4 reformiert 2021

Page 1

reformiert Berichte und Bilder aus der Evangelisch-reformierten Kirche

R E D N I RELIGION SCHULE

4 reformiert 2021 September Oktober November


Foto: Gerold Meppelink

Seite 8: Henrike Schnöing (30) unterrichtet seit dreieinhalb Jahren Religion und Englisch am Evangelischen Gymnasium Nordhorn. Seite 11: Cees Michaelsen sagt über seinen RU: „In der Sekundarstufe 1 haben wir immer nur ein Thema behandelt.“

Seite

8

Seite

Seite 4 Mein Bibelvers Seite 6 Ein Fach mit Verfassungsrang Religion an unseren Schulen Seite 8 Corona und die Folgen für die Kirche Religion in der 9c am Evangelischen Gymnasium Nordhorn

2

11

Foto: Ulf Preuß

Seite 16 Die Basis im Blick Die neue Kirchenpräsidentin setzt auf intensive Gespräche mit den Gemeinden Seite 18 Personen / Aktuelles / Impressum Seite 20 Zum Schluss Es summt im Innenhof

Seite 10 Ich träume Schule Gedanken von Reinhild Gedenk, Pastorin für Bildungsaufgaben

4 reformiert 2021

Seite 14 Ein Fach im Gespräch Fragen an Kerstin Gäfgen-Track und Sarah Kotten

Die Mitgliedszeitschrift ,reformiert’ wird an alle Haushalte der Evangelisch-reformierten Kirche kostenlos verteilt. Möchten Sie auch ,reformiert’ lesen? Tel. 0491 / 91 98 212, E-Mail: presse@reformiert.de Möchten Sie unsere Zeitschrift unterstützen? Spenden Sie auf folgendes Konto: Evangelisch-reformierte Kirche Stichwort: reformiert Sparkasse LeerWittmund IBAN: DE94 2855 0000 0000 9060 08 SWIFT-BIC: BRLADE21LER Spendenquittung wird zugesandt Titelfoto: Jens Schulze


Seite

16

Foto: Andrea Enderlein

Foto: Tobias Frick

19

Seite

Liebe Leserin, lieber Leser, ein Thema, bei dem jeder mitreden kann. Sie hatten doch sicherlich auch evangelischen Religionsunterricht in der Schule. Und wie ist es Ihnen dabei ergangen? Na klar, es ist immer davon abhängig, welche Lehrerin oder welchen Lehrer Sie hatten. Und sicherlich auch, wie lange es her ist, dass Sie die Schulbank drücken mussten. Ich würde mich freuen, wenn Sie durch diese Ausgabe angeregt werden, zu Hause zu diskutieren.

Seite 16: Susanne Bei der Wieden tritt am 1. September ihr Amt als neue Kirchenpräsidentin an. Seite 19: Thomas Severiens vor der Garnisonskirche Oldenburg bei der Gründung des Vereins „Reformiert in Oldenburg“.

In der letzten Ausgabe war es schon eine Nachricht: Die Evangelisch-reformierte Kirche bekommt eine Kirchenpräsidentin. Am 1. September nun tritt Susanne Bei der Wieden ihr Amt an. Wir stellen Ihnen unsere neue Repräsentantin vor. Ich hoffe, Sie sind gut durch den Sommer gekommen, und wünsche Ihnen eine interessante Lektüre.

3 Ihr

Ulf Preuß

Pressesprecher der Evangelisch-reformierten Kirche

4 reformiert 2021


4 3 reformiert 2021

In meinem Leben stand ich ganz oft vor neuen, nicht absehbaren Herausforderungen: in den Jahren der DDR und in den Jahren nach der Wende. Ohne Gottvertrauen wäre und ist das wohl nicht zu bewältigen. Deshalb ist dieser Bibelvers so verheißungsvoll für mich. Er ist für mich eine Ermutigung, mich neuen Aufgaben zu stellen, auch wenn der Ausgang ungewiss erscheint. Er motiviert mich, in Demut Verantwortung zu übernehmen. Gleichzeitig vermittelt er mir Halt und Geborgenheit. Er gibt mir Kraft, und ich spüre eine tiefe Zuversicht, auch in schwierigen Lebenslagen nicht alleingelassen zu sein.


Mein Bibelvers Heidi Kube, Rentnerin

Sei getrost und unverzagt, fürchte dich nicht und lass dich nicht erschrecken. Altes Testament, Das erste Buch der Chronik, Kapitel 22, Vers 13

Heidi Kube (68) aus Chemnitz ist in Leipzig in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen. Ihr Vater gehörte viele Jahre dem Leitungsgremium der evangelisch-reformierten Gemeinde an. Damit war es für sie selbstverständlich, am Christenlehre-Unterricht der Kirchengemeinde teilzunehmen, und deswegen wurde sie schon in Kinderjahren ausgegrenzt. Wegen ihrer christlichen Überzeugung durfte sie nicht studieren was sie wollte: Kinderpsychologie. Zugelassen wurde sie zum Maschinenbaustudium, und bis 1990 hat sie in diesem Beruf gearbeitet. Nach 1990 durchlebte sie „das volle Programm“ der Wendezeit: Abwicklung ihres Betriebs, Umschulung zur Kauffrau, ABM, Arbeit in Beschäftigungsprojekten, zwei Jahre Auslandsarbeit in Irland, neue EU-Projekte, arbeitslos, Arbeit in einem Berufsbildungswerk. Nebenher engagierte sich Heidi Kube in der evangelisch-reformierten Gemeinde Chemnitz-Zwickau. Hier war sie 18 Jahre im Presbyterium und übernahm während der Abwesenheit des Pfarrers für drei Jahre den Vorsitz der Gemeindeleitung. Aktuell vertritt sie die Reformierte Kirche in den Gremien der Norddeutschen Mission

Heidi Kube über ihren Bibelvers bei YouTube Evangelisch-reformierte Kirche

Foto: Jens Schulze - das Foto entstand im Leipziger Stadtteil Gohlis, wo Heidi Kube aufgewachsen ist.

5 4 reformiert 2021


THEMA

Ein Fach mit Verfassungsrang Religion an unseren Schulen Wussten Sie, dass der Religionsunterricht im Grundgesetz vorkommt? Dort wird er im Artikel 7* als Unterrichtsfach an den Schulen festgeschrieben. Er hat also in Deutschland Verfassungsrang! Auch vor diesem Hintergrund bedeutet er den Kirchen viel. Sie haben dank dieses Paragrafen Mitspracherecht bei den Unterrichtsinhalten, alle Religionslehrerinnen und -lehrer brauchen eine Lehrerlaubnis ihrer Kirchen. Und: Dass der Religionsunterricht in konfessioneller Trennung – nämlich als evangelischer und katholischer erteilt wird, hat hier seinen Ursprung. Die Kirchen in Niedersachsen wollen dies nun ändern. Sie wollen, dass der Religionsunterricht zukünftig christlicher Religionsunterricht heißt.

