Auction 112 | Henry van de Velde | Quittenbaum Art Auctions Munich

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Liebe Sammler und Freunde des Auktionshauses, Einer der ganz großen Gestalter des Jugendstils feiert in diesem Jahr seinen 150. Geburtstag! Henry van de Veldes Einfluss auf den europäischen und insbesondere den deutschen Jugendstil und die nachfolgenden Epochen zeigt sich in der Architektur und im Kunstgewerbe. Van de Velde entwarf Privathäuser und deren Inneneinrichtungen als Gesamtkunstwerke. Der vielseitig begabte Belgier, der seine künstlerische Karriere als Maler begonnen hatte, widmete sich mit derselben Sorgfalt der Gestaltung von Schmuckstücken für die Gattinnen seiner diversen Auftraggeber wie den Entwürfen zu – durchaus zum Benutzen gedachten – Steinzeuggefäßen oder Besteckteilen. Er wirkte als Publizist, entwarf Kleider sowie die Einrichtungen von Läden, Fährschiffen und Eisenbahnwaggons und schuf Illustrationen zu zahlreichen Publikationen des Philosophen Friedrich Nietzsche, dem er sich im Geiste verbunden fühlte. Er war es auch, der 1908 in Weimar die Großherzoglich-Sächsische Kunstgewerbeschule ins Leben rief, aus der, gut zehn Jahre später, eine andere weltberühmte Schule hervorgehen sollte, das Bauhaus. Zahlreiche Ausstellungen und Publikationen haben sein umfangreiches und facettenreiches Schaffen in diesem Jahr gewürdigt. Wir nehmen das Jubiläum zum Anlass, die Werke von Henry van de Velde, seinen Vorläufern, Zeitgenossen und Nachfolgern in einer Spezialauktion mit 150 Losen zu präsentieren. Henry van de Veldes Ziel war es, die Grenze zwischen Kunst und Kunstgewerbe aufzuheben. Ich möchte ihn als Befreier des Kunsthandwerks bezeichnen, der seinen Nachfolgern die Anleitung dazu lieferte, sich von Konventionen zu lösen und die eigenen, ganz persönlichen ästhetischen Maximen in allen Dingen zu verewigen. Er war geprägt von einer großen gestalterischen Freiheit, die sich keinen Normen unterwirft, sondern den eigenen Schönheitsbegriff, einen „neuen Stil“ in der Einheit von Ästhetik und Funktionalität realisierte. Die zu versteigernden Objekte illustrieren eindrucksvoll das facettenreiche Schaffen von Henry van de Velde, darunter Möbel, Teller, Besteckteile, ein Tropon-Werbeplakat bis hin zu einem Türgriff aus dem Berliner Frisiersalon Haby. Ab den 1890er Jahren umkreiste sein künstlerisches Schaffen die Ornamentik der Linie und ihre Übersetzung in den Raum wie das in unserer Auktion vertretene Salzund Pfefferschälchen (Katalognummer 17) zeigt. Die bildhauerische Qualität steht im Vordergrund. Die bewegte Form gibt dem zierlichen Gebrauchsgegenstand eine außerordentliche Leichtigkeit. Vermutlich wählte der auf die Funktion bedachte Designer Messing als Material, um dem kleinen Objekt durch das Gewicht mehr Standfestigkeit zu verleihen. Das Schälchen stammt aus dem Besitz der Nachfahren des Malers Curt Herrmann, der zusammen mit seiner Frau Sophie Möbel, Bestecke und Service bei van de Velde orderte. Die Herrmanns pflegten eine freundschaftliche Beziehung zu van de Velde und luden ihn und seine Familie wiederholt für längere Aufenthalte auf Schloss Pretzfeld nach Franken ein. Auf geometrischen Formen basiert dagegen die Teekanne von Christopher Dresser mit der Katalognummer 1, die einerseits den Einfluss asiatischer Vorbilder zeigt, andererseits aber auch mit dem strengen zylindrischen Korpus auf die maschinellen Formen der Industrialisierung anspielt. 1902 schuf Henry van de Velde für den Kunstmäzen und Sammler Karl Ernst Osthaus die Inneneinrichtung für dessen visionäres FolkwangMuseum in Hagen. Aus dem Musikzimmer des Museums stammt der Schrank, der in der Auktion unter der Katalognummer 31 aufgeführt ist. Aus dem Besitz der Familie Osthaus stammt auch die Gürtelschließe aus Silber mit Mondstein- und Diamantbesatz (Katalognummer 16), die Henry van de Velde um 1898/99 schuf. Seine Schmuckstücke sind generell von besonderer Seltenheit und dieses ist dazu noch von höchster Eleganz. Auf engstem Raum (7,4 x 9,5 cm) verdichtet sich van de Veldes großartiges Empfinden für Form und Proportionen, und man ist als Betrachter wie gebannt von der bewegten Linienführung. Zwei seltene Silberarbeiten von van de Veldes Zeitgenossen Josef Hoffmann, die er für die Wiener Werkstätte entwarf, stammen auch aus dieser prominenten Provenienz (Katalognummer 51 und 72).

