The Red Bulletin_1205_DE

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Action

Kraulen, Strampeln, Rennen Den Schmerz spürt nur, wer überholt wird. Deshalb will sich Triathlet Daniel Unger bis zu den Olympischen Spielen nicht mehr überholen lassen. Text: Beat Seemann & Katharina Thomas, Bilder: Julian Baumann

Noch drei Monate bis zu den Olympischen Spielen in London. Die allein sind Daniel Ungers Ziel. Dafür trainiert der Deutsche dreimal täglich, auch „bei fünf Grad und strömendem Regen“, um in London beim olympischen Triathlon – 1500 Meter Schwimmen, 40 Kilometer Radfahren, 10 Kilometer Laufen – dabei zu sein. Was Unger antreibt, ist zum einen Spaß. Damit hat 1990 alles begonnen. Daniel, damals zwölf, sieht ein Ankündi­ gungsplakat, und sechs Wochen später steht er am Start, irgendwo in Ober­ schwaben, mit Badehose, Turnschuhen und einem Fahrrad mit Klappständer. Platz 284 unter 290 Startern reicht völlig: Der heißgeliebte Fußball ist damit von Stund an unwichtig. Sechs Monate später tritt Unger einem Verein bei, drei Jahre später kommt er in die Nationalmannschaft. 1996 schafft er den Durchbruch: Vizeeuropameister und Vizeweltmeister mit der Mannschaft. Gro­ ßer Sprung ins Jahr 2007, zur Weltmeis­ terschaft in Hamburg. Unger gelingt das Rennen seines Lebens, er sprintet den Spanier Javier Gómez auf den letzten 400 Metern nieder, wird Weltmeister über die olympische Distanz. Noch heute kriegt er eine Gänsehaut, wenn er sich an diesen Tag erinnert: „Menschenreihen schreien deinen Namen, dann kommt das Ziel, und du weißt: Du bist in einer Sache der Beste, und die halbe Welt hat es gesehen.“ Doch Erfolg und Misserfolg wohnen bekanntlich Tür an Tür. Das ist der zweite Grund für Ungers London­Abenteuer: Es gilt noch eine offene olympische Rech­ nung zu begleichen. 2004 ist Unger 56

„Du bist in einer Sache der Beste, und die halbe Welt hat es gesehen.“ bereits für Athen qualifiziert, doch Pfeiffer­ sches Drüsenfieber verhindert seine Teil­ nahme. Bei den Spielen in Peking 2008 gewinnt sein Landsmann und Trainings­ partner Jan Frodeno Gold, Unger wird als Favorit Sechster und trennt sich ein Jahr später von Frodeno und dem bis dahin gemeinsamen Trainer. Peking verursacht einen Knacks. Jahre des Kampfs und Krampfs folgen, der mäßi­ gen Resultate und technischen Defekte. Verletzungen und Pech verunsichern, das

Wollen war weit weg, die nächsten Spiele auch, und Unger stellte sich die eine Frage: Ist es die Schinderei überhaupt wert? Doch Sport ist immer gerecht, davon ist Unger überzeugt, und Menschen wie er denken schon beim Hinfallen wieder ans Aufstehen. Also erinnert sich Unger an die Glücksgefühle von Hamburg, wenn er bis zu 30 Stunden pro Woche trainiert. Und er organisiert weiter penibel sein Leben als Triathlon­Profi: bucht Hotels, putzt seine Schuhe, checkt das Material, schreibt Trai­ ningswochenpläne, zahlt Rechnungen. Daneben ist das Familienleben wich­ tiger geworden, vor allem seit der Geburt seines inzwischen zweijährigen Sohnes. Und die Zukunft nach dem Sport: Sein Studium hat Unger mittlerweile fast been­ det. Und in seinem Heimatort Bad Saulgau in Oberschwaben hat er ein Geschäft für Triathlonartikel und Triathlonreisen auf­ gebaut, denn Ungers Disziplin hat sich in den vergangenen Jahren von der Rand­ zur absoluten Trendsportart gewandelt. Unger ist jetzt 34, ein gutes Alter, um ein letztes Mal Olympia zu rocken – aber mit dem nötigen Quäntchen Gelassenheit. „Der Olympiasieger von 2004 war 33“, erklärt Unger, und das sei nichts Außer­ gewöhnliches. „Die entscheidende Fähig­ keit, die Ausdauerbelastung zu steigern, verbessert sich bis Mitte dreißig.“ 55 Athleten werden am 7. August am Ufer des Serpentine­Teichs im Hyde Park auf den Startschuss warten, vor sich knapp zwei Stunden härtester Arbeit, und der Schnellste ist Olympiasieger. Zuallererst will Unger dafür sorgen, dass er einer dieser 55 ist: Am 27. Mai be­ streitet er die entscheidende Qualifikation beim Weltcup­Bewerb der International Triathlon Union in Madrid. Gewillt, sich auf Augenhöhe noch einmal mit den Stärksten der Welt zu messen. Aber nicht übermotiviert, denn obwohl Daniel Unger fest an eine olympische Medaille glaubt, weiß er: „Man muss auch akzeptieren, dass es Bessere gibt.“ www.daniel-unger.de


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