6 4 reformiert 2021

Foto: Gerold Meppelink


THEMA

INFO Hauptanbieterinnen des RU an den Schulen sind die evangelischen und die katholischen Kirchen. Jüdischer Religionsunterricht wird in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen angeboten. Seit 2003 wird in Berlin an drei öffentlichen Schulen auch jahrgangs- und schulübergreifend buddhistischer Religionsunterricht angeboten. In Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen gibt es seit 2012 bzw. 2013 islamischen Religionsunterricht. Zur Zeit der DDR gab es an den Schulen keinen Religionsunterricht, die evangelische religiöse Erziehung fand im Rahmen der Christenlehre in den Kirchengemeinden statt. Vier ostdeutsche Bundesländer übernahmen nach 1990 die Regelungen des Grundgesetzes In Brandenburg wollte die Landesregierung nach 1990 ein für alle Glaubensrichtungen offenes Fach Lebensgestaltung-Ethik-Religion einrichten, um das lange auch mit den Kirchen politisch gerungen wurden. In Hamburg gibt es unter Federführung der evangelischen Kirche das Fach „Religionsunterricht für alle“ (RUfa).

Religionsunterricht in der 9c des Evangelischen Gymnasiums Nordhorn


Corona und die Folgen für Religion in der 9c am Evangelischen Gymnasium Nordhorn 9 Uhr 25: Kein Klingeln, kein lauter Gong. Diese Dinge gehören am Evangelischen Gymnasium schon lange der Vergangenheit an. Dennoch, die Schülerinnen und Schüler der Klasse 9c am Evangelischen Gymnasium sind pünktlich zum Unterrichtsbeginn an ihrem Platz. Nur einer muss sich noch mal auf den Weg machen. Klassenbuch vergessen, das kann passieren. Mit den Schülerinnen und Schülern kommt auch Henrike Schnöing in die Klasse. Über ihrer Schulter hängt eine große Tasche, in der schon lange keine Schulhefte mehr sind, sondern Tablets. Den Unterrichtsstoff digital miteinander erarbeiten und damit gemeinsam zu lernen hat sich auch im Fach Religion durchgesetzt und sich besonders während der Homeschooling-Phase durch die Corona-Pandemie bewährt. Auch im Fach Religion geht es um die CoronaPandemie. Die 15- bis 16-jährigen Jugendlichen sind mitten im Thema „Corona und die Folgen für die Kirche“, das sie seit drei Unterrichtsstunden begleitet. „Eine Aufgabe für die Schülerinnen und Schüler war, ihre eigene Kirchengemeinde wahrzunehmen und zu erfragen, was sich dort durch

Corona geändert hat“, erklärt Henrike Schnöing. Die meisten aus dieser Klasse seien in ihrer eigenen Gemeinde sehr engagiert und könnten so aus eigener Anschauung von den Veränderungen berichten. Damit die Schüler*innen einen Arbeitsplan für diese Aufgabe haben, hat Henrike Schnöing eine digitale Pinnwand erstellt, auf die alle Zugriff haben. Auf dieser Pinnwand sind jeweils Überschriften mit Fragen und Anregungen vorgegeben. Hier konnte dann das gesammelte Material wie Bilder, Texte und natürlich auch Bibelstellen eingetragen werden. Unterstützt durch die Tablets kann die ganze Klasse nun im Unterricht die Ergebnisse aller Mitschüler*innen sehen und miteinander besprechen. „Ich habe euch ein paar Karikaturen mitgebracht“, erklärt die 30-jährige Pädagogin. „Sie zeigen, wie sich Kirche in der vergangenen Zeit verhalten hat: helfend, tröstend oder ermutigend. Setzt euch in Vierergruppen zusammen und erklärt euch in den nächsten fünf Minuten gegenseitig, wie ihr Kirche wahrgenommen habt!“ Man merkt den Jugendlichen an, dass sie alle zu dem Thema Kirche und Corona Zugang finden

Fotos: Gerold Meppelink

8 4 reformiert 2021


die Kirche Henrike Schnöing (30) ist seit dreieinhalb Jahren am EGN und unterrichtet Religion und Englisch.

konnten. Als sie nach kurzer Arbeitsphase die Ergebnisse in der ganzen Klasse vortragen, bringen sehr viele ihre Erfahrungen ein. Eine Schülerin fand besonders das Angebot im Internet spannend. „So konnten wir wenigstens ein bisschen Konfirmandenunterricht mitbekommen, da wir ja genauso wie in der Schule nicht zusammenkommen konnten.“ Ein anderer Schüler meint: „Hoffentlich hat die Kirche nicht zu viele verloren, die sonst immer zum Gottesdienst gekommen sind.“ Und ein anderer sagt ergänzend: „Immerhin gab es ein Angebot über YouTube.“ Besonders erstaunt sind viele über die große Menge an Informationen, die gesammelt wurden. „Ich habe gar nicht gewusst, dass es so viele Bibelstellen gibt, die zu unseren Erlebnissen passen“, meint eine Schülerin erstaunt. Dem pflichtet auch Henrike Schnöing bei. Am Schluss der Stunde stellt sie eine neue Aufgabe: „Stellt euch vor, Corona ist vorbei und ihr wollt zu einem Gemeindefest einladen. Wie sollte das mit den Erfahrungen, die ihr gemacht habt, aussehen?“ Die Ergebnisse gibt es in der nächsten Stunde.

Jetzt werden keine Hefte oder Bücher weggepackt, vielmehr loggen sich die Schülerinnen und Schüler aus dem Programm aus. Von Günter Plawer

INFO Das Evangelische Gymnasium in Nordhorn (EGN) sieht sich besonders der Ökumene verpflichtet, unter anderem bildet die Schule die Vielzahl der Konfessionen in der Grafschaft ab. Zu ihrem evangelischen Profil gehört neben dem morgendlichen Gebet, regelmäßigen Schulgottesdiensten und einem Tischgebet beim Mittagessen auch eine wöchentliche Morgenandacht. Der christliche Religionsunterricht ist anders als an staatlichen Schulen in allen Jahrgangsstufen für alle Schülerinnen und Schüler verbindlich, unabhängig davon, ob sie einer christlichen, einer anderen oder gar keiner Religionsgemeinschaft angehören. Er wird in allen Jahrgangsstufen konfessionsübergreifend erteilt, zurzeit ausschließlich aus organisatorischen Gründen, da es an katholischen Religionslehrern mangelt.

Die Schülerinnen und Schüler tauschen sich über ihre Arbeitsergebnisse aus.