Emile Gallé ist ein ebenbürtiger Zeitgenosse von Henry van de Velde. Gallé, der zunächst als Keramiker wirkte, begann in den 1870er Jahren japanische Motive zu verarbeiten. Ab etwa 1880 verschrieb er sich vollkommen dem Medium Glas und vereinte darin bildhauerische und malerische Qualitäten mit einzigartiger Handwerkskunst. In seinem Oeuvre gibt es dafür wohl kaum ein besseres Beispiel als die Vase 'Rose de France' aus dem Jahr 1901 (Katalognummer 27). Die Technik der 'Sculpture de Verre', die noch über die 'Marqueterie de Verre' hinausgeht ist hier in Form einer plastischen Rosenblüte zu bewundern. Diese Vase war bis jetzt im Besitz der Familie Gallés, der sie, was eine Gravur auf der Vase belegt, am 28. Dezember 1901 seiner Tochter Thérèse widmete. Ebenso wichtige Zeitgenossen sind Peter Behrens, Bruno Paul und Richard Riemerschmid. 1902 schuf Peter Behrens, einer der ersten großen Industriedesigner, die formschöne Trinkgläsergarnitur 'Wertheim'. In der Schlichtheit ihrer Silhouette sind die Gläser kaum zu übertreffen, der breite Goldrand nimmt jedoch scheinbar klassische und zeitgenössische Goldrandgläser aufs Korn. Unter der Katalognummer 37 sind fünf unterschiedliche Gläser aus dieser Garnitur aufgeführt. Der Sessel '652' von Bruno Paul aus dem Jahr 1901 stammt aus seiner frühen und wichtigsten Schaffensphase (Katalognummer 32) und ist von allergrößter Seltenheit; hier in einer frühen Ausführung, was an der kannelierten Rückenlehnenzarge erkennbar ist. Genauso selten und hochbedeutend ist Richard Riemerschmids Salonstuhl aus dem Haus Thieme in München, den er 1902/03 schuf. Riemerschmid zeigt hier eine außerordentliche gestalterische Freiheit. Fast willkürlich verstreut wirken die eingelegten viereckig-amorphen Perlmuttplättchen, die dem Möbel etwas Exotisches verleihen. Das Blattrankenmotiv auf dem roten Bezugsstoff scheint germanischem Einfluss zu unterliegen. Riemerschmid zeigte mit dem Stuhlentwurf, wie mir scheint, seinen künstlerischen Freigeist ganz im Sinne Henry van de Veldes (Katalognummer 33). Die Ideen des visionären belgischen Gestalters, der aufgrund der kriegsbedingten ausländerfeindlichen Stimmung 1917 Deutschland verlassen musste, lebten im Bauhaus fort, das 1919 in Weimar unter der Leitung von Walter Gropius eröffnet wurde. Die Einheit von Architektur, Kunst und Kunstgewerbe wurde hier in den von Henry van de Velde entworfenen Schulgebäuden fortgeführt. Christian Dell, Marianne Brandt und Margarete Heymann-Loebenstein gehören zu den in der Auktion vertretenen Bauhaus-Künstlern (Katalognummern 99, 103, 106). In Zusammenarbeit von Hedwig Heckemann und Ewald Dülberg, die ab 1924 gemeinsam die Weberei der Bauhochschule in Weimar leiteten, entstand der farbenfrohe Kinderzimmerteppich mit geometrischen Motiven und Figuren. Der Teppich verblieb bis heute im Besitz der Familie des Auftraggebers Dr. Kurt Luthmer (Katalognummer 92) und wurde als Leihgabe der Kunstsammlungen Hessen Kassel in der Torwache ausgestellt. Aus dem Besitz des großen Kunstgewerbe-Kenners Tilmann Buddensieg stammt hingegen der Prototyp für den Armlehnstuhl 'Weissenhof MR 20', den Mies van der Rohe 1927 für die Weißenhof-Siedlung in Stuttgart entworfen hat (Katalognummer 94). Der Stuhl stammt ursprünglich aus dem Besitz des Bildhauers und Bauhaus-Lehrers PaulRudolf Henning, in dessen Haus Ludwig Mies van der Rohe lebte, als er 1927 nach Berlin kam. Die ersten Experimente zu diesem Stuhl wurden im Keller dieses Hauses gemacht. Feiern Sie also den Jubilar mit uns, genießen Sie die Kataloglektüre und lassen Sie sich zum Erwerb eines der Stücke anregen. Askan Quittenbaum

www.quittenbaum.com

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