und kullernd ins gegnerische Tor verirren, sondern es wird Schüsse geben, echte Dribblings, Zweikämpfe, Flanken, Kopfbälle, Fallrückzieher, eine hängende Sechs und irgendwann auch Abseitsfallen. Irgendwann schließlich, kurz nach dem Erreichen des Höhepunkts der INNOVATOR

lar ist, dass die Roboter 2050 völlig anders aussehen werden als jene, die in der sogenannten Standard Platform League heute zum Einsatz kommen. Die in Frankreich produzierten PlaymobilHünen sind standardisiert, ein größter gemeinsamer Hardware-Nenner. Das Stück gibt es für registrierte Teams um knapp 4000 Euro. Das ist preiswert genug, um möglichst vielen Teams in aller Welt – die meisten werden von Universitäten gestellt – mit vertretbarem Aufwand Programmier Programmierarbeit zu ermöglichen und nach dem Ende jeder Saison auch den sinnvollen Austausch von Software. Austausch von Software? Was du in tausenden freiwilligen Programmier Programmierstunden, in durchgehackten Nächten erarbeitet hast, teilst du nach Ende einer Saison mit deinen Gegnern. Das ist ganz normaler Teil im Selbstverständnis der Teams. Denn selbst die weltbesten sind weniger Konkurrenten als Kollegen. Sie dienen einander als Maßstab, als Herausforderung und Messlatte des eigenen Fortschritts. „Es interessiert uns eigentlich nicht so sehr, einen einzelnen Gegner in einem Spiel auseinanderzunehmen“, sagt Tilgner, ebenfalls Absolvent der HTWK Leipzig, mittlerweile Ingenieur bei Google in München, der seinen gesamten Urlaub und einen guten Teil der Wochenenden in Gargamel, Shredder, Mr. Burns und Kollegen steckt. „Es macht mehr Spaß, wenn du etwas entwickelst, das gegen jeden Gegner passt. Denn erst dann bedeutet es ja eine Weiterentwicklung.“

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elativ bald werden die Möglichkeiten der standardisierten französischen NAO-Roboter ausgereizt sein. Der 1,5-Gigahertz-Prozessor im Kopf der 60-Zentimeter-Figuren (übrigens: mit 25 Gelenken) verfügt gerade mal über ein Zehntel der Rechenpower eines modernen Smartphones. Die Augen sind Kameras mit einer Bildschärfe, die man schon zu Zeiten von Weichzeichnerfotograf David Hamilton nicht mehr für zeitgemäß hielt.

IRGENDWANN WERDEN DIE ROBOTER LERNEN, BEI DER LEISESTEN BERÜHRUNG IM STRAFRAUM UMZUFALLEN: ELFMETER! Doch innerhalb der bescheidenen Vor Vorgaben der Hardware tummeln sich technische Meilensteine. Der aktuellste ist zugleich der bisher radikalste: Die Roboter haben gelernt zu lernen. Denn die Programmierer haben ihnen neuronale Netzwerke eingebaut, die dem menschlichen Gehirn nachempfunden sind. Versucht ihr, die Natur nachzuahmen? Oder sie auszutricksen? Reinhardt (ebenfalls HTWK-Absolvent, mittlerweile international gefragter Spezialist für Computer-Intelligenz in Heidelberg): „Wir hinterfragen alles, die Natur hat’s aber schon ziemlich gut hingekriegt.“ Neuronales Netzwerk, das heißt nicht weniger als: Der Roboter kann aus Infor Informationen eigenständige Schlüsse ziehen. Und kann sein Verhalten an diese Schlüsse anpassen. Er tut das, was man bei einem Menschen Kreativität nennen würde. Aktuelles Beispiel: Der Roboter wurde mit einigen tausend mehr oder weniger schematischen Darstellungen des schwarzweißen Balls gefüttert, rollend, ruhig liegend, hüpfend, teilweise verdeckt, beschnitten am Rande des Blickfelds der Kamera. So lange, bis er eines Tages zurück zurückmeldete (sinngemäß): „Okay, kapiert. Da ist etwas Weißes, Rundes, ich sehe immer drei schwarze geometrische Flecken dar darauf, und das Ding wirft einen Schatten. Das ist der ‚Ball‘, richtig?“ Niemand hatte dem Roboter vorher „gesagt“, dass er unabhängig davon, wie der Ball liegt, immer drei schwarze Flecken sieht. Doch das stimmt. Das hatte er selbst erkannt. Das ist der Ball, Gargamel, richtig. Künstliche Intelligenz lernt laufen. Will wirklich noch jemand 2050 die WM gewinnen? Das Team: robocup.imn.htwk-leipzig.de 91


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