9 4 reformiert 2021


THEMA

Ich träume Schule Gedanken von Reinhild Gedenk, Pastorin für Bildungsaufgaben Ich träume eine Schule, in der jeder gewaltfrei die Sprache der Hoffnung und des Trostes lernen kann. Auch das Aufstehen und sich Bewegen wird dort unterrichtet: Aufstehen, wenn man gelobt wird oder anderen die Ehre gibt, und Aufstehen zum Aufstand und Aufruhr gegen Ungerechtigkeit und alles, was dem Leben schädlich ist. In der Schule meiner Träume ist allen klar, dass es neben unserer christlichen Mundart „viele Dialekte der Hoffnung“ gibt, wie es der Theologe Fulbert Steffensky beschreibt. Die Schüler*innen können sich deshalb immer entscheiden, ob sie in einer Tradition bleiben oder sich verabschie

den wollen. Darum ist das oberste Lernziel, Fragen zu stellen. Denn nur so stoßen wir auch auf die Grundfragen an das Leben: Wer bin ich und wie ist aus mir geworden, was ich bin? Warum sind andere anders? Wo gehöre ich hin und was soll ich tun? Darf ich alles, was ich kann? Warum leiden wir und warum ist alles so vergänglich? Diese Fragen finden natürlich besonders, wenngleich auch nicht nur, im Religionsunterricht ihren Platz. Er sollte für alle gleich angeboten werden und nicht fragen, aus welcher Tradition die jungen Menschen kommen. Er sollte schon gar nicht missionieren und versuchen, Christenmenschen aus den Schüler*innen zu formen.

Ein Grundstein für das Verstehen anderer Kulturen Aus meiner Sicht ist Religionsunterricht wichtig, weil Schülerinnen und Schüler dadurch den eigenen kulturellen Hintergrund besser kennenlernen und der Grundstein zum Verstehen anderer Kulturen gelegt wird. Somit bricht der Religionsunterricht Ressentiments auf und verdeutlicht Gemeinsamkeiten, schärft jedoch auch Unterschiede und öffnet Wege zu mehr Toleranz. Carmen Skowasch (49) ist Lehrerin für Biologie, Deutsch und Erdkunde und seit 2019 Schulleiterin der Oberschule Lengerich (Emsland). Außerdem gehört sie dem Kirchenrat der Gemeinde Meppen-Schöninghsdorf an.

Eine gefestigte Meinung über die eigene Konfession

10 4 reformiert 2021

In meinem zukünftigen Beruf als Erzieherin werde ich immer wieder in Kontakt mit unterschiedlichen Glaubensrichtungen kommen. Deswegen ist es für mich wichtig, eine gefestigte Meinung und Wissen über meine eigene Konfession zu haben. Trotzdem lege ich auch großen Wert darauf, mindestens ein Grundwissen über die Religionen in meinem Umfeld zu haben, um diesen mit Offenheit und Toleranz gegenübertreten zu können. Merle Broadhurst (21) aus Emden absolviert eine Ausbildung zur Erzieherin.

Zwischen Werten und Noten Trotz der Hürden, dass die Lehrpläne zu vollgestopft sind und es einen Bewertungszwang gibt, bin ich dankbar für viele gute Erinnerungen. Es hing immer sehr viel am Lehrenden selbst, was er oder sie aus dem „Lernstoff“ machte. So habe ich den Religionsunterricht oft im Spannungsfeld von christlicher Wertevermittlung und dem leistungsorientierten Schulsystem erlebt. Christoph Nuck (36) ist Verwaltungsmitarbeiter der Reformierten Gemeinde in Leipzig.


THEMA

Reinhild Gedenk ist seit 2020 Pastorin im Landeskirchenamt in Leer und dort für Bildungsfragen zuständig. Unter anderem ist sie auch für die evangelisch-reformierten Religionslehrerinnen und -lehrer sowie die Theologiestudierenden zuständig.

Ich träume eine Schule, in der sich alle als Lerngemeinschaft verstehen, wie auch die Kirche eine Lerngemeinschaft ist. Sie ist nie im Besitz der Wahrheit, sondern hört darauf, was andere zu sagen haben. Denn Antworten auf die großen Fragen des Lebens finden wir nur im Dialog, in der Auseinandersetzung mit fremden Gedanken und der überzeugenden Begründung eigener Überlegungen. In der Schule meiner Träume gibt es darum viel Zeit für Gespräche und viel Raum, Wege, sogar Irrwege zu gehen. Meine Schule hat vom Apostel Paulus gelernt: Alles zu prüfen und das Gute zu behalten. Fortsetzung auf Seite 10 Foto: Ulf Preuß

Das kleine Fach der großen Fragen Ich kann dieses „wunderbare“ Fach nur empfehlen. In kaum einem anderen Fach erlebe ich Kinder so vielseitig und nachdenklich. Die Schülerinnen und Schüler zeigen sich Interessiert an gesellschaftsrelevanten Themen. Ich sehe es als besondere Aufgabe, die gesellschaftlichen Themen theologisch zu verknüpfen und die Kinder zu ermutigen, über Gott, Glaube und Religion zu sprechen. Schülerinnen und Schülern soll nicht nur Wissen vermittelt werden, sondern sie sollen auch über die Grundfragen menschlichen Lebens und über Gott nachdenken und darüber hinaus eine religiöse und ethische Dialog- und Urteilsfähigkeit entwickeln. Dadurch wird der Religionsunterricht zum Denk- und Fragefach. Timo Kromminga (47) ist Haupt- und Realschullehrer in Ottersberg, Seminarleiter für die Lehrämter an Grund-, Haupt- und Realschulen sowie Lehrbeauftragter für die Praxisphase des Studiums an der Uni Oldenburg.

11 4 reformiert 2021

Berliner Religionsunterricht In Berlin wurde und wird der Religionsunterricht ausschließlich von kirchlichen Lehrkräften erteilt, in meiner Schulzeit auf ziemlich dogmatische Weise. Damals gab es in der Regel zwei mögliche Zensuren auf einem ExtraZeugnis: „teilgenommen“ oder „mit Interesse teilgenommen“. Was dieser Unterricht lebensnah leisten kann, habe ich erst durch die Lehrtätigkeit meiner Frau erlebt. Burkhart Vietzke (77) ist in Berlin aufgewachsen. Der ehemalige Chefredakteur des Evangelischen Pressedienstes NiedersachsenBremen lebt in Hannover.


