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machtstellung diskutiert! Wenn Unternehmen so groß werden, wie jetzt Google, dann schlägt ihnen irgendwann auch so viel Skepsis entgegen, dass ihr Einfluss wieder schwindet. Solche Regelkreisläufe sorgen oft dafür, dass Entwicklungen nicht ins Extreme geraten. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin kein Verfechter totaler Deregulierung, aber meiner Meinung nach ist die Situation noch lange nicht alarmierend. Man darf auch nicht vergessen, dass Googles Erfolg doch vor allem auf Innovationen basiert und nicht auf dem Missbrauch eines Monopols. Debug: Zu einem anderen Thema: Brauchen wir neue Konzepte, um Wissen zu verstehen? Wie Wissen erzeugt, gespeichert und vermittelt wird? Wolfram: Vor allem im Schulunterricht liegt heute einiges im Argen. Wichtige analytische Werkzeuge werden im Mathematikunterricht kaum gelehrt. Etwa die Fähigkeit, Größenordnungen einzuschätzen. Den Schülern wird beigebracht, Gleichungen zu lösen, aber nicht wie man Größen auf die Schnelle einschätzen kann. Dabei werden wir täglich mit Einschätzungsproblemen konfrontiert, während man so gut wie nie Gleichungen lösen muss. Aber der wichtigste Punkt ist wohl, dass nicht die richtigen Fragen gestellt werden. Weil das Bewusstsein für Zusammenhänge fehlt, aber auch mangels Handwerkszeug, um Fragen richtig zu formulieren. Diese Fähigkeiten sollten im Mathematikunterricht vermittelt werden und nicht das stumpfe Ausrechnen von Lösungen. Ein einfaches Beispiel ist die Statistik der eigenen Website: Worauf kommt es an? Durchklickrate, Verweildauer, oder die Kombination aus mehreren anderen Faktoren? Das kann ganz schön kniffelig werden, aber dafür gibt es auch Techniken, die man erlernen kann. Debug: Website-Statistiken kriegen aber nicht wirklich viele Menschen überhaupt zu sehen ... Wolfram: OK, ein Beispiel aus dem Alltag: Verhindern Radarfallen wirklich Unfälle und Tote? Wenn man den üblichen Blick auf die offizielle Statistik wirft, heißt die Antwort meistens: ja. Und tatsächlich sinkt die Zahl der Unfälle, wenn an einer Stelle, wo es zuletzt häufig gekracht hat, eine Radarfalle aufgestellt wird. Aber ist dafür wirklich die Radarfalle verantwortlich? Ist es nicht sogar ein Ding der statistischen Wahrscheinlichkeit, dass nach einem Jahr mit besonders hohen Werten eine Senkung zu erwarten ist? Oder dass die Polizei öfters nach der Radarfalle schaut und daher vermehrt auch gut sichtbar auftritt? Die Fähigkeit kritische oder richtige Fragen zu stellen, hat sich in demokratischen Gesellschaften in den letzten Jahrzehnten schon enorm verbessert. Weil wir gelernt haben, was in der Demokratie schiefgehen kann. Aber wenn es nicht um Politik sondern um Zahlen, Fakten und Statistiken geht, sind die Fähigkeiten der meisten Menschen ziemlich unterentwickelt. Debug: Zuletzt noch eine grundsätzliche Frage: Wird man irgendwann die ganze Welt, in der es oft alles andere als logisch zugeht, mit berechenbaren Formeln abbilden können? Wolfram: Mathematik ist als Sprache, die die Realität beschreibt, extrem erfolgreich. Aber das heißt nicht, dass sie dazu geeignet ist, alle Aspekte und Facetten unserer Welt zu beschreiben, man denke nur an Religionen. Wobei Mathematik heute bei der Beschreibung der Welt viel erfolgreicher ist, als man sich das noch vor 50 Jahren hätte erträumen lassen, und auch viel erfolgreicher als es üblicherweise heute angenommen wird. Aber die meisten Menschen denken bei Mathematik auch an Zahlen und Formeln. Ich denke an Algorithmen, die Mathematik viel deutlicher und allgemeiner beschreiben. Und wenn ich eine Idee darstellen oder auf den Punkt bringen will, sind Algorithmen in vielen Fällen sehr gut geeignet. Leider wird die Mathematik von einer Gruppe Experten kontrolliert, fast muss schon sagen: versteckt. Daher ist die Demokratisierung des mathematischen Wissens auch so wichtig.

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