The Red Bulletin Juli 2014 - CH

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or 30 Jahren platzte ein junger Mann in die Straßenmotorrad-Rennszene und machte allen Rekorden den Garaus: Debüt in der Königsklasse mit 19 Jahren, Weltmeister mit 21. Die Experten waren sicher: Niemals würden diese Rekorde gebrochen werden. Der Name des Genies war „Fast“ Freddie Spencer, und Dirt Track war sein Geheimnis: Eine Jugend auf den amerikanischen Sandbahnen hatte sein motorisches Feingefühl geschult. Dirt Track Bikes haben keine Vorderbremse. Man lenkt sie mit Gas und Gewichtsverteilung, permanent sideways im leichten Drift. 2013 platzte wieder ein junger Mann in die ­Königsklasse. Er war so gut, dass speziell für ihn die Regeln geändert wurden: Normalerweise müssen sich Rookies in Satelliten-Teams hochdienen, bevor sie in Werksteams fahren dürfen. Doch der mächtige ­Honda-Konzern sah im amtierenden Weltmeister der „kleinen“ Moto2-Kategorie die Zukunft: Man würde ihm auf jeden Fall ein Werksmotorrad geben. So kam es, dass Marc Márquez, gerade 20 Jahre alt geworden, bei Repsol Honda fahren durfte, an der Seite seines erfahrenen Landsmanns Dani Pedrosa. Im ersten ­MotoGP-Rennen fuhr Márquez aufs Podium, sein zweites gewann er. Im Herbst wurde er, mit 20 Jahren und 266 Tagen, jüngster MotoGP-Weltmeister der Geschichte. Sein Erfolgsgeheimnis: Dirt Track. Die Wiege von Marcs Erfolgen ist idyllisch in die

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Weinberge eingebettet, die seine Heimatstadt Lleida umgeben, 135 Kilometer westlich von Barcelona ­gelegen. Unten im Flachen ein gepflegter Dirt Track und eine Motocross-Piste, Container zum Umziehen und für eine kleine Kantine. Nicht unbedingt der Platz, an dem man einen Weltmeister vermuten ­würde, der in seinem Heimatland – wie sonst nur noch Fußballstars – nicht mehr unerkannt vor die Tür gehen kann: „Das erste gemeinsame Foto mit einem Fan löst in der Regel eine Kettenreaktion aus. Auf einer Tribüne in Spanien habe ich ein Transparent entdeckt, auf dem stand: ‚Ich ziehe meine Unterwäsche aus für ein Foto mit dir.‘ Letztes Jahr habe ich Frauen­brüste signiert, einen Männerhintern, ein Baby und einen 500-EuroSchein. Wahrscheinlich hofft der ­Besitzer, dass der im Wert steigt.“ Hier in Lleida trainieren Marc Márquez, sein ­jüngerer Bruder Álex, selbst erfolgreicher Rennfahrer in der Moto3, und „Tito“ Rabat aus der Moto2: „Sie wollen mich schlagen; ich will eine halbe Sekunde pro Runde schneller sein als sie.“ Genau wie in der Moto­ GP schenken sich die Jungs auf der Strecke nichts: „Ich mag harte Kämpfe. Siege mit vier, fünf Sekunden Vorsprung geben mir nicht so viel wie ein adrenalinsattes Rennen, das in der letzten Kurve entschieden wird. Als mich zum Beispiel Jorge Lorenzo in Silverstone in der letzten Kurve aus der Bahn rempelte, hat 41


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