THEMA Fortsetzung von Seite 9

Ich träume eine Schule, in der sich die Lehrenden auf das Hören und Zuhören verstehen und mit ihren Worten Brücken bauen, damit sich Erwachsene und Jugendliche in ihrer je eigenen Sprache begegnen können. So sind sich Lehrer*innen ihrer Rolle bewusst: Sie sollen weder gnadenlose Autoritäten, noch Kumpel*innen und schon gar nicht gleichgültige Zeitgenossen sein, die nur einen Job machen. Ich träume eine Schule, die die Liebe zum Leben lehrt und zeigt, wie komplex unser Leben mit allen Widersprüchen und Gegensätzen, Abschieden und Aufbrüchen ist. Die Schüler*innen lernen

hier, was für ein großes Netzwerk unser Leben ist. Leidet ein Glied, dann leiden alle Glieder mit. Wenn an einem Ort auf der Welt etwas geschieht, dann hat das Auswirkungen ganz woanders auf der Welt. Ich träume eine Schule. Sie könnte viele Namen tragen: Schule des Lebens, Friedenswerksstatt oder Oase der Gerechtigkeit. Und im Traum sehe ich, frei nach Goethe, in großen Lettern ihr Motto über dem Schultor: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein!“

Es muss nicht alles vom Christentum ausgehen Ich war auf der Freien Christlichen Schule Ostfriesland, da heißt der Religionsunterricht Biblischer Unterricht und wird nicht bewertet. Grundsätzlich habe ich positive Erinnerungen daran. Ich hätte mir aber gewünscht, dass wir mehr über Religion im Allgemeinen gesprochen hätten und auch mehr darüber diskutiert hätten, ohne immer von einer Grund-Religion auszugehen, das Christentum in diesem Fall. Ronja Marks (21) aus Leer hat 2019 Abitur an der Freien Christlichen Schule Ostfriesland gemacht. Sie nimmt diesen Herbst ein Lehramtsstudium auf.

12 4 reformiert 2021

Es geht um ethische und moralische Fragen Im vergangenen Schuljahr haben wir uns nicht nur mit dem Christentum, sondern auch mit anderen Religionen auseinandergesetzt. Über die Besonderheiten im Christentum, Buddhismus, Islam und Judentum Bescheid zu wissen ist ebenso hilfreich wie wichtig für den weiteren Verlauf meines beruflichen Werdegangs als Heilerziehungspfleger. Auch mit ethischen und moralischen Fragen haben wir uns befasst. Es ist wichtig, viele Themen aus möglichst vielen Blickwinkeln zu betrachten, dies ist uns Schülerinnen und Schülern durch den Unterricht bewusst geworden. Bijan Kiani (30) absolviert zurzeit eine schulische Ausbildung zum Heilerziehungspfleger. Er ist nicht getauft und fühlt sich keiner Religion zugehörig.


THEMA

Der Religionslehrer zu Fritzchen: „Deine Leistungen sind so miserabel, darüber muss ich heute mit deinem Vater reden.“ Nach der Schule fährt er mit Fritzchen zu dessen Eltern und stellt den Vater zur Rede: „Hören Sie, ihr Sohn hat nicht die geringste Ahnung von der Religionslehre, er weiss ja nicht einmal, dass Jesus Christus gestorben ist!“ Der Vater: „Ach Herr Lehrer, wissen Sie, wir wohnen sehr abgelegen, haben keinen Strom, kein Radio und Fernseher und bekommen auch keine Zeitung. Wir wussten ja nicht einmal, dass er krank war.“

Zu viel hat sich wiederholt Mir hat der Religionsunterricht, den ich an vier verschiedenen Schulformen mitgemacht habe, sehr viel Spaß gemacht. Allerdings hat sich vieles zu sehr wiederholt. Ich finde, es müsste genauere Lehrpläne von der Grundschule bis hin zur berufsbildenden Schule geben. Ich habe mindestens viermal die Themen Tod und Weltreligion durchgenommen. In dieser Zeit hätte man auch andere Themen besser behandeln können. Nils Kruse (22) aus Leer hat gerade seine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger abgeschlossen. Er ist Mitglied im Kirchenrat der Gemeinde Leer-Loga.

Wechselwirkung zwischen Beruf, Religion und eigenem Glauben Die Zeit der Ausbildung ist für viele junge Erwachsene eine Findungsphase ihrer eigenen (Glaubens-) Identität. Wir als Religionslehrkräfte haben die Möglichkeit, ihre Persönlichkeit ein Stück weit zu stärken. Dabei ist es wichtig, die Fragen der Schüler*innen aufzugreifen. Eine gute Beziehung untereinander ist besonders gewinnbringend. Für mich ist es wichtig, den Schüler*innen für die persönliche Auseinandersetzung mit religiösen und weltanschaulichen Impulsen im Kontext ihrer beruflichen Erfahrungen Raum zu lassen. Es ist schön zu sehen, wie die Integration des Berufsbezuges im Religionsunterricht die Motivation und Handlungsbereitschaft der Schüler*innen fördern kann. Gemeinsam kann auch kritisch über die Wechselwirkung zwischen Beruf, Religion, dem eigenen Glauben und der Identität diskutiert werden. Inga Vrielink (28) aus Nordhorn ist Berufsschullehrerin für Sozialpädagogik (berufliche Fachrichtung) und evangelische Religion.

13 4 reformiert 2021


THEMA

Ein Fach Fragen an Kerstin Gäfgen-Track, Bildungsexpertin bei der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen Frau Gäfgen-Track, Die evangelischen Kirchen und die katholischen Bistümer in Niedersachsen wollen, dass der Religionsunterricht vom katholischen und evangelischen zum christlichen wird. Den sie geneinsam verantworten. Warum gibt es jetzt diesen Vorstoß? Wir haben hier in Niedersachsen seit über 20 Jahren die Möglichkeit, dass der evangelische und katholische Religionsunterricht konfessionell-kooperativ erteilt werden kann. Evangelische Schüler können am katholischen Religionsunterricht teilnehmen und umgekehrt. Die Themen der jeweils anderen Konfession werden aufgenommen. Das hat sich an den Schulen zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt. In diesen 20 Jahren haben sich die Situation an den Schulen und die Herausforderungen auch für den konfessionellen Religionsunterricht deutlich verändert; zugleich hat sich auf allen Ebenen die Zusammenarbeit zwischen Evangelisch und Katholisch verbessert. Die Zeit ist reif für diesen Schritt, um den Religionsunterricht zu stärken.

14

Sie sagten es gerade: Seit vielen Jahren gibt es Schulen, an denen der Religionsunterricht gemeinsam sattfindet, mit allen Schülerinnen und Schüler einer Klasse und einem katholischen Lehrer oder einer evangelischen Lehrerin – je nachdem wer an der Schule verfügbar ist. Was ist denn an dem neuen Modell neu? Der bisherige konfessionell-kooperative Religionsunterricht war von Ausnahmen abgesehen nur in einzelnen Jahrgängen möglich und war vorrangig ein gutes Organisationsmodell. Der gemeinsam verantwortete christliche Religionsunterricht hat zum Ziel, inhaltlich zu einem konfessionellen Religionsunterricht zu kommen für alle Jahrgänge. Dabei soll primär die gemeinsamen christlichen Grundüberzeugungen zur Sprache kommen: Bibel, Taufe, Jesus Christus oder Bewahrung der Schöpfung. Genauso angemessen sollen die Differenzen benannt werden: Fronleichnam und Reformation, reformierte Kirchenpräsidentin und katholischer Bischof, Emder Synode und Zweites Vatikanum.

