Rainbow UNITED 2016/3 Nr. 7

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Evangelische Kirche

Ein schwules Paar - mitten in der Bibel?

Jesus spricht mit einem Schwulen und heilt dann dessen Liebhaber. Ein schlechter Scherz? Möglicherweise nicht... Wenn man als LGBTQI* besonders bibeltreuen Christ/inn/en begegnet, wird man schnell mit den wenigen Bibelstellen konfrontiert, in denen homosexuelle Handlungen verurteilt werden. Oft gerät man in einen unangenehmen Abwehrkampf, in dem man versucht, den Gesprächspartner/ inne/n zu vermitteln, dass die Stellen aus einer anderen Zeit stammen und vor allem für eine andere Zeit geschrieben sind, und dass sie deshalb nicht gegen das gerichtet sind, was wir heute über sexuelle Orientierungen und Geschlechteridentitäten wissen. Eine unscheinbare Heilungsgeschichte im Lukasevangelium (Lukas 7,1-10) ist möglicherweise ein Beleg dafür, dass der Umgang mit der Bibel aus LGBTQI*-Sicht nicht nur ein „Abwehrkampf“ ist. Es könnte sein, dass in dieser Geschichte verdeckt ein schwules Liebespaar vorkommt. Die Geschichte erzählt, wie ein römischer Hauptmann Jesus bittet, seinen todkranken Sklaven zu heilen. Menschen des 21. Jahrhunderts würden nicht daran denken, dass der Hauptmann und sein Sklave ein Liebespaar sind. Aber Gerd Theißen, Professor für Neues Testament, schreibt dazu: „Zu Jesu Lebzeiten musste jeder denken: Dieser Sklave ist der Geliebte des Hauptmanns. Heiden

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haben sexuelle Beziehungen mit Sklaven. Deshalb wehrt der Heide Jesu Besuch ab: ‚Ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst... sondern sprich nur ein Wort so wird mein Sklave gesund.‘“ Der Hauptmann mag gemeint haben, Jesus würde seine Beziehung verurteilen. Aber das war offensichtlich nicht so. Jesus heilte den Sklaven. Wie die beiden zueinander stehen, war für ihn nicht entscheidend. Sondern wie immer hat er darauf geachtet, wie Menschen sich verhalten – oder genauer, ob sie etwas von Gott erwarten. Die Hoffnung auf Gott ist ja – wie so vieles andere auch – ganz unabhängig von der sexuellen Orientierung. Theißen: „Er lobt den Glauben des Hauptmanns. Er fragt nicht nach seiner Beziehung. Wenn wir homosexuelle Paare in der Kirche segnen, haben wir eine Jesusgeschichte als Lesung.“ (Zitat: Gerd Theißen, Glaubenssätze, Gütersloh 2012. S. 389) Sollten der römische Soldat und sein Sklave tatsächlich Liebhaber gewesen sein, würde das bedeuten, dass die Bibel gleichgeschlechtliche Liebespaare kennt. Das wäre dann, was noch viel wichtiger ist, ein Hinweis darauf, wie akzeptierend Jesus gegenüber dieser Beziehung war. www.rainbowunited.at


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