Purple Scare #1

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„Thierrys Kasernenstühle und die Fabriklampe passten nicht zu Janinas floralen Dekoideen.“ Mein Lieblingsfundstück aus dem IKEA live Magazin. Einfach, aber prägnant, fast schon komisch. Denn sofort sind da die Bilder. Wortketten rattern im Kopf. Rustikal trifft auf verspielt. Kantig auf weich. ‚Männlich*‘ auf ‚weiblich*‘? Ist Army-Thierry, groß und grobschlächtig, einfach pragmatisch, wenn er* die vor Schmutz starrenden Kasernenstühle auf Janinas Flokati stellt? Die sind ja schließlich noch gut. Und reagiert Janina nicht etwas über, wenn sie* die Teller mit Blümchendruck nach der Kasernenlampe wirft? Zum Glück sind die ja aus Plastik, das Baby kommt schließlich in zwei Monaten. Aber das Einrichten soll Thierry doch bitte ihr* überlassen, davon verstünde sie* mehr, schließlich wäre er* ja schon für den kaputten Heizungsboiler verantwortlich und fürs Geldverdienen ja sowieso. Im Folgenden möchte ich einen kurzen Überblick geben zu Naturalisierungsversuchen von Wohnen und Geschlecht und warum sich bestimmte heteronormative Vorstellungen leider so hartnäckig halten, auch in meinem Kopf, obwohl der ja theoretisch schon einer queerfeministischen Generalüberholung unterzogen wurde.

Ebenso wie das Wohnen ist auch Geschlecht ein kulturelles Produkt, das einer historischdiskursiven Wandelbarkeit unterliegt. Wie eng diese beiden Konstrukte und das Sprechen über sie miteinander verzahnt sind und sich gegenseitig bedingen, soll im Weiteren erörtert werden.

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Die von uns als so selbstverständlich hingenommene Unterteilung in private und öffentliche Arbeits-Sphären sowie die Vorstellung des Wohnens als ein ahistorisches Bedürfnis des Menschen sind nicht weniger eine gesellschaftliche Narration als die scheinbar natürliche Unterscheidung von Menschen in nur zwei Geschlechter mit jeweils eingeschriebenen stereotypen Charakteristika. Dass die bürgerliche Kleinfamilie mitsamt dem ihr eigenen Behausungsverhalten als auch die räumliche Manifestation der symbolischen Ordnung zwischen privaten und öffentlichen Bereichen historische und kulturell bedingte Konstruktionen sind, bestätigt ein Zurückblicken auf die Geschichte der Wohnkultur. Denn das mittlerweile etablierte Konzept der bürgerlichen Kleinfamilie im Reihenhaus ist keine immer dagewesene Größe, sondern hat sich erst im Zuge der Herausbildung einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft als normativer Wohnentwurf verankert. Neben einer auf das Wohnen bezogenen Grenzziehung zwischen öffentlicher und privater Sphäre manifestierte sich in der bürgerlichen Gesellschaft auch eine hierarchisierte Differenzierung der Lebenswelten und Geschlechterrollen von Männern* und Frauen*, die als kulturelles Leitbild westlicher Ideologie in Teilen bis heute vorherrscht. Erst mit Auflösung der vorbürgerlichen und vorindustriellen Hausökonomie entwickelte sich eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die den bürgerlichen


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