Was wird sich denn, wenn das Fach eingeführt ist, für Schülerinnen und Schüler ändern? Evangelische und katholische Schüler werden grundsätzlich gemeinsam nach einem Curriculum unterrichtet. Selbstverständlich können auch weiterhin Schüler mit keiner oder anderer Religionszugehörigkeit teilnehmen. Was erhoffen Sie sich für die Einstellung junger Menschen gegenüber dem Glauben und der Kirche? Zum menschlichen Leben gehört die Beschäftigung mit der Frage nach der Religion und einem „höheren Wesen“. Bislang studieren angehende evangelische Religionslehrerinnen und -lehrer an evangelischen Fakultäten der Hochschulen, katholische an katholischen. Soll die Ausbildung zukünftig auch gemeinsam erfolgen? Auch damit das Studium bundesweit anschlussfähig bleibt, soll es selbstverständlich weiterhin evangelische und katholische Fakultäten und Institute geben. Fot0: Jens Schulze

Wenn man auf die religiöse Vielfalt in der Gesellschaft und in den Schulen schaut und gleichzeitig die riesigen Konflikte zwischen Religionen betrachtet, Stichwort Islamfeindlichkeit, Antisemitismus. Wäre es nicht gesellschaftlich viel stärker angeraten, eine religiöse Bildung an den Schulen zu etablieren, die sich an alle Glaubensrichtungen gleichermaßen wendet und diese zusammenbringt? Auch der christliche Religionsunterricht wird die Themen der anderen Religionen aufgreifen, die Konflikte benennen, die Religionen hervorrufen können und klar gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit Stellung beziehen. Wir sind weiterhin vom Konzept eines bekenntnisgebundenen Religionsunterrichts überzeugt, denn gerade die Positionalität prägt ihn für Schüler positiv. Die Kirchen haben jetzt diesen Vorstoß gemacht, wie wird es weitergehen? Wir befinden uns jetzt in einem gut einjährigen, sehr breit angelegten Beratungsprozess mit Schule, Hochschule, Kirchen und Land. Nach seiner Auswertung hoffen wir Beratungen mit dem Land aufnehmen zu können. Interview: Ulf Preuß


THEMA

im Gespräch Fragen an Sarah Kotten, Lehrerin für Englisch und katholische Religion an der Hauptschule Emlichheim Frau Kotten, Sie unterrichten Englisch und Religion an der Hauptschule Emlichheim. Was hat Sie bewogen, sich gerade für Religion zu entscheiden? Ein bisschen ist daran mein Vater schuld. Alle aus meiner Familie sind in der Kirche aktiv gewesen und ich fand das schon immer interessant. Nicht nur die Gemeinschaft, sondern auch den Glaube dahinter. Und natürlich war ich auch Messdienerin und später Lektorin. Als es dann um mein zweites Fach neben Englisch ging, meinte mein Vater: „Du bist dein ganzes Leben lang in der Kirche aktiv gewesen, hast so viel mit Kindern gemacht. Wieso nicht Religion?“ Das Studium hat mir dann unheimlich viel Spaß gemacht, ich habe viele neue Seiten von Religion kennen gelernt – auch wie Wissenschaftler mit der Bibel und dem Glauben umgehen. Was ist die größte Herausforderung des Unterrichts? Das Wichtigste ist: Man muss authentisch sein. Ich muss den Schüler*innen glaubhaft vermitteln können, dass ich glaube. Man darf ihnen niemals Glauben aufzwingen wollen, sondern du musst immer sagen: Das ist mein Glauben. So lieb ich das, so finde ich das für mich gut und du musst herausfinden, was es für dich bedeutet. Ich zeige dir einen Weg und Möglichkeiten. Was sind denn die Themen, die auf das größte Interesse stoßen? Das Thema Tod. Ein schwieriges, aber auch spannendes Thema, auch für mich. Bei den Schüler*innen sind es vor allem die Fragen um ein mögliches Leben nach dem Tod. Da stoßen dann die unterschiedlichsten Ansichten aufeinander. Einige sagen: Da ist nichts. Da war nix. Und ich halte dagegen und sage: „Das ist okay für dich. Wenn du das so siehst, dann ist es so für dich. Und für mich ist das aber anders.“ Das kann dann stehen bleiben, und es entsteht dabei ein gegenseitiger Respekt. Spannend ist auch immer wieder

das Thema Schöpfung und die Entstehung der Welt. Da vergleichen wir, was die Wissenschaft bisher herausgefunden hat. Dabei entstehen viele Bilder, und die können gut nebeneinanderstehen. Der Religionsunterricht wird an der Hauptschule Emlichheim konfessionsübergreifend erteilt. Ist das ein besondere Herausforderung und wie gehen Sie damit um? Man muss einfach offen sein. Es gibt einige Schüler*innen, die getauft sind und in ihren Kirchen eingebunden sind. Da kann man mit einem ökumenischen Blick dran gehen und gucken, was sind die Unterschiede und wo kommen wir zusammen. Schwieriger wird es bei denen, die nicht kirchlich gebunden sind. Aber wir haben auch Muslime und Jesiden im Unterricht. Sie müssen nicht teilnehmen, kommen aber meist trotzdem. Die meisten haben Spaß daran, weil es endlich mal eine Stunde ist, bei der sie auch mal sie selbst sein können. Bei der sie auch mal erzählen können, wie ist das bei mir eigentlich? Es Fot0: Günter Plawer gibt dann viele Aha-Momente. Vor allem wenn sie feststellen, wie eng die drei Religionen zusammengehören. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, den Schüler*innen zu vermitteln, dass Glaube und Religion wertvoll sind, weil es einem so viel Positives bringt. Und dass es genauso okay ist, wenn man keine Konfession hat, wenn man nicht glaubt. Wie wird das Fach Religion von Ihren Kolleginnen und Kollegen wahrgenommen? Unterschiedlich. Manchmal ein wenig stiefmütterlich. Für viele ist es ein kleines Fach, das von den Richtlinien her nicht in die Randstunden verschoben darf. Ich finde es besonders spannend, wenn Kolleg*innen die Vertretung übernehmen müssen. Sie erleben dann auf einmal den Respekt vor dieser Aufgabe. Vielleicht hat es damit zu tun, dass man doch sehr viel Persönliches in dieses Fach mit einbringen muss. Es braucht sehr viel Fingerspitzengefühl und natürlich auch Fachwissen. Interview: Günter Plawer

15


INFO

16 4 reformiert 2021

Die Gesamtsynode der Evangelisch-reformierten Kirche wählte Susanne Bei der Wieden Anfang März mit großer Mehrheit zur Nachfolgerin von Kirchenpräsident Martin Heimbucher. Der wurde am 16. Juli mit einem Gottesdienst verabschiedet. Der Einführungsgottesdienst für die neue Kirchenpräsidentin ist am Samstag, dem 4. September, um 14.00 Uhr in der Großen Kirche in Leer. Er wird als Livestream bei www.reformiert.de und über den YouTube-Kanal übertragen.

Foto: Andrea Enderlein


Die Basis im Blick Die neue Kirchenpräsidentin setzt auf intensive Gespräche mit den Gemeinden Mit Susanne Bei der Wieden bekommt das Landeskirchenamt der Evangelisch-reformierten Kirche in Leer erstmals eine Kirchenpräsidentin. Die Theologin wird Nachfolgerin von Martin Heimbucher, der Ende Juli in den Ruhestand ging. „Die Zeit war reif für eine Frau an der Spitze“, sagt Bei der Wieden. Immerhin hätten gleich zwei Frauen zur Wahl gestanden. Aber: „Wie ich das Amt prägen werde, hat nichts mit ‚typisch weiblich – typisch männlich‘ zu tun. Es wird einfach mein persönlicher Stil sein, der hier einfließt.“ Ihr Stil, das ist in erster Linie die enge Verbindung zwischen Leitungsebene und Gemeindearbeit, der schon jetzt ihre Arbeit prägt. Bis Ende August war Susanne Bei der Wieden Gemeindepfarrerin in Frankfurt/Main und gleichzeitig stellvertretende Präses der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. „Durch diese beiden Ämter erlebe ich immer direkt, wie es sich an der Basis auswirkt, was die Kirchenleitung beschlossen hat“, erklärt sie. „Das hat meinen Blick und mein Verständnis in beide Richtungen sehr geprägt.“ Vor diesem Hintergrund setzt die 54-Jährige auch in ihrem künftigen Amt auf intensive Gespräche mit den Gemeinden, um deren individuelle, regional geprägte Herausforderungen und Chancen kennenzulernen und bei Entscheidungen zu berücksichtigen. Doch nicht nur die Verbindung zwischen Basis und Leitung, sondern auch zwischen christlicher Verkündigung und politischer Verantwortung ist der künftigen Kirchenpräsidentin ein Herzensanliegen. Als Jugendliche hat sie erlebt, wie Kirche sich zu entscheidenden Themen positioniert hat: NATO-Doppelbeschluss und atomare Aufrüstung waren in den 1980er Jahren Punkte, zu denen auch die Kirche Stellung bezog. „Weltverantwortung übernehmen“, nennt sie es. Aber auch in dieser Hinsicht geht ihr Blick vom Großen ins Detail: „Die Kirche muss in die Gesellschaft hineinreichen“, fordert sie. Neben der klassischen Gemeindearbeit sei es wichtig, sich zu vernetzen mit anderen Institutionen. „Hier liegt eine große Chance für alle Seiten, die wir unbedingt nutzen sollten.“ Gerade in Zeiten des Mitgliederrückgangs und der sinkenden finanziellen Mittel sei es wichtig, das Wirken der Kirche nach außen zu zeigen.

Gleichzeitig müssten auch kirchenintern Ressourcen stärker gebündelt werden, die Gemeinden mehr interagieren, statt parallel zu arbeiten. „Die Gemeinden müssen einen Weg finden, um Besonderheiten selbstbewusst einzubringen, das Eigene zu behalten und dennoch zu kooperieren.“ Die effektivere Nutzung der Kirchengebäude werde ebenfalls ein Aspekt sein, der die Gemeinden in Zukunft beschäftige. Historische Kirchen nur für den Gottesdienst? Das werde auf Dauer nicht finanzierbar sein, befürchtet sie. Doch auch hier setzt sie auf Gespräche mit der Basis. „Wir müssen uns gemeinsam Gedanken machen, wie wir diesen Schatz, den wir da haben, besser einsetzen.“ Aufgewachsen im katholisch geprägten Hochsauerland, fand Susanne Bei der Wieden die Vielfalt der Konfessionen schon als Kind spannend. „Mich interessierte, warum Christen so unterschiedlich glauben.“ Hinzu kam ein offener, sehr liberaler Religionsunterricht, der ihr Interesse an diesem Thema noch festigte. Ganz bewusst entschied sie sich für die reformierte Kirche. „Die Schlichtheit des Gottesdienstes, die Konzentration auf die Predigt und die Selbstbestimmtheit der Gemeinden haben mich fasziniert.“ In Wuppertal und Göttingen studierte sie Evangelische Theologie und einige Semester Kirchenmusik und promovierte über Luthers Predigten. Nach dem Examen in der Evangelischen Kirche von Westfalen absolvierte sie ihr Vikariat in Gießen, war anschließend Dozentin am Reformierten Seminar für pastorale Ausbildung in Wuppertal. Seit 2003 ist sie Pfarrerin in Frankfurt/Main – nun geht es aus der Mitte Deutschlands in den äußersten Nordwesten. „Ich kenne Ostfriesland aus mehreren Urlauben. Es ist eine schöne Gegend mit einer reichen Kulturlandschaft. Außerdem leben einige Studienfreunde von mir dort.“ Die Menschen seien ihr mit großer Offenheit und Herzlichkeit begegnet, erzählt sie. „Und als Kirchenmusikerin freue ich mich natürlich auch auf die großartige Orgellandschaft.“ Doch zunächst heißt es Abschied nehmen von einer Gemeinde, die ihr in fast 20 Jahren ans Herz gewachsen ist. Am 4. September dann wird die neue Kirchenpräsidentin in Leer in ihr Amt eingeführt. Von Anke Brockmeyer

17 4 reformiert 2021


[1] Martin Heimbucher ist am 16. Juli aus seinem Amt als Kirchenpräsident verabschiedet worden. Präses Norbert Nordholt überreichte ihm im Rahmen eines Gottesdienstes die Entlassungsurkunde. Der 65-Jährige war seit November 2013 leitender Theologe der Evangelisch-reformierten Kirche. Ende Juli trat er mit Erreichen der Altersgrenze den Ruhestand an. [2] Rena Suhr ist neue Vorsitzende des landeskirchlichen Jugendausschusses. Die 33-Jährige wurde im Juni als Nachfolgerin von Gerhard Kortmann gewählt. Rena Suhr kommt aus der Gemeinde Emden und arbeitet seit 2013 im Jugendausschuss mit. Sie ist auch Mitglied der Gesamtsynode. [3]

Margret Heckmann, ehemalige Kirchenmusikdirektorin in Nordhorn, ist am 7. Juli gestorben. Heckmann wurde 73 Jahre alt. Über die Grenzen der Grafschaft hinaus bekannt wurde sie mit ihren Kindersingwochen. 1976 begann sie in der Gemeinde Nordhorn, am 1. April 2013 wurde sie dort in den Ruhestand verabschiedet. [1]

[4] Helmut Not, Pastor der Gemeinde Weener, ist Anfang August in den Ruhestand gegangen. Not wurde 1987 von der Gemeinde gewählt. Der gebürtige Nordhorner studierte Theologie in Wuppertal, Tübingen, Münster und Göttingen. Viele Jahre war er stellvertretender Präses des Synodalverbands und Mitglied der Gesamtsynode. [5] Christian Eisbrenner ist neuer Jugendreferent im Synodalverband Bayern. Der 40-jährige Religionspädagoge hat seine Stelle im Mai angetreten. Eisenbrenner ist in Erfurt und Jena aufgewachsen und erlebte in seinem Elternhaus als Kind kirchlicher Mitarbeiter eine intensive religiöse Sozialisation. Danach lebte er unter anderem viele Jahre in Düsseldorf und Berlin. [6] Kestutis Daugirdas, wissenschaftlicher Vorstand der Johannes a Lasco Bibliothek in Emden, ist mit dem Professorentitel ausgezeichnet worden. Die Theologische Fakultät der Uni Tübingen verlieh dem 48-jährigen Kirchengeschichtler im Juni den [4]

Titel für seine Verdienste in Forschung und Lehre. Daugirdas wird auch in den kommenden sechs Jahren die Bibliothek in Emden leiten. Das Stiftungs-Kuratorium verlängerte kürzlich seinen Vertrag. [7] Gerhard Kortmann, Pastor der Gemeinde Gildehaus, ist am 11. Juli mit einem Gottesdienst in den Ruhestand verabschiedet worden. Offiziell tritt der 62-jährige Theologe ihn am 1. Oktober an. Kortmann war dann 15 1/2 Jahre Pastor in Gildehaus. Er vertrat seine Gemeinde und den Synodalverband Grafschaft Bentheim viele Jahre in der Gesamtsynode. Als langjähriger Vorsitzender des landeskirchlichen Jugendausschusses ist er bereits vor einigen Wochen ausgeschieden. [8] Susanne Gillmann ist neue Pfarrerin der Gemeinde Erlangen. Die Gemeinde wählte die 54-jährige Theologin im Mai. In Erlangen arbeitete sie zunächst als Religionslehrerin, leitete den Verein „Ehrenamtliche in der Psychiatrie und machte sich später als Supervisorin selbständig. In der Hugenottenkirche predigte sie bereits seit 2010 etwa viermal pro Jahr.

[1]

Neue Übersetzung der Basisbibel.

[1] Gott nicht als Herr übersetzen Die Evangelischen Frauen in Deutschland (EFiD) kritisieren mit einem offenen Brief die BasisBibel für die einseitige Übersetzung des Gottesnamens. Angelika WeigtBlätgen, stellvertretende Vorsitzende des Dachverbands der evangelischen Frauen: „In Bezug auf den Gottesnamen übersetzt die BasisBibel erstaunlich konservativ und eindimensional.“ Das hebräische Wort „JHWH“ aus dem Alten Testament könne nicht nur mit „HERR“ sondern ebenso gut mit „Gott“ oder „Name“ wiedergegeben werden. „‘Herr‘ ist also lediglich ein Ersatzname, keine Übersetzung!“, so Weigt-Blätgen. Für eine Bibel, die den Anspruch habe, die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert zu sein, sei dies eine verpasste Chance. Susanne Kahl-Passoth, Vorsitzende von EFiD: „Welches Gottesbild vermittelt dies insbesondere jungen Leser*innen? Hätte die Bibel mit ihrer Fülle an Gottesbildern nicht eine Übersetzung verdient, die diese Fülle auch im Gottesnamen spiegelt?“ Die Deutsche Bibelgesellschaft hatte Anfang des Jahres mit der BasisBibel eine komplett neue Übersetzung der Heiligen Schrift veröffentlicht. [2]

18 Foto: Ulf Preuß

[2]

Foto: Britta Brühling

[3]

Foto: Privat

Foto: Britta Brühling

[5]

Foto: Privat

[6]

Foto: Privat

[7]

Foto: Britta Brühling

[8]

Foto: Stefan Konjer

Orgel des Jahres in Uttum Große Freude in Uttum in Ostfriesland. In dem kleinen 400-Einwohner-Dorf im Landkreis Aurich steht die „Orgel des Jahres 2021“. Die Stiftung Orgelklang der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) verlieh der Kirchengemeinde und ihrer Renaissance-Orgel vor kurzem diesen Titel. Bei dem Publikumswettbewerb der Stiftung standen zwölf im vergangenen Jahr geförderte Orgeln zur Wahl. Von insgesamt 1.345 Voten der Internetabstimmung fielen 499 auf das denkmalgeschützte Instrument in der Gemeinde Krummhörn. Knapp hinter Uttum erreichte das Instrument in der evangelischen Kirche Essen-Werden mit 468 die zweitmeisten Stimmen. Die Geschäftsführerin der Stiftung Orgelklang, Catharina Hasenclever, bezeichnete die Auszeichnung auch als eine Belohnung für das große ehrenamtliche Engagement der Kirchengemeinde für ihre


AKTUELLES

[2]

[3]

Foto: Ulf Preuß

[4]

Foto: Tobias Frick

Foto: Andreas Fischer/epd

Die Uttumer Organistin Elke Steps-Prell an der „Orgel des Jahres 2021“.

In Oldenburg hat sich an der Garnisonskirche der Verein „Reformierte in Oldenburg“ gegründet.

Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, kam zum Jubiläumsfestakt in Emden. Die vor 450 Jahre entstandene Haltung, geflüchtete Menschen willkommen zu heißen, präge die Reformierte Kirche bis heute, sagte er.

Orgel. „Wenn man bedenkt, dass mehr Menschen für die Orgel abgestimmt haben als in Uttum leben, bekommt man einen Eindruck davon, wie groß die Strahlkraft dieses Instruments ist“, sagte sie. Die Orgel in Uttum ist um 1660 entstanden; das genaue Datum ist ebenso wenig bekannt wie der oder die Erbauer. Im Unterschied zu den meisten anderen Renaissance-Orgeln ist das Werk fast vollständig original erhalten. Auch der Klang entspricht dem von vor 360 Jahren. An der Kwassui University in Nagasaki gibt es sogar einen originalgetreuen Nachbau, damit dortige Musikstudierende alte Musik an einem historisierenden Instrument kennenlernen können. Immer wieder kommen Organisten aus der ganzen Welt in das Dorf an der ostfriesischen Nordseeküste, um die Orgel zu spielen. Im Dezember des vergangenen Jahres wurde die Orgel nach der Komplett-Restaurierung in der Kirche wieder aufgebaut. Von den rund 200.000 Euro übernahm die Stiftung Orgelklang mit 3.000 Euro nur einen kleinen Teil. Bei der Sanierung war neben den Arbeiten an den Orgelpfeifen auch die Instandsetzung des Orgelgehäuses aufwendig, so der Orgelbauer Hendrik Ahrend. So sind die beiden Flügeltüren der Orgel nun wieder freischwebend konstruiert. Jetzt wartet die Kirchengemeinde nur noch sehnsüchtig auf ein Eröffnungskonzert für die „Orgel des Jahres 2021“.

Oldenburger Innenstadt das Projekt, mit dem erprobt werden sollte, ob es in der lutherischen Kirche in Oldenburg zur Gründung einer reformierten Gemeinde kommen kann. Im Raum Oldenburg leben geschätzt 4.000 Christen, die aus evangelisch-reformierten Regionen zugezogen sind. Nach der Gründung des Vereins solle dieser ins Vereinsregister eingetragen werden und die Gemeinnützigkeit erhalten, kündigte Severiens an. Er hält den vor knapp sieben Jahren gestarteten Versuch für erfolgreich. So gebe es inzwischen einen eigenen Gemeindebrief, regelmäßig treffe sich ein Bibelkreis, und auch ein Besuchsdienst sei eingerichtet worden. Zu den Gottesdiensten am ersten Sonntag im Monat und an den hohen Feiertagen kämen meist zwischen 50 und 70 Personen. www.oldenburg.reformiert.de

niz-Instituts für Europäische Geschichte in Mainz sagte in ihrer Festrede: „Emden führt zu Recht den Ehrentitel der ‚Moederkerk‘ der europäischen Reformierten“. Die Emder Synode sei ein Knotenpunkt der reformierten Kirchengeschichte, der „den Graben zwischen Historie und Gegenwart“ überwinde. Sie gehöre zur evangelisch-reformierten Identität. Heute stehe die Emder Synode für eine „Willkommenskultur, die Offenheit und Integration in eine gute Balance bringt.“ Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) stellte die Emder Synode in eine Reihe mit der Barmer Theologischen Erklärung von 1934, mit der die Bekennende Kirche dem Allmachtsanspruch des Nationalsozialismus widersprach. Schäuble sandte eine Videobotschaft nach Emden. Beide Erklärungen hätten eine gemeinsame Basis: „Christen handeln allein im Sinne Jesu Christi, die Kirche ist nur Gott verpflichtet.“ Schäuble nannte es angemessen, die Emder Synode „herausgehoben zu würdigen“.

[3] Reformierte gründen Verein Am Pfingstsonntag haben evangelischreformierte Christen in Oldenburg nach dem Gottesdienst einen Förderverein gegründet. Der Förderverein solle als Ansprechpartner für die Kirchenleitungen der Reformierten Kirche in Leer und der Lutherischen Kirche in Oldenburg dienen, sagte Thomas Severiens. Seit im Dezember 2014 in der Oldenburger Garnisonkirche zum ersten Mal ein evangelischreformierter Gottesdienst gefeiert wurde, begleitet der Physiker das sogenannte „Projekt Reformiert in Oldenburg“. Am Ersten Advent 2014 starteten die beiden Kirchen in der Garnisonkirche in der

[4] Knotenpunkt der Kirchengeschichte Die Evangelisch-reformierte Kirche und die Stadt Emden haben das Jubiläum „450 Jahre Emder Synode“ am 10. Juni mit einem Festakt in der Johannes a Lasco Bibliothek gefeiert. Wegen der Corona-Pandemie musste die Feierstunde auf Publikum verzichten und wurde als Livestream im Internet übertragen. Vor 450 Jahren, vom 4. bis zum 13. Oktober 1571, versammelten sich in Emden 29 Theologen und Kirchenälteste, um zu beraten, wie sie ihren neuen, reformatorischen Glauben leben und organisieren können. Später wurde das Treffen Emder Synode genannt. Die Delegierten, alle aus Flüchtlings- oder Untergrundgemeinden, entwarfen eine revolutionäre, nichthierarchische Kirchenordnung. Ihr erster Satz steht noch heute in leicht abgeänderter Form in der Kirchenverfassung der Evangelisch-reformierten Kirche: „Keine Gemeinde soll über andere Gemeinden, kein Pastor über andere Pastoren, kein Ältester über andere Älteste, kein Diakon über andere Diakone Vorrang haben oder Herrschaft beanspruchen.“ Die Kirchengeschichtsexpertin Irene Dingel bezeichnete die Emder Synode als einen „Erinnerungsort des reformierten Protestantismus“. Die Direktorin des Leib-

IMPRESSUM Reformiert: ,reformiert’ ist die Mitgliedszeitschrift der Evangelischreformierten Kirche. Herausgeberin: Evangelisch-reformierte Kirche, Saarstraße 6, 26789 Leer, www.reformiert.de Redaktion: Ulf Preuß (verantwortlich), Pressesprecher, Tel. 0491 / 91 98-212, E-Mail: presse@reformiert.de Redaktionsbeirat: Andre Berends, Klaus Bröhenhorst, Antje Donker, Matthias Lefers, Günter Plawer, Steffi Sander, Herbert Sperber, Burkhart Vietzke Konzeption, Gestaltung und Layout: dpp - Designagentur projektpartner, 26789 Leer, www.dpp-leer.de Druck und Vertrieb: SKN Druck und Verlag, Norden, www.skn-druck.de Auflage: 125.000 Exemplare

19


Es summt im Innenhof Seit dem Weltbienentag am 20. Mai stehen auf dem Gelände des Landeskirchenamtes der Evangelisch-reformierten Kirche seit zwei Bienenvölker. „Wir wollen damit einen Beitrag zur Erhöhung der Artenvielfalt im städtischen Bereich leisten“, sagt Roland Morfeld, seit gut einem Jahr Klimamanager der Kirche.

ZUM SCHLUSS

Auf seine Initiative hin platzierte der Imker Peter Spieker die Bienen im Innenhof. Inzwischen summen und brummen 65.000 Bienen im Garten der Büros. An manchen warmen Sommertagen ist das Summen bis in die Büros zu hören. „Noch hat der Garten allerdings mit hauptsächlich Kirschlorbeer und Rhododendron für Bienen nicht allzu viel zu bieten“, räumt Roland Morfeld ein. Nur ein kleines Blütenbeet direkt vor den Bienenstöcken lockt die Bienen an.

Foto: Ulf Preuß

Imker Peter Spieker sieht aber kein Problem. „Die Bienen haben einen Aktionsradius von bis zu drei Kilometern und in der Nähe gibt es sogar eine Akazienallee“, erklärt er. Heutzutage sei es so, dass Bienen in Städten oft mehr Honig produzierten als auf dem Land. Der erste Honig aus dem Landeskirchenamt sei in Sicht. Der Klimaschutzmanager Roland Morfeld hofft mit seinem Projekt auf Nachahmung. Auch Kirchengemeinden könnten mit vielen kleinen Maßnahmen zum Erhalt der Leistungsfähigkeit des Ökosystems beitragen. „Artenschutz und Klimaschutz sind gar nicht voneinander zu trennen.“ Der erste Honig aus der Saarstraße solle auch ein Zeichen dafür sein, so Morfeld